Irgendwas mit Kartoffeln

Freitag, 15. Juli 2016

Gelegentlich muss man was gestehen. Die Leute lieben Geständnisse. Also gestehe ich. Nämlich, dass ich äußerst gerne und überdies regelmäßig Harald Martensteins Kolumne im »Zeit Magazin« lese. Ja genau, der Martenstein; der Frauenfeind und Rassist und was man ihm nicht sonst noch so andichtet hat im Laufe vieler Jahre. Selbstverständlich ist mir klar, dass er mit vielen Leuten und Gruppen aneckt. Mit Feministinnen und Genderagenten zum Beispiel. Manchmal auch mit Linken. Dabei ist er oft auch selber schuld. Er sucht ja die Offensive. Wer seine Ruhe haben will, sollte die Zettel mit seinen Texten in die Schublade stecken und nicht einer Redaktion schicken. Er möchte streitbar sein. Und das schätze ich, zumal er sich nie wirklich im Ton vergreift, er ist bekanntlich stolz auf seine humanistische Bildung. Und noch aus einem ganz anderen Grund schätze ich den Alt-Kommunisten und jetzigen Alt-Kolumnisten: Viele seiner Kolumnen sind echt grandios, sprachliches Gold, inhaltlich aussagekräftig und trotzdem oder deswegen genialisch und spontan. Manche hingegen sind dann wieder unterirdisch. Dann hört er sich gerne schreiben und quasselt nett verpackt völligen Quark über Sujets, die dasselbe sind.

Ich wollte Herrn Martenstein mal danken. Nicht für all die guten Texte. Ihn für seinen Esprit und sein Können zu belobigen, das übernehmen wahrscheinlich die Mehrzahl seiner Fürsprecher und Leser. Ich wollte mich mal lieber für die schlechten Texte, die er so fabriziert, dankend an ihn wenden.

Vor einiger Zeit erst wieder, da hat er zugeschlagen, der kolumnistische Mr. Hyde. Er hat was relativ Belangloses über Flüstervideos auf YouTube dargebracht, einen Text, der so viel Aussagekraft hatte, wie ein Kiesel im Schuh. Oder gehen wir mal einige Monaten zurück, da ging es um die Kolonialfrage und darum, ob ein neuer Kolonialismus vielleicht nicht doch ein kurzfristiger Ausweg aus der Krise mit den Geflüchteten wäre. Originell wollte er sein. Wenn man das erzwingen will, wird man meist bezwungen. Klar werden ihn seine Kritiker für diese letztere Kolumne fein säuberlich zerrissen haben, wobei wer zerreisst heute noch, heute hasst man vollen Herzens. Also wird er wohl den Hass gespürt haben. Da muss er durch, die Zeiten sind so und wer publiziert, muss aushalten können. Ich fand den Text letztlich auch miserabel. Trotztdem wollte ich mich bei ihm bedanken. Oder gerade deswegen. Moralisches und politisch Korrektes lasse ich hierbei mal ganz aus dem Spiel. Das Leben ist langweilig genug, man muss das aushalten können als Leser.

Ich sehe das so: Für mich gelten anderen Spielregeln, wenn ich einem schreibenden Mann ein Lob oder einen Tadel zukommen lasse. Die, die ihm ja sonst schreiben, werden wohl mehrheitlich nur lesen. Ich lese - und ich schreibe selbst, wie man hier - ob zum Leidwesen oder zur Freude - sehen kann. Oh, gewiss nicht vergleichbar mit Herrn Martenstein. Der Mann hat es wirklich zu einiger Meisterschaft gebracht, manchmal beneide ich ihn für das, was er fabriziert. Viele Kritiker werden es auch tun, geben es nur nicht zu, nicht wahr, Herr Biller? Ich gestehe heute also gleich nochmal, weil Geständnisse Aufsehen erregen: Ich beneide den Mann für seine Kunst. Punkt. Aber der Neid hält sich in Grenzen, gerade eben habe ich ihn schon wieder vergessen. Ich mache es viel bescheidener als Martenstein, nur mit Weblog und einer kleinen Kolumne in einer Zeitung. Der Mann ist mir voraus. Er ist ja auch ein alter Mann. Aber er ist mir voraus, weil er besser ist. Und sein Vorteil ist gerecht, Gleichmacherei in dieser Frage dulde ich nicht. Zwar verdiene ich was mit der Schreiberei, was heute auch nicht selbstverständlich ist. Aber mein Stundenlohn läge umgerechnet auf meine Schreibstunden, na ja, sagen wir mal: irgendwo bei einem Ein-Euro-Job. Ein bisschen mehr wird es wohl sein. Jammern gehört zum Handwerk. Unterstützung, ich betone das an dieser Stelle, wird immer gerne angenommen.

Als ich vor mittlerweile acht Jahren begonnen habe, regelmäßig und öffentlich zu publizieren, da war noch mein Anspruch, einen gewissen qualitativen und inhaltlichen Standard zu halten. Das gelang mir nie so richtig. Jedenfalls nicht durchgehend. Mal war ich besser, mal das glatte Gegenteil davon. Als junger Schreiber ärgerte mich der Umstand, dass ich kein Level kontinuierlich halten konnte. Lief es mal ganz gut, flachte das Niveau wieder ab. Gelesen wurde ich natürlich trotzdem, aber es reichte mir nicht und ich war manchmal richtig unglücklich. Nein, das ist kein drittes Geständnis. Nicht alles was man zugibt, muss gleich Geständigkeit sein. Irgendwann kam ich zu der Erkenntnis, dass das wohl normal sei. Wer viel macht, macht viel auch mal nicht so besonders fabelhaft. Am Fließband leidet die Qualität manchmal. Bei VW wie bei Bloggern und anderen Schreibhanseln. Wenigstens sind wir letzteren vor Rückholaktionen sicher. Ist der Text scheiße, regt sich kein TÜV auf und man kann munter weitermachen.

Dass meine These von der Normalität der Unbeständigkeit mehr ist als eine These, belegt Herr Martenstein regelmäßig wieder. Das macht mich froh. Wenn selbst Leute wie er, die es ja wirklich können, die wirklich was zu sagen haben, immer wieder mal Mist abliefern, dann heißt das, dass ich richtig liege mit meiner Einschätzung und mein schwankendes Niveau nichts ist, worüber ich mich ärgern müsste. Ich kann mir manches Tief durchaus leisten, wenn die Granden der Zunft sich ebenfalls Auszeiten leisten und sich nichts dabei denken.

Insofern wollte ich mich also mal bei ihm bedanken. Machen Sie weiter so! und so. Machen Sie weiter auch mal Quark! Umso mehr kann ich ihn mir leisten! und lauter so Koketterien, wollte ich ihm schreiben. Und dann habe ich es tatsächlich getan, mich genau so bedankt und er bedankte sich im Gegenzug auch und schrieb was von Kartoffeln und davon, dass die auch nicht alle gleich groß seien. Als ich die Antwort mit dieser traurigen Metapher las, war ich wieder mal sehr zufrieden, so einen lauen Vergleich hätte ich auch noch hinbekommen. Originalität ist halt Ermessenssache und von der Tagesform abhängig. Der Meister kann auch nicht auf Schnipsen Geniales liefern. Wieso sollte ich das also können müssen ...

3 Kommentare:

Ernst Otte, Hamburg 15. Juli 2016 um 10:48  

Harald Martenstein finde ich auch sehr gut und deine Gedanken zu dem qualitativen Auf und Ab von schreibenden Menschen gefällt mir, auch deine Selbstreflexion spricht für dich.

ert_ertrus 15. Juli 2016 um 11:20  

Kartoffeln? Nicht alle gleich groß, aber im Preis extrem
unterschiedlich: die teuerste Kartoffelsorte Bonnote kann bis
zu 500 € pro kg kosten :D

Michel 26. Juli 2016 um 11:34  

Ohne Martenstein zu mögen, muss man zugeben, dass jeder mal Mist baut bzw. nicht auf der Höhe seines Könnens agiert. Ist nur realistisch.
Idealerweise wäre es so, dass man die Möglichkeit hat, nachzubessern. Ist in manchen Berufen vielleicht einfacher als im Schreiberischen v.a. bei täglicher Publikation.

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