Obergrenzen, Untergrenzen

Montag, 22. Februar 2016

Theodor Hosemann,
Armut im Vormärz
Den Meinungsmachern der »Frankfurter Allgemeinen« stinkt der Mindestlohn. Vielleicht kostet sie nun die Haushaltshilfe mehr. Oder sie muss, da geringfügig beschäftigt, nicht mehr ganz so viele Stunden damit zubringen, den Unrat zu beseitigen, den ein Meinungsmacher den ganzen Tag über so verursacht. Wie dem auch sei, sie erzeugen Stimmung dagegen und schimpfen auf die Sozialdemokraten, die keine Ausnahmen für Flüchtlinge erlauben wollen. Die böse SPD, die uneinsichtige SPD. Dabei ist diese Partei als halbrechter Flügel der Union so brav gewesen in den letzten Jahren. Da sieht man eben mal, dass Integration nie richtig klappt. Man bleibt immer der Fremde, da kann man sich noch so anpassen wollen als Sozi in der konservativen Leitkultur. Warum man bei der FAZ findet, dass ein Lohnstandard für Flüchtlinge nicht gelten soll? Deswegen: »Wer als Schutzsuchender nach Deutschland kommt, hat Anspruch auf genau das: Schutz. Auf mehr nicht.« Klingt schlüssig, Problem ist nur, dass so ein Standard keine rein individuelle Garantie ist.

Ein Mindestlohn holt Einzelfall für Einzelfall aus Arbeitsverhältnissen heraus, die schlecht, unangemessen oder sogar sittenwidrig bezahlt werden. Man könnte also natürlich meinen, dass er ganz subjektiv greift, nur einzelnen Lohnabhängigen hilft. Aber hinter der Etablierung eines solchen Konzepts steht ja nicht nur, dass man Hinz und Kunz aus der Misere verhelfen will, man will kollektiv dafür sorgen, dass gewisse Geschäftskonzepte und -modalitäten nicht mehr Gestalt annehmen können. Anders gesagt: Der Mindestlohn ist eben nicht nur der Anspruch eines Einzelnen, er ist viel mehr noch eine grundsätzliche Garantie für die Allgemeinheit. Er wirkt zwar fürwahr subjektiv, objektiviert aber zeitgleich; er ist ein Individualanspruch, der simultan eine Kollektivgarantie ausspricht: Nämlich nicht mehr für eine Summe schuften zu müssen, die unter einer gewissen Grenze liegt und damit menschliche Arbeitskraft entwertet.

Genau diesen Umstand vergisst man bei der »Frankfurter Allgemeinen«, wenn man jetzt mal wieder Meinung macht dagegen. Denn dass Flüchtlinge nur Anspruch auf Schutz hätten, nicht aber – sofern sie Arbeit ergreifen – auch einen Anspruch auf gerechte Bezahlung, steht gar nicht unbedingt im individuellen Kontext. Wäre dem so, könnte man – so ein wenig aus dem Bauch heraus – sogar zustimmen. Aber genau so verhält es sich mit dem Mindestlohn ja eben nicht. Es geht nicht nur um den Geflüchteten, der jetzt arbeitet. Es geht um alle, die lohnabhängig beschäftigt sind. Wenn das Gefüge wieder aufplatzt, weil es Nischen im System gibt, in dem man unter Mindestlohnniveau arbeiten lassen kann, dann berührt man die kollektive Garantie, die ein unteres Mindestmaß an Stabilität verwirklichen soll; so verbilligt man Arbeitskraft wieder und tangiert damit eben nicht nur den Asylbewerber, sondern die Allgemeinheit, also alle, die sich als abhängig Beschäftigte verdingen müssen.

Nun ist es ja über Jahre hinweg so gewesen, dass diese Tageszeitung aus Frankfurt Werbung für neoliberale Ideen und Ideale machte. Es ging um Vereinzelung, Selbstinitiativen, um Isolierung des Individuums und um Entsolidarisierung. Ganz im thatcheristischen Sinne, wonach es ja gewissermaßen keine Gesellschaft gäbe, sondern nur einzelne Familien oder Personen. Dass man also in jener Redaktion verlernt hat, einen Ansatz wie den Mindestlohn als eine Einrichtung zu verstehen, die nicht lediglich dazu gedacht ist, um das vom Gesellschaftlichen entkeimte Individuum mit Ansprüchen auszustatten, muss man wohl als die Verlorenheit dieser Zeitung in den Tiefen dieser Ideologie bewerten. Wenn man mehr als knöcheltief in der pseudoliberalen Suppe steckt, dann ist es wohl ziemlich schwierig, sich einen gesellschaftlichen Aspekt zu denken. Dann sieht man nur die Putzfrau, die montags, mittwochs und freitags durchwischt und nun gierig mehr will, nicht aber das Heer an Putzkolonnen, das sich bis vor einigen Monaten abstrampelte und trotzdem zum Jobcenter musste.

Jedes Abweichen, jede Ausnahmeregel geht alle an, nicht nur den Geflüchteten, der für weniger als Standard malochen soll. Denn an dieser Schneise degradiert man menschliche Arbeitskraft wieder, dumpt den einzigen Rohstoff, den so viele Beschäftigte haben: Eben ihre Arbeitskraft. Wer die willfährig zu Schleuderpreisen anbieten will, der schadet allen, die froh sein müssen, dass es eine Untergrenze gibt. Dass die FAZ so argumentiert, passt natürlich ins Konzept. Sie will Obergrenzen für Menschen, denen die Heimat zersprengt wurde und Untergrenzen für jene, bei denen die Obergrenzen nicht gegriffen haben. Die Freiheit mit allerlei Grenzen halt: Das ist der Liberalerismus jener, die sich mit dem Präfix Neo- zieren.

1 Kommentare:

Alles nur Satire 22. Februar 2016 um 09:01  

Tja, was soll man dazu noch kommentieren. Ach doch, ich weiss noch was:
FAZ = Die „BILD“ für den Hochschulabsolventen.

Der „Mindestlohn“, da war doch die Frau Nahles, die Frau, die noch nie ihr Leben mittels einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit bestritten haben soll, ein „ganz klein wenig Stolz, als sie das Gesetz paraphierte“. Vermutlich war sie genauso stolz als sie das „Tarifeinheitsgesetz“ unterschrieb.

Aus Karlsruhe höre ich dazu immer noch nichts. Nomen est omen, man ruht halt in Karlsruhe. In „systemrelevanter“ Devotion.

Die FAZ soll sich mal nicht so haben, der „Mindestlohn“ wrd gekippt werden, nicht wegen dem Geschreibsel dieser Deutsche-Bank-Postille. Die Aktivitäten von Arbeitgeberlobbyisten zeigten schon vergangenes Jahr ihre ersten zarten Pflänzchen, als Mutti sagte „Wir schaffen das“.

2 Fliegen mit einer Klappe. Neoliberales Handeln par excellence.

Die Flüchtlinge werden den noch vorhanden Arbeitssklavenmarkt weiter unter Druck setzen. Der Niedriglohnsektor (auch andere Segmente) kann den Preis (Lohn) diktieren (das sind „Märkte nämlich nach neolib-Auffassung = Wenige Anbieter - viele rechtlose „Käufer“). Weiterer Konkurrenzdruck (Wettbewerb) entsteht.

Durch den medialen Hype um AfD, Pegida, rechte Stimmen/Aktionen allgemein wurde den willigen, mit sowieso schon faschistischen Grundzügen ausgestatteten Wählern ein Abwandern zur ebenfalls neoliberalen, aber rechtspopulistischen AfD leicht gemacht.

Ziel: Egal wie, Hauptsache die LINKE kann kein politisches Kapital aus der gegenwärtigen Gemengelage schlagen. (1933 waren Großbürgertum, Banken, Kapital und Industrie auch schon zu der Einsicht gelangt: besser die „Braunen“, als die „Roten“!). Auch für die AfD ist noch genug im neoliberalen Füllhorn übrig.

Aktuelle Wahlumfragen bestätigen diese Theorie: ca. 80% Wähler verschaffen dem Neoliberalismus weiteres Gewicht durch Cxu, spd, FDP, Grüne & AfD. Zwischen 9% und 10% bleiben für die „Linke“.

Es hat also geklappt. Wieder mal und wird immer wieder funktionieren.
Weil der deutsche Wähler nicht anders will. Und die Nichtwähler oftmals schon verstehen, das sie „das System“ durch ihre Enthaltung zwar stärken, ihre Ablehnung der Politposse aber stärker ist.

Da braucht sich der Mainstream eigentlich nicht so große Sorgen zu machen. Aber die Schreiber sind nun mal da, stehen auch im „Wettbewerb“ und versuchen sich gegenseitig zu übertrumpfen.
Und das Kapital freut sich.

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