Praktikanten, denen es so schlecht geht, weil es ihnen gut geht

Montag, 25. Januar 2016

Tja, die Sache mit dem Mindestlohn und den Flüchtlingen kam nicht so recht voran. Die konservativen Verlautbarungsorgane haben es immer wieder versucht, jenen Lohnstandard mit der Flüchtingsdebatte zu verquicken, um ihn letztlich auszusetzen. Aber leider leider Pustekuchen. Bislang zumindest. So richtig eingehen will keiner darauf, obgleich diese Taktik doch die besten Ansätze in sich trüge. Mit geringqualifizierten Ausländern, die schlechtergestellt werden sollen, holt man doch jeden alten Patrioten mit ins Boot, in dem kein Platz mehr für die anderen ist. Wer nationalistisch speichelt, der lässt sich selbst viel leichter ausbeuten und um etwaige Standards betrügen. Weil dieses Konzept aber aus unerfindlichen Gründen strauchelt, hat die »Frankfurter Allgemeine« neulich eine andere Variante getestet. Sie hat Praktikanten als schlimm betroffene »Verlierergruppe« aufs Tapet gebracht und machte mit diesen Opfern Stimmung gegen den Mindestlohn. Aber dieser angeblich arg gebeutelte Gruppe, so konnte man dann doch zwischen den Zeilen lesen, geht es wahrscheinlich ziemlich gut.

Man versuchte es also mit Dramatik. Praktikas würden nur noch verkürzt angeboten, weil dreimonatige Praktikas nicht unter den Einfluss des Mindestlohnes fallen, schrieb man. Daher bieten manche Unternehmen nur noch kurze Gastspiele an. Das errege die Praktikanten sehr, weiß man bei der »Frankfurter Altvorderen Zeitung« und man nimmt sich dieser traurigen jungen Menschen an, denen es »wichtiger ist, Erfahrungen zu sammeln, als den Mindestlohn zu bekommen«. Das ist Anführungszeichen ist tatsächlich ein Zitat aus dem Artikel. Denn der Mindestlohn, so zieht die Zeitung als Fazit, habe vielen das »Wunschpraktikum vermasselt«. Wer so argumentiert und klagt, der muss es ja haben. Anders kann man es sich überhaupt nicht erklären, dass den Mitzwanzigern Erfahrung teurer ist als Bezahlung. Noch immer erhält man als Praktikant keine üppige Bezahlung. Man kann sich auch in Zeiten des Mindestlohnes nur schwerlich über Wasser halten. Aber wem monatelanges Sammeln von Erfahrungen wichtiger ist, als die finanzielle Absicherung Monat für Monat, der ist entweder Hungerkünstler, liebt das mietfreie Leben auf der Straße oder ist einfach nur gut vom Elternhaus ausgestattet.

Praktikum sollte ja an sich immer nur etwas Vorübergehendes sein. Der Missbrauch von Praktikanten als gleichwertige Arbeitskraft hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte verstärkt. Als die Unternehmen klagten, dass der Mindestlohn sie in Zugzwang bringe, da hatten sie indirekt zugegeben, dass sie ihr Geschäftsmodell auf Praktikantenstellen bauten. Das war eine Zweckentfremdung des Praktikumsgedankens. Man hat es als Normalität angesehen, dass Praktikanten viel, ausdauernd und billig arbeiten. Wenn sich solche Stellen jetzt aufgrund des Mindestlohnes zeitlich verkürzen, dann ist das nicht ein Missstand und auch nicht ein Nebeneffekt, den man so nicht gewollt hatte, sondern die Normalisierung einer Einrichtung, die missbräuchlich ausgenutzt wurde, um die Personalkosten zu drücken. Für manchen Praktikanten kann das natürlich ärgerlich sein. Aber man kann es eben nicht jedem recht machen.

Dass die »Frankfurter Allgemeine« mit den Praktikanten auf Anti-Mindestlohn-Kurs geht, zeigt eigentlich noch etwas ganz anderes, was in diesem Lande faul ist. Wer aus dem Studium kommt, sich zunächst eine Praktikumsstelle sucht und dabei kundtut, dass ihm die Bezahlung weniger interessiert, muss finanziell ausgestattet sein. Das heißt also ferner, dass Studenten in den meisten Fällen aus Familien kommen, die es sich leisten können, ein Studium zu finanzieren. Arme Studenten müssen entweder gleich loslegen und etwas verdienen, schon alleine, um ihren Studienkredit abbezahlen zu können, oder sie müssten großes Interesse daran haben, dass auch Praktika besser bezahlt würden. Wer aber Praktikant wird ohne finanzielle Ansprüche, den quälen eher keine Geld- oder gar Existenzsorgen. Diese »ehrenamtlichen Praktikanten« sind nur ein Beleg dafür, dass in Deutschland vor allem Reichtum studiert und es an Schichtendurchlässigkeit mangelt. Wir haben es also mit einer Gruppe zu tun, die den Mindestlohn gar nicht benötigt, weil man sich familiär bedingt niemals in Achtfuffzig-Sphären bewegen müsste. Es geht ihnen mit dem Mindestlohn doch nur so schlecht, weil es ihnen schon vor dem Mindestlohn ganz gut ging.

Dann also doch lieber mit geringqualifizierten und ungebildeten Arabern gegen eine Lohnuntergrenze agitieren? Mit dem syrischen Hilfsarbeiter? Denn mit Parolen gegen die Fremden punktet man. Da gibt es einige ansonsten gewerkschaftlich orientierte Menschen, die plötzlich ihren Gerechtigkeitsinstinkt verlieren, weil sie etwas gegen dunkelhäutige Menschen haben. Und wenn die dann auch noch nichts können und »genauso gut« bezahlt werden sollen wie Deutsche, dann wird der Mindestlohn flugs zum Auslaufmodell. Geringqualifizierten einen Lohnstandard zu bemessen, war ja immer in der Kritik. Schon vor der Einführung. Man wollte ungebildeten Kräften nichts garantieren, wer ungelernt Flure putzt, der muss ja schließlich von seiner Hände Arbeit nicht leben können. Die Ablehnung gegen die, die sie »Unterschicht« nennen, ist immer noch nützlich, um Stimmung zu erzeugen.

Dass aber Flüchtlinge gar nicht so schlecht qualifiziert sind, wie man das gemeinhin behauptet, ist jetzt für die Gegner des Mindestlohnes eine blöde Sache. Sie verschweigen deswegen auch einfach die Analyse des staatlichen Arbeitsmarktservices aus Österreich, der über einen Zeitlauf von mehreren Wochen die berufliche Fähigkeiten der Geflüchteten aus dem arabischen Raum geprüft hat. Dabei kam heraus, dass man es durchaus mit Fachkräften zu tun hat. Ja, mit richtig gebildeten Leuten! Das kann man aber nicht eingestehen, wenn man den Mindestlohn ablehnt. Denn arabischen Hilfsarbeitern nur Vierfuffzig bezahlen zu wollen ist der breiten Masse leichter vermittelbar. Für solche Helferlein ist das ja viel Geld. Aber wenn der Araber gar kein HiWi ist, sondern einer mit Studium, dann wird es komplizierter. Denn dann fragt sich der Schweißer, der für einen Leiharbeitgeber schuftet, früher oder später mal, wielange es wohl noch dauern mag, bis auch er wieder abgestuft wird und so mies verdient, wie sein syrischer Schweißerkollege.

Da sind in Zeiten, da das Narrativ ungebildeter Kameltreiber wegbricht, die Praktikanten halt die bessere Gruppe, um gegen den Mindestlohn zu werben. Man muss flexibel sein im Kampf gegen Partizipation und Fairness, man darf keine Gelegenheit auslassen und den Lesern Mitleid abnötigen. Die armen Praktikanten, die so reich sind, dass sie einen Armutsmindestlohn gar nicht wollen. Wer auch weiterhin eine Ökonomie der Ausbeutung als Grundlage globaler Wettbewerbsfähigkeit betreiben will, der darf nicht zimperlich sein bei der Wahl seiner Mittel. Der Mindestlohn ist jedenfalls noch lange nicht unantastbar.

2 Kommentare:

Lutz Hausstein 25. Januar 2016 um 18:12  

Ich traue mich ja kaum, es zu sagen.

1990 habe ich in den Semesterferien in Hamburg bei einem großen Einzelhändler eine Art Praktikum gemacht. Ich habe dort so ziemlich alle Abteilungen durchlaufen, vieles Neues gelernt, bin aber trotzdem relativ vollwertig als Arbeitskraft eingesetzt worden. Also irgendwie so ein Mittelding.

Tja, was soll ich sagen? Ich habe 4.000 DM dafür bekommen. Pro Monat! Im Handel! Als de facto Praktikant!

Aber was damals super funktonierte, kann natürlich heute nicht mehr funktionieren. Da sei der ökonomische Gottseibeiuns vor.

Alles nur Satire 26. Januar 2016 um 05:52  

Einfach nur wieder mal schön geschrieben.
Sarkastisch und ironisch.
Vermutlich kann man sich manchmal nur dieses Stilmittels bedienen, um ob dieser ganzen neoliberalen Sauereien nicht in Depressionen zu verfallen oder die Flucht in die schwammige Welt des Alkohols und anderer Drogen zu ergreifen.

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