Wer spart sich die schwarze Null vom Mund ab?

Montag, 30. November 2015

Bei der Generaldebatte letzte Woche im Bundestag, kritisierte die Opposition Merkel und ihr Finanzressort für deren Politik nach Haltung schwäbischer Hausfrauen. Die Frau verteidigte sich natürlich. Ihren Stolz konnte man deutlich heraushören, als sie nochmals bekräftigte, dass die schwarze Null nun schon im dritten Jahr in Serie stehe. Uns schwant Böses, denn diese »Haushaltsdisziplin« wird es sein, die man in Zukunft dieser Regierung lobend nachsagen wird. Das Narrativ von den Konservativen, die als einziges politisches Lager mit Geld umgehen könnten, wird eine weitere Episode in sein Repertoire aufnehmen. Was die Geschichte dann vermutlich vergisst, das wird der Preis sein, mit dem diese schwarze Null verwirklicht wurde. Die, die es ausbaden, kommen in Retrospektiven ja so selten vor. Wenn man Märchen von großen Leistungen erzählt, haben die kleinen Leute Sendepause.

Während sich der Regierungsbetrieb gegenseitig feiert, auf Neuschulden verzichtet zu haben, erfahren wir fast wöchentlich Stück für Stück mehr, wo diese Haushaltsdisziplin erarbeitet wird: Zum Beispiel bei Hartz-IV-Leistungsberechtigten. Nun häufen sich die Berichte, dass bei Langzeitarbeitslosen nicht mal eine ordentliche tägliche Mahlzeit mehr drin ist. Der Regelsatz wird von anderen Lebenshaltungskosten aufgefressen. Je länger man in den Mühlen dieser Sozialleistung steckt, desto ärmer wird man. Das Ersparte, das als Schonvermögen bei der Anrechnung noch unangetastet blieb, schrumpft merklich zusammen. Je länger im Bezug, desto weniger Schonvermögen bleibt. Außerplanmäßige Kosten (Ersatz für die defekte Waschmaschine usw.) kann man mit einem Darlehen bei der Behörde zwar abdecken, aber die Rückzahlungsmodalitäten regelt das Amt und die Raten werden zur monatlichen Bürde. Man debattiert zwar nun, ob man die monatlichen Raten auf maximal zehn Prozent der Bezüge reduzieren will (derzeit liegt das Maximum bei 30 Prozent), verschweigt aber, dass eine neue Waschmaschine im Zeitalter vor Hartz IV noch per Sonderzahlung gewährt wurde. Heute muss man solche Anschaffungen selbst tragen, obgleich man die Mittel dazu gar nicht hat.

An den Schulen spart man sich dämlich. Bei der Betreuung und in Kindergärten ebenfalls. Angebote für frühkindliche Erziehung hangeln sich von Etatkürzung zu Etatkürzung. Letzte Woche jubelten einige Medien, weil die OECD meldete, dass mit der Bildung in Deutschland alles ganz gut liefe. Wesentlich betrachtete die Studie aber Kosten- und Organisationsfragen. Das Niveau der Bildung war eher zweitrangig, die Probleme in den Klassenzimmern sind kein OECD-Indikator. Dass Deutschland im Vergleich zum Ausland relativ geringe Ausgaben im Sektor der Bildung aufweise, galt in der Berichterstattung als positiv. Synchron dazu fallen Schulstunden aus, fehlt neues Schulmaterial und verwahrlosen schulische Einrichtungen. Man lässt Pausenhöfe verwildern und stellt keine Hausmeister ein, obwohl die dringend benötigt würden. Der Mangel ist in manchen schulischen Einrichtungen, gerade in Bezirken, in denen eher Familien aus dem unteren Segment der Einkommensstatistik leben, mit bloßem Auge zu erkennen.

Straßen und Brücken sind eine weitere große Baustelle der schwarzen Null. Oder sagen wir so: Leider sind sie keine Baustelle, denn immer öfter werden ruinierte Straßen und nicht mehr statisch unbedenkliche Brücken einfach mit Geschwindigkeitsbegrenzungen »saniert«. Man lässt diese Unzulänglichkeiten oft jahrelang ohne Reparaturen und entzieht sich infrastruktureller Gestaltungsaufträge. Die Verkehrssituation ist ohnehin in manchen Ballungsgebieten eine Katastrophe. Wenn dann ganze Teilabschnitte nur begrenzt benutzbar sind, zur Tempo 30-Zone außerhalb der Stadt herabgestuft werden, verschärft man die ohnehin schwierige Situation massiv und nimmt damit Stress, Ärger und Unfälle in Kauf. Die Verkehrsteilnehmer sind sowieso angespannt. Aber die schwarze Null macht ihnen das Leben noch ein wenig schwieriger.

Die soziale Arbeit ist eine einzige Unterfinanzierung. Es fehlt an Angeboten für Jugendliche und an Angeboten für Menschen, die in dieses Land kommen. Jugendzentren schließen oder machen nur noch selten ihre Türen auf. Kulturelle Angebote werden rarer. Es schließen Bäder, Museen werden abgewickelt, Stadtbüchereien »optimieren« ihre Öffnungszeiten und Theater reduzieren ihr Programm. Verkehrsbetriebe machen auf Effizienz und frequentieren »verlassene Nester« immer weniger, sodass ältere Menschen ohne Mobilitätsmöglichkeiten zu Gefangene ihrer Ortes werden, Schwierigkeiten haben ihre Einkaufe zu erledigen oder Arztbesuche zu verrichten. Bahnhöfe werden ohne Personal unterhalten und auch hier leiden ältere Menschen darunter.

Das ist nur ein kleiner Überblick über die Schöpfungsgeschichte der schwarzen Null. Beispiele aus dem Alltag gibt es allerhand und für jeden sichtbar. Da schließen dann soziale Einrichtungen, obgleich sie gut liefen und Anlaufpunkt waren, einfach deswegen, weil die Kommunen finanziell am Ende sind und der Bund sie am ausgestreckten Arm verhungern lässt. Als Exempel aus dem südhessischen Alltag mag beispielhaft das ehemalige Möbelkarussell herhalten. Die Langzeitarbeitslosen und andere arme gesellschaftliche Gruppen haben dort ein Angebot weniger, aber die Regierung ist stolz, dass die schwarze Null steht.

Die sparpolitischen Opfer bleiben namenlos. Wenn diese Kanzlerin in die Annalen dieser Republik als eine der ganz Großen eingehen wird, dann fragt keiner mehr danach, wie sie schwarze Nullen in einer Regierung voller selbiger geschrieben hat. »Wer baute das siebentorige Theben? / In den Büchern stehen die Namen von Königen. / Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? / Und das mehrmals zerstörte Babylon, / Wer baute es so viele Male auf ?«, fragte Bertolt Brecht mal nach dem Ruhm. Wer sparte sich die schwarze Null vom Munde ab?, müsste man sein Gedicht ins Zeitgenössische umschreiben. Wer diese Haushaltsdisziplin bezahlt, steht in den Zeilen oben. Die schwarze Null steht - und die, die darunter leiden, die fallen. Sie ist nicht schwarz, sie ist finster.

4 Kommentare:

alles nur satire 30. November 2015 um 10:15  

Solange der Großteil der Deutschen lieber glaubt und selbständiges Denken ablehnt, solange die Abgehängten (Hartz-IV etc) nicht "Die Linke" wählen, solange I-Phone, Tablets, Apps, Gaming, Fuckbook und Dschungelcamp wichtiger als Demokratie sind, wird mit diesem und durch dieses deutsche Volk keine Änderung der jetzigen neoliberalen Verhältnisse zu erwarten sein. Solange Rentner aus Angst um ihre Renten (die ja noch nicht vom rot/grünen Kahlschlag betroffen sind wie die Generationen ab 1955) und Antidemokraten wie Gauck, Merkel, Schäuble, de Maziere,v.d.Leyen,Gabriel, Steinmeier und den Grünen regelmäßig weiterhin auf den Leim gehen, werden wir bald dieLichter ausmachen können. Die Gier und die Dummheit, die Obrigkeitshörigkeit sind nicht aus diesem Volk heraus zu bringen.

Nepumuk K. 30. November 2015 um 15:12  

Mit Aufbruch braucht man den Deutschen halt nicht mehr zu kommen, sie sind gerade mit Abwehren beschäftigt. Sie pflegen eine ängstlich-defensive Grundhaltung, die sich gegen unterschiedliche Gegner richtet: Bei den Rechtskonservativen sind es die vielen Flüchtlinge, die das Land ja verändern könnten. Bei den Linksliberalen sind es Olympia und andere Großprojekte. In der Mitte überschneiden sich die beiden Gruppen und bilden eine veränderungsunwillige Mehrheit.
Klar, es gab gute Gründe, bei der Frage nach der Olympiabewerbung skeptisch zu sein. Aber die Gegner sollten sich mal fragen, ob sie wirklich anders gestimmt hätten, wenn Olympia vom Gehalt der Manager finanziert worden und wäre und das Olympische Komitee ein Haufen Ehrenmänner wäre?
Bei vielen scheint die Angst zu grassieren, für ein großes Ziel auch einmal ein Risiko einzugehen. Stattdessen hat sich in weiten Teilen der Gesellschaft eine Saturiertheit breitgemacht. Die große Mehrheit der Bevölkerung hat sich im Wohlstand eingekuschelt. Abzulesen an der Allensbach-Umfrage: 91 Prozent (!!!) bezeichnen die Lebensqualität in Deutschland als gut oder sehr gut. Als größtes Problem nennen sie die hohe Steuer- und Abgabenlast...

Wolfgang Buck 30. November 2015 um 18:33  

Und Wolfgang Schäuble, die rollende schwarze Null ist laut ZDF Politbarometer der beliebteste Politiker Deutschlands.

Bei diesem Zombie-Ranking frage ich mich immer:

Wen zum Bäcker fragen die da ?????

Anonym 30. November 2015 um 19:08  

Danke für den Text.

Ich selbst bin Mehr-Fach-Opfer der "Schwarzen-Null".

Warum?

Na, ich würde gerne in meinem erlernten Beruf beim Staat arbeiten - ist ein Traum seit 1992 der nie in Erfüllung ging. Ich wurde immer wieder mit Absagen "gesegnet", als gelernter Staatsangestellter. Frei nach dem Motto: Lieber ein Arbeitsloser mehr als den einzustellen. Sogar bei der Arbeitsagentur war das so, 3x beworben und ebensooft abgeblitzt mit Tipps nach Absage sich "beim Amt" zu melden. Hallo? Ich will mich nicht "beim Amt" melden sondern dort arbeiten.

Aus Verzweifelung ein Danaer-Geschenk angenommen - vor nunmehr 14 Jahren. Ich soll das Geschäft meines Vaters, dass ich eigentlich immer gehaßt habe, weiterführen. Ich tat's weil ich meinte als "Selbständiger" bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben - Irrtum! Wie ich nun weiß. Die Vorurteilte gegen Selbständige sind fast dieselben wie gegen Menschen, die noch nie gearbeitet haben - Welche? Ist ein Freigeist. Kann sich nicht anpassen und unterordnen.

Nach dem Tod meines Vaters mitgeholfen das Geschäft weiterzuführen, der Traum ist nun ausgeträumt, da meine "Chefin", die eigene Mutter, Parkinson hat, und zwar die Form die unweigerlich in Richtung Demenz geht. Mein Vater hat eine Erbengemeinschaft hinterlassen, d.h. 3 weitere Geschwister die mitreden wolllen, im Geschäft, und zwar bei den einfachsten Dingen, z.B. Weihnachtskarten bestellen.

Ich weiß nicht, ob es nächstes Jahr noch weitergeht, da ich den "Job" am liebsten heute als Morgen hinschmeißen würde. Ich tu's nur nicht weil das Wohnhaus mit den Einnahmen des Campingplatzes weiterbetrieben wird, der sich einfach nicht mehr rentiert.

Meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind dieselben die ein vorbestrafter Schwerverbrecher hat. Mit einem Unterschied: Ich hab mir nie was zuschulden kommen lassen.

Tja, "Opfer der Schwarzen Null" eben.

Auch meine Mutter, die eigentlich 3x am Tag Pflege benötigt, aber nur 1x am Tag mit Caritas-Pflegerinnen konfrontiert wird, die sich um ihr "Frühstück", "das Waschen" und die Körperpflege kümmern sehe ich als "Opfer der Schwarzen Null" - Was wurde nicht alles eingespart seit ich 1997, im Alter von 27 Jahren, Zivi war? Ich denke es war eine andere (wohlfahrtsstaatliche) Zeit. Stimmt's? Oder irre ich da?

Zynischer Gruß
Bernie

PS: Der einzige Grund warum ich das oben erwähnte "Danaer-Geschenk" nicht aufgebe ist eben der das bei uns Geschäft, und privates Wohnhaus, nie getrennt waren, d.h. ich bin nicht so blöd von heute auf morgen obdachlos (dank meiner "Miterben" in der Erbengemeinschaft) zu werden und als "Hartzie" durchzugehen.

Übrigens, wer nie in einer solchen Situation war wie ich der kann einfach nicht mitreden - Ich finde es schon traurig, dass im Erbfall Geschwister zu Geiern bzw. Hyänen ohne Gewissen mutieren, aber ich muss da durch - mein Schicksal eben....

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