Blähen für TTIP

Montag, 9. November 2015

Die Lebensmittelampel auf Verpackungen von Lebensmitteln würde mir als Laktoseintoleranten wirklich helfen. Seit Jahren ist sie im Gespräch. Und sie wäre für die Lebensmittelerzeuger ja kein Beinbruch. Die sollten ja wissen, was in ihren Sachen drin ist. Hin und wieder fordert jemand dann auch wieder diese Kennzeichnung. Sie soll absolute Transparenz herstellen. Das hätte zur Folge, dass die Verbraucher einerseits wüssten, was sie verzehren und andererseits würden die Konzerne aus Angst vor der Reaktion der Verbraucher, etwaige unpopuläre Inhalte künftig unterlassen und ersetzen. Klingt gut und wäre eigentlich kein großes organisatorisches Ding. Aber leider sind das alles nur Sprüche und ich werde so gesehen auch weiterhin Wurst essen, die undeklariert Milchzucker beinhaltet. Mein daraus resultierendes Bauchgrummeln und der Durchfall sind Erzeugnisse eines vorauseilenden Gehorsams gegenüber dem Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten.

Es gibt gesellschaftlich einen breiten Konsens, TTIP zu vereiteln. Das ist erfreulich. Was weniger Freude bereitet ist der Umstand, dass Freihandelsabkommen dazu verleiten, schon im Vorfeld ihrer Aktivierung auf Linie zu bringen. Und in diesem Sinne ist TTIP schon heute aktiv. Die fehlende Hartnäckigkeit, Lebensmittel ordentlich zu kennzeichnen, dokumentiert das. Man möchte hier amerikanischen Lebensmittelerzeugern einfach nicht auf den Pelz rücken und sie so kurz vor einem Abschluss des Abkommens brüskieren. Es hat außerdem damit zu tun, dass man dem Risiko internationaler Handelsstreitigkeiten aus dem Weg gehen möchte. Daher frieren Regierungen und Behörden Gesetzesinitiativen ein, um etwaigen Folgen aus dem Weg zu gehen. So bleiben Gesetze zum Schutz von Mensch und Umwelt auf der Strecke. Sicher ist sicher. Man nennt dieses Phänomen im Kielwasser solcher internationalen Handelsabkommen »chilling effect«.

Beispiel gefällig? Einige Länder im pazifischen Raum wollen striktere Anti-Raucher-Gesetze einführen, geraten aber, da sie mit den Vereinigten Staaten das Transpazifische Freihandelsabkommen (TPP) aushandeln, an die Tabakindustrie, die zwar faktisch noch keinen Spielraum hat, etwaige Gesetze auszuhebeln, es aber dennoch tut. Man fürchtet sich nämlich, dass nach der Unterzeichnung dasselbe passiert, woran Australien zu knabbern hat. 2012 erließ die australische Regierung ein Gesetz, das Einheitsverpackungen für Zigaretten vorschreibt. Die Marke und die Produktbezeichnung dürfen nicht mehr sichtbar sein. Stattdessen sind auf den einheitlichen Packungen Abbildungen von den Folgen des Rauchens zu sehen. So weit, so gut.

Philip Morris fand das natürlich ungerecht. Und so überlegte man, wie man dieses Gesetz umgehen könnte. Oder wie man wenigstens entschädigt wird. Da fiel der Konzernleitung ein, dass es zwischen Australien und Hongkong seit den Neunzigerjahren ein Investitionsschutzabkommen gibt. Und da der Konzern ja auch eine Niederlassung in Hongkong hat, rettet er sich unter den Schirm dieser Handelsvereinbarung. Denn Philip Morris sieht es so: Man hat in die Verpackung und in die Marke investiert, hat Designer bezahlt und Marketingstrategen eingesetzt. Nun sollen auf dem australischen Markt diese Investitionen umsonst gewesen sein? Wenn man so ein Gesetz will, dann bitteschön. Aber dann stellt man eben die Produktion im Lande ein. Und dafür will man Entschädigungen oder Schadenersatz erhalten. So zog man also vor eines jener privaten Schiedsgerichte, vor denen die TTIP-Kritiker alleweil warnen. Es geht um Milliarden. Mauschelt man dort hinter verschlossenen Türen eine Einigung aus, könnten Milliardensummen auf den australischen Steuerzahler zukommen.

Derselbe Konzern geht auch gegen Uruguay vor und will sich zwei Milliarden Dollar Entschädigung sichern. Für das relativ arme Uruguay wäre eine solche Zahlung eine Katastrophe. Kein Wunder also, wenn Länder, die eigentlich schärfere Anti-Raucher-Gesetze einführen wollen, eher zurückstehen und zunächst mal alle Pläne einfrieren. Bevor es richtig teuer wird, gibt man lieber den politischen Gestaltungsauftrag ab und nickt im vorauseilendem Gehorsam vor sich hin. TTIP wirkt also schon. Und die Nährwertampel bleibt ein frommer Wunsch, damit nachher kein Lebensmittelkonzern einen Hebel hat, wo er ansetzen kann, um sich an den Steuerzahlern des TTIP-Raumes schadlos zu halten. Und so blähen die Laktoseunverträglichen weiter vor sich hin, weil sie keine Ahnung haben, was in der Salami eigentlich genau drin ist und weil kein Warnhinweis deklarierte, dass da Milch verarbeitet wurde. Alles nur, weil das Abkommen schon wirkt, ehe es eigentlich wirken dürfte. Daher bin ich übrigens auch der Meinung, dass TTIP zerstört werden muss.

3 Kommentare:

Anonym 9. November 2015 um 08:52  

Zwingt uns ja zum Glück auch noch Niemand,vergiftete Milch, verpesteten Weizen und Ekel-Fleisch ü b e r h a u p t zu kaufen und dann klappts auch mit der Pupserei... ;-)

UJ 9. November 2015 um 11:21  

Ich teile die Kritik an TTIP, kann aber nicht ganz nachvollziehen, was die Lebensmittelampel für Allergiker/ Leute mit Unverträglichkeiten bringen soll. Da geht es doch v.a. um Kalorien und Salzgehalt, weniger um Allergene oder Laktose. Nebenbei bemerkt, wäre eine Verhinderung der Ampel endlich mal ein Punkt, den ich pro TTIP verbuchen würde. Denn letztlich würde sie nicht zu weniger, sondern zu mehr Gepansche führen, um die Grenzwerte für "Grün" einzuhalten.


Ein traditionell zubereitetes Cordon bleu beispielsweise käme bei der Ampel in punkto Kalorien, Fett & Salzgehalt deutlich schlechter weg, als die mit Enzymen, Aromen und anderen Zusatzstoffen (Laktose!) versehene panierte Pappe, die die Foodkonzerne auf den Markt werfen.
Für Allergiker & Co würde der Markt also noch unübersichtlicher.

Von daher: Die Kritik an TTIP ist richtig, erfolgt, finde ich, aber am falschen Beispiel.

p3t3r 10. November 2015 um 01:09  

Nebenbei bemerkt: in den 1970ern und 1980ern galt eine Ernährungsempfehlung von 1750 bis 2000 kcal für Leute, die keine Schwerarbeit ausübten. Heutzutage geht es ab 2500 kcal für Büroarbeiter los, aaaber man soll Sport treiben. Im Sinne von Work-Consume-Obey heißt das mehr Fressen, mehr Geld für Sportzubehör ausgeben und wer sich nicht dran hält, bekommt demnächst die Kostenkeule der Krankenversicherungen zu spüren. Wer sich beim Nordic-Walkin mit einer Ausrüstung, für die man locker 500 € ausgeben kann nicht telemetrisch von seinem Smartphone überwachen lässt (Wann wie oft wo gelaufen, Pulsfrequenz, Blutdruck) bekommt eben keinen Rabatt von AOK, BEK oder LMAA.

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