Reicher Mann und armer Mann

Freitag, 14. August 2015

Wenn Hochhäuser mittels Flugzeugen zum Einsturz gebracht werden, dann ist es für uns ganz selbstverständlich, dass diese Sache globale Folgen haben muss. Waffenlieferungen, Marionettenregimes und Klimawandel allerdings, also von den Industriestaaten gemachte Realitäten für Entwicklungsregionen, sollen bittesehr ohne Folgen für die Restwelt bleiben. Das ist die Doppelmoral, die uns heute begegnet, wenn wir uns in Europa vor Flüchtlingen verschanzen. Unsere Angelegenheiten der ganzen Welt; die ganze Welt ist jedoch nicht unsere Angelegenheit.

Endlich ist es so weit. Der Teil der Welt, der für den Wohlstand einer globalen Minderheit leiden muss, bricht auf in die Zonen, in denen es nach Lebensqualität duftet. Sie kommen nicht absichtlich, nicht mit Kalkül. Sie wurden getrieben. Europa bezahlt jetzt für eine Wachstumspolitik, die keine Nachhaltigkeit kannte. Für Ressourcenabbau, Verkarstung, politische Beeinflussung, Bestechung, Korruption und nicht zuletzt für einen exzessiven Waffenhandel. Wie lange hätte das noch gutgehen sollen? Einmal musste der Laden ja um die Ohren fliegen.

Nichts existiert in dieser Welt isolationistisch. Autismus ist eine Entwicklungsstörung, kein geiles Lebensgefühl, das einzuhalten völlig erstrebenswert ist. Wer das annimmt, wer heute so tut, als seien die Flüchtlingsströme eine quasi zufällige Laune von Völkern, die es vermasselt haben oder die einfach nur gierig sind, der hat nicht verstanden, dass wir alle denselben Planeten bevölkern. Eine Kugel, auf der man nichts tun kann, ohne im gleichen Zuge etwas anderes zu unterlassen. Oder andersherum. Alles was geschieht, das geschieht für alle. Reicher Mann und armer Mann / Standen da und sah'n sich an. / Und der Arme sagte bleich: / Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.

Abschottung ist in diesem Kontext nicht legitim. Es ist autistisch und die Verlängerung eines künstlichen Zustandes, in dem die westlichen Länder seit Jahrzehnten leben und florieren. Wer Flüchtlinge vermeiden will, der kann es nicht mit Auffanglager machen. Das rächt sich. Der muss Partizipation erlauben, darf nicht in die innenpolitischen Entwicklungen armer Staaten funken und muss die Entwicklungshilfe drastisch erhöhen. Solange zum Beispiel die Menschen, die auf Erdölreserven leben, genau aus diesem Grund ihrer Existenz in so einer Region besonders arm sind, darf man sich nicht wundern. Wenn man Quellen auch noch von Warlords bewachen lässt, die mit Waffen aus deutschen Schmieden ausgestattet sind, kann man in Sonntagsreden noch so viel von internationaler Solidarität sprechen. Dort fängt Asylpolitik an: Ursachen abstellen.

Nein, wir können nicht mehr alles haben: Profite durch Lieferung von Todeswerkzeug, Ausbeutung, Kulturimperialismus und zeitgleich diese in Unruhe geratenen Weltregionen zum Stillschweigen verdammen. Keine Chance. Irgendwann musste all das Folgen haben. Jetzt sind sie da.

5 Kommentare:

Wolfgang Oesters 14. August 2015 um 08:50  

Wahr gesprochen, aber wieviele Menschen hören solchen Worten noch zu bzw. richten sich gar danach? Vielleicht gibt es kaum noch (wirkliche) Menschen insbesondere in Industrieländern wie Deutschland, sondern vielmehr eine Unmenge weitgehend geist- und seelenloser Automaten, die auf solche "Funkfrequenzen" gar nicht mehr reagieren können, weil sie auf ihrer "Senderskala" wie wegretuschiert gar nicht mehr erscheinen? - Trotzdem sind solche Worte wie oben sehr wichtig; ich möchte sie nicht missen. Mein Dankeschön dafür!

Eike Brünig 14. August 2015 um 15:15  

"150.000 Flüchtlinge. Im Hochsommer. 1989 in Ungarn." (Nils Heinrich)

Anonym 16. August 2015 um 00:59  

Roberto,

ich schätze deine Artikel in der Regel sehr und stimme auch diesem inhaltlich zu.
Was mir hier allerdings sauer aufstößt ist in diesem Zusammenhang die Verwendung und Pathologisierung des Begriffs "autistisch". Ich denke viele Betroffene sehen es ebenfalls so dass ihr Zustand nicht einfach mit Ignoranz oder Realitätsflucht gleichzusetzen ist. Ich denke da gibt es treffendere Begriffe um die von dir zurecht angeprangerten Zustände zu beschreiben.

alien observer 16. August 2015 um 10:55  

Du stellst die Frage die alles verknüpft. So lange wir nicht darüber sprechen, dass unser Lebensstil nicht globalisierbar ist, werden wir weder das Thema Flucht und Vertreibung, noch die Klimakatastrophe ernsthaft dikutieren können.

So lange wir unseren Lebensstandard dadurch gewährleisten, dass andere ausgebeutet werden, ist die logische Konsequenz der Tod der Flüchtenden an den Mauern unserer Festung Europa. Nur dadurch dass wir anderen diesen Lebensstandard, der nur bei uns erreichbar ist, gewaltsam verweigern, kann der Lebensstandard gesichert werden. Europa lebt in einer moralischen Dissonanz. Die Werte denen wir uns (angeblich) verschrieben haben, sind mit eine imperialen Ausbeutung nicht in Einkalng zu bringen.

Auf Dauer wird das nicht so weitergehen können. Entweder unsere Gesellschaft wandelt sich in eine offen autoritäre Gewaltherrschaft die die Schuldknechtschaft der Welt mit allen Mitteln durchsetzt oder wir finden den Weg in eine Postkapitalistische Postwachstumsgesellschaft.

Diesen Wettstreit der Nachfolgesystem des Wachstumskapitalisms bestimmt unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Der Ausgang dieses Wetsstreits ist völlig offen.

JS 16. August 2015 um 12:13  

Wobei die Unterschicht ja zurückgelassen wird, wie Jens Berger hier schrieb:
"Ein armer Bauer kommt im Traum nicht auf die Idee, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und in einen vollkommen anderen Kulturkreis auszuwandern. Wer diesen großen Sprung wagt, hat eine klare Perspektive und einen Background, der zumindest im Ansatz den Traum ermöglicht, im Norden ein eigenes Leben aufzubauen."
(Kommentar 11.8. 10:27 - www.spiegelfechter.com/wordpress/132111/fluechtlinge-ihr-habt-gefaelligst-arm-zu-sein )

Denen es am schlechtesten geht, die kommen hier also nicht an. Durch die Flucht der quasi Mittelschicht in diesen Ländern vertieft sich dort also die Kluft zwischen Arm und Nicht-ganz-so-arm.

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