Großartiger Kooperationsgeist

Dienstag, 3. Februar 2015

Auch ein Nachruf.

Ausgangssubstanz für Agent Orange war 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure. Der US-Konzern Dow Chemical bezog sie von der deutschen Firma Boehringer. Bei der Herstellung der T-Säure fällt giftiges Dioxin (TCDD) an. Damit man es in der Forstwirtschaft überhaupt einsetzen kann, muss man es aufwändig von dem Gift reinigen. Aber Dow Chemical war daran nicht interessiert. Denn aus der Mischung der dioxinhaltigen Substanz mit 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure entsteht das Entlaubungsmittel Agent Orange. Und das sollte in Vietnam für Durchblick sorgen. Für einen herbstlichen Dschungel, der sein Blattkleid abwirft.

Bei Boehringer wusste man in etwa, wofür die T-Säure geordert wurde. Innerhalb von 1962 bis 1970 warf man 57.000 Tonnen Agent Orange auf Vietnam und Laos. Der Kontakt mit dem Dioxin führte zu schweren Erkrankungen der Haut und des Nervensystems. Menschen erblindeten und langfristig wuchs in dieser Weltregion die Krebsrate an. 3 Millionen Menschen sollen unmittelbar an den Folgen des Gifteinsatzes in Vietnam gestorben oder erkrankt sein. 4,4 Millionen erlagen den Folgen nach 1970. Und das sind nur alte Zahlen von 1997. Fehlgeburten bestimmten fortan die Fertilität. 50.000 gab es alleine zwischen 1975 und 1985. Kinder ohne Beine oder Arme oder mit offenem Rücken. Die gesamte Grausamkeit des letzten Jahrhunderts schien in dieser Episode der Menschheitsgeschichte zu kulminieren.

Dow Chemical lobte noch Jahre später den »großartigen Kooperationsgeist« des deutschen Partners. Ein Mitglied der Geschäftsführung von Boehringer notierte sich 1967: »Solange der Vietnamkrieg andauert, sind keine Absatzschwierigkeiten zu erwarten.« Man wusste also durchaus, wo die T-Säure angewandt wurde. Aber Geschäft war Geschäft. Und was der Endverbraucher mit dem Produkt anstellte, war schließlich und endlich seine Sache. Wer Feuerzeuge verkauft, kann doch auch nichts dafür, wenn der Käufer damit ein Mehrfamilienhaus in Flammen setzt.

Ein Mitglied aus der sechsköpfigen Geschäftsführung, die für den Giftgas-Deal verantwortlich war, schied schon Ende 1966 bei Boehringer aus. Zwei Jahre vorher war er bereits Präsident des Evangelischen Kirchentages geworden. Fortan widmete er sich verstärkt der Politik. Der Mann hieß Richard von Weizsäcker. Später in seinem Leben sprach er von der Kultur des Erinnerns und das war fürwahr keine kleine Sache damals in den Achtzigern. Das gebührt Anerkennung. Aber die Erinnerungen, die man sich über ihn so erzählt, streifen selten Agent Orange.

Ist das ein Nachruf? Klar. Aber über Tote sollte man bekanntlich nichts Schlechtes sagen. Einverstanden. Jedenfalls nicht unmittelbar nach dem Tod. Das ist pietätlos. Aber andererseits ist es auch fern jeglicher Pietät, wenn man den Verstorbenen so einseitig zeichnet, wie sie es jetzt tun. Natürlich hat der Mann als Bundespräsident einige kluge Dinge gesagt. Besseres als der, der heute in dem Bett ratzt, in dem von Weizsäcker mal schlief. Aber er war ein Kind des letzten Jahrhunderts. Und daher verbandelt in die Irrungen und Wirrungen der Welt. Hatte den Puls ganz nah am Geschäft mit dem Tod. Daran sollte man auch mal erinnern. Dieser großartige Kooperationsgeist war auch ein Stückchen seines Lebens. Ein Heiliger ging nicht von uns.

4 Kommentare:

Anonym 3. Februar 2015 um 09:07  

"[...]st das ein Nachruf? Klar. Aber über Tote sollte man bekanntlich nichts Schlechtes sagen. Einverstanden. Jedenfalls nicht unmittelbar nach dem Tod. Das ist pietätlos. Aber andererseits ist es auch fern jeglicher Pietät, wenn man den Verstorbenen so einseitig zeichnet, wie sie es jetzt tun. Natürlich hat der Mann als Bundespräsident einige kluge Dinge gesagt. Besseres als der, der heute in dem Bett ratzt, in dem von Weizsäcker mal schlief. Aber er war ein Kind des letzten Jahrhunderts. Und daher verbandelt in die Irrungen und Wirrungen der Welt. Hatte den Puls ganz nah am Geschäft mit dem Tod. Daran sollte man auch mal erinnern. Dieser großartige Kooperationsgeist war auch ein Stückchen seines Lebens. Ein Heiliger ging nicht von uns[...]"

Danke für die klaren Worte. Ich selbst gehörte bis dato auch zu denen die dachten, dass der verstorbenen BP weniger Dreck am Stecken hat als Gauck.

Tja, so kann man sich irren.

Übrigens, die dt. "Qualitätspresse" ist auch in anderer Hinsicht verroht - Heute im Morgenmagazin am Beispiel Ukraine - "Abschussprämien".

Der Journalist verharmloste in ziemlich arroganter Weise diesen Begriff, der würde ja nicht für Menschen gelten sondern nur für Maschinenpistolen, Fahrzeuge und Panzer. Zynischer geht es nicht mehr und diese Aussage ließ mich an Victor Klemperers "LTI" und an gewisse Western denken, die ich früher sah.

Wie froh wären Billy The Kid, die Daltons und andere Verbrecher gewesen wenn die eine statt einer "Kopfpräme" auf einer "Abschussprämie" gestanden hätten - bei den US-Marshalls. Ich weiß, geändert hätte sich daran nichts, dass die Kopfgeldjäger hinter denen her gewesen wären, aber der Begriff "Abschussprämie" ist wohl harmloser als "Kopfprämie"?

Zynische Grüße
Bernie

Anonym 3. Februar 2015 um 15:16  

@ Bernie

Genau das gleiche habe ich auch gedacht, als ich das auf Telepolis mit den Abschussprämien las: Wie im wilden Westen.

Übrigens gibt die Coordination gegen Bayergefahren genau Auskunft über den Konzern, der von Politgrößen wie Merkel, Hannelore Kraft und auch von Gröhe BGM) in höchsten Tönen gelobt wird.

Die Nachdenkseiten geben heute einen guten Tip zum Fernsehaben: 23.15 Uhr - die Anstalt.

Tja Roberto, das sind eben die westlichen, vor allem die deutschen Werte: Geschäft ist eben Geschäft und was geht uns fremdes Elend an, wenn es doch Millionen oder Milliarden abwirft-einfach nur widerlich.

Ebenso läuft das mit den Waffenschmieden: soll sich doch damit abmurksen, wer will, der Profit ist jedenfalls garantiert.



Braman 3. Februar 2015 um 19:43  

Wie heißt es doch bei John Lennons 'Held der Arbeiterklasse': " ...töten mit einem Lächeln".
Um in eine Vorstandsposition bei Böhringer zu kommen, muss man diese Eigenschaft schon aufweisen, sonst wird das nix.
Das gleich gilt, um 'Spitzenpolitiker' zu werden.
Wenn dann noch die Herkunft mit berücksichtigt wird (1916 in den Adelstand erhoben, Großbürgertum,1938 Eintritt in die Wehrmacht, Mehrere Beförderungen + Eisernes Kreuz 2. und 1. Klasse, 1944 Kontakte zum Widerstand)
Bei diesen Kontakten ist ihm sicher klar geworden, das im Osten nichts mehr zu gewinnen gibt (also auch keine Ländereien -Stauffenberg- oder Posten)
So konnte er in die heroische Reihe der 'Widerständler' eingereiht werden.
Aber die Deutschen brauchen nun mal Jemand 'von Stand', der gut aussieht, der gebildet ist, der reden kann, zu dem sie AUFblicken können. Fast hätte es ja wieder mit dem gegelten Freiherrn aus Franken geklappt.
Die Wahrheitspresse hatte ja den Anhimmlungsmodus schon eingeschaltet.

MfG. M.B.

Anonym 10. Februar 2015 um 13:18  

Unterschlagen wird auch von Dir die wichtige Phase seiner politischen Laufbahn als Regierender Bürgermeister von Berlin von 1981 bis 1984. Sein Stlltvertreter war Innensenator Heinrich Lummer. Weizsäcker hat Lummer nicht zur Rechenschaft ge zogen, als der durch seine Polizei Rattay in den Tod trieb. Reibungslos kollaborierte Weizsäcker mit dem Christdemokratischen NPD-Freund, dem die bloße Existenz von Ausländern Ekel (»Das fängt beim Geruch an«) bereitet. Weizsäcker schwieg, als zur Feier des Neuen Jahres unter Lummers Verantwortung sechs Asylanten in ihrem Gefängnis verbrannt wurden. Weizsäcker schwieg, als die Zeugen für diese Menschenverbrennung schleunigst ins Ausland abgeschoben wurden. Und er fand auch kein Wort des Bedauerns, als die Leichen der Opfer vertauscht und in die falschen Heimatländer abgeschoben wurden.
Doch als am letzten Tag seiner Amtszeit die Panda-Bärin Tian-Tian nach kurzer Krankheit verschied, da ernannte er das gastfreundlich aufgenommene Tier »eine der großen Persönlichkeiten unserer Stadt«.

Auch sonst war auf Weizsäckers Wort als Regierender von Berlin Verlaß - für jeden, der ihm glaubt. 50.000 Wohnungen bis 1985, »und zwar mindestens«, versprach er den Westberlinern, 10.000 sind es geworden. Mehr Arbeitsplätze wollte er schaffen. Als er ging, hatte er die Zahl der Arbeitslosen nahezu verdoppelt. Den Hausbesetzern wollte er mit einer liberalen »Linie der Vernunft« begegnen - sein Bausenator Rastemborski, der das ernst nahm, landete in der Nervenklinik.

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