Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt

Montag, 12. Januar 2015

So viele Erwerbstätige wie noch nie. Man muss jetzt einfach glauben. Die Reformen haben doch gewirkt. Der Arbeitsmarkt brummt. Wer will da noch Ungläubiger sein? Bei so vielen Erwerbstätigen wie nie. Jede Zeitung schreibt es. Alle Radioanstalten verbreiten die Kunde. Man muss jetzt glauben, auch wenn man nicht will. Alles im Butter. Diese Wirtschaft läuft rund. Gerade jetzt ist es notwendig das zu glauben. Der Glaube ist ein Halt. In haltlosen Zeiten allemal.

Neulich schon dieser Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen. Ein Mantra war das. Das Vorbeten von Leuten, die Angst haben, dass ihnen ihre Gemeinde vom Glauben abfällt. Also beten und insistieren sie umso lauter. Inbrünstiger. Kreischen Glaubensinhalte, von denen man früher noch im Flüsterton die Massen überzeugte. Sie wiederholen es immer wieder. Kippeln dabei mit dem Oberkörper hin und her wie ein Rabbi oder ein trunkener Sufi. Glauben, Brüder und Schwestern! Glaubt es doch. Glaubt uns doch. Werdet nicht ketzerisch. Glaube versetzt Berge. Versetzt uns alle in die Ekstase, die wir jetzt so nötig haben. Wenn Wahrheiten bröckeln, das Ideengebäude erodiert, dann hilft nur eines: Glauben. Glauben. Immer feste glauben. »Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.« Das ist aus dem Johannesevangelium. Der hat den Satz damals aus einem Aufsatz des Wirtschaftsministers gestohlen.

Diese Hohepriester der Lehre zeigen uns jetzt, wie es geht. Wenn alles gegen die Logik der Glaubensinhalte spricht, wenn die Weltlichkeit einem sagt, dass die Dogmas der völlige falsche Ansatz waren, dann helfen nur Credos. Wissen ist eine Gefahr, die man nur mit profunden Glauben bekämpfen kann. Und so gehen sie an den Fakten vorbei. Melden etwas von so vielen Erwerbstätigen wie nie zuvor und bestätigen somit nur das, was sie glauben wollen. Die gängige Ökonomie schafft Wohlstand für alle, satten Wohlstand auf allen Ebenen. Dass dieses Dogma Kratzer hat, umschiffen sie einfach. Sie verschwenden keinen Gedanken daran, dass bei den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen die Teilzeitarbeit beträchtlich angewachsen ist; oder das Arbeitsplatz generell auch heißen kann, nur einen dieser Minijobs zu haben. Ja, selbst Menschen in Altersteilzeit werden in detaillierteren Statistiken als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte geführt.

Alles egal. Wahre Gläubige befassen sich nicht mit Gegenständen, die den wahren Glauben untergraben. Sticht ihnen etwas ins Auge, das an die Glaubenssubstanz geht, muss man seinen Glauben eben nur vertiefen. Dann stimmt es wieder. »Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.« Soweit der Hebräerbrief.

Früher gab es Durchhalteparolen, wenn es wirtschaftlich schlecht lief. Sie sagten einem, dass man den Gürtel enger schnallen solle. Es würde schon wieder besser werden. Geduld bitte. Wir durchlaufen eine kleine Abschwungsphase. So klingen Nachrichten in weltlichen Ökonomien. Das kann sich ein sakrales Wirtschaftssystem nicht leisten. Es gründet ja gewissermaßen auf Gottesgnadentum. Ist genau deswegen alternativlos - denn deus lo vult. Es repetiert also Mantras. Ohne Unterlass. Der Gläubige glaubt ja in jedem Kult nur, weil er die Message in Dauerschleife im Ohr hat. Weil er sie sich durch Wiederholung ins Gehirn hämmert. Dazu der Duft von Weihrauch. Da kann man schon mal abdrehen.

2 Kommentare:

maguscarolus 12. Januar 2015 um 17:08  

Das ist die Agenda:

Es wurde so lange gepredigt, dass unser Weg alternativlos sei und zu allgemeinem Glück führe, wenn man ihn nur strikt genug ginge. Jetzt, nach Jahren, sind die Hirne so vollgeschissen, dass man endlich behaupten kann, das gelobte Land sei dank neoliberaler Reformen® tatsächlich erreicht.

Sie werden es wohl glauben.

kevin_sondermueller 13. Januar 2015 um 12:30  

Oder wie Volker Pispers in
»Bretto und Nutto« formuliert
hat: »Das [CDU/CSU] ist ne christliche Partei: das müssen Sie nicht verstehen, das müssen Sie glauben!«

Brillant, oder?

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