Das Themenregal macht den Unterschied

Mittwoch, 21. Januar 2015

Was ist denn nun eigentlich mit Houellebecq? Das fragte mich letzte Woche eine Leserin. Sie wusste wohl, dass ich den Mann früher gerne gelesen habe. Vielleicht noch tue. Aber »Karte und Gebiet« hat mich zuletzt nicht so richtig überzeugt. Aber Tatsache ist wirklich, dass ich mich mit seinem Werk ganz gut auskenne. Was ist also mit ihm? Sollte man ihn jetzt nicht schelten und als anständiger Mensch (und Linker) seinen neuesten Roman obendrauf moralisch ächten? Ich finde allerdings nicht, dass man das sollte.

Schlecht sieht er aus, der Houellebecq. Richtig schlecht. Ich habe mich erschrocken, als ich ihn neulich erblickte. Seine Bücher verkaufen sich gut, er sollte also kein schlechtes Leben führen. Aber er sieht genau danach aus. Als reichte seine Stütze nicht. Aber gut, das ist eine andere Sache. Zum Thema: Der Mann war immer latent islamfeindlich. Feindlich wohlgemerkt. Er war eben kein Islamkritiker, denn die Moslems, die in seinen Büchern in Nebensätzen vorkamen, waren stets entmenscht, ohne Gesicht und natürlich gewalttätig. Ich ignorierte es. Jeder Roman braucht Bösewichte. Eine dumpfe Gefahr, die unerklärlich scheint. So funktionieren Geschichten. Die Wirklichkeit geht aber anders. Sie kann sich Eindimensionalität nicht leisten. Der Romancier schon.

Und da sind wir schon beim wesentlichen Kern, wieso ich Houellebecq nicht ächten möchte. Der Mann ist Schriftsteller. Kein Chronist im eigentlichen Sinne. Er erzählt Geschichten und manchmal auch Märchen. Er überspitzt, weil das zu seinem Metier gehört. Und es ist ja nicht nur so, dass er nur den Islam in seiner Gesichtslosigkeit überspitzt. Er tut es auch bei seinen Hauptfiguren, immerhin Leute aus der westlichen Leistungsgesellschaft. Das sind meist total fertige Charaktere. Sind Verlierer ohne Illusionen. Säufer und sexuell Verklemmte. Sie sind steril in ihrem Auftreten und ihre Gedankenwelt ist düster und von allen Idealen befreit. Perspektiven haben sie nur noch beruflich. Sonst gibt es nichts mehr, worauf sie hinarbeiten können. Man stellt sie sich mit traurigen Augen vor. Insofern sind Houellebecqs Bücher mehr Kritik an der westlichen Welt, als an allem anderen. Auch sein neues Buch ist eine solche Kritik.

Er sagte im Zuge seiner aktuellen Veröffentlichung, dass er früher den Koran nie gelesen habe, ihn aber Scheiße gefunden habe. Mittlerweile sehe er das aber anders. Er war damals also nicht kritisch im eigentlichen Sinne, sondern hat Muslime in seinen Büchern nur mit Vorurteilen unterfüttert. Mich hat das zwar immer leicht gestört. Aber ich habe es ihm verziehen. Weshalb? Weil ich an die künstlerische Freiheit glaube. Ein Autor sollte seinen Protagonisten Dinge sagen oder machen lassen können, die nicht korrekt sind. Man muss sie ihm ja nicht gleich persönlich in die Schuhe schieben. Das ist der große Unterschied zwischen Leuten, die eugenische Abhandlungen auf den Sachbuchmarkt werfen und solchen, die Romane schreiben. Der eine erzählt eine Geschichte - der Sachbuchautor, der mir gerade im Kopf rumschwebt, hat aber nur Märchen erzählt. Und das im falschen Themenregal - und genau dieses Themenregal macht den Unterschied. Hätte der andere einen eugenischen Roman geschrieben, wäre mir das egal gewesen. Vielleicht hätte ich ihn sogar gelesen.

Dass Houellebecq ein Kritiker des modernen Westens ist, dürfte auch in seinem neuesten Buch erkennbar sein. Die Moslems, die in Frankreich an die politische Macht kommen, handeln nicht einfach nur aus Boshaftigkeit und Machtwahn parlamentarisch, sondern weil das französische Bürgertum mehr und mehr versagt und sich den Le Pens an den Hals wirft. Diesen Aspekt sollte man jetzt nicht vergessen, wenn man den Mann zum neuen Islamhasser stilisiert. Er sieht den islamischen Gottesstaat in Frankreich nicht als Produkt islamischer Weltgeltungssucht, sondern als Reaktion auf das, was in der westlichen Welt an Islamophobie heranwächst. Seine Geschichte ist die von lauter Verrückten, die sich gegenseitig hochschaukeln.

Überhaupt war der Mann in allen seinen Büchern der Ansicht, dass die westliche Leistungsgesellschaft einen eklatanten Mangel an Ordnung aufweist. Er kokettierte stets mit seiner Trauer darüber, dass es eine gottgegebene Ordnung nicht mehr gibt. Der moderne Liberalismus ist für ihn ein offener Vollzug, in dem lediglich das denkbar Schlechteste nach oben schwappt. Alles ist durcheinander und Chaos, keine Kirche sagt mehr, wo es langgeht. In »Ausweitung der Kampfzone« kommt er mehrmals darauf zu sprechen. Spätere Bücher sprechen eine ganz ähnliche Sprache. Deswegen taugt der Mann aus meiner Sicht noch weniger als Zündler. Er muss ja geradezu eine klammheimliche Freude an jedem Fanatiker verspüren, der eine Ordnung wiederherstellt, die er als verloren beklagt.

Ich finde die Idee seines neuen Buches ehrlich gesagt nicht besonders originell. Da war der gute Mann schon mal weiter. Aber ich habe keine Lust, den Kerl zu verurteilen. Er liefert Geschichten. Was er damit ausdrücken will, ist eine ganz andere Sache. Und ein eindeutiger Islamfeind ist er sicher nicht. Dazu hat er zu viele Facetten. Man kann ihn gar nicht so zwischendrin mal schnell einordnen, wie das jetzt die Presse macht.

4 Kommentare:

ulli 21. Januar 2015 um 12:54  

Ich halte Houellebecq vor allem für einen Satiriker. "Karte und Gebiet" habe ich auch als Satire gelesen: Ein ziemlich unbekannter Maler wird zum teuersten und berühmtesten Künstler der Welt, nachdem er dazu übergegangen ist, internationale Konzernlenker und Superreiche im gleichen Stil zu malen wie seinerzeit die chinesischen Hofschranzen Mao-tse-tung. Bösartige Satire kann sehr hellsichtig sein. Beispielsweise hatte die Titanic mal ein Foto von Kurt Beck mit dem Untertitel: Problembär zum Abschuss freigegeben. Beck nahm das sehr moralisch und persönlich und klagte, viel ist aber wahrscheinlich nicht dabei herausgekommen, denn kurze Zeit später wurde er von Steinmeier & Co tatsächlich aus sämtlichen Ämtern gekegelt.

Zu "Soumission" habe ich gelesen, dass Houellebecq auf eine Ähnlichkeit in den Zielen von französischen Rechten und traditionsorientierten Muslimen abziele. Der Kapitalismus zerstört ja alle Lebensgrundlagen und gesellschaftlichen Orientierungen: Die Geschlechterrollen sind völlig am fließen, die traditionelle Familie durch Patchworkverbände ersetzt, erotisch kann ohnehin jeder machen, was er will. Es gibt keine stabilen Lebensmuster mehr. Auch mit der Demokratie steht es nicht gerade gut (siehe Merkels "marktkonforme Demokratie"), die Presse- und Meinungsfreiheit existiert zwar, aber leider plärrt einem aus dem TV fast nur noch Schwachsinn entgegen. Mit Ttip wird sogar das Rechtssystem an die multinationalen Konzerne verramscht. Dass die Menschen sich nach den traditionellen Rollenmustern sehnen, nach intakten Familien, nach stabilen Lebensverhältnissen, ist kein Wunder, seien es nun Rechte, seien es Muslime. Diese Parallele ist wieder ziemlich bösartig gedacht, aber vielleicht gar nicht so abwegig. Aber gut, man müsste das Buch erst mal lesen.(Um Houellebecq einzuschätzen, sollte man sich vor Augen halten, dass er nach der Einführung von 75% Steuer für Millionäre durch Hollande, Frankreich keineswegs verlassen, sondern vielmehr von Irland aus wieder dort hin zurückgekehrt ist.)

Anonym 21. Januar 2015 um 22:05  

"[...]Aber gut, man müsste das Buch erst mal lesen.(Um Houellebecq einzuschätzen, sollte man sich vor Augen halten, dass er nach der Einführung von 75% Steuer für Millionäre durch Hollande, Frankreich keineswegs verlassen, sondern vielmehr von Irland aus wieder dort hin zurückgekehrt ist[...]"

@Ulli

Hier mal in allen Punkten zustimm ;-)

Übrigens ist G. Depardieu eigentlich wieder Franzose?

Da spricht für mich der neueste Film Depardieus Bände gegen Depardieu - D. S. Kahn als armes "Mobbingopfer" - mieser geht es nicht.....Houellebecq ist da wirklich die bessere Alternative....

Depardieu muss sich aber sicher bald von Russland verabschieden - er wartet sicher auf die Neuen Kalten Krieger, die ihm sein Auswandern nach dem kapitalistischen Russland übel nehmen - Ja, wäre er in der faschistischen Ukraine.....aber so....

Zynischer Gruß
Bernie

ulli 22. Januar 2015 um 09:56  

Man sollte sich vor Augen halten, dass die kapitalistische Modernisierung ja nicht nur die unteren Teile der Gesellschaft in immer größere Armut stößt. Das ist nur die eine Seite der Medaille. Indem alle traditionellen Lebensformen über den Haufen geschmissen werden (siehe die ersten Seiten des Kommunistischen Manifest, eine der besten Beschreibungen von Globalisierung überhaupt), geraten viele Menschen in psychische und kulturelle Unsicherheiten. Sciher ist das eine der Ursachen von pegida: In Dresden, im "Tal der Ahnungslosen", gab es bis 89 ja noch nicht mal Westfernsehen. So haben die Menschen in einer geschlossenen und wahrscheinlich ziemlich stabilen sozialen Ordnung gelebt. Das ist alles zerbrochen. Die Welt, sogar die eigene Lebenswelt, hat sich massiv geändert und die Leute nehmen sich nur als passive Opfer dieser Entwicklungen war. So kommt es dann zu Hass und Wut und beispielsweise zu diesen irren Angstfantasien, in Deutschland würden 20% Ausländer leben.

Anonym 22. Januar 2015 um 10:59  

....der sieht ja aus, als hätte man ihn aus der Mülltonne gezogen...

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