Morgen früh, wenn Gott will ...

Montag, 24. November 2014

oder Für jeden Medienkonsumenten gibt es ein Propagandaangebot.

Dieser Putin wollte lieber schlafen, als beim G-20-Gipfel Leviten gelesen zu bekommen. Das berichteten vor einer Woche einige Zeitungen und geizten dabei nicht mit Hohn. Sie deklarierten es als Beweis dafür, dass dieser Mann ein gefährlicher Hegemon mit Expansionsdrang ist. Denn wer aus dem Bett heraus Politik macht, muss ja eine gänzlich verlotterte Existenz sein.

»Putin möchte lieber schlafen als weiterreden«, schrieb die »Frankfurter Allgemeine«. Bei den »Tagesthemen« sagten sie, er wollte ins Bett. Schon vor Wochen berichtete »Bild« und »Welt«, »der Macho schläft bis 11 Uhr« und »der Zar schläft gern lang und frühstückt spät«. Dieses Spiel mit dem Verschlafenheit ist natürlich klassische Propaganda. Mit ihr versucht man die Bevölkerungsteile in Deutschland zu kriegen, die das »erst die Arbeit, dann das Zubettgehen« als Credo führen. Wenn einer Müdigkeit vorschützt, dann ist das für die Tugendhaften dieser Erde ein Anzeichen von unseriöser Lebensführung. Das diskreditiert beim Spießer mehr, als etwaige Straflager in Sibirien oder strukturelle Homophobie. Mein Gott, sagt er bei solcherlei Vorwürfen, das sind Dinge, die können doch mal vorkommen. Keiner ist perfekt. So war es doch immer. Aber dass er sich ins Bett flüchtet, das geht einfach zu weit. Das beweist nur, was für ein schlechter Mensch er ist. Straflager sind hinnehmbar, Nachtlager nicht.

Der Volksmund sagt, dass der, der schläft, nicht sündige. Das ist für Menschen, die so erzogen wurden, dass Müßiggang, Schlaf und Pflichtvergessenheit aller Laster Anfang ist, natürlich eine komplette Lüge. Wer schläft, sündigt. Das ist deren ganze Wahrheit. Und morgen früh, wenn Gott will, wird er wieder geweckt. Und dass er jeden Tag will, stinkt Jauch natürlich gewaltig. Die biologische Lösung will und will sich nicht einstellen. Sie wäre gerade jetzt so hilfreich. Kann man da noch an einen Gott glauben? Wie kann ein Gott nur das Böse jeden Tag erwachen lassen? Dass der Mann schlafen geht, hängt man ihm an. Dass er nicht ewig einschläft, hängt man ihm auch an. Er kann es der Propaganda einfach nicht recht machen.

Es geht bei diesen Vorwürfen nicht darum, dass man den Macho betonen will. Und dass er sich in den Schlaf des Ungerechten flüchtet, um dort seine Expansionsträume zu träumen, weiß der Propagandakonsument gemeinhin sowieso. Nein, es ist so, dass jeder Bevölkerungsteil auf ganz andere Vorwürfe anspringt. Für jeden Konsumenten gibt es ein Angebot. Selbst in der Propaganda. Der Menschenrechtler bekommt Geschichten von Putins Folterkellern vorgesetzt; für den Freund der Gleichstellung betont man sexistische Anflüge und die Schwulenfeindlichkeit; und der Leser des Wirtschaftsteils springt erst an, wenn die Märkte wanken. Tugendhaften muss man eben stecken, dass der Mann ein lotterhaftes Leben lebt, viel schläft, wenig diskutiert und seine Pflicht vernachlässigt. So kriegt man den Calvinisten in diesem Land ohne offiziellen Calvinismus. Da wird auch er wütend und nimmt Haltung an.

Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Jedem Leser sein »Geweser«. Es gibt immer ein Motiv, bei dem man auf den Gartenzaun springt, um sich zu entrüsten. Die Hartgesottenen brauchen russische Panzer an der ukrainischen Grenze, die mobilisiert werden für die Eroberung. Bei den anderen fängt die Haltlosigkeit schon an der Bettkante an. Denn der Schlaf ist ja auch etwas Teuflisches. Für Puritaner traditionell immer gewesen. Er ist verlorene Zeit. Zwar notwendig, aber irgendwie doch ein Anzeichen fehlender Disziplin. Wer ihn so betont, wie Putin es getan haben soll, der wird automatisch als Tagedieb erspäht. Nur der frühe Vogel fängt den Wurm, heißt es. Der Kerl schläft aber laut Berichten gerne lang. Würmer fängt er also keine. Und ohne einen hübschen Wurm zum Frühstück kann der Tag ja nichts werden. Wo man doch weiß, dass das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages ist. Ganz klar, dieser Mann ist gefährlich, denn er schläft zu viel.

Komisch, dass andere Propagandisten ihn für einen ausgeschlafenen Burschen halten. Da geht nichts zusammen. Aber das muss es ja auch nicht. So geht Propaganda. Da muss nichts passen. Stichhaltig war die nie. In keiner Zeit. Vor keinem Krieg. Es ist ein Sammelsurium an Nichtigkeiten, von denen man annimmt, dass sie trotzdem die Leute in Rage versetzen.

4 Kommentare:

Anonym 24. November 2014 um 09:47  

... und dann war da noch Putins Tiger (der in Sibirien ausgewildert wurde) und in China ein Huhn gerissen hatte. "Putin kam zu spät" (zu irgendeinem Gipfel, was für den Schreiber dann wohl schon selbiger war) stand ebenfalls vor einigen Wochen in unserer Tageszeitung. Ich bin absolut kein Putinfreund aber die Propaganda nimmt immer lächerlichere Formen an.
Wenn ich mich in meinem Umfeld so umhöre, scheint sie ihre Wirkung aber nicht zu verfehlen. Der Putin ist ein ganz Schlimmer und die Angst vor einem (Kalten) Krieg wird immer größer. Bei den Menschen, die den 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit bewusst erlebt haben durchaus verständlich. Mit deren Angst zu spielen ist für mich jedoch ganz miese Propaganda.

Anonym 24. November 2014 um 13:02  

Ja, so ist es und so war es damals auch: Angst sollen die Deutschen haben-der Russe steht vor der Tür.

Die Amis trauen sich wohl selbst nicht so richtig an die Russen. Jetzt soll Europa Verantwortung übernehmen.
Und schließlich liegen die Verträge von Exxon u.a.seit der Krimgeschichte in der grauen Zone.
Aber ja doch, es geht um Demokratie und Freiheit und Menschenrechte und um westliche Werte, die zum Himmel stinken.

Eulenspiegel 25. November 2014 um 16:21  

Ein Kommentar über Putin auf diesem Niveau ist mehr als lächerlich.
Ich kenne zwar seine Arbeitszeiten nicht und auch nicht seine Ruhezeiten, aber das ist einfach erbärmlich, auf diesem Niveau über den zugegebenerweise kompetenten Staatschef eines riesigen Landes zu herzuziehen.

Gab es da nicht auch mal Sprüche der gewissen Herren über gewisse, angeblich minderwertigere Mitmenschen, die in diese Richtung zielen? Wurden die Opfer des Holocaust und der Angriffskriege des 2. WKs nicht auch als faul und daher minderwertig bezeichnet?

An ihrer Sprache erkennt man sie. Nur leider scheinen die Deutschen nichts über Sprache gelernt zu haben ...

Eulenspiegel 25. November 2014 um 16:33  

@ Anonym 24. November 2014 09:47

Schlimm ist ja gerade, dass Menschen davon ausgehen, dass Russland den nächsten Weltkrieg starten würde. Dabei sind es die USA, die fleißig daran arbeiten. Die sind auch die einzigen, die expansive geostrategische Ambitionen haben und die bereit sind, diese notfalls mit militärischen Mitteln durchzusetzen.

Es ist wirklich zum Kotzen, mitanzusehen, wie unnötigerweise die früher mäßig guten Beziehungen Europas zu Russland aufs Spiel gesetzt werden. Was glaubt Europa eigentlich, was Russland tut, wenn Europa nicht mehr zur Partnerschaft bereit ist? Russland wird und tut sich bereits nach anderswo orientieren, und zwar zu den BRIC-Staaten, Afrika und anderen Ländern.
Die europäische Politik denkt so kurzfristig. Dabei sollten die nächsten zwei Jahrzehnte miteinbezogen werden, und in dieser Zeit wird Russland wichtiger Energie- und Rohstofflieferant sowie wichtiger Absatzmarkt sein. Ist Russland erstmal engstens mit China verbandelt, wird es für Europa schwer und momentan treiben wir Russland in die Arme Chinas und der BRIC-Staaten.

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