Sie wollten doch nur ein bisschen tanzen

Freitag, 19. September 2014

Ein Lehrstück für die Scharfmacher.

Ich regte mich mal wieder über eine Meldung auf. Der Regelsatz sollte steigen und dieses Revolverblatt aus Berlin verband diese Neuigkeit mit Berichten von Sozialbetrug. Ein Kommentator der Zeitung schrieb: »Hartz IV soll Hilfe für Schwache sein – aber nicht für Faulpelze!« Was das mit der beabsichtigen Anpassung des Regelsatzes zu tun hat, vermochte ich nicht zu sagen. Aber die Stossrichtung war klar.
   »Schon wieder so ein hetzerischer Dreck«, sagte ich einem Kollegen und schob die Zeitung weg. Sie lag aufgeschlagen im Pausenraum herum, irgendein armer Trottel hat sie dort vergessen. Ich kam natürlich nicht daran vorbei, einen Blick darauf zu werfen.
   »Du regst dich auch immer auf. Heute wegen der Hartz-Sache, gestern hast du dich beschwert, weil man angeblich gegen die Russen mobilmacht«, sagte er und frotzelte weiter: »Du Putinversteher.« Er lachte.
   »Ich habe was gegen fehlende Distanz im Journalismus.«
   »Es ist doch nur eine Zeitung. Was heißt es schon, wenn sie schreibt, was sie schreibt? Papier ist geduldig.«
   »Nur Papier? Weißt du ...«, setze ich an, ließ den Satz aber unvollendet und schob mir die Gabel in den Mund.
   »Was soll ich wissen. Sag schon.«
   »Ach nichts. Iß jetzt, es wird kalt.«
   Ich wollte ihm etwas über »nur Papier« und die Macht des Publizierten erzählen. Gewissermaßen ein Lehrstück. Es gibt viele davon. Aber an eines denke ich oft. Der Autor Thomas Jeier nannte es mal einen »Newspaper War«.
   Wir aber aßen weiter und wechselten das Thema. Aber ich will die Geschichte trotzdem loswerden.

Mit einer Meldung im »Chicago Daily Tribune« fing es an. Die Wilden wollten die Weißen auslöschen, schrieb das Blatt. Die »nervösen Rothäute« würden aufgewiegelt. »Die Armee steht bereit«, tröstete man die Leser. Die Zeitung berief sich auf einen Brief des Indianeragenten McLaughlin. Der Mann führte seine von der Regierung erteilte Stelle paternalistisch aus. Indianer waren für ihn Wilde. Und die Geistertanzbewegung der Sioux und Arapaho war für ihn eine Kriegserklärung. Auch deshalb, weil er die indianische Kultur kaum kannte oder aber für nicht würdig erachtete, von ihm wahrgenommen zu werden. In dem Brief schrieb er jedenfalls, dass die Tanzerei als »ernsthafte Unruhe« verstanden werden müsse. Der Aufstand stehe bevor.

In Wirklichkeit tanzten die Sioux und Arapaho aber, weil sie sich ein Ende der weißen Herrschaft und die Rückkehr der Büffel wünschten. Der Prophet Wovoka hatte ihnen das angeraten. Für einen physischen Kampf waren diese Völker schon lange nicht mehr bestimmt. Sie waren stark dezimiert, ausgelaugt und litten an Hunger. Sie waren ein sterbendes Volk, verfolgt und eingesperrt. Ein Angriff wäre Selbstmord gewesen. Und das wussten sie auch. Trotzdem behauptete McLaughlin in einen Brief an seinen Vorgesetzten in Washington was anderes. Und dieser Brief geriet in die Hände des »Chicago Daily Tribune«. So fing es also an und die Geschichte nahm ihren Lauf.

Das Thema ließ die »Chicago Daily Tribune« nicht mehr los. Von Mitte Oktober bis Ende Dezember 1890 berichtete sie »von der Front«. Die Zeitung hatte ihren Sitz ja weit weg vom Westen, berief sich teilweise auch auf erfundene Schreckensmeldungen kleiner Gazetten, die in Orten an der Grenze zu Reservaten angesiedelt waren. Diese Kaffe waren nämlich von der Armee abhängig. Sie wollten die Präsenz aus ökonomischen Gründen erhalten und ausbauen. So wie jene deutschen Orte heute, die arg jammerten, als bekannt wurde, dass die Bundeswehr ihren Stützpunkt dort schließen wolle. Schon deshalb waren die Meldungen nicht unabhängig.

»Die Indianer gehen bald auf den Kriegspfad«, schrieb die »Chicago Daily Tribune« noch immer Mitte November. Sie hätten bereits begonnen, »ihre Pferde und allen Besitz gegen Waffen einzutauschen.« Aufwiegelung und Panikmache gebiert ja oft unlogische Meldungen. Das ist noch heute so. Wie wollten denn die Indianer Krieg führen ohne Pferde? Solche Fragen stellen sich in einer Atmosphäre der Propaganda nie. Stattdessen bekommt man die Absurditäten »bestätigt«. Schon einige Tage später meldeten Korrespondenten einen »blutigen Überfall«, der aber in Wirklichkeit nie stattfand. Die »Chicago Daily Tribune« kommentierte auch das: »Blutiges Werk der Rothäute - angeblich 60 Tote und Verwundete«. Die Zahl dürfte frei vom Chefredakteur erfunden gewesen sein. Woher sollten sie sonst stammen?

Irgendwann wurde die Berichterstattung so drückend, dass die Regierung sie nicht mehr ignorieren konnte. Sie schickte Truppen in die Reservate. Im Dezember berichtete dieses Revolverblatt dann vom »Zustand des Terrors«, in dem man im Westen leben müsse. Während die Sioux und Arapaho sich rechtfertigten, dass der Tanz zu ihrer Religion gehöre und mehr darbten als lebten, unterstellte ihnen die »Chicago Daily Tribune«, dass sie »Vorbereitungen für den Kampf« träfen. Die Schlacht gegen die Truppen stehe unmittelbar bevor. Nur die Sioux und Arapaho wussten nichts davon. Oder wussten es nur aus der Zeitung. Sie dürften überrascht gewesen sein, bisher noch gar nichts von ihrer Kriegsvorbereitungen mitbekommen zu haben. Sie wollten doch nur ein bisschen tanzen. Zwar mit Wut im Bauch. Verbittert. Verständlicherweise. Mehr aber auch nicht.

Diejenigen, die die Indianer in Schutz nahmen, es mit Aufklärung versuchten, wurden als »Indianerfreunde« verunglimpft, als niederträchtige Verräter, die den Ernst der Situation noch immer nicht kapiert hätten. Romantiker seien sie. Was müsse denn noch alles geschehen, damit diese Leute endlich einsähen, wie gefährlich diese rothäutigen Subjekte tatsächlich seien? Sitting Bull, der legendäre Häuptling, sei nichts weiter als ein Terrorist. Ein kriegslüsterner alter Mann, der den Tod weißer Frauen und Kinder in Kauf nähme. Es könne nur eine Lösung geben: Die Indianer loswerden. Wie auch immer. Zuschlagen, bevor sie zuschlagen können. Die üblichen »Einsichten«, die nach Pressekampagnen so in die Welt hinausposaunt werden eben.

Am Morgen des 29. Dezember 1890 wurden die Indianer entwaffnet. Dann fiel ein Schuss. Man erzählte sich später, ein tauber Krieger habe den Befehl nicht wahrgenommen. Soldaten ergriffen ihn, wollten ihm das Gewehr aus der Hand reißen. Er lenkte sofort ein, man ließ ihn los und er wollte das Gewehr auf den Boden legen, als sich ein Schuss löste. Die Truppen gerieten in Panik, schossen plötzlich mit Kanonen auf wehrlose Indianer. Es war ein Massaker. Über 250 Sioux und Arapaho wurden ermordet, in der Mehrzahl Frauen und Kinder. Die amerikanische Geschichtsschreibung nannte dieses Ereignis die »Schlacht am Wounded Knee«. Das »verwundete Knie« war und ist ein Fluss. Ein Schlacht war es jedoch nicht. Eher ein Schlachten. Die »Chicago Daily Tribune« hatte gesiegt. Die Stimmung hob sich. Man machte Kriegshelden aus den Mördern. Die Kampagne ging weiter. Jetzt ohne Indianer. Nun ging es daran, ein hübsches Narrativ aufzubauen, einen Mythos zu publizieren. Man kennt das ja. Heutige Zeitungen bestehen zur Hälfte aus diesen Mythen.

Papier ist nur geduldig? Von wegen. Natürlich werden Arbeitslose, Russen und Moslems nicht einfach massakriert wie damals. Nicht jedes Scharfmachen endet so. Aber Scharfmacher lotsen manchen Weg, bereiten publizistisch vor, sind mindestens so sehr für Hunger, Strafverschärfungen und Mord verantwortlich, wie all die Leute der Tat. Sie entwerfen ein falsches Bild von der Welt, das sie als Wahrheit monopolisieren. Personen indes, die behaupten, dass das alles so nicht stimme, tut man als »Indianerfreunde«, »Putinversteher«, »Sozialromantiker« oder als jemanden, der die »Islamkritik« mundtot machen möchte, ab. Hat nicht Breivik gemordet, weil ihm Berichte und Artikel einflüsterten, er müsse sich zur Wehr setzen? Und Mundlos und Böhnhardt? Die waren doch auch nur »dem Papier« auf dem Leim gegangen. Mord, Totschlag, Pogrom werden publizistisch vorbereitet.

Wounded Knee ist nur eine von vielen Geschichte. Nur ein Beispiel für Propaganda. Das weiße Amerika wähnte sich damals mindestens so zivilisiert wie wir heute. Gehetzt, falsch behauptet und angestachelt wurde dennoch. So viel Zivilisation, dass man diese niederen Publizistenaffekte je in den Griff bekommen hätte, hat es bislang noch nie gegeben. Sicher, Putin will nicht einfach nur ein bisschen tanzen und Arbeitslose wohnen nicht im Tipi, aber grundsätzlich endet jede dieser Kampagnen in Hass und Ablehnung, in Entsolidarisierung und Entmenschlichung. Sie machen die Welt schlechter. Jeden Tag. Deswegen verstehe ich nicht, wie man nur abwinken kann und behaupten: »Ist doch nur die Bildzeitung. Kennt man doch.« Natürlich, man kennt es. Aber ich jedenfalls werde mich nie daran gewöhnen. Ich kann mich nie daran gewöhnen, weil ich mich nicht an Pogromstimmung, an Aufwiegelung und Hass gewöhnen kann. Papier ist nicht geduldig. Wenn es von Scharfmachern bedruckt wird, macht es eher äußerst ungeduldig.

5 Kommentare:

Anonym 19. September 2014 um 09:07  

Bei uns im Ruhrgebiet sind die meisten Inhaber von Kiosken muslimischen Glaubens. Wenn die darauf verzichten würden, dieses Drecksblatt anzubieten, wären wir schon ein ganzes Stück weiter.
Gestern am Bahnhofskiosk schlug mir nur das Wort Drückeberger entgegen und mir wurde schlecht. Wieviel Arbeitslose sich dieses Drecksblatt wohl kaufen mögen?

LG
Martin

Anonym 19. September 2014 um 09:18  

Man stelle sich vor, wie viele Artikel es täglich sind, die ein mitdenkendes Gehirn ausfiltern muss.
Was ist mit denen, die alles als Wahrheit sehen?

Anonym 20. September 2014 um 01:15  

"Man stelle sich vor, wie viele Artikel es täglich sind, die ein mitdenkendes Gehirn ausfiltern muss.
Was ist mit denen, die alles als Wahrheit sehen?"

Die haben dann wohl kein "mitdenkendes Gehirn". Oder bei denen ist einfach nur der Schmutzfilter verstopft.

Jan Wegmann

Anonym 20. September 2014 um 11:52  

@ Anonym 20. September 01:15 Uhr

Weniger der Schmutzfilter, aber man rechne sich daran aus wie viele gegenstandslose Meldungen ein mitdenkendes Gehirn täglich ausfiltern muss.

Wer behauptet, es seien nur Buchstaben, ist ein Idiot.
Wie viele Menschen gibt es, die diesen Unrat nicht ausfiltern?

Daniel Grode 7. Oktober 2014 um 20:04  

Daniel Grode kommentiert:
Sollte es nochmal einen Mann wie
Rudi Dutschke geben, waere ich wieder auf der Strasse und wuerde wie damals in der Robert-Koch-Str.
in Berlin rote Farbbeutel an´s Verlagshaus ballern mit viel Wut im Bauch !! und anschliessend an die
Botschaft der USA !! Dafuer gab es reichlich Pruegel aber es hatte sich gelohnt - glaubten WIR !
Rudi musste es spæter mit seinem Leben bezahlen !!
Und wenn ich mir die unsere Republik heute ansehe, sag ich mir: Wofuer war das alles ?
Und Rudi wuerde sich im Grab umdrehen !!
Zum Glueck ist sein Sohn in Dænemark geboren, wo angeblich die gluecklichsten Menschen leben sollen ! Und ich bin froh darueber, dass meine Kinder entweder Dænen oder Australier sind ...
Doch Blætter wie die BLØD gibt es leider all over the place !!
Daniel..

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