#Aufschrei der Dummheit

Dienstag, 9. September 2014

Besonders während der vergangenen Weltmeisterschaft in Brasilien hatte das nebenstehende Banner bei Facebook Hochkonjunktur. Man wollte damit wohl all denen, die dem nationalistischen Fanatismus nicht folgen wollten und Bedenken anmeldeten, deutlich machen, dass man die Vergangenheit nicht nur abgelegt, sondern sich darum auch nicht zu scheren hat. Über 22.000 mal wurde es mittlerweile geteilt. Auch auf meiner Startseite bekam ich es mehrmals angezeigt. Einige meiner »Freunde« hatten es geteilt. Dass sie sich so auch vom Auftrag der Gestaltung eines künftigen Weltethos »emanzipiert« hatten, fiel ihnen vielleicht gar nicht auf.

Mitunter zieren das Banner entblößende Kommentare. Beispiel: »Rischdisch. Wir müssen jetzt endlich mal unser maul aufmachen. [...] Also schluss damit jeden retten zu wollen erst mal ans eigene volk denken. Also schluss mit Almosen für Schmarotzer und die wo ihr land in den Abgrund reiten.« Oder dieser, der ausdrücken möchte, dass man es entspannt sehen sollte: »was juckt heute die amis noch was sie mit den indianern oder den negern gemacht haben?« Ein anderer empfiehlt zum Beispiel solchen, die »Soldaten sind Mörder« sagen, als Staatsfeinde zu behandeln. Und einen jungen Kritiker machen sie auf der persönlichen Schiene fertig, verspotten die gymnasiale Bildung des »Jüngelchens«. Er könne ja nichts dafür. In den Schulen wiehere heute außerdem der linke Zeitgeist und man würde nur allerlei gutmenschlichen Unsinn gelehrt bekommen. Nettes Völkchen in diesem aufgeklärten Medium Facebook - das muss man schon sagen.

Die Mehrzahl dieser Leuchten rechtfertigt sich damit, dass sie nicht schuld sei. Stimmt. Das sind die Leute auch nicht. Hat aber auch niemand behauptet. Es sind ja nicht mal alle schuld, die vor 1945 geboren wurden. Selbst die nicht, die damals schon erwachsene Menschen waren. Was dieses polarisierende Banner aussagt, ist ja eigentlich viel perfider. Es distanziert sich nicht von den Beschuldigungen - es entschuldet. Es spielt gekonnt mit Schuld und Schulden. Letzteres soll für die Spätergeborenen nicht gelten. Anders gesagt: Wir schulden der Welt keine kollektive Verantwortung für das, was damals geschehen ist. Und demgemäß sind die Ereignisse jener Zeit kein Auftrag und keine Mahnung an die nachfolgenden Generationen. Man schuldet der Welt schließlich nichts, ist befreit von der Bürde, das politische und gesellschaftliche Handeln an den menschenverachtenden Affekten jener Jahre zu messen. Sarrazin schuldet mit seiner Eugenik der Welt schließlich auch einen Scheiß. Bürgerwehren gegen Roma auch nicht. Das Banner fordert die Loslösung von dieser ethischen Bezugnahme auf die unmoralische Geschichte Deutschlands im letzten Jahrhundert. Schwamm drüber.

Wir sollen also aufhören darüber nachzudenken, woher wir kommen und in die Zukunft blicken. So in etwa die Botschaft. Wer aber blind für die Vergangenheit ist, wird sich nicht in die Zukunft vorantasten, sondern blind vorpreschen. Dieses aufgemotzte Motto hat nicht mal entfernt etwas mit Party-Patriotismus zu tun. Es ist eine Absage an das Erbe dieser Republik, etwas, das ganz gut zum neuen Verantwortungsdiskurs einiger Politiker passt. Einige Facebookianer haben aber wohl ihre Freude über die Nationalelf mit Geschichtsrevisionismus gepolt und sind reichlich stolz drauf. Bewusst oder unbewusst. Die sozialen Netzwerke haben den Stammtisch, an dem solche Parolen früher bei einem ordentlichen Schluck formuliert wurden, ganz schön groß werden lassen. Facebook ist letztlich auch nur ein Wirtshaus.

6 Kommentare:

Lazarus09 9. September 2014 um 09:16  

Fakten haben eben keinen Einfluß auf die Denkweise der Deutschen, wenn du die Prinzipien des zugrundeliegenden Systems verstanden hast, brauchst du nur noch auf die absehbaren Folgen warten...

..die Geschichte lehrt uns das uns die Geschichte nichts lehrt ..!

Quod erat demonstrandum.

Anonym 9. September 2014 um 14:30  

Ich glaube dass ich nicht auf fb bin, erspart mir so einiges.
Grüße
Martin

Anonym 9. September 2014 um 17:08  

Den Mund aufmachen - wenn die Deutschen denn etwas zu erzählen hätten...

AL 9. September 2014 um 17:20  

Das Geschickte an diesem Banner ist, dass es zwei Aussagen vermischt. Die erste Aussage ist "Ich wurde nach 1945 geboren, trage also keinerlei Schuld an den Verbrechen des Dritten Reiches." Diese Aussage ist richtig. Schuld ist, wie Du völlig richtig sagst, eine individuelle Sache und trifft daher auch nicht alle, die zur Zeit des Dritten Reiches gelebt haben. So weit, so trivial.

Die zweite Aussage ist "Weil ich keine Schuld an den Verbrechen des Dritten Reiches trage, schulde ich der Welt auch nichts." Diese Aussage ist Blödsinn. Jeder ist es den anderen Menschen und damit der Welt schuldig, sie zu einem besseren Ort zu machen. Viele, die dieses Banner geteilt haben, würden vermutlich zustimmen, dass man sich zumindest bemühen sollte, Gutes zu tun und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das Perfide am zweiten Teil der Aussage ist, dass es einer anderen, richtigen Aussage ähnelt: "Weil ich keine Schuld an den Verbrechen des Dritten Reiches trage, habe ich keine größere Schuld der Welt gegenüber, diese Verbrechen wiedergutzumachen, als andere Leute." Diese beiden Aussagen werden gedanklich miteinander vermischt - und heraus kommt "Niemand darf moralische Ansprüche an mich stellen".

Anonym 9. September 2014 um 23:35  

„Das Internet ist der neue Stammtisch.“

Wer hat das noch mal gesagt?
Hab ich vergessen.

aebby 10. Oktober 2014 um 06:54  

Wenn denn jene, die dieses Banner vor sich hertragen, auch jedes andere nationalstolziges Gehabe von sich weisen würden ... schließlich tragen Sie auch keine Mitverantwortung an Götzes Tor.

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