Sankt Ion, komm und rette uns!

Montag, 4. August 2014

Sanktionen. Wir brauchen Sanktionen! Jetzt mal gegen Russland und Putin. Sanktionen zu fordern hat man in Deutschland ja einstudiert. Jahrelang hat man sie gegen Arbeitslose gefordert. »Härtere Sanktionen« war das Schlagwort schlechthin. Und so gut wie jeder wusste sie zu fordern. »Sanktionen verschärfen!«, rief man im Namen von Law and Order. Wie so mittelalterliches Gelichter, das aufgewiegelt fordert: »Bestraft ihn, bestraft den Sünder!«

Neulich sagte mir einer, er halte es für geboten und notwendig, dass man Sanktionen für Zuwanderer umsetze. S-a-n-k-t-i-o-n-e-n! Ob er so ganz genau wusste, was das Wort eigentlich bedeutet? Strafandrohungen für Leute, die sich das »Verbrechen« leisten, nach Deutschland kommen? Für manchen handelt es sich bei diesem Schlachtruf wohl um einen neuen Heiligen, den man anruft? Sankt Ion? Ein kanonisiertes elektrisch geladenes Teilchen? Heiliger Molekül errete uns? Sankt Ion zieh die Zügel an! Und rette uns vor den Bösen! Sind diese Sanktionsschreie das neue »Himmel hilf« oder »Och, du heiliger Bimbam«? Verzweiflungsrufe? Was steckt hinter dieser Sanktionswut?

Ich habe mal einen alten Spanier, der Deutschland und die Deutschen gut kannte, nach einer Eigenart der Deutschen gefragt. »Was ist denn so eine deutsche Masche?«, fragte ich ihn. Und weil er nicht gleich rausrücken wollte, forderte ich ihn auf: »Dímelo; sag es mir.«
   Er schaute mich an und lächelte. »Die rufen immer gleich die Polizei. Oder drohen mindestens mit ihr. Wenn sie aus dem Fenster gucken und jemanden am Briefkasten herumstochern sehen, dann rufen sie ›Polizei, Polizei!‹ und nicht ›Hau ab!‹. Das ist für mich typisch deutsch.«
   Ich nickte. Ja, da war was dran.
   »Und dass sie einen immer gleich auffordern, ihre Fragen schneller zu beantworten, das ist auch so was Deutsches.« Er stierte mich an, während er das sagte. Keine Ahnung warum.

Die Polizei hat heute keinen guten Ruf mehr. Aber irgendeine Instanz muss man doch anrufen. »Sanktionen, Sanktionen!«, rufen sie wohl daher heute. Das hat so was Schicksalhaftes, klingt unabwendbar und verspricht Strafe. Nach Sanktionen zu rufen ist im Grunde derselbe durch den Pöbel oder Mob brandende Affekt, den man zu allen Zeiten und in allen Kulturen zu hören bekam und bekommt. Die einen rufen »Steinigt sie, steinigt sie!« oder »Auf den Stuhl mit ihm! Auf den Stuhl mit ihm!« und anderen schreien »Teeren! Teeren!« und schieben nach: »Federn! Federn!«

So wie der Haufen rachsüchtiger Bauern dereinst angebliche Hexen anschwärzte und dann Strafe forderte, oder wie die Rotten von Todesstrafenbefürworter vor Gefängnissen stehen und »Tötet ihn! Tötet ihn!« rufen, so beschwört die Masse aus Journalisten und Leser eben »Sanktionen!«. Diese Rufe sind nichts anderes wie das in der Massenpsychologie attestierte »Zurücktreten des Gehirnlebens«. In der Masse »steigt der Mensch also mehrere Stufen von der Leiter der Kultur hinab.« Er wird in ihr »ein Triebwesen, [...] ein Barbar.« (Gustave Le Bon, »Psychologie der Massen«) Völlig unfähig, die Forderungen zu erklären oder sie mit Argumente auszuschmücken. Der Mensch in einer Masse, die Schlachtrufe plärrt, mag als Individuum gebildet sein, in der Masse der Schreihälse wird er zum Instrument von Parolenschwingern, denen er nachplappert und deren Thesen er daher für richtig erachtet.

Exemplarisch dafür ist diese ewige Wiederkehr von »härteren Sanktionen«, die im Hartz-IV-System in strikter Regelmäßigkeit gefordert werden. Was sollen sie bringen? Alle schreien danach. Aber bringen solche Verschärfungen Arbeitsplätze? Selbst wenn wir nur einen kurzen Moment davon ausgehen würden, dass das Narrativ vom »faulen Arbeitslosen« stimmte: Bringen härtere Sanktionen was? In vielen Bundesstaaten der USA gibt es die härteste aller Sanktionen für Mord? Aber merkt man das an der Mordquote?

Fragt der Sanktionswütige in der Masse je nach solchen Hintergründen? Fragt er, wohin Sanktionen gegen Russland steuern? Nein, er fordert nur mit, weil alle es zu fordern scheinen. Die Sanktionsschreier sind im Grunde der Mob, der früher am Pranger auf dem Marktplatz vorbeidefilierte, mit dem Finger deutete und der die vollzogene Strafe für noch immer nicht hart genug hielt.

4 Kommentare:

Eric 4. August 2014 um 11:35  

letzte woche oder die Woche davor verkündete ein Kollege, dass er die Idee, Rußland die nächste WM wegzunehmen, sehr gut fände.

Auf meine Nachfrage, warum "man" das tun sollte: Na, aus politischen Gründen.

Und welche Gründe könnten das sein?

ähm, äh... (stotter) na, weil die Russen doch dieses Flugzeug da abgeschossen haben!

Keine weiteren Fragen!

Gruß aus Kreuzberg

Eric

Braman 4. August 2014 um 13:22  

Ja, das Geborgen-sein in der Masse, das scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein. Es ist so bequem, ich muss nicht mehr selber denken, das 'wir' übernimmt.
Das scheint mir aber eine allgemein-menschliche Eigenschaft zu sein die überall auf der Welt in ähnlicher Ausprägung existiert. Der Gruppenzwang ist latent immer präsent für JEDEN, der sich einer Gruppe zugehörig fühlt oder fühlen will. Siehe nur die vielen Fans und Fan-Klubs.
Für mich (und wohl für Dich und die meisten deiner Leser auch)eher unverständlich da ich mich nicht als Wurmfortsatz von irgend jemandem oder etwas verstehe und mich in dessen Glanz Sonnen möchte (so wie der Mond als Reflektor des Sonnenlichts).
Und am liebsten regen sich Leute über Themen auf, das sie gar nicht verstehen.
Diese Erfahrung habe ich gemacht durch einfaches Nachfragen nach einer Erklärung oder Begründung. Allerdings macht man sich keine Freunde dadurch, ist aber für einen Nicht-fan auch nicht so wichtig. Wie bemerkte Schopenhauer schon so treffend:
Lieber ein unglücklicher Sokrates als ein glückliches Schwein!

MfG: M.B.

Sledgehammer 4. August 2014 um 13:46  

Seltsam:
Gewalt, als Mittel brutaler Durchsetzung, in aller Regel als Delikt verfolgt, erfährt in ihrer Bedeutung als Sanktion gemeinhin Zustimmung.

Wolfgang Buck 4. August 2014 um 18:30  

Vorne weg:
"In vielen Bundesstaaten der USA gibt es die härteste aller Sanktionen für Mord? Aber merkt man das an der Mordquote?"

Aber ja doch! Die Mordrate in den USA ist deutlich höher als in Europa oder gar in Deutschland (einem der sichersten Länder weltweit!). Sicher hat das auch mit dem leichten Zugang zu Waffen und dem Wildwuchs des "Prekariats" zu tun. Aber in Kanada ist z.B. nach dem Verbot der Todesstrafe die Mordquote kontinuierlich gesunken und war nach einigen Jahren um ein Sechstel geringer. Das hat zum einen wohl damit zu tun, dass manch ein schwerer Junge bei drohender Todesstrafe leichter mal einen Augenzeugen beseitigt (2x oder öfter todspritzen ist selbst in US-Gefängnissen schwierig), zum anderen meinen Psychologen beweisen zu können, das in Law-and-order-Staaten mit brutalen Strafen auch die Verbrechen brutaler werden. Die Bürger nehmen sich quasi den Staat als Vorbild.

Zum Thema:
Im Fall von HARTZ IV habe ich den Eindruck, Sanktionen sollen zweierlei bewirken. Die Politiker wollen zeigen, das sie konsequent und hart handeln können (ich bin ein starkes Männchen!...trifft auch für Karriere Frauen a la v.d.L. zu). Zum anderen sind solche Sanktionen ein prima Weg an den Sozialkosten zu sparen.

Bei den Staaten ist die Sanktion zu einer Art Ersatzhandlung für den Krieg geworden. Am 1.8.1914 hat Deutschland Russland den Krieg erklärt. Das heute "nur noch" Sanktionen erklärt werden ist immerhin ein Fortschritt im Handeln (weniger im Denken... hoffen wir das es dabei bleibt).

Wollten unsere Politiker hier konsequent moralisch sein müssten sie ja auch Sanktionen gegen die Ukraine, Israel, USA, China... erklären. Tun sie nicht. Für mich ein klares Zeichen dafür, das der Krieg von gestern die Sanktion von heute ist. (Rheinmetall freut das gerade gar nicht)

Grüßle Wolfgang.

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