Das schröderianische Menschenbild

Mittwoch, 6. August 2014

Die Sozialdemokraten haben sich in den letzten Jahren rhetorisch stark darum bemüht, ihren Schröder-Geruch loszuwerden. Man sei vom strikten Agendakurs abgekommen, habe eingesehen, dass vieles was damals reformiert wurde, nicht richtig klappt oder aber grundsätzlich Verschlechterungen mit sich gebracht habe und möchte sich daher heute wieder als eine progressive Kraft verstehen. So in etwa gab sich die alte Dame jedenfalls häufig.

In jenem Diskurs, der als eine Art von Emanzipation vom schröderianischen Erbe angesehen wurde, ging es vor allem um das Menschenbild, das diese Partei vertritt oder doch vertreten sollte. Muss man den Menschen durch Anreize ansticheln? Ist er ein infantiles Wesen, das ständig verfolgungsbetreut gehört? Wieviel Mündigkeit kann man ihm erlauben? In Hartz IV kulminierte letztlich auch diese Frage nach dem Menschenbild. Man definierte es in etwa so: Der Mensch ist faul, wenn man ihm keine Hürden in den Weg legt. Er muss angetrieben und drangsaliert, muss zu einem »anständigen Leben« gedrängt werden. Die Sozialdemokratie nach Schröder wollte eine politische Ausrichtung sein, die Hartz IV mit einem menschlicheren Antlitz ermöglichen sollte. Das heißt, sie gab vor, das im Sozialgesetzbuch II manifestierte Menschenbild, ansatzweise abwandeln zu wollen. Der arbeitslose Mensch sei ja keine rechtlose Verfügungsmasse des Verwaltungsapparates, sondern auch ein Bürger.

Theoretisch jedenfalls. Im Wahlkampf jedenfalls. Praktisch sieht es anders aus. Gabriel hat neulich etwas bei einem Kongress der Energiebranche konventionelle Kraftwerke gesagt: »Was der Kapazitätsmarkt nicht werden kann, ist so was wie Hartz-IV für Kraftwerke: Nicht arbeiten, aber Geld verdienen.«

Es kann ja sein, dass die heutige SPD alle Auswüchse der Agenda 2010-Zeit nicht mehr teilt. Sie hat vielleicht eingesehen, dass die Aufbruchstimmung bei Anbeginn von Hartz IV unberechtigt war, dass dieses Verwaltungsprogramm von Erwerbslosen einen Niedriglohnsektor stützt, den man rückblickend als eigentlich gar nicht (mehr) gewünscht ansieht. Viele Einzelschicksale, die durch die Medien gingen, haben den wiehernden Amtsschimmel auf Basis von Hartz IV verdeutlicht und auch der SPD nahegelegt, dass da vieles völlig falsch lief und auf reinem Arbeitgeberinteresse basierte. Aber das Menschenbild, das hat sich offenbar nicht verändert. Für den Vorsitzenden der Partei sind Arbeitslose immer noch Leute, die für ihren Müßiggang entlohnt werden.

Das ist nicht nur ein rhetorischer Lapsus, eine coole Floskel vor Unternehmern. Da schwingt ein verankertes Gesellschaftsbild mit. Der Arbeitslose ist jemand, der Geld ohne Leistungserbringung bekommt. Dass er Opfer ökonomischer Entwicklungen und politischer Entscheidungen ist, hört man aus solchen Vergleichen eher nicht heraus. Aber man hört auch heraus, dass es den Arbeitslosen ja an sich nicht übel geht. Die müssen nicht früh aufstehen, verdienen aber trotzdem Geld. Nein, liebe Kraftwerke, so ein paradiesisches Dasein ist für euch nicht drin!

Dass beim Mindestlohn Hartz-IV-Empfänger temporärer ausgeschlossen bleiben, haben die Sozialdemokraten mit politischen Zwängen erklärt. Mehr sei mit der Union nicht möglich gewesen. Gabriel legte nun nach und macht deutlich, dass die gesellschaftliche Gruppe der Langzeitarbeitslosen auch keine moralische Lobby oder gar Sympathie in der Parteispitze zu genießen scheint. Das schröderianische Menschenbild ist noch aktiv, wirkt noch nach. Hartz IV ist zwar in der Form schiefgelaufen und brauche neue Ansätze, aber dass die Menschen, die in diesem System feststecken, ganz sicher »schwierige Personen« sind, um es mal vorsichtig zu formulieren, das scheint als »Wahrheit« weiterhin das Menschenbild zu bestimmen.

Es ist dasselbe Menschenbild, dass unlängst mal wieder einen FDP-Simpel auf den Plan rief, Hartz-IV-Empfänger in Gebiete am Stadtrand auszuweisen. Banlieus seien keine Zumutung, um Sozialhilfeempfänger von denen zu trennen, die ihr Geld selbst verdienen, meinte Lindemann sinngemäß. Von Gabriel zu Lindemann ist es von der Geisteshaltung in dieser Frage gar nicht mehr so weit..

Das Menschenbild der schröderianischen Reformjahre tickt immer noch. Es scheint das einzige, was aus jenen Jahren geblieben ist. Schröders Erbe ist das »Gerücht über die Arbeitslosen«. Seine politischen Nachkommen, die sich von ihm distanzieren, sind mit dieser Agenda herangewachsen. Sie haben Schröders Satz, wonach es »ein Recht auf Faulheit« nicht gibt, noch immer im Kopf und verbinden dies mit Arbeitslosen. Früher hat man Faulheit in dieser Partei mit den Rentiers, den Abstaubern, Kapitalisten, reichen Erben und Adligen verbunden. Damals hätte Gabriel auf die zurückgegriffen, um »das süße Nichtstun« bildlicher zu machen. Heute holt man bei den Sozis die Leute heran, die Hartz IV beziehen. Einen etwaigen Vergleich mit Obermann kann man sich auch unter Sozis nicht mehr vorstellen. Denn solche Leute sind ihnen näher als die, die sie in die Lebenskrise gestürzt haben.

9 Kommentare:

Fritz Basseng 6. August 2014 um 09:41  

Dem ist absolut NICHTS hinzuzufügen!!!

kevin_sondermueller 6. August 2014 um 14:06  

Schröder hat eh bei Thatcher und
Blair abgekupfert: bei uns heißen
die »chavs« eben Hartzies und Aufstocker.

Menno – warum imitieren wir die Angelsachsen immer nur im Schlimmen: die auch vorhandenen
guten Anregungen werden schlichtweg nicht wahrgenommen.

Obwohl auch dort viel Gutes einfach canceled wurde …

Anonym 6. August 2014 um 21:17  

"Schröderianisch"?
Nein, einfach neoliberal!

Die ehemalige Arbeiterpartei hat ihre Anhänger verraten. Der Vorsitzende glaubt sich um die Prduktionskosten am Standort Deutschland Gedanken machen zu müssen, die aber nur wegen exorbitanter Mangergehälter aus dem Ruder gelaufen sind und verschweigt dabei geflissentlich, dass stagnierende Löhne stagnierende Kaufkraft und damit unausweichlich stagnierendes Wirtschaftswachstum bedingen.
Kein Wunder, dass deshalb im Export das vermeintliche Seelenheil gesucht wird.

Hartz IV ist ein Angriff auf die Menschenwürde, ein krebsartiger Auswuchs der neoliberalen Irrlehre, die in der zurückliegnden Finanzmarktkrise ihren - vorläufigen - Höhepunkt gefunden hat.

Was Schröder einzig und alleine zugutezuhalten ist, ist sein Nein zum Irak-Krieg, ganz im Gegensatz zur ach so beliebten Kanzlerin Merkel mitsamt der SPD, denen es heute egal ist, wenn Bundesbürger vom Hegmon USA nach Strich und Faden ausgespäht werden.

Wer Spannung schürt, bekommt mehr Spannung - und letztendlich Krieg.
Bürgerkrieg herrscht bereits.

Was für eine erbärmliche Politik!

Von 1914 was gelernt?
Aber nicht doch!

Den Kapitalisten-Krieg in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf(Erich H. leicht abgewandelt und leider allgemein gültig).

kh


Anonym 7. August 2014 um 10:29  

Ich bin der Überzeugung das eine großer Teil der traditionellen Arbeiterschaft die schröderiansche Politik auch heute noch unterstützt. Sinnbild dieser Menschen ist immer der Kapitalist der einem Lohn und Brot gibt.

Felix Klinkenberg 7. August 2014 um 12:47  

Nicht nur die SPD, der Kriegskredite und der Aggressionskriege, ist bereit die Politik gegen die Mehrheit der Menschheit zu Exekutieren, auch die " Linke" , ist wegen persönlicher Vorteile, genauso dazu bereit. Eine fix und fertig organisierte Kampagne, um 1 Millionen Kläger, für eine Verfassungsbeschwerde zu Sammeln, wurde von den "Eliten" in den Linken, Sabotiert und Verunmöglicht. Es war Erschreckend, in persönlichen Gesprächen, die Naivität oder Akademische Beschränktheit, der führenden
“ Ökonomen“ , der Linkspartei Erleben zu müssen. Von den vielen, die in der CDU oder FDP besser Aufgehoben wären, ganz zu Schweigen.

flavo 8. August 2014 um 07:44  

Hervorragender Artikel. Solche Artikel pflege ich als Link regelmäßig an diverse Redaktionsstuben zu versenden mit dem Hinweis, dass er mehr enthält als das gesamte Jahresarchiv des angeschriebenen Blattes. Antwort erhält man natürlich keine. Vermutlich versinkt man im Sog der eigenen Scham.
Es sind in der Tat Zeiten angebrochen, in denen jener gut dasteht, der etwas hat. Wer nichts hat, der ist verdächtig. Nicht des Kriminellen, aber der Problematik im Leistungsbereich. Es wird nicht geleistet, so die aufgeschwemmte Vermutung. Dabei reicht eine platte Denke vollkommen aus: Leistung heißt 8 Std. am Tag an den Arbeitsplatz gehen und dort anfallende Aufgaben erledigen. Egal was dies sei. Ein Zocker etwa, der an der Börse zockt und gewaltig auf die Schnauze fällt, kann den Verlust beim Staat anmelden und dieser kommt sogleich dafür auf. Ein anderer kann leisten und dabei die Umwelt verschmutzen, wie man im ökonomischen Jargon arrogant sagt, Kosten externalisieren und bekommt dafür etwa noch Lob und Anerkennung hinsichtlich der strategischen Wichtigkeit. Waffenfabrikanten, Kohlekraftwerksholdings und Autohersteller fallen in dieses Licht. Die außerhalb der Betriebe sich anhäufenden Kosten übernimmt vorerst keiner. Man sieht sie ja gar nicht so gut und wenn der deutsche Autohersteller 1 milliarde Chinesen mit Autos versehen will, dann riecht man den Rauch auf Jahre hier noch nicht. Dafür sieht man aber das Geld, das internalisiert verbleibt. Und allenfalls wird der Staat etwaige allzu auffallende Kosten tragen. Es wurde immerhin auch geleistet.
Natürlich läuft dies alles schief, aber es läuft unter der Wertematirx des Notwendigen. Wie der Stein fällt so verschmutzt die Wirtschaft die Umwelt oder verzockt sich der Börsenspekulant. Alle drei sind dem Handeln entzogenen Naturvorgänge. Ersteren erforscht die Physik, letztere die Ökonomie. Naturgesetze werden da festgestellt und auf die Anschlagtafeln kollektiven Wissens geschrieben. Andächtig ist man weit verbreitet geworden. Denn dies hat der Schrödersche Spin auch geleistet: Umgemodelt wurden nicht nur Erscheinungsaxiome des Arbeitslosen, nein, ganze Welterklärungsaxiome wurden gestiftet, welche tranversal und kapillarisch wirken. Vom Handwerker, dem Ingenieur über den Philosophen und Sozialwissenschafter bis hin zum Juristen, Arzt und Architekten sowie Reinigungskräften, Arbeitern, Polizisten und Politiker und Väter und Mütter, Jugendliche und Alt, ebenso wie all die anderen Rollen, die es so gibt, man hat eine ökonomische Räson in sich. Diese Axiomatik bietet den Boden für all die unerträglichen Gewächse und Auswüchse. Eine schöne, schnippische Schnick-Schnack-Sprache, zügig, selbstsicher, schön lackiert, leicht taub, calmierte Unnachgiebigkeit, zweifelsfrei und kurzsequentialistisch. Vom Drangsalieren des Arbeitslosen bis hin zum Krieg führen läßt sich damit alles erklären. Wer hat, und so müssen wir nun ergänzen, wer hat und kann, der steht gut da.

Pirat 8. August 2014 um 12:36  

Die SPD ist eben zu Feige echte Visionen wie das Bedingungslose Grundeinkommen anzustreben. Also bleibt nur der blödsinnige Versuch Arbeitsplätze zu schaffen indem man die Kosten der Arbeit immer weiter senkt (niedriglohn) um so die Ersetzung von Arbeit durch Maschinen zu verhindern. Was nagesischts des technischen Fortschritts langfristig ohnehin sinlos sein wird.

Anonym 10. August 2014 um 17:32  

was erwartet ihr von der spd?

ThorstenV 11. August 2014 um 11:56  

Die Auffassung "die faulen Arbeitslosen sind am wirtschaftlichen Niedergang schuld" wird sich solange halten, wie die Ereignisse ihr recht zu geben scheinen. Und das tun sie. Geht es uns nicht besser als Griechenland? Das tut es und das liegt daran, dass wir unser Faulen eben zum Arbeiten zwingen.

Ein Lohnniedrigsektor wirkt ja. Er beseitigt viele akute Probleme, so wie die Flasche Schnaps die akuten Probleme des Alkoholikers beseitigt. Die Diskussion mit SPD-Anhängern ist wie die Diskussion mit einem Alkoholiker, der seine Sucht rationalisiert, weil er sich nicht grundsätzlich ändern will.

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