Wie betriebsblinde Gastronomen, denen die Gäste ausbleiben

Freitag, 21. Februar 2014

Als Erdogan auf Staatsbesuch in Deutschland war, habe ich wieder mal am Drehknopf meines Autoradios rumgespielt. Ich landete nach You're All I Need To Get By - was selten genug gespielt wird - bei einer Frauenstimme, die die Kanzlerin ermahnte, sie möge bitte den türkischen Präsidenten auf die notwendige Rechtsstaatlichkeit in seinem Lande ansprechen. Nur mit ihr sei der EU-Beitritt denkbar. Einige Tage vorher hatte ich noch den TV-Film zum Fall Harry Wörz gesehen. Der fiel mir spontan ein. Und Gustl Mollath und die Angehörigen von Rudi Rupp. Oder Horst Arnold.

Über Korruption und Fakelaki in Griechenland wird man mit Berichten zugeschissen. Der flapsige Ton in den Morgenmagazinen zeugt davon, dass griechisch und korrupt quasi als Synonyme betrachtet werden. Über die Korruptionsanfälligkeit, die die EU-Kommission Deutschland attestierte, hörte man allerdings nur sehr sehr wenig. Außerdem sind wir gut darin, Korruption ins Legale und in die Legislative zu verlagern. Die Korruptionsquote ist in Deutschland ja auch relativ niedrig, weil sie durch Regierungsprogramme wie Moderner Staat - moderne Verwaltung reglementiert und kanalisiert wird. Die Angestellten aus der Wirtschaft, die in Ministerien arbeiten und bei Gesetzesentwürfen mitwirken dürfen, bekommen ihr Gehalt weiterhin von ihrem Arbeitgeber aus der Privatwirtschaft überwiesen. Ist das noch Korruption oder schon Korruptokratie? In Deutschland nennt man jedenfalls innovativ, was in Griechenland als korrupt gilt.

Und dann die Steuerunlust der griechischen Reichen, die man in den Medien dauernd belächelt. Klar, das ist eine gigantische Sauerei. Schlimmer ist da nur noch die Weigerung Europas, die Milliardentranchen nicht an Verpflichtungen zu knüpfen wie "Besteuert die Reichen endlich höher". Unglaubliche Zustände hat man da beschrieben. Sittenlosigkeit bescheinigt. Mittlerweile wirft man uns fast täglich ein neues Puzzlestücke ähnlich unglaublicher Zustände vor den Latz. Die geschehen aber in Deutschland. Hoeneß als das Big Business der Steuerhinterziehung und dann die ganzen kleinen Millionäre wie Schwarzer. Was unterscheidet uns genau von den Zuständen in Russland und Griechenland? Von den Oligarchen, die ihren Reichtum nicht teilen wollen? Gut, Hoeneß ist kein Reeder. Aber sonst so? Nennen wir unsere Oligarchen nicht einfach Würstelfabrikanten? Und die Flotte unserer Reeder gebrauchen wir im Adjektiv: Flotte Beine von Fußballern, deren Präsident man ist.

Die Türkei kommt wöchentlich aufs Programm. Die Polizei schlägt dort die Bürger. Und dann sind die Journalisten wie tollwütig, bringen stündlich einen Lagebericht und sind fassungslos. Ich sage nur Stuttgart oder Frankfurt. Und was war mit all diesen kleinen Polizeieinsätzen im deutschen Hinterland, bei denen Festgenommene misshandelt wurden? Nicht selten wurde das von Handy-Kameras festgehalten. Und all die rassistischen Ausbrüche von Polizei und anderen Uniformierten, wie beispielsweise den Bahn-Kontrolletis. Setz dich mal als Schwarzer in einen Zug - oder versuch von Berlin nach München zu fliegen. Da lernt man was Objektivität heißt: Schwarzfahrer und Schwarzer Passagier und Schwarzhäutige sind da dasselbe. Die Rasterfahndung mag juristisch gekippt worden sein - aber das Raster im Kopf der Ordnungshüter ist fest installiert.

Nein, damit soll gar nichts relativiert werden. Gewalt in der Türkei oder Unterdrückung in Russland sind Missstände. Aber dasselbe in Deutschland ist auch ein Missstand. Ich habe es satt, dass man ständig den Dreck aus dem Ausland kritisiert und verbessert sehen will, aber den Dreck vor der eigenen Haustüre und unter dem eigenen Sofa nicht wahrnimmt. Und die Affäre um Friedrich hätte jedenfalls auch locker in der Türkei passieren können.

Was ist diese Gesellschaft doch betriebsblind geworden. Dauernd sind die Medien so damit beschäftigt, all die "Gesellschaften in demokratischen Kinderschuhen", die um uns herum sind, zu erziehen, sodass sie ganz vergessen, dass auch dieses Land seine viel zu großen Füße immer noch (oder wieder) in Kinderschuhe zwängt. Manchmal denke ich, wir sind wie all die Gastronomen, denen die Gäste ausbleiben und die dann bei Rach oder Rosin durchklingeln - oder bei einem "seriösen Unternehmensberater". Die kommen dann in den Laden und sehen plötzlich Dinge, die der Kerl, der jeden Tag in seinem Betrieb verbracht hat, schon als ganz normal angesehen oder einfach nicht mehr gesehen hat. Aber verschlissene Polster im Gastraum sind halt eben nicht normal. Und Schlieren auf den Tellern auch nicht. Wenn er aber zur Konkurrenz geht, die auch eine verschlissene Sitzgarnitur den Gästen anbietet, dann widert ihn das an. Und von dreckigen Tellern isst er nicht.

Dass die Medien ihre Narrative auffächern ist ja nachvollziehbar. Irgendwer muss doch für gute Laune sorgen. "Die beste Regierung seit der Wiedervereinigung" hat ein Recht darauf, in einem glücklichem Land regieren zu dürfen. Aber dass mir ständig normale Leute begegnen, die den Unsinn auch noch glauben, die von russischen Verhältnissen in Russland sprechen oder von griechischen Zuständen in Griechenland, das ist schon sonderbar. Gut, auch sie sind jeden Tag in diesem gigantischen Betrieb namens Deutschland AG anzutreffen, laufen daher Gefahr, bestimmte Verschleißerscheinungen nicht zu sehen. Und die Unternehmensberater, die man sich engagiert, um einen objektiven Blick auf die ganze Angelegenheit zu werfen, sind ja selbst betriebsblind. Nicht wahr, McKinsey? Aber manchmal ist es doch so offenbar, dass auch wir gravierende Probleme mit der demokratischen Befindlichkeit haben.

Was hilft bei Betriebsblindheit? Vielleicht ein längerer Urlaub. Aber wohin mit all den Leuten, die dem Trott entfliehen wollen? Und am Ende landen sie in einem maroden Hotel auf Mallorca, in dem die Sanitäranlagen quietschen und kein richtiger Wasserdruck entsteht. Dann denken sie an ihren rostigen Wasserhahn daheim, der Wasser mit dezentem Eisengeschmack ausspuckt und finden, dass sie es mit Deutschland doch ganz gut getroffen haben. Die Corporate Identity funktioniert halt auch im Urlaub. Sie ist auch nur ein anderes Wort für Betriebsblindheit.


3 Kommentare:

Braman 21. Februar 2014 um 15:17  

Gut, halte den Heuchlern den Spiegel vor.
Was die Korruption anbetrifft, da gibt es doch Unterschiede.
Sicher ist die Korruption in der 'Oberschicht' in ALLEN Ländern üblich. Davon merkt aber der kleine Mann direkt nichts.
Wenn allerdings die Korruption den kleinen Mann erreicht, das heißt, um einen Reisepass / Führerschein / TÜV-Stempel usw zu erhalten muss erst mal eine Krötenwanderung statt finden, das ist sehr lästig. Wogegen die Oberschichtkorruption ein gegenseitiges verschaffen von Vorteilen auf Kosten der Allgemeinheit ist.
Es ist wie mit der Klein- und Großkriminalität. Die Kleinkriminalität ist lästig und gefährlich weil man direkt betroffen ist, die Großkriminalität hingegen ist unsichtbar, wird nur indirekt wahrgenommen.
MfG: M:B.

Sledgehammer 21. Februar 2014 um 20:27  

Anno 2005 trat die UN-Konvention gegen Korruption in Kraft.
Dieser völkerrechtliche Vertrag verpflichtet die Unterzeichner Präventivmaßnahmen zu treffen, sowie verschiedene Ausprägungen/Erscheinungsformen der Korruption unter Strafe zu stellen.
Deutschland hat sich, soweit mir geläufig, der Ratifizierung bisher verweigert.
Honi soit qui mal y pense!

Anonym 23. Februar 2014 um 09:57  

irgendwann wurden aus Seilschaften Netzwerke

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