So dumm wie wir war keiner vor uns

Samstag, 18. Januar 2014

Das große Glück des Berufsanfängerjahrgangs 1993 war es, dass McKinsey noch keine Studien über die Zufriedenheit der Arbeitgeber mit den Lehrlingen abgehalten hat. Sonst hätte alle Welt erfahren, wie unzufrieden unsere Lehrherrn und Arbeitgeber mit uns waren.

Warum ist eine solche Studie eigentlich erwähnenswert? Waren nicht immer alle Alten mit den Jungen unzufrieden, seitdem der Mensch überhaupt denken kann? Die ollen Griechen jammerten ob der Jugend, die nachkam. Sie glaubten, ihre Kinder und Enkel würden alles in den Sand setzen. Heute heilen wir Krebs. Manchmal jedenfalls. So viel zum Thema "in den Sand setzen".

Als ich meine Lehre zum Schlosser begann, jammerten unsere Ausbilder viel über uns. Was die damals alles von der Schule schon wussten, als sie in den Beruf gingen - und wie wenig wir. Früher haben wir ohne elektronische Hilfe Wurzel gezogen und ihr habt das kaum mit dem Taschenrechner drauf, klagten sie. Hat uns wenig beeindruckt. Dazu schimpften sie uns natürlich faul und unmotiviert. Die gleichen Worte gebrauchen jene Arbeitgeber, die McKinsey so freimütig Antwort gaben, heute auch. So offen sind sie nur, damit sie der Schlussfolgerung der Studie Hand und Fuß verleihen. Nämlich: Schulen sollten weniger bilden, dafür schon mal damit anfangen, etwas auszubilden. Unternehmen an die Schulen und so. Man kennt das.

Unsere Ausbilder damals waren sich einig: Wir sind der faulste und undisziplinierteste Haufen, den sie je vor sich hatten. Ich war diese Aussage gewohnt. Meine gesamte Schulkarriere baute auf diesen Satz. Jeder Lehrer seit der Hauptschule sagte uns: Noch nie hatte ich so eine freche und schwierige und dazu dumme Klasse. Als ich meinen letzten Klassenlehrer Jahre nach der Schule beim Einkaufen traf, klagte er über die Dummheit seiner aktuellen Klasse. Man müsse die Schulabschlüsse vereinfachen, damit sie überhaupt eine Chance haben, einen zu erhalten. Tja, dasselbe, nämlich dass wir blöder sind als alle zuvor, hast du uns damals schon vorgeworfen, antwortete ich ihm. Ach, ihr seid dagegen ja gar nichts gewesen, knirschte er mit den Zähnen. Da waren wir plötzlich rehabilitiert. Mitten in einem Supermarkt und Jahre nach der Schullaufbahn.

Klar, unsere Ausbilder lagen, wenigstens, was die Motivation betraf, gar nicht so falsch. Einer, der mit mir lernte, zog sich gerne mal während der Arbeitszeit in eine Gitterbox zurück, um dort zu pennen. Der andere erschien einfach nicht in seiner Versetzungsabteilung. Fast alle schliefen Montag noch ihren Suff aus. Und alle arbeiteten wir schön gemächlich. Warum diese Eile? Ich verzog mich regelmäßig mit einem Buch ins Klo. War spannender als der ganze Metallscheiß. So sind junge Leute halt. Immer gewesen. Werden sie immer sein. Ich finde das charmant so. Gefällt mir gut. Ernst wird es nachher noch früh genug.

Am Ende haben wir alle unsere Lehre bestanden und irgendwelche Jobs bekommen - danach schlechter bezahlte Jobs - und wieder danach waren einige arbeitslos. Spätestens da hat uns zu unserem Abschluss keiner mehr gratuliert.

Wenn die Arbeitgeber jetzt so tun, als sei die Misere am Arbeitsmarkt eine Sache dämlicher Jugendlicher, dann erwidere ich: Bullshit! Nee, daran liegt es nicht. Was hat unserem Jahrgang 1993 die abgeschlossene Lehre gebracht? Am Ende lebten die meisten von uns trotzdem in Unrast, Unsicherheit und prekären Verhältnissen. Das ist aber eine andere Angelegenheit, so weit will ich heute gar nicht gehen.

Arbeitnehmer unzufrieden mit Berufsanfängern! ist doch keine Schlagzeile. Das war nie anders. Der übliche Generationenpessimismus, der jetzt natürlich ein nettes Werkzeug namens Beratungsunternehmen bekommen hat, das Studien nur so kackt. Eine Schlagzeile, die ähnlich Neues birgt wäre Wir kommen nie mehr so jung zusammen! oder Heute beginnt der Rest des Lebens! Wissen wir ja alle. Ist nicht der Rede wert. So wie man nicht extra sagen muss, dass McKinsey ein Verein von Drecksäcken ist. Weiß ja auch jeder. Deswegen liest man es so selten in der Zeitung.


13 Kommentare:

BRAMAN 18. Januar 2014 um 13:35  

Fakt ist, das die meisten Arbeitgeber und auch viele mit den Azubis befassten Ausbilder ihre eigenen Eingangstests nicht bestehen würden.
Ich habe mal vor ein paar Jahren diese Theorietests gemacht (unser E-Meister hat die mir auf Anfrage besorgt. Ich habe zwar bestanden, fand sie (Industriemechaniker und - Elektriker) aber ganz schön happig. Sicher bin ich mir, das unser Oberchef nicht bestehen würde, dar hat schon Probleme mit einfacher Prozentrechnung.

MfG: M.B.

Ute Plass 18. Januar 2014 um 14:31  


"So wie man nicht extra sagen muss, dass McKinsey ein Verein von Drecksäcken ist."
Für den Hiob v. Heppenheim eine weitere Hiobs-Botschaft:
Der Vatikan holt McKinsey zu Hilfe um die Kommunikation >>effizienter und moderner<< gestalten zu helfen.

ad sinistram 18. Januar 2014 um 14:51  

Nee, mich erschüttert nichts. Wo hastn das gelesen?

Paul Herzog 18. Januar 2014 um 17:43  

Hier gibt's die Info
http://www.domradio.de/themen/vatikan/2013-12-19/mckinsey-soll-kommunikation-des-vatikan-moderner-machen
Und hier auch noch mal
http://www.zeit.de/2014/01/kirche-mckinsey-vatikan-pro-contra

Daneben lässt der Vatikan seine Buchhaltung von KPMG prüfen ... genau die KPMG, die ab 2005 immer mal wieder in Betrugs- und Bilanzfälschungsskandale verwickelt ist ;-)

Hartmut B. 18. Januar 2014 um 17:43  

ein sehr interessanter Artikel....

als ich in den 60ern wegen eines Lehrers einen Schulwechsel vornehmen mußte...... der Hauptgrund lag darin, wir mußten, wenn er den Klassenraum betrat, alle auf- und strammstehen - ich weigerte mich und blieb sitzen....... fand ich die Schule, wie vom 1. Schultag an zum kotzen....

nach knapp 20 J. traf ich diesen Lehrer in einer Sauna wieder... wie dort üblich kamen wir über vergangenes Leben ins Gespräch......
als wir auf die ehemalige Schule zu sprechen kamen, sagte genau dieser Lehrer, der inzwischen pensioniert war, aus diesem Gymn. ist seit deiner Zeit eine Verbrecherschule geworden........

es war ein wenig Genugtuung für mich, denn dazu wollte ich mich nicht zählen......

Ute Plass 18. Januar 2014 um 19:20  

Gelesen in:
Publik Forum - (kritisch-christlich-unabhängig)
Ausgabe Nr. 1 /
17.Jan.2014

Anonym 18. Januar 2014 um 22:52  

Danke, dass dieses Thema hier auch mal artikuliert wurde. Denke ich mir schon seit Jahren.
Eine vielfach bewährte Strategie: Von strukturellen/systematischen Ursachen in der Gesellschaft (mangelnde Arbeitsplätze) wird abgelenkt, indem die Verantwortung auf den einzelnen (vermeintlich unzureichende Qualifikation) verschoben wird. Das Problem wird individualisiert.

Sledgehammer 19. Januar 2014 um 09:54  

Die Charmanz, die Du juveniler Ausbildungs- und Arbeitsmoral zugestehst, verflüchtigt sich in dieser Arbeitswelt zusehens.
Sie scheint ihr nolens volens durch die, sich permanent zu allem und jedem vomierenden McKinseys dieser Tage sukzessive abhanden zu kommen.

Apropos: Gibt es eine Formel, die "Dummheit" a prima aetate zweifelsfrei definiert?

klaus baum 19. Januar 2014 um 11:27  

McKinsey rekrutiert mit Vorliebe Hochbegabte, Examinierte, die ihr Stipendium von der Studienstiftung des deutschen Volkes erhalten haben.
So solltest du ergänzen: McKinsey ist ein Verein von hochbegabten Drecksäcken. Und die haben mit den faulen Säcken eines gemeinsam: Den Mangel an Anstrengung, an Mühsal, an Schweiß und "Muskelkraft", die alle vonnöten sind, um Hindernisse zu überwinden.

Anonym 19. Januar 2014 um 13:16  

Nun, dass Ganze ist wie roberto ja auch schrieb nicht neu und wird scih auch nciht ändern. Hintergrund ist schlicht das Geld. an möchte gern die Ausbildung und die Arbeitsplätze quer subventioniert haben, ähnlich wie es der Staat zu Lasten aller bei der Pin AG und anderen macht. Zusätzlich kann man so auf einfache Weise Löhne drücken, denn Dämlichkeit muss man nicht beweisen.

Anonym 19. Januar 2014 um 21:09  

@Roberto J. De Lapuente

Jetzt mal Butter bei die Fische, denken sie nicht manchmal genau so über die Jugend von heute?

Ich habe mich bei ihrem Artikel schon ein bisschen erwischt gefühlt.
Wenn ich mir unserer Azubis so ansehe, ich arbeite in einer Tischlerei, dann denke ich auch häufig: Oh Mann, diese Jugend von heute!
Und ich bin erst 31!
Ich weiß, ich war genau so und auch ich habe mir diese Sprüche von den Älteren anhören müssen. Dennoch erwische ich mich immer häufiger dabei, wie ich jetzt genau die selben Sprüche von mir gebe.
Muss wohl ein Beweis dafür sein, dass ich alt werde.

Anonym 20. Januar 2014 um 00:35  

Naja, gerade weil die Industrie lieber schnell verwertbare Fachidioten hat, die in einem bestimmten Bereich "wettbewerbsfähig" sind, drückt sie ja auf schnellere Bildungsabschlüsse auf Kosten der Breite der Bildung.
Mein Vater hat 35 Jahre lang die Ergebnisse von Prüflingen in einem Grundlagenfach, das sich in dieser Zeit nicht groß geändert hat, dokumentiert, und es ging tatsächlich ab den '90ern stark bergab parallel zu den Reformen für beschleunigte Abschlüsse.
Gleichzeitig haben meine Eltern in den '80ern immer gesagt, dass ich viel mehr in der Schule lernen musste als sie. Da hieß es dann z.B. in den naturwissenschaftlichern Fächern immer "so weit im Stoff sind wir nie gekommen".
Bei meiner Schwester an derselben Schule ein Jahrzehnt später, in den '90ern, konnte man dann allerdings vergleichen, dass die Entwicklung wieder rückläufig war, also der Stoff zusammengestrichen wurde.
Und das parallel dann auch an der Uni...
Doch, ich halte Fortschrittsoptimismus für unangebracht.

hubi 21. Januar 2014 um 10:05  

ah. klar zuwenig ausbildungsplätze, da braucht man gleich einen schuldigen, und der ist in unserem system fast immer der schwächere.

jugendliche, pensionisten, kranke, arbeitslose, rumänen, asylanten, gamer, süchtige, dicke ...

diese tägliche scheinmoral mit der sie eigentlich nur hass und zwietracht in die herzen verpflanzen kotzt mich derart an.

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