Schönes Ambiente hier und nettes Personal

Montag, 21. Oktober 2013

Die Verschleppung strengerer Abgasnormen ist zwar relativ betrachtet nur eine Kleinigkeit, aber ...

Die Geschichte aller neoliberalen Gesellschaft ist die Geschichte von Lobbyverbänden. Rüstungswirtschaft und Verteidigungsminister, Automobilkonzern und Verkehrministerium, Energiemulti und Umweltminister, Leiharbeitverbände und Wirtschaftsministerium, kurz, Lobby und die Regierung Merkel stehen im stetem Zusammenspiel zueinander, führen einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kuschelkurs, einen Kuschelkurs, der jedesmal mit einer saftigen Parteispende endet oder mit der Aufhebung objektiv richtiger Zielsetzungen.

Das liest sich nur zufälligerweise wie das erste Kapitel eines berühmten Marx-Textes. Man muss die Geschichte von Regierungen, die im postdemokratischen Status des Primats der Wirtschaft und ihrer Interessensverbände angelangt sind, zeitgemäß erfassen. Marx konnte das in seinem Manifest noch nicht tun. Von Lobbyisten hatte er noch keine Ahnung. Die Berliner Republik war ihm unbekannt. Dass es Einflussnahme gab - ja sicher, das wusste er. Dass sich die "herrschenden materiellen Verhältnisse" und die "herrschenden Gedanken" bedingen, wurde ihm schon damals deutlich. Und dass sich die Klasse der Kapitalisten anschickte, die politische Macht zu unterwerfen, war seinerzeit schon mehr als nur eine unklare Perspektive. Aber in diesem großen Stil konnte man das kaum erwarten. Von dieser PR-Maschinerie konnte er ja nicht mal ansatzweise alpträumen. Wie lächerlich wirken doch im Rückblick die Herren Zensoren, die ihm und seinen Zeitgenossen Zeilen schwärzten.

Aktuell also die Automobil-Lobby, die der Umweltkanzlerin einflüsterte, die Emissionswerte nicht ohne Not nach unten zu schrauben. Wegen der Arbeitsplätze. Was für Herzchen diese Interessensvertreter doch sind. Flüstern, mauscheln, schwatzen auf, soufflieren und suggerieren nur, weil ihnen das Wohl der Leute am Fließband am Herzen liegt. Wettbewerbsfähig bleiben für Lohn und Brot. Nicht für Gewinne. Nur böse Zungen behaupten, es gehe ihnen lediglich um ein billiges Weiter so! statt eines kostenintensiven Wandels. Im Wettbewerb, das wissen die Lobbyisten ganz genau, kann man nur bestehen, wenn man bereit ist, die Umwelt weiter stärker zu belasten. Jeder Erfolg hat eben seinen Preis. Und man muss ja wohl auch vernünftig sein. Als Arbeitsloser die Früchte des Umweltschutzes genießen ist doch auch keine Lösung.

Wahrscheinlich ist die Bereitschaft der Regierung, noch weitere vier Jahre mit höheren Emissionswerten zu tolerieren, nur eine Kleinigkeit im Vergleich zu anderen Mauscheleien mit der Wirtschaft. Auf weitere vier Jahre erhöhten Kohlenstoffdioxids kommt es ja nun auch nicht mehr an. In dieser Zeitspanne geht die Welt auch nicht gleich unter. Sie hält schon so viele Jahre so viel mehr aus. Allerdings besitzt die Bereitschaft dieser Regierung, auf die Souffleure von BMW, Mercedes und Audi zu hören, einen hohen Gehalt an Symbolcharakter. Regiert man eigentlich, wenn man denen nachplappert? Oder reagiert man nur noch? Kennt das politische Personal noch etwas, was sich mal Primat der Politik schimpfte? Heute machen vor allem Primaten Politik.

Wie gesagt, im Vergleich zu Jahrhundertreformen wie dem Arbeitslosengeld II oder der Riester-Rente (auch so Produkte der Flüsterpost im Dunstfeld der politischen Institutionen) ist die Verschleppung der CO2-Grenzwerte fast nur Beiwerk. Wenn sie denn nicht in Ewigkeit verschleppt werden, versteht sich. Das ist die andere Gefahr: Dass man nämlich solche Vorhaben nicht nur aussetzt, sondern vergisst. Aber augenblicklich zeigt diese Tatsache nur mal wieder, wer das Land im Griff hat: Denkfabriken, die im Auftrag diverser Industrien Einfluß nehmen. All diese in Anzug gehüllten Litfaßsäulen, die wie Nattern am Busen der politischen Ohnmacht zischeln und Ängste schüren und Gewinnaussichten präsentieren.

Das demokratische Zeitalter, so sagt uns diese umweltbelastende Randnotiz, ist endgültig vorbei. Sie ist ein Indiz für die postdemokratische Epoche, in der wir seit Jahren leben. Ja, man braucht diese partikularinteressierte Parteinahme nicht mal mehr in der Stabilität einer Koalition zu verstecken. Selbst ohne Mehrheit traut sich diese Regierung ungeniert als parlamentarischer Flügel des Lobbyismus aufzutreten. Früher versteckte man Instruktionen noch. Man ahnte, dass sie nicht richtig sind. Die Regierungen, denen Merkel vorsaß, haben allerdings nie einen Hehl aus ihrer Wirtschaftsnähe gemacht. Sie haben diese Nähe sogar als etwas verkauft, wovon die Bürger profitierten.

Die Geschichte der Berliner Republik ist die Geschichte einer mehr und mehr an die Lobbyverbände heranrückenden Politik. Und folglich ist Politik nur noch die Reaktion des Lobbying, sozusagen die Kellnerin, die die Vorgaben der Wirtschaft kredenzt. Und ein Trinkgeld für diesen guten Service erhält. Passt so, der Rest ist für Sie. Bis bald. Schönes Ambiente hier und nettes Personal.

Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass wir derzeit nicht regiert würden, dass im Sondierungszeitraum niemand die Regentschaft innehätte. Die Lobby aber regiert stets. Sie wird nicht abgewählt und braucht keine Sondierung. Sie ist immer zur Stelle, um Arbeitsplätze zu erhalten und den Wettbewerb zu erhalten. Sie ist der Ausdruck eines Projektes, das Merkel die "marktkonforme Demokratie" nannte. Ein solches Konzept beinhaltet die Machtausübung durch Leute, die nicht legitimiert sind, die aber fest verwurzelt in der Logik des Marktes stehen: Durch Lobbyisten. Ohne sie, ist eine solche "Demokratie" nicht ausführbar.


4 Kommentare:

Peter Petereit 21. Oktober 2013 um 08:48  

Diejenigen, welche die "Lobby" finanzieren, stellen sich keiner Wahl. Wozu auch. Sie haben diese "Parlamentarier" längst im Sack und zu Lobbyisten gemacht. Da tobt dann der "Wettbewerb" - zwischen Lobbyisten. Übrigens befällt mich beim Anblick von Maßanzugträgern immer Mißtrauen. Vielleicht besitze ich deshalb seit mehr als zwanzig Jahren keinen Anzug mehr...

Sledgehammer 21. Oktober 2013 um 12:25  

Diese Petitesse zeigt einmal mehr exemplarisch eine Gesellschaft auf "Speed" und Entertainment, in der Entschleunigung und Eigenverantwortung unerwünscht sind.

Der Schadstoffausstoss ließe sich, mit geringem technischem Aufwand, allein durch Geschwindigkeitsabreglung realisieren.
Die Lobbyisten rennen, nicht nur was Abgasnormen angeht, offene Türen ein, da sich die Politik bisweilen, wenn auch nur populistisch, im Konsens mit dem ominösen, medienverseuchten Verbraucher, und weitaus häufiger mit dem omnipotenten Markt versteht.
Manchmal,in seltenen ehrlichen und lichten Momenten der Politiker wird jedem unübersehbar deutlich, dass diese sich und ihre Richtlinien- bzw. Gestaltungskompetenz illusionslos zu Marktpreisen verkauft bzw. abgetreten haben.

Dass die Initiatoren und Profiteure dieser Beschleunigungsideologie darüberhinaus die Majorität der Gesellschaft, durch abstruse, rauschaft bebilderte Freiheitsversprechen für beinahe alle gesellschaftsrelevanten Bereiche, permanent in Geiselhaft bzw. Abhängigkeit nehmen bzw. halten, fällt allerdings nur noch wenigen direkt auf, verbirgt sich meist schnell in einem weggedrückten Gefühl.

Anonym 21. Oktober 2013 um 16:58  

Ob Lobbyisten oder Der Bund der Steuerzahler, alle "völlig" interessenlos und immer an der Allgemeinheit interessiert!

http://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_161.pdf



maguscarolus 21. Oktober 2013 um 17:17  

In einer kapitalistischen Gesellschaft hat alles seinen Preis, und jede Schandtat ist für Geld zu haben.

Wo die Kapitaleigner und ihre Darmflora, die Betriebswirte, das letzte Wort haben, werden alle anderen Stimmen mit der Zeit unhörbar oder werden wahr genommen wie das Gezwitscher und Gequieke von Hofnarren. Das gilt auch für die Stimme der Vernunft und die Stimme der Menschlichkeit.

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