Werben ohne Verben

Montag, 2. September 2013

Inhaltslosigkeit.
Derzeit muss man mit Einwortsätzen vorlieb nehmen. Überall springen sie einen an. An jedem Masten ein Gesicht mit solchen "Sätzen" darunter. Gerechtigkeit. Respekt. Toleranz. Vielfalt. Arbeitsplätze. Chancen. Bildung. Wirtschaft. Mehr selten. Verben kommen so gut wie gar nicht vor. Das ist nur konsequent. Denn das bedeutete ja, der etwaige Kandidat stellte in Aussicht etwas zu tun. Aber gerade das soll doch vermieden werden. Es läuft doch gerade so gut in der marktkonformen Demokratie. Soll doch der Markt etwas tun. Nicht die, die Posten einnehmen wollen. Die haben genug mit sich, ihrem Image und ihrer Karriere zu tun. Inhaltliche Positionen gibt es jedenfalls dort, wo man mit einem Wort alles sagen will, keine mehr.

Naiv könnte man meinen, dass man im Wahlkampf viele Verben benötigte, weil das eine Zeit sei, in der viel in Aussicht gestellt wird, was anzupacken, was zu tun sei. Mit Hauptwörtern alleine kommt man nicht aus, wenn doch Taten sprechen sollten. Sie lassen keinen Handlungsspielraum, stehen nur als isolierter Klotz im Raum. Nicht mal im Satzbau. Den gibt es ja nicht.

Arbeitsplätze. als Einwortsatz drückt lediglich aus: Arbeitsplätze. Und was ist damit zu tun? Ja, was soll gemeint sein? Der Arbeitsplatz in einer Waffenfabrik etwa? Oder der unterbezahlte Job bei McDonalds? Plätze für Akademiker? Und falls ja, was ist mit ihnen? Sind sie gut oder schlecht, will man sie verbessern oder "liberalisieren"? Was gedenkt der, der sein Gesicht neben Arbeitsplätze. abgedruckt hat damit zu tun? Er unterschlägt seinen Tatendrang bezüglich irgendwelcher Arbeitsplätze einfach. Er ruft etwas in den Raum, ohne etwas in Aussicht zu stellen.

Wenn die hessischen Christdemokraten mit Solide Finanzen. werben, dann haben sie zwar sogar zwei Worte bemüht, das Verb haben sie dennoch vergessen. Meinen sie jene soliden Finanzen ihrer Partei, die sie in schwarzen Koffern verwalten? Oder sind es die soliden Finanzen, die sie in Bund und Land den Kommunen auferlegen? Die soliden Finanzen, die sich Hartz IV-Empfängern in den Geldbeutel stecken?

Das Verb scheint auf Wahlplakaten in jeder Hinsicht entbehrlich zu sein. Für Sie aktiv. ist ferner vielerorts zu lesen. Da erzählt jemand von seiner Aktivität, ohne auch nur ein Wörtchen auf das, was er tut, zu verschwenden. Dass er aktiv ist, ersetzt die Tätigkeit. Das Adjektiv suggeriert, dass da jemand über das, was er tun möchte, spricht, ohne tatsächlich davon gesprochen zu haben.

Das als Satz isolierte Substantiv ist die Attrappe eines Versprechens ohne Tatendrang. Man verschlagwortet Themenfelder und erzeugt die Auffassung, jetzt, da man das Thema benannt hat, würde auch etwas geschehen, würde etwas getan. Aber Verben wie verbessern, ausbauen, erhöhen, erweitern oder einschränken kommen nur in Ausnahmen zur Sprache. Die Plakate derer, die sich einen politischen Posten angeln wollen, sind so abgebrüht, dass sie sich gar nicht erst in die Bredouille bringen lassen, von Taten zu berichten, die sie vermutlich niemals in Angriff nehmen wollen. Das Weiter so! des Systems kann sich nicht am unkontrollierten Tatendrang aufhalten.


9 Kommentare:

ninjaturkey 2. September 2013 um 09:18  

Bei uns hängt ein lokaler SPD-Matador mit dem sibyllinischen Titel: "Gerechtigkeit und Zukunft". "Da bin ich für", möchte man im ersten Reflex ausrufen, bevor man stockt und sich fragt, WOFÜR eigentlich. Das weiß man immerhin bei der CDU, die dem unheilbar krebskranken Wolfgang Bosbach mit dem Slogan "Wir für WOBO" das Geleit geben. Das Denkrätsel der FDP lautet "Starke Mitte, starkes Land", wobei die Kenntnis der Mitte und des Landes als gegeben vorausgesetzt wird. Ditto beim Rest der Polit-Orakel.
Das einzige wirklich gut gestaltete Plakat mit einer fröhlichen Familie drauf ("Für die Zukunft im eigenen Heim") entpuppte sich bei näherer Betrachtung als Werbefläche einer Fertighaus-Firma.

Hartmut B. 2. September 2013 um 09:20  

Wieder mal ein guter Artikel, Roberto, der mir aus der Seele spricht.

Eine Sprache, die das Substantiv bevorzugt, im übrigen schon von den Griechen schon eingeführt ist eigentlich eine "tote" Sprache. - Nur das Verb macht eine Sprache lebendig. Das Substantiv hingegen wird dem Leben nicht gerecht - es ist starr.
Schon vor Jahren regte ich mich über das Wort Wahlkampf auf.
Ich halte es für pervers - entweder ich wähle oder ich kämpfe..... Einen Vergleich habe ich mit diesem Wort hinsichtlich der Trauerarbeit - entweder ich trauere oder ich arbeite.....
wie gesagt, das Substantiv ist das Grundübel in der Sprache - es präformiert zum Erstarren.

Anonym 2. September 2013 um 11:35  

Die schleswig-holsteinische FDP wirbt mit einem mittels Photoshop auf faltenfrei zurechtmanipulierten Porträt Wolfgang Kubickis und dem Slogan "Die Freiheit in Person". Um auch mal einen Ein-Wort-Satz zu bemühen: gruselig!

Sledgehammer 2. September 2013 um 13:22  

Politiker: "Immer dieses Kreuz mit den Tunwörtern"!

ulli 2. September 2013 um 13:37  

In Deutschland soll alles bleiben, wie es ist - weshalb dann also Verben, die Veränderung und Tätigkeit androhen würden? Ich denke, es liegt daran, dass die Majorität der deutschen Wohlstandsbürger - all die Menschen, die vielleicht sogar im eigenen Häuschen wohnen, jedenfalls mit halbwegs gutem Auskommen, erwachsenen Kindern, Auto, schönen Ferienreisen, ohne größere materielle Sorgen - will, dass alles bleibt, wie es ist. Man sollte sich vor Augen halten, dass die dt. Bevölkerung völlig überaltert ist (nur in Japan sind die Menschen noch älter). Und vor allem, dass sich in Deutschland der Wohlstand bei diesen älteren Leuten konzentriert. Natürlich gibt es Geringverdiener, Hartz IV, Kinderarmut und anderes: Aber man ist ja selbst nicht betroffen: Man braucht keine Zukunft mehr, Zukunft erscheint nur als Bedrohung. Alles soll bleiben, wie es ist - und A.Merkel ist die "Mutti" dieser Geisteshaltung...

Jedenfalls: Solange es in der Bevölkerung keine stärkere soziale Bewegung gibt, die eine soziale Veränderungen wünscht (und ich sehe nicht, wo eine solche Bewegung herkommen sollte), wird auch die Politik dahin dümpeln, wie sie es gerade tut.

Anonym 2. September 2013 um 14:24  

Diese Art von Werbung hat man offensichtlich von Österreich übernommen. Dieser Unsinn fiel mir chon vor Jahren auf, man sah Plakate, vorwiegend von der SPÖ, knallrot, und es stand nur zu lesen: Arbeit, oder: Wohlstand, oder: Rente, und anderes mehr, habe ich leider nicht mehr im Gedächtnis.
Ich habe mir damals gedacht, blöder gehts nimmer. Aber wie man sieht, es geht doch. Jetzt haben sich auch andere dieser Masche bedient. Daran sieht man ab besten den Niedergang der Republik.

Anonym 2. September 2013 um 18:18  

@Roberto De Lapuente

Kompliment, ein gelungener Artikel.
Das die Sprache der Politik oft ohne Inhalt daherkommt wissen sicherlich die meisten von uns. Einige dieser rhetorischen Tricks kenne ich mittlerweile, aber oft bleibt auch nur dieses diffuse Gefühl, dass man gerade mit Worten betrogen wird. So erging es mir auch immer mit dem was sie hier als Werben ohne Verben bezeichneten.
Insofern danke ich ihnen, dass sie mein diffuses Gefühl in einen konkreten Eindruck verwandelt haben.

Vor einiger Zeit machte mich ein Freund darauf aufmerksam, dass Angela Merkel immer versucht Personalpronomen zu vermeiden. Am liebsten benutzt sie das kleine Wörtchen man, das ist so schön unverbindlich. (Achtet mal drauf)
Nachdem mir das auffiel sah ich mir mal ein Interview mit Merkel an. Kein Scherz, sie kam völlig ohne das Wort ICH aus! Statt dessen fing sie an mit Sätzen wie:
„Die Bundesregierung hat schon viel getan...“
„Die Politik der christlich-liberalen Koalition hat...“
„Man kann davon ausgehen, dass...“
Wenn überhaupt benutzt sie das Wort WIR, aber das ICH scheint sie zu meiden wie der Teufel das Weihwasser.

P.S.
@Anonym 2.September 2013 11:35

Ich konnte dieses Plakat von Wolfgang Kubickis mit dem Slogan "Die Freiheit in Person" noch nie ernst nehmen. Als ich es das erste mal sah, konnte ich es nur flüchtig aus dem Auto heraus sehen und las: „Die Frechheit in Person“

Anonym 2. September 2013 um 18:23  

Verben sind nicht immer besser. Die lokale CDU-Kandidatin wirbt auf ihrem Plakat vor einer repräsentativ zusammengestellten Menschengruppe mit dem Slogan "... tut gut".
So eine Aussage hätte ich eher einem Magenbitter zugeordnet. Warum tut mir diese Kandidation gut? Fällt denen gar nichts mehr ein? Was für einen geistigen Horizont erwarten die beim Wähler? Was sagt das über den Kandidaten aus?

Ich glaub ich brauch jetzt erst mal einen Magenbitter...

Anonym 2. September 2013 um 20:22  

Das sind halt so Worte mit denen jeder irgendwas assoziiert. Wie diese Assoziation ausfällt ist dabei egal. Die eigenen Haltung zum Schlagwort und dem was man da alles in Gedanken noch dranklöppelt wird vielleicht rückprojeziert auf die Fresse an der Laterne. Davon erhofft man sich sicherlich eine Wählerstimme.

Ist aber schonmal jemandem aufgefallen, das viele Menschen wirklich in dieser Art reden?
Zwar noch nicht so krass aber ein deutlich reduzierter Satzbau begegnet mir doch häufiger.

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