Entmutigung. Aushöhlung. Entwöhnung.

Freitag, 26. Juli 2013

Schlagworte einer Kanzlerschaft.

Mehrfach hat man die Politik der Kanzlerin als eine im schlechtesten Sinne brüningsche bezeichnet. Vorallem Volkswirtschaftler kritisierten, dass sie wie weiland der Reichskanzler, die Abwärtsspirale per Spardiktum betätige. Sie stellten Brüning dem New Deal gegenüber und machten klar, dass man in der Zeit spart, nicht in der Not.

Sebastian Haffner schrieb in seiner "Geschichte eines Deutschen" einige markante Zeilen zu Brüning. Er sah ihn als Vorbereiter der Diktatur; die "effektvollsten Folterinstrumente" Hitlers habe Brüning eingeführt. Zur Sparpolitik gesellte sich so auch die "Beschränkung der Pressefreiheit und die Knebelung des Parlaments". Und das alles tat er "im tiefsten Grunde zur Verteidigung der Republik". Haffner nannte das Brüningregime eine "Semi-Diktatur im Namen der Demokratie und zur Abwehr der echten Diktatur". Er schreibt: "Wer sich der Mühe unterziehen würde, die Regierungszeit Brünings eingehend zu studieren, würde hier schon alle die Elemente vorgebildet finden, die diese Regierungsweise im Effekt fast unentrinnbar zur Vorschule dessen machen, was sie eigentlich bekämpfen soll: die Entmutigung der eigenen Anhänger; die Aushöhlung der eigenen Position; die Gewöhnung an Unfreiheit; die ideelle Wehrlosigkeit gegen die feindliche Propaganda; die Abgabe der Initiative an den Gegner; und schließlich das Versagen in dem Augenblick, wo alles sich zu einer nackten Machtfrage zuspitzte."

Entmutigung, Aushöhlung, Entwöhnung. Dazu noch verabreichte intellektuelle Wehrlosigkeit und auferlegtes Phlegma. All das wird zum "Markenzeichen einer sterbenden Demokratie", wie es neulich Albrecht Müller ganz treffend formulierte. Die Nähe zu Brünings Politik läßt sich nicht einfach nur an der Sparpolitik kenntlich machen. Zwischen der Regierung Brüning und Merkel gibt es tiefere Gemeinsamkeiten, quasi fast metaphysische Grundlagen, die sich mit der Politik des Sozialabbaus bedingen. "... und niemand regt sich auf" hieß der Artikel von Müller: Diese Überschrift ist das Leitmotiv einer entmutigenden, aushöhlenden, entwöhnenden Politik. Die Regierung Brüning bereitete demgemäß auf die Diktatur vor und zu wenige regten sich auf.

Merkel entmutigt. Ihre eigenen Anhänger so, wie den Rest der Bevölkerung - und Europa. Ihre Politik streut keine Hoffnung, keine Perspektiven. Die einzige Hoffnung, die für viele bleibt ist der Seufzer: "Hoffentlich reicht mir das Brot bis morgen!"
Merkel höhlt aus. Ihre eigenen Positionen ebenso, wie die Substanz eines freiheitlich-demokratischen Staates - und Europas. Kein sozialstaatliches oder rechtsstaatliches Ideal ist unter ihrer Ägide mehr unumstößlich. Sie unterwirft die Menschenwürde dem Sachzwang.
Merkel entwöhnt. Von der Freiheit, wie von der Idee einer solidarischen Gesellschaft - und eines Europas auf Augenhöhe. Dass heute ganz ungeniert von autoritären Phantasien gesprochen werden kann, ist auf diese "Gewöhnung zur Unfreiheit" zurückzuführen.
Merkel macht wehrlos. Sie ertränkt jeden Kritikpunkt in Phrasen ohne Aussagegehalt. Stottert einstudierte Standardsätze herunter und bindet Eliten aus allen Bereichen der Gesellschaft an sich, ermutigt sie so zur "ideellen Wehrlosigkeit" und trägt so zum Abbau von notwendiger Intelligenz bei.
Merkel lähmt. Jede Initiative gegen sie, erstickt sie mit ihren eigenen Aktionismus und der Hilfe eines Heeres an Leitmedien, die ihr nach dem Mund reden und sie zur Sonnengestalt aufbauen.

Haffner beschrieb die Zermürbung des Demokratischen, den sukzessiven Eintritt in ein Lebensgefühl, das sich so tief im Niedergang des Demokratischen eingenistet hat, dass es sich etwas anderes fast schon nicht mehr vorstellen konnte. Er beschrieb in wenigen Worten das Klima jener Brüningjahre, das auch das Klima der Merkeljahre ist. Entmutigung, Aushöhlung und Entwöhnung sind auch heute die Folgen.

Merkel entmutigt, weil sie alternativlos regiert. Merkel höhlt Solidarität aus. Merkel gewöhnt uns an die Unfreiheit, siehe: ihre verhaltene Reaktion zu Prism. Und dann ist da noch das von Haffner beschriebene "Versagen in dem Augenblick, wo alles sich zu einer nackten Machtfrage zuspitzte." Das erleben wir jetzt, in dieser Epoche sich häufender Skandale. Alles wird kleingehalten, vertuscht, beschönigt, runtergespielt. Wir sehen zu, wie diese Frau ihren nackten Machtanspruch befriedigt und scheinen schon so zermürbt zu sein, dass uns kaum noch Widerworte einfallen.

Wir haben es mit Schlagworten zu tun, die immer dann passen, wenn die Demokratie als leere Hülle betrieben wird, wenn sie blutleer abgekurbelt wird wie ein Leierkasten. Schlagworte, die die Grundlage sind zur Demokratieverdrossenheit, die die Bereitschaft anfachen, die Demokratie als eine dummen Einfall menschlicher Geschichte anzusehen. Zu Brünings Zeit schrie man schon nach dem starken Mann, der endlich Ordnung schaffe sollte - zu diesen Zeiten liest man viele antidemokratische Vorschläge, angefangen beim Entzug des Wahlrechts für Senioren, bis hin zu straffen Überwachung aller Lebensbereiche und eine Ausrichtung nach einem streng betriebswirtschaftlichen Diktat. Das Vakuum läßt sich eben auf verschiedene Weisen ausfüllen.


12 Kommentare:

Anonym 26. Juli 2013 um 08:04  

Brünings Porträt macht den Eindruck, als wäre es eine Fotomontage der letzten drei Kanzler.
Stirn von Kohl, Augenpartie von Schröder, Mundpartie von Merkel.

Haffners Text über Brüning und dein Vergleich sind hochaktuell und sehr empfehlenswert.

- Kikujiro

Anonym 26. Juli 2013 um 08:13  

Die Parallelen zu Brüning sind treffend beschrieben aber ist es wirklich nur an der Person Merkel festzumachen? Hätte diese Frau das Potenzial das alles aus ihr selbst heraus zu gestalten? Ist sie nicht vielmehr eine Marionette höherer Kreise wie den Bertelsmännern und Springers? Wenn man Sie so groß u. staatsmännisch zeichnet (wenn auch im negativen Sinne), dann heftet man die ganze Misere an diese Person und entlastet die Strippenzieher.

georg 26. Juli 2013 um 11:51  

eines der momentanen FOLTERINSTRUMENTE ist HARTZ 4
gruss georg

Anonym 26. Juli 2013 um 11:58  

ANMERKER MEINT:

Genau so ist es: Die marktkonforme Demokratie bedarf der ständigen Einübung. Wie immer haben es die Herrrschenden leichter als die Beherrschten. Die Marionetten des Kapitals brauchen nur weiter zu wurschteln, was relativ wenig Energie benötigt im Verhältnis dazu, was Opposition an Kraftaufwand benötigt. Dennoch: Es riecht zwar gewaltig nach BrüMerkel, aber die historische Zeit ist eine andere. Brüning hatte nur eine kurze und unerwünschte Demokratie zur Verfügung mit grundautoritärem Konsens. Wir leben immerhin schon 65 Jahre, na ja nicht alle 65, in anderem demokratischem Umfeld. Einem für das zu kämpfen sich lohnt, auch wenn der Mainstream uns ins Gesicht bläst.

MEINT ANMERKER

stefanbecker 26. Juli 2013 um 14:14  

kurz bevor Dein Artikel erschien stieß ich zufälligerweise auf folgendes:
Fundsachen aus den Jahren 1929/33:

01. Weg mit der Arbeitslosenversicherung
02. Senkung der Arbeitslosenhilfe
03. Verkürzung der Arbeitslosenbezugszeit
04. Offenlegung des Gesamtvermögens der Arbeitslosen
05. “Sonderopfer” der Beamten
06. Arbeitslohn auf Sozialhilfeniveau
07. Senkung der Lohnnebenkosten
08. Reform der Sozialsysteme
09. Abschaffung des Flächentarifs
10. Senkung der Einkommensteuern
11. Erhöhung der Arbeitszeit
12. In diesen Zeiten “Zähne zusammenbeissen”
13. Zwangsgebühr auf Krankenschein
14. Zuzahlung zu den Medikamenten
15. Wegnahme von Lohn zur “Ankurbelung der Wirtschaft”
16. Senkung der Bezüge im öffentlichen Dienst
17. Verelendung der Kommunen
18. Privatisierung von Staatsaufgaben
19. Parole: “weniger Staat”

All das kommt uns doch allen fürchterlich bekannt vor, und wo das enden kann ebenfalls. Es ist zum Schreien

Den Wahrheitsgehalt konnte ich leider nicht prüfen.



Quelle: u.a. “Die Spitzenverbände der Wirtschaft und das erste Kabinett Brüning” von Michael Grübler, Droste Verlag.

Rainer 26. Juli 2013 um 15:02  

Freitags am Mittag fahr ich regelmäßig eine verdammt gute Pommesbude an, so auch letzte Woche. Ich kam mit dem Eigentümer, dr hier selbst hinter der Theke steht ins Gespräch und wir kamen irgendwie uaf Lebenskosten und Löhne zu sprechen. Ich fragte ihn, ob er wisse was und wie hoch ein Mindestlohn hier sein sollte und wer ihn primär eingefordert habe. Zu dem 'Was' hatte er eine diffuse Ahnung, über die Höhe konnte er nichts sagen, aber wer ihn primär eingefordert habe, das sagte er mir im Brustton der Überzeugung: "die FDP."
Ich werde weiter zu ihm gehen - seine Soßen sind unschlagbar.

Rainer

ad sinistram 26. Juli 2013 um 15:13  

@ Kukujiro:

Eines davon trifft zu.

awmrkl 26. Juli 2013 um 19:38  

@Stefan Becker

Danke für diese aufschlußreiche Auflistung ...

Manchmal und immer öfter möcht ich das Ganze einfach kurz und klein schlagen , hähähähähä

Schorschel 26. Juli 2013 um 22:54  

Merkel ist es nicht allein. Auch Brüning war es nicht allein. Es waren damals und heute Gruppen von Leuten, die von dieser Situation extrem profitierten. Und zwar mit außerordentlich hohen Gewinnen, die sie nur in solch einer Situation einfahren können. Diese Gruppen bereichern sich auf Kosten der Masse der Gesellschaft. Die Frage ist: Wann wacht der Riese (die Masse) in D jemals auf? Wacht er überhaupt auf? Darüber wage ich keine Prognose. Der viel zitierte New Deal z.B. in den USA kam auf Druck der Bevölkerung zustande und nicht weil Roosevelt so ein guter Kerl war (was er vielleicht auch war...). In der USA der 1930er Jahre war der Riese aufgewacht. Im D der 1930er nicht. Die Folgen sind uns allen bekannt.

Hartmut B. 27. Juli 2013 um 03:19  

Einen der besten Artikel, die ich je bei Dir gelesen habe.

Leider sind mir die Brüningschen Memoiren durch meine Umzüge abhanden gekommen. Ich bin auch kein Historiker, wie mein Bruder, sodaß mir diese Zeit nur oberflächlich bekannt ist.

Haffner allerdings war mir schon Ende der 60er ein Begriff.

Die vier Aussagen über Merkel ließen mich nicht schlafen....
sie haben quasi wie eine "Bombe" in meinem Gehirn eingeschlagen........

Merkel entmutigt.......
Merkel höhlt aus.......
Merkel entwöhnt......
Merkel macht wehrlos......

jetzt werde ich versuchen noch ein wenig Ruhe zu finden......

ad sinistram 27. Juli 2013 um 07:44  

Hartmut, Du solltest die Hitze, die Dich nicht schlafen läßt, nicht mit Merkel verwechseln ;) An der Hitze ist diese Frau mal ausnahmsweise nicht schuld.

salva venia 2. August 2013 um 03:18  

Danke für Ihren lesenswerten Artikel.

Grundsätzlich sollte in Bezug auf Reimund Pretzel (aka Sebastian Haffner) vielleicht nicht die Frage vergessen werden, wessen Agenda er als ehemaliger WW2-Propagandist für die Britische Regierung denn nun eigentlich verfolgte.

Betreffend die Probleme der Brüning-Ära, so sind diese mehr oder weniger wohl ausschließlich in den Belastungen durch den Versailler Vertrag zu finden, was eine etwas andere Sicht auf die Dinge erlaubt wie bei Reimund Pretzel.

Was machte die Gesellschaft zu Brünings Zeiten denn aus? Ein für Deutschland verlorener Krieg. Ein zutiefst demütigender Frieden. Dazu eine Regierungsform, die nicht befriedigte. Und zuguterletzt eine Weltwirtschaftskrise, die kaum eine Familie in Ruhe ließ.

Die Deutschen waren nicht alleine auf der Welt. Nicht die Regierung Brüning und auch keine der anderen Regierungen der Weimarer Republik. Bewegungsmöglichkeiten, gerade in der Politik, sind schließlich immer nur dort vorhanden, wo Raum gegeben oder gelassen wird. Insofern mögen die Auslassungen Pretzels im reinen Ergebnis möglicherweise sogar zutreffend sein, den Auslöser dafür indes ausschließlich der Brüningschen Regierung zuschreiben zu wollen, bedeutet m.E. eine unzulässige Verkürzung der historischen Zusammenhänge. Der Historiker Professor Michael Freund hatte bereits 1964 am Beispiel des Ersten Weltkrieges in der FAZ das Verfahren angeprangert, in der Erklärung der Geschichte die jeweils anderen möglichst nicht vorkommen zu lassen und schrieb: „Jede Tat ist nur nach der Tat zu begreifen, auf die sie antwortet, jeder Staatsmann nur zu beurteilen nach seinen Gegenspielern.“ Deutschland hatte sich die damalige Situation nicht ausgesucht, und die Rahmenbedingungen wurden eben nicht von irgendeiner deutschen Regierung gestaltet, sondern waren durch die Alliierten und deren Agenden vorgegeben.

Darüber hinaus verliert Pretzel weder ein Wort über die gesellschaftlichen Ängste vor einem sich ausbreitenden Marxismus, der sich als Bolschewismus in Rußland mit unvorstellbarem Terror durchgesetzt hatte dadurch, daß er eine komplette Menschenschicht vernichtet hatte, noch spricht er über den gesellschaftlichen Istzustand, daß damals einerseits die Bürgerlichen nicht die Arbeiter zu erreichen vermochten und andererseits die Arbeiter nicht die Schicht über ihnen – was aber doch genau die Ohnmacht der Weimarer Parteien war und einen gesellschaftlichen Konsens verhinderte.

Und genausowenig wie die Regierung Brünings anno dazumal, agiert heuer die Regierung Merkel im freien Raum, als wenn es sozusagen keine andere Regierung auf der Welt gäbe. Womit ich ganz einfach behaupten möchte, daß es eben nicht möglich ist, Frau Dr. Merkel durch Frau Dr. Merkel zu erklären.

Charles Callan Tansill war Professor für Geschichte der amerikanischen Diplomatie an der Georgetown University in Washington und auf seinem Gebiet die damals bedeutendste Autorität in den Vereinigten Staaten. Aus seinem Standardwerk: „Back Door to War“ (deutsch: „Die Hintertür zum Kriege – Das Drama der internationalen Diplomatie von Versailles bis Pearl Harbour“, Düsseldorf, 1956, S. 58 ff.) sei im folgenden zitiert:

„Das einzige Mittel, den Schatten des Hitlerismus zu vertreiben, war die Stärkung der Regierung Brünings. Frankreich jedoch weigerte sich, diese einfache Tatsache zu sehen. Ja, es sprechen Zeugnisse dafür, daß gewisse französische Staatsmänner heimlich darauf ausgingen, das Kabinett Brünings zu stürzen. [...]

Jedenfalls trug die französische Regierung im Frühjahr 1932 wesentlich zu Brünings Sturz bei. Im Februar 1932 trat in Genf die Abrüstungskonferenz zusammen. Brüning legte ihr ein Programm vor. [...] Ramsay MacDonald [GB] und Außenminister Stimson [US] drückten zu dem Vorschlag Brünings ihre Zustimmung aus, Tardieu jedoch nahm seine Zuflucht zu der üblichen französischen Verzögerungstaktik.

Als Brüning mit leeren Händen nach Berlin zurückgekehrt war, berief ihn Hindenburg zu sich ins Reichspräsidium und kritisierte ihn so scharf, daß dem Kanzler nur der Rücktritt blieb.“

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