Reaktionen einer Kanzlerin

Donnerstag, 31. Januar 2013

Mit der potenziellen rot-grünen Koalition in Niedersachsen hat sich das Kräfteverhältnis im Bundesrat verschoben. Manche Journalisten verstiegen sich daher sogar zu der Aussage, dass es für Kanzlerin Merkel schwerer würde zu regieren. Dies scheint ein weit verbreiteter Schreibfehler oder Versprecher zu sein, denn in diesem Satz fehlt ein A. Von der linken Mehrheit im Bundesrat, die nun einige Journalisten zu sehen glauben, wollen wir hier gar nicht erst sprechen.

She's in the middle of a chain reaction

Merkel regiert nicht. Sie reagiert. Ein Buchstabe vermag manchmal über Wahrheit und Hirngespinst zu scheiden. Regere meinte im engeren Sinne lenken oder leiten. Aber sie ist weder Lenkerin noch Leiterin. Sie ist die Reactio in persona, sie reagiert, wenn sie Impulse aus der Finanzwirtschaft erhält und setzt um, was in etwaigen Vorstandsbüros beschlossen und dem politischen Personal mitgeteilt wird. Dieses Europa nach neoliberalen Prinzipien ist die von ihr gezeigte Reaktion auf Instruktionen. Jede weitere Sparmaßnahme gehört zur in Kauf genommenen Kettenreaktion der vielen Order von ganz oben, von den Bankstern und Finanzkonzernen, die man gemeinhin als den Markt bezeichnet.

Die Regierung Merkel ist eine Schimäre. Sie ist die Reaktion auf eingeflüsterte und mittlerweile eingepflanzte Mantras einer Ökonomie, die sich selbst als alternativlos geriert. Merkel regiert doch nicht - sie ist die Reaktion der Märkte, der reaktive Stoff, das die 0,1 Prozent umhüllende Reagenzglas. Nennt man es Regierung, wenn das Primat der Politik mit Bankern ausdiskutiert werden muss, wenn jede ökonomische Entscheidung auf die Kompatibilität mit den Märkten geprüft wird? Regiert man, wenn man pflichtschuldig Sozialabbau betreibt, Mehrwertsteuererhöhungen plant und vorauseilend den Wettbewerbsstaat ausruft, um den finanzindustriellen Größenwahn zu besänftigen? Ist es Regierung, wenn man die Marktrisiken der Finanzkonzerne sozialisiert und deren Gewinne privatisiert? Kann man von Regieren sprechen, wenn man Einflüsterungen wie solchen, man möge die Gesellschaft durchprivatisieren, erliegt und damit die Allgemeinheit schächtet?

Wer A nicht sagt...

Zitate wie jene, Merkel würde das Regieren erschwert, zeugen von Schönfärberei, von einem Interesse daran, sie als die Richtlinienkompetenz einer Politik zu stilisieren, die verheimlichend Armut erzeugt und diese Armut hinter Hochglanzbroschüren voller Selbstlob versteckt. Die Richtlinien gibt die amtierende Kanzlerin nicht vor - die werden in der Privatwirtschaft entworfen. Als Merkel noch durchregieren konnte, war das nicht anders. Auch da reagierte sie nur durch. Sie sitzt keiner Regierung vor, sie ist Kopf einer Reagierung - einer Abreagierung großmannssüchtiger Affekte ihrer spritiual leader. Von einer Regierung zu sprechen heißt demnach, am potemkinschen Dorf nicht zu rütteln. Wer das A nicht sagt und regieren statt reagieren begrifflich nutzt, der hat die Substanz dieser postdemokratischen Republik noch nicht durchdrungen. In der gibt es kein politisches Primat mehr, sondern nur noch politische Primaten. Das verschluckte A ist die Tünche für eine demokratische Kultur, in der Entscheidungskompetenz mehr und mehr in die Privatwirtschaft delegiert wird.

Ein A - es ist bloß dieses A an dem es mangelt. Nur dieses eine A fehlt bis zur Abbildung der Realität. Ob sie gegen die linke Mehrheit im Bundesrat durchreagieren kann? Welche linke Mehrheit? An dieser Behauptung fehlt wiederum so viel mehr als nur ein A ...



12 Kommentare:

Anonym 31. Januar 2013 um 07:56  

Danke Roberto, wie Recht du hast....es ist an der Zeit, die Unfähigen ihrer Unfähigkeit zu überführen........ diese K...., wie in GR mit Hi.... zu vergleichen ist mehr als gerechtfertigt.....

flavo 31. Januar 2013 um 09:07  

Oh ich bin der Ansicht, sie regiert sehr wohl. Es hängt am Verständnis von regieren und von Politik. Ich halte es zwar irgendwie für wünschenswert, aber andererseits auch für zu einfach, ein Primat der Politik zu fordern. In aller Munde ist diese scheinbar am nächsten liegende Lösung. Nun, wir haben ein Primat der Politik. Nur dort werden ja die Regularien der Gesellschaft geltungsmächtig bestimmt. Nirgendwo sonst.
Wenn dort Regularien bestimmt werden, die für die Mehrheit zum Nachteil sind, warum soll dies am fehlenden Primat der Politik liegen? Weil die Politik angeblich das Interessensdelta aller Interessen sein sollte und darin die Marktideologie nur ein Seitenarm sein können soll und nicht der einzige Interessenszufluß? Wer weiß, ob es dies überhaupt einmal gegeben hat. Und wer weiß, ob man da nicht auf das flasche Pferd setzt.

Anonym 31. Januar 2013 um 09:29  


Wäre ja schon wenn man diese K nur in GR mit Hi vergleichen würde.Aber mittlerweile ist das in SP oder Po nicht anders.Da sind die Hi-Vergleiche noch sehr viel schlimmer als in GR:
http://www.demotix.com/news/1428419/protest-against-german-european-politics-merkel-visits-spain#media-1428387

Ex-K. Helmut Schmidt hat bereits vor 3 Jahren vor Merkel und dem Grössenwahn ihrer geistigen Väter gewarnt und darauf aufmerksam gemacht das uns dieser Grössenwahn in Europa erneut nicht gerade symphatisch macht.

maguscarolus 31. Januar 2013 um 10:22  

Seit ich die neoliberale Manipulationsindustrie (i.e. deutsche Medienvielfalt) als Solche wahrnehme vergeht kein Tag, an dem mir nicht wieder und wieder bestätigt wird, wie vollständig Sprache und Inhalt dem marktradikalen Ziel dienstbar gemacht werden.

Wer sich nicht täglich aus den verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Blogs informiert, wird zwangsweise der Gehirnlöschung der Dementoren (i.e. Qualitätsjournalisten) in den Qualitätsmedien ausgeliefert sein.

Anonym 31. Januar 2013 um 10:41  

Das ist wieder ein Text, wie er nicht wahrer sein könnte. Er müsste als Grundlage zum Einstieg in jedes BWL-Studium genutzt werden.
Man kann es praktisch unmöglich besser sagen.
Chapeau !

Anton Chigurh

Banana Joe 31. Januar 2013 um 10:45  

Nicht nur in der genannten Re(a)gierung gibt es...

"...kein politisches Primat mehr, sondern nur noch politische Primaten."

Der Satz gefällt mir besonders gut.

Mit augenzwinkernden
Grüssen
Banana Joe

Anonym 31. Januar 2013 um 10:48  

@Roberto J. de Lapuente

Du hast es sehr genau auf den Punkt gebracht - wir werden nicht regiert sondern r(ea)giert.

Merkel, und auch die anderen Politiker, sogar die Opposition - mit Ausnahme der Linkspartei (noch) - sind nichts anderes als Marionetten, die an den Fäden der 0,1 % der Superreichen hängen, die Deutschland, und den Rest der Welt ruinieren.

Es gibt aber, leider auch hier, immer noch beratungs- und lernresistente, wie ich weiter unten schrieb - in einem anderen Thread - die es einfach nicht in ihre Birne bekommen wollen.

Tja, da sind wir Deutschen wohl einig mit den Amis - Dort regiert ja wirklich, nicht erst seit George W. Bush, die Großfinanz in Ministerämtern mit, und ich bin sicher, auch dort wimmelt es von politikinterssieren beratungs- und lernresistenten, die immer noch denken, dass Obama die Weltpolitik leitet, und nicht Goldmann Sachs in New Yorks Wall Street.

Ich bleib dabei, die Regierung sitzt nicht mehr in den Ministerien, und den Kanzlerämtern dieser Welt, sondern in den Bankentürmen in Frankfurt und New York - Occupy hat dies übrigens sehr gut auf den Punkt gebracht.

Du weiß schon, die Organisation, die ein finanzfinanzierter BP namens Gauck einmal als "lächerlich" hinstellen wollte, und die in Obamas USA mit dem Terrorismusverdacht belegt werden sollte.

Occupy Frankfurt bzw. Occupy Wallstreet eben.....

Amüsierte Grüße
Bernie

Anonym 31. Januar 2013 um 11:07  

@flavo:
Es geht hier nicht um Politik, sondern um die Politiker.
Großer Unterschied, in diesem "Teutschland" regiert nicht der im GG vorgegebene Souverän und überhaupt warum gibt es denn keine Verfassung wie das eigentlich vorgeschrieben war ?
Nein hier regieren schlichtweg "Geldsäcke" die nicht verstehen das sie durch Ihre Abzocke genau das erreichen was wir gestern "gefeiert" haben.
Aber genau das wollen sie einen einzigen "Herrscher" den sie einfacher und besser manipulieren können als die aktuellen "Herrscher" über die illegalen Parteien.
Und wenn man nun alle Gesetze nimmt die ungültig = illegal sind stellt man fest wir haben gar keine legale = gültige Regierung.
QED ...

Volker Birk 31. Januar 2013 um 11:30  

Ich finde den Vergleich Merkels mit Hitler nicht berechtigt. Vielmehr muss man sie mit Brüning vergleichen.

Nur diesmal werden in Deutschland vermutlich nicht die Nazis die Macht gewinnen, sondern “nur” in Ungarn und vielleicht in Griechenland. In Deutschland vermute ich, wird es diesmal direkt auf Feudalismus rauslaufen, allerdings unter pseudo-demokratischem Deckmäntelchen.

Aber auch der Vergleich mit Brüning hinkt, denn sogar der hat regiert.

Anonym 31. Januar 2013 um 11:39  

ANMERKER meint:
Gut gefällt mir der Begriff "politische Primaten". Wenn´s doch welche wären! Eigentlich sind es sich als Primaten gebende Politmarionetten im Auftrag der neoliberalen Ideologen und Durch - und Einpeitscher. Mir stellt sich da das Bild unserer menschlichen Vorfahren ein, leicht abgewandelt: Nichts sehen , nichts hören, nicht wahrhaftig reden, denn nicht zu reden, was teilweise besser wäre, erlauben ihnen ihre wirtschaftsmächtigen Auftraggeber nicht. Dollerweise werden sie auch noch von den Mainstreammedien in ihrem Gehabe unterstützt. Zum Glück gibt´s "ad sinistram", die "nachdenkseiten", ein paar weitere Dagegenhalter und demnächst auch den von Dieter Hildebrandt initiierten "stoersender.tv".

MEINT ANMERKER

epikur 31. Januar 2013 um 13:18  

flavo spricht einen wichtigen Punkt an, wie ich finde. Regierungen waren immer Sprachrohr der Mächtigen und Reichen, unabhängig davon was in den Geschichtsbüchern nachher über sie geschrieben wurde oder was sie heute, dank PR-Propaganda, von sich behaupten.

Wie sagte Horst Seehofer einmal:

"Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt wurden, haben nichts zu entscheiden."

Wirkliche Veränderungen können nur aus der Zivilgesellschaft heraus kommen. Vergesst den Blick auf die Politik, schaut mehr auf die Menschen!

Anonym 31. Januar 2013 um 17:45  


@Volker Birk

Wenn sie nicht wissen was in anderen Ländern passiert sollten sie nicht vorschnelle Urteile fällen.

Wie die Realität in Ungarn aussieht weiss Ich nicht.In Griechenland ist die Bevölkerung zu 90% für einen Verbot der Ultra-Rechten,in Deutschland sind es gerade mal die Hälfte der Bevölkerung laut Umfragen.Es gibt kaum ein Land in der die "Linke" so stark ist wie in Griechenland.Selbst die Konservative Partei Nea Dimokratia ist `weiter links` als die heutige SPD.

Wenn aber in Südeuropa die Menschen nicht mehr gewillt sind zu den Wahlen zu gehen um korrupte Politiker zu wählen kommt so eine Ultra-Rechte Partei schnell auf 7%-10% wenn die Wahlbeteiligung wie zuletzt sehr niedrig sind.

Weil Ich die Verhältnisse in Griechenland gut kenne kann Ich ihnen sagen das dort folgendes passiert:

Es gab schon lange eine Partei namens LAOS die alle Ultra-Rechten in den Jahren 1995-2010 unter eine Decke brachte.Bei Wahlen in dieser Periode kam diese Partei auf bis zu 5-7% bei einer Wahlbeteiligung jenseits der 80%.Dort waren eigentlich alle "rechten Kräfte" des Landes versammelt:Monarchisten,Anhänger der Militärdiktatur von 1967-1974,Nazis usw.

Nun existiert diese Partei namens LAOS nicht mehr (unter 1% bei der letzten Wahl) und hat fast alle ihre Wähler an die Ultra-Rechte Chrisi-Avgi verloren die bei einer Wahlbeteiligung von knapp 55% auf 7% kam.Es gibt also kein Erstarken der Ultra-Rechten in Griechenland sondern eine Radikalisierung.

Wie unsere Medien daraus eine "Nazi-Machtübernahme" fabrizieren ist widerlich aber passt natürlich in die Anti-Griechenland-Kampagne wie wir sie seit Jahren erleben.Auch der dauernde Weimarer-Republik-Vergleich ist so was von idiotisch das man als Jemand der die Lage vor Ort kennt nur lachen kann.Wie die Griechen trotz eigener Krise auf die Flut verzweifelter Menschen reagieren die über die Ägäis in Ihr Land kommen ist meiner Ansicht nach bewundernswert.Mittlerweile leben dort über eine Millionen Flüchtlinge die in den letzten paar Jahren angekommen sind(Pakistaner,Afghanen,Ägypter,Syrer),dazu noch eine halbe Millionen Albaner die aber bereits seit vielen Jahren dort leben.Stellen sie sie mal vor das es in Deutschland 8 Millionen "illegaler Flüchtlinge" gäbe die mit Nahrung und einem Ort zum Schlafen versorgt werden müssen während das Land unter heftigsten Sparmassnahmen gerade im sozialen Bereich leidet.Wie hoch wäre hier der Prozentsatz der NPD?Im Gegensatz dazu hat die Syriza-Partei die Familienzusammenführung von Flüchtlingen im Programm.Und diese Partei ist mittlerweile die stärkste Partei im Lande.

Es ist nicht Griechenland wo Nazi-Schergen Ausländer erschiessen während der Geheimdienst diese Taten so lange wie möglich nicht nur unterstützt sondern auch noch mithilft zu vertuschen.

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