Das deutsche Wesen soll die Welt einlesen

Montag, 3. Dezember 2012

oder: deutsche Tugend soll Exportschlager werden.

Letzte Woche las man gehörig viele Gründe, weshalb Vettel die Formel 1 abermals gewann. Meinte man vielleicht in seiner Unwissenheit, er habe einfach nur die beste Konstruktion gehabt - immerhin gewann sein Team auch jene Wertung -, den stärksten Motor, so wurde man im Feuilleton eines Besseren belehrt. Dreimalig weltmeistern kann man nämlich nur, wenn man schwer an deutschen Tugenden leidet. Und Vettel tut dies. Einer solcher Kommentatoren meinte endlich sogar, dass "niemals aufgeben, selbst in aussichtslos erscheinenden Situationen" etwas sehr Deutsches sei. Ich indes frage mich nun seither, ob dieses Niemals aufgeben, selbst in aussichtslos erscheinenden Situationen! nicht auch auf den angewandt werden könnte, der einst niemals aufgab in seinem Bunker, der selbst in aussichtslos erscheinender Situation den Endsieg anordnete. War der nun explizit tugendhaft?

Deutschsein ist demgemäß nicht nur etwas, das sich auf einen Ausweis mit deutschem Stempel erstreckt, sondern etwas Mystisches, etwas Qualitatives, etwas Sittliches. Beharrlich bleiben, hundertprozentiger Einsatz, Fleiß und Ziel vor Augen. Deutsche Tugenden führen zum Erfolg, sie sind das Fundament von internationalen Titeln. Fraglich ist, ob beispielsweise die spanische Jugendförderung im Fußball nicht deswegen deutsch ist, weil sie erfolgreich war. Hat Armstrong nicht auch niemals aufgegeben und mit einem Ziel vor Augen selbst in aussichtslosen Situationen gestrampelt wie irre? Ist er Deutscher? Tugenden, die man den Deutschen andichtet, sind Verhaltenskodizes von Menschen, nicht von Nationalitäten.

Nichtsdestoweniger hat die große Offensive deutscher Tugendhaftigkeit in Europa begonnen. Der eine meinte, man spricht in Europa wieder deutsche Zunge, als ob das immer irgendwie ein latentes Ziel gewesen sei. Der nächste lobt die effektive Tugendstärke von deutschen Beamten, die personalabbauend leisten könnten, was in anderen Teilen Europas nicht mal in dreifacher Besetzung gelingen würde. Und gewinnt jemand etwas Internationales, so sind es nicht seine persönlichen (oder die ihm zur Verfügung stehenden technischen) Attribute gewesen, die ihn erfolgreich sein ließen - man mystifiziert sie zu einer urdeutschen Sache, zu einem Erfolg nicht des Vettel beispielsweise, sondern zu einem Erfolg aller tugendhaften Deutschen. Vettel ist nach dieser Lesart nur der Statthalter des Formel 1-Sieges. Er nimmt die Ehrung stellvertretend für alle deutsche Tugendhaftigkeit an.

Die Welt mag am deutschen Wesen nicht genesen. Das gleich das Erdenrund gesundet, wäre pathetisch und in der heutigen rationell-redaktionellen Zeit nicht mehr angebracht. Aber die Welt könnte etwas annehmbarer werden, wenn diese Tugend in die Welt exportiert würde. In Sonntagsreden spricht man von europäischen oder abendländischen Werten und von westlichem Lebensstil - gemeint ist aber, die deutsche Tugend in diesen Sphären aufgehen zu lassen. Denn nur in der Tugend, wie sie in Deutschland traditionell ist, liegt die nächste Stufe der europäischen und vielleicht der globalen Weltgesellschaft. Das klingt alles übertrieben, alles etwas polemisch. Möglich, dass es das ist. Aber Floskeln wie Wenn alle so Strukturen hätten wie wir in Deutschland! oder Beste Qualität - made in Germany halt! oder Wenn sich die anderen nur ein wenig von Deutschland abschauten! kennt man hinlänglich.

Nur ein wenig deutscher sollte die Welt werden. Nicht viel, nur ein wenig. Das Bekenntnis zur Bescheidenheit ist in Deutschland, wenn man von seinem Sendungsbewusstsein nicht ganz in Sendungsbewusstlosigkeit fällt, sondern die Ansprüche leicht zurücknimmt. Statt dem Kodex, jeder solle nach seiner Fasson selig werden, hofft man auf DIN, auf Deutsche Ideal-Normung, für den Globus. Nur leichtes Drängen, kein Einmarschieren mehr. Zu tugendhaft sollten die anderen ja auch nicht werden, sonst sind Formel 1-Titel in Gefahr. Nur dezent zurücknehmen. Seit Ende des Weltkrieges hört man Sätze wie: Nur einen kleinen Hitler bräuchte wir. So bescheiden ist man geworden. Nur noch einen kleinen Herrn Hitler. Einen eingerahmten, wie ihn sich die Konservativen zu jener Zeit wünschten, in der Hoffnung, er sei gebändigt und befriedigt. Nur einen kleinen Hitler, kein großer mehr. Wir sind so bescheiden geworden! Kleine Hitlers und deutsche Tugenden als Kreditvergabekriterium. Da stellt sich die Frage: Ein Volk auf Lernkurs? Immer mehr Bescheidenheit bis zur Erkenntnis? Oder ist es doch nur gespielte Bescheidenheit und dezente Großmannssucht, um leise zu vollbringen, was einst scheiterte?

Wenn schon nicht genesen, so sollte die Welt wenigstens deutsche Tugenden einlesen, auf ihre Festplatte speichern, sie entpacken, installieren und gefälligst gebrauchen. Von Genesung spricht keiner mehr, aber Einspeisen und Einlesen in alle Kanäle - das wird man doch mal fordern dürfen!



12 Kommentare:

baum 3. Dezember 2012 um 08:34  

..... dass "niemals aufgeben, selbst in aussichtslos erscheinenden Situationen" etwas sehr Deutsches sei.....

Der Prozess in Richtung Barbarei und Faschismus schreitet immer weiter voran. Die obige Formulierung über das Durchhaltevermögen der Deutschen ist dafür nur ein weiteres Indiz.

André Tautenhahn 3. Dezember 2012 um 08:35  

Solche Kommentare in den Medien zeigen ja eigentlich nur deren schlechte Qualität. Zuschreibungen gingen schon immer leichter von der Hand als die Analyse, für die man Zeit investieren muss. Das chauvinistische Getue mag zwar populär sein, aber keinesfalls überzeugend, wie die Auflagenrückgänge eindrucksvoll belegen.
Mit ein bissel Recherche kann man ja drauf kommen, dass Vettel die Rennen nicht allein gewann, sondern weil er mit einer ziemlich erfolgreichen Marke unterwegs war, die zwar aus Österreich stammt, aber durch eine geschickte Firmenstrategie und viel Geld ein weltweites Image aufgebaut hat. Risiko und Erfolg gehören dazu, aber auch das beste Material und die schlauesten Köpfe. Die sitzen allerdings nicht unbedingt in Deutschland. Ingenieur Adrian Newey gehört zum Team. Mit seinen Fahrzeuge gab es acht Fahrer- und sieben Konstrukteurs-Weltmeistertitel sowie acht und sieben Vizetitel.
Wenn man so will lautet die Erfolgsformel: Britisches Team, Österreichisches Geld, Französischer Motor, italienische Reifen und ein deutscher Fahrer, der übrigens auch wie sein großes Vorbild, Michael Schumacher, tugendhaft in der Schweiz wohnt.

baum 3. Dezember 2012 um 09:00  

der kommentar von andré verdeutlicht, wie faktenfrei -unter mißachtung von zusammenhängen - die deutsche presse seit langem argumentiert.

Hartmut 3. Dezember 2012 um 10:12  

Diesen neuen Weg zum Faschismus kann ich nur bestätigen. Was ich in Gesprächen, in der letzten Zeit erfahren habe, ist inhaltlich mit diesem Artikel nahezu identisch.

Den Dünkel des Herrenmenschendenkens
höre ich in fast jeder,auch noch so kurzen Unterhaltung, deutlich heraus.

Mir scheint,der "furor teutonicus", ist nach nur kurzem Schlaf, ca. sechs Jahrzehnte, wieder erwacht.

flavo 3. Dezember 2012 um 10:52  

Der RedBullTyp, so wie das ganze Team, mögen zwar keine Deutsche sein und damit in das ganze deutsche Gehege des kleinen Hitlerismus nicht hineinpassen, obwohl das Österreich nun auch nicht unschuldig in dieser Hinsicht ist. Aber dieser RedBullKonzern steht dennoch für eine aktualisierte Variante des kleinen und größeren Hitlerismus, nämlich der Diskriminierung aufgrund von Fähigkeiten. Das ist der Hitlerismus ohne Nation und Rasse. Red Bull steht für ein elitistisches globalistisches Weltbild, in dem es befähigte Menschen gibt, die aus den niederen Wirbeln der alltäglichen Konkurrenz herausragen und solar konturiert posieren und astreine und extreme Elitenfähigkeiten demonstrieren. Von leichter Hand und mit einem netten Lächeln natürlich. Die proklamierte Sozialorganisation ist jene der Konkurrenz. Sie ist der Hochofen, aus dem die Distinktionsfähigen marschieren nebst Tonnen an nicht distinktionsfähiger Schlacke. Die resultierende Ordnung ist die naturisch richtige, gewissermaßen durch einen harten naturischen, lügenfreien und transparenten Mechansimus etablierte: Siegertypen, Massen an nicht Distinktionsfähigen und Looser, die zur Erhöhung der Distinktionsfähigen und der identifikatorischen Kalibrierung der Nichtdistinkionsfähigen benötigt werden. Dieser Ordnung wird die Gewissensbissfreiheit attestiert.
Der Konzern führt dies auch in seinem Fernsehformat vor. Es ist überall nur das Beste zu sehen. Die heile Welt. Red Bull ist politisch. Es steht für die Politik der Distinktionsfähigkeit durch Fähigkeitendiskriminierung. Es ist Teil der selektiven und vermarktbaren Naturalisierung von zufälligen Fähigkeiten und Fähigkeitenbausteinen und deren selektiven Kombination hin zur Konstruktion von legitimen Benachteiligungsunfähigkeiten. Ich bin nicht distinktionsfähig, also werde ich benachteiligt, und das ist gut so, um mich am Philosoph Pfaller anzulehnen. Das ist ein sozialdarwinistischer Relationalismus. Das Ganze verkleidet mit den anziehenden Genres des belustigend-anspannenden Sports oder des Abenteuers oder der Naturforschung. Man sieht hier, wie die Lust doch politisch geworden ist. Das Lusterleben am Medium geht einher mit der Einübung verschiedenster Existenzschemata einer entsolidarisierten und fragmentierten Konkurrenzgesellschaft. Ich schau doch nur Sport! Ja, und du lernst als Existenzmodus gegen andere zu kämpfen, du lernst Sieger werden zu wollen, du lernst, verlieren meiden zu wollen, du lernst, beharrlich zu trainieren, du lernst, du lernst, als Sieger zu lachen und als Verlierer zu weinen, du lernst, Sieger zu lieben und Chefs zu folgen, du lernst anderen-nicht-zu-helfen, sondern auf dich zu schauen, du lernst Privatbesitz, Großkonzerne, Großmananger zu achten und zu Diensten zu sein und als SunnyboyIn zu affirmieren, du lernst, dass Jungsein als das Normalem, du lernst den Staat zu ignorieren wie überhaupt sämtliche leidvollen Interferenzen im Leben. Und du lernst all diese nicht kennen. Die kleinen Eisbergspitzen des Lebens werden dir funkensprühend und farbenfroh überzeichnet für das Ganze des Lebens ausgegeben.
Das ganze freilich höchst finanzschwanger und dirigiert aus den Hinterzimmern des Chefs oder von eingeschworenen Mitgliedern potenter Bundschaften. Und das ganze in der unschuldigen Freiheit des privaten Geschäftsmannes.
Die Figur Vettel wie jene eines Baumgartners, der aus sicheren 30 Km herunterhüpfte, und die vieler anderer, um die herum solche Diskurse gehalten werden, dienen immer der Bewerbung und Einübung dieses Geistes. Der Verweis auf das Deutschtum ist bloß eine regionale Adaption.

Anonym 3. Dezember 2012 um 12:10  

Bei den Deutschen ist allgemein ein hämisch-triumphierendes Gehabe zu konstatieren, sowohl in der Propaganda als auch im Alltagsleben. Auch die viel beschworene Obrigkeitshörigkeit ist nach wie vor tief in vielen Deutschen verwurzelt. Dabei nach oben Buckeln, aber anderen genau vorschreiben wollen, was sie zu tun, zu denken und (!) zu fühlen haben. Dabei selbst emotional immer etwas unterkühlt, wie Maschinen. Immer auf den "Status" bedacht. Typisch deutsch eben.

Malte 3. Dezember 2012 um 13:47  

Hartmut, Du klingst wie mein Papa (Alt-68er).. Der hat das in den '80ern auch immer gesagt, was du sagst.

Anonym 3. Dezember 2012 um 14:54  

@ Malte "wie Papa"

Ist das jetzt ein Lob für Hartmut oder eine Rüge?
Denn ich muss sagen: Was Dein Alt68er Papa damals gesagt hat, trifft doch den heutigen - von Flavo blendend analysierten - Nagel auf den Kopf, meint
ANMERKER

Anonym 3. Dezember 2012 um 15:17  

flavo, die Medien leben doch genauso vom Fall der "Stars" wie von deren Aufstieg.
An der dunklen Seite wird sich genauso geweidet, das wird genauso ausgebreitet, das gehört zu Geschäft.
Verletzungen, Krankheiten, Leiden, Tod von sogenannten Promis sind das Elixier, das einen aus dem Illustrierten-Dschungel entgegenstiert.
Mehr noch als der Glanz, so mein Eindruck.
Wie sagte Springer-Vorstand Döpfner noch? "Wer mit BILD im Aufzug nach oben fährt, der fährt mit ihr auch wieder herunter."

Anonym 3. Dezember 2012 um 16:10  

So ein Gewäsch wie das über den tollen Rennfahrer gibt es überall in der Sportberichterstattung.
Ganz entsetzlich tut sich da ein gewisser Thomas "Tom" Bartels aus der ARD (vorher RTL) hervor, der absolut jede von ihm moderierte Berichterstattung ungenießbar macht. In ekelhaft national-narzistischer Weise und unter Vermeidung jeglicher objektiver Aspekte bejubelt er wahlweise deutsche Fußballteams oder Skispringer zu "Deutschland-Deutschland-über-Alles" Protagonisten. Das Ganze hat ja Methode. Nationalmarktschreier wie Bartels sollen den einfachen Dummbatz in Stimmung bringen für eine natürliche (und jeglicher Begründung entbehrende) Nationalarroganz anderen Völkern gegenüber.
Die Faschos unter den Sandalenträgern und Prinz-Heinrich-Mützen Besitzern fühlen sich dann gern mal bestätigt, wenn man ein lustiges Fähnchen schwenkt und dabei ein dämlicher Milchbart nach gewonnenem Autoscooterrennen in Champagner baden darf.
EKELHAFT.
Anton Chigurh

Hartmut 3. Dezember 2012 um 17:49  

@Malte

liegt wohl daran, daß ich Anf. der 50er geboren bin. Da ähnelt sich die Sprache und Stil sehr; auch die politischen Ansichten dürften sich hier ähnlich sein. (und bis heute nicht neolib. angesteckt)

@Anton Chigurh

Laßt die Menschen Fahnen schwenken - dann hören sie auf zu denken.

Harnish 3. Dezember 2012 um 17:56  

Ja, hierzulande sind halt mehr Leute wachsam für sowas. Was die Medien in England für Patriotismus raushauen, das würde hier auf keine Kuhhaut gehen. Aber da stört sich kaum einer dran. Deutschland liegt in der Hinsicht im europäischen Mittel, würde ich sagen.
Grüße

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