Unser Erich heißt Angela

Montag, 25. Juni 2012

Die Welt dreht sich um unsere eiserne Kanzlerin!, stand über dem Zeitungsartikel. Und ein Nationalspieler zeigte sich erfreut darüber, dass diese Frau aus Eisen zur Viertelfinalpaarung nach Danzig käme, was den Artikel mit der Überschrift "Sie gibt uns ein gutes Gefühl!" krönte. Außerdem, mal quergelesen: Die Kanzlerin allein gegen alle! oder Die Kanzlerin ist die Stimme der ökonomischen Vernunft! oder Die Kanzlerin bleibt standhaft! oder Merkel eisern; alle gegen Merkel! oder Merkel gegen den Rest der Welt! oder Begeisterter Applaus für Klartext-Rede! Ein hübsches Potpourri an Kitsch, Schmiere und Schmalz. Lobgesänge, die auch aus dem DFB-Lager kommen; Löw schwäbelte vor sich hin, dass er sich über jeden Besuch freue, er sich aber nicht reinreden lasse in seine Aufstellung, ihr aber auch nicht reinrede in ihre Politik. Jeder tut, was er am besten könne. Die Kanzlerin und Fußball ist überhaupt so ein Thema, auch dazu hymnische Journalisten-Prosa: Der Mensch kommt zum Vorschein!

Ausladende Beschönigungen, schnulzige Parolen zur Kampfmoral, schwülstige Durchhalterhetorik und manierierte Darstellungen. Die letzte Kämpferin, die die Krise seriös in den Griff bekommen wolle, liest man da. Alle sind unanständig, nur Merkel und ihre Entourage nicht. Der Genosse Honecker zeigte sich kämpferisch und unermüdlich in seinem Einsatz für den Sozialismus!, las man früher fuori le mura. So schmierig, so schmalzig, so kitschig war nicht mal der Lobgesang auf den lallenden Genossen - pathetisch ja, weihevoll ja, salbungsbetont auch. Aber so überladen?

Honeckeriaden auf diesen Erich, der nun Angela heißt, allerorten, gleichwohl sie Demokratien totspart und aushebelt, sie sich für Deutschland eine Rolle als Hegemon Europas ausgedacht hat. Sie manövriert dieses Land in isolationistische Verhältnisse, macht es anrüchig und politisch dubios. Einem Präsidenten kostete die geistig-moralische Nähe zu ihr und ihrem Europa-Entwurf schon das Amt. Tirpitzianisch geht sie ans Werk. Wilhelminisch säbelrasselt sie. Ihre Großspurigkeit verbirgt sie hinter Understatement - hinter dem, das man ihr andichtet. Auch Ulbricht war bodenständig und turnte bekanntlich mit den Werkstätigen - kann aber nicht oft passiert sein, denn er blieb beleibt wie eh und je. In und für die Medien turnte er gewiss oft...

Dieser weibliche Honecker der BRD, den sie uns täglich zeigen, er ist die Farce vormaliger Tragödien. Wie damals, als sie ihr Vierzigjähriges feierten, als sie beteuerten, weder Ochs noch Esel würden sie aufhalten, gleichwohl synchron die Menschen die Straßen mit Unzufriedenheit füllten. Immer schriller wurde die Beschönigung. Geschichte wiederholt sich gelegentlich potenziert ins Lächerliche, wird zur Farce, was mal Tragödie war. Dann schenkt uns die Kanzlerin einen EM-Sieg oder sie macht Wasser zu Wein oder wandelt über selbiges. Kranke gesund zu machen schafft sie derzeit nicht, stattdessen macht sie aber Gesunde krank und Lebenslustige suizidal - Selbstmordraten erklimmen sparpolitisch motiviert Rekordhöhen in Hellas. Sie ist unfehlbar, korrekt, kämpferisch und siegesgewiss. Die Merkel in ihrem Lauf und so weiter. Ochs und Esel halten auch nicht ihren Bundespräsidenten auf, der ja anfangs nicht ihrer war, der aber ganz gut zu ihr passt. Pazifismus ist Glückssucht - das sind Losungen wie Sparen ist Investieren! oder Wenn alle weniger haben, haben alle mehr!

Ein fades orwellianisches Zweigestirn ist das... und beide in Honeckeriaden vereint, die eine kämpft wie Erich für den Sozialismus, der andere turnt wie Spitzbart mit den Werktätigen. In der DDR kamen diese beiden Gestalten, Honecker und Ulbricht, zeitlich hintereinander - es war halt eine Mangelgesellschaft, man konnte sich nicht alles gleichzeitig leisten. Die Bundesrepublik hat immer noch Überfluss und leistet sich solche Geschöpfe zeitgleich...



16 Kommentare:

Anonym 25. Juni 2012 um 11:08  

der text is ja mal richtig geil. ich habe daselbe gedacht in der letzten woche. ddr relaoded.

Anonym 25. Juni 2012 um 11:21  

zum politischen kein wiederspruch allerdings schäbelt herr löw nicht er "badensert" ansonsten klasse weiterso

ad sinistram 25. Juni 2012 um 11:23  

Sagen wir so: Er redet so, wie man sich gemeinhin einen Schwaben reden vorstellt, wenn man keine Ahnung vom Schwäbischen hat...

Moni 25. Juni 2012 um 12:15  

Und wie passt das alles zusammen mit Schäubles Ankündigung, das Grundgesetz ändern lassen zu wollen, damit mehr Macht von Brüssel ausginge?

Anonym 25. Juni 2012 um 12:15  

Ich bin seit einiger Zeit davon überzeugt, dass Merkel insgeheim die "Verelendung der Massen" betreibt. Nur unter dieser (zynischen) Prämisse macht ihre Politik überhaupt Sinn. Ich halte Merkel nicht für blöd, sie ist eine Soziopathin und sie ist in meinen Augen nach nach wie vor Marxistin. Sie überhitzt absichtlich das kapitalistische System und die kapitalistischen Strippenzieher sind zu profitgeil, um es zu merken.

Muzepuckel 25. Juni 2012 um 12:51  

Angesichts des Totalausfalles der Berichterstattung der hiesigen Medien bezüglich des Fiskalpaktes und des ESM, kombibiert mit deren flächendeckender Hofberichterstattung, bräuchten Merkel und Schäuble auch keine Volksabstimmung zu diesem Thema zu fürchten. Das Volk würde mit klarer Mehrheit für die eigene Versklavung stimmen. Jede Wette.

Anonym 25. Juni 2012 um 13:02  

Hallo Vorredner,
"Sie überhitzt absichtlich das kapitalistische System und die kapitalistischen Strippenzieher sind zu profitgeil, um es zu merken."

Was meinst du wohl, was die LÖSUNG ist, das System loszuwerden? "das kapitalistische System zu überhitzen"!
Wie soll es denn ohne Knall funktionieren? Etwa Anpassungen in kleinen homöopathischen Dosen, bei denen sich die jetzigen Machthaber schadlos im Amt halten könnten?
Wie stellst du dir das vor?

Sulukol 25. Juni 2012 um 13:17  

Es sind gerade die unpolitischen Dinge, die einem besonders drastisch an Personenkult der späteren Sowjetära erinnern. Die Übertragung des Fussballspiels Deutschland- Griechenland. Ankunft der Kanzlerin vor dem Spiel, Interview vor dem Spiel, Interview nach dem Spiel, gefühlte hundert Einblendungen von der zuschauenden Kanzleirin während des spiel und dazu Dutzende Erwähnungen durch den Kommentator.Ich denke eine Übertragung, bei der der selige Breschnew bei einem Fussbalspiel so viel Aufmerksamkeit fand, wird es nicht geben.

Anonym 25. Juni 2012 um 13:23  

Ergänzend:

die marktkonforme / parteikonforme Demokratie
die Partei hat / die Märkte haben immer recht
die Wähler müssen das Vertrauen der Partei / Märkte erwerben
es gibt keine Alternative / das historische Gesetz erzwingt
Weltklasse / Weltmeister
Hegemonie über die Vasallen unter dem Schirm des obersten Hegemon USA / UdSSR
Staatspropaganda=Parteipropaganda / Parteipropaganda=Staatspropaganda
1-Euro-soziale Wohltaten / Apfelsinen und Bananen für die Plebs
Sport als nationale Ablenkung=Aufgabe / Aufgabe=Ablenkung
usw.

Die Dame ist unter Ulbricht/Honecker sozialisiert worden. Da hat sie von der Pike auf gelernt, wie man zynische Politik betreibt. Alleine die Macht zählt, alles andere hat dieser flexibel dienstbar zu sein.

Anonym 25. Juni 2012 um 15:03  

Yeah Sulukol,

vollste Zustimmung meinerseits.

Dieses Spiel hatte definitiv Orwellschen Charakter.
Spielt bloß ordentlich da unten - Big Sister is watching you!

Mein Vorschlag an den ÖR fürs Halbfinale:
versuchts mal mit dem in 70er Jahre-Filmen so populären Split-Screen. Eine Hälfte Gekicke, die andere Hälfte für die Finanzmarionette (aber bitte mit Zoom wenn es dramatisch wird, und natürlich bei diesen merkwürdig spastischen Bewegungen, die wahrscheinlich Jubel darstellen sollen).

Ziemlich traurig das alles...
Heiko

Anonym 25. Juni 2012 um 15:54  

Die Erkenntnis, dass „unser Erich“ Angela heisst bzw. „ddr reloaded“ im ersten Kommentar ist grundsätzlich richtig und wichtig, so aber nur der erste Teil des Ganzen. „Selbstmordraten erklimmen sparpolitisch motiviert Rekordhöhen in Hellas“ - seit Émile Durkheims „Der Selbstmord“ (1897) ist dieser Zusammenhang soziologisches Allgemeingut: Durkheim hatte statistisch-empirisch alles Erdenkliche versucht, und die Wirtschaftssituation blieb als einzige genuin gesellschaftliche und signifikante Einflussgrösse übrig. Dass aber die Selbstmordraten auf genuin gesellschaftliche Ursachen zurückgeführt werden konnten, gilt nach wie vor als erste empirisch-epistemologische Begründung der Soziologie.

Damit kann es für die Verantwortlichen und Trittbrettfahrer dieser Wirtschaftspolitik ein „denn sie wissen nicht, was sie tun“ nicht geben: Sie nehmen die Toten und damit das Leid der Angehörigen wissentlich und billigend in Kauf. Heute gilt es aufgrund der Mauertoten nach wie vor als moralische Selbstverständlichkeit, alle Menschen zu verurteilen, die in der DDR gegenüber staatlichen oder wissenschaftlich-akademischen Institutionen keine prinzipielle Totalverweigerung gelebt haben. Dieser Teil des Ganzen muss hierzulande erst noch anerworben werden.

Vor einiger Zeit lief im Schweizer Radio DRS mal wieder eine Diskussionsrunde um die Wichtigkeit nationaler Literaturförderung, und die Journalistin wies einmal auf die Problematik hin, dass es z.B. auch im nach-franquistischen Spanien für Schriftsteller, die etwas auf sich hielten, eine Selbstverständlichkeit war, staatliche Ehrungen grundsätzlich zu verweigern. Die anwesenden Schweizer Literaten hatten dazu nur ausweichende Herumdrückerei parat, und das Thema war zugunsten der Wichtigkeit nationaler Literaturförderung erledigt.

„Es macht keinen Sinn Knechte zur Verantwortung zu ziehen. Es macht nicht einmal Sinn sie zu verachten.“ schloss kürzlich ein Artikel über Journalisten auf duckhome.de. Wer der Sprache tatsächlich mächtig zu sein sucht, liefert sich der Sprache auch aus – und wird damit effektiv unfähig, sich einer verlogenen Macht anzudienen. Andersrum ausgedrückt: Wegen „ddr reloaded“ ist national geförderte Wissenschaft, Kunst und Kultur notwendig nicht der Rede wert, und diese Haltung muss eben noch allgemein anerworben werden.

Anonym 25. Juni 2012 um 17:05  

Das Spiel war ungenießbar. Nicht weil das Spiel an sich schlecht war, sondern weil ständig die Kanzlerin eingeblendet wurde.
Sind wir bei einer Polit-Veranstaltung?

Anonym 25. Juni 2012 um 17:30  

@Roberto J. de Lapuente

Wie's der Zufall so will habe ich heute eine Empfehlung von Telepolis genau in diesselbe Richtung an Nachdenkseiten gesandt.

Ich seh's schon seit Anbeginn der Ära Merkel so, die Frau ist die politische Ziehtocher von "Birne" alias Helmut Kohl (=CDU-Spendenskandal) und Erich Honecker, und von beidem ist etwas bei ihr hängen geblieben.....

Amüsierte und zustimmende Grüße
Bernie

pillo 25. Juni 2012 um 22:00  

Volltreffer!! Wirklich grandios!
Du schreibst hier Dinge, die mir schon seit langem durch den Kopf geistern, die ich aber nie so gekonnt ausdrücken könnte.

Die Parallelen zur DDR (in ihrem Endstadium) werden immer offensichtlicher. Für einen Ossi gibt es hier mittlerweile Déjà-vu-Erlebnisse am laufenden Band. Es ist unglaublich!

Wenn ich 'Tagesschau' oder 'heute' einschalte, komme ich mir vor, wie zu "besten" Zeiten der 'Aktuellen Kamera'. Was dort verkündet wird, hat mit dem Leben der normalen Menschen in diesem Land nichts mehr zu tun.

Früher erzählte man uns etwas von Planübererfüllung, Helden der Arbeit, ausgezeichneten Aktivisten und vom Weltniveau, auf dem sich die Produkte der DDR angeblich befanden.
Heute dröhnen sie die Leute mit ihren Jubelmeldungen vom Aufschwung-XXL, vom Jobwunder und Fachkräftemangel, vom Kaufrausch und vom gestiegenen Konsumklimaindex zu.
Die Phrasen haben sich geändert, das 'Spiel' ist immer noch das gleiche.

Früher war der Ami und der Israeli der Böse, heute ist es der Russe und der Muselmann. Früher waren die Sowjets unsere "Freunde", heute ist "die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson". Was für ein Fortschritt!

In zunehmendem Maße erlebe ich wieder Menschen in meiner Umgebung, mit zwei Meinungen, einer offiziellen und einer privaten. Viele haben Angst vor negativen Konsequenzen bezüglich ihres Arbeitsplatzes, wenn der Chef oder die 'lieben' Kollegen mitbekommen würden, was man wirklich von diesem System hält.

Auch der Rückzug von immer mehr Menschen ins Private und ihr scheinbares Desinteresse an allem politischen ist durchaus eine Analogie zur DDR in ihrer Endphase.

Ich fürchte mich heute schon vor den Wendehälsen von morgen. Vielleicht liegt es daran, dass mir 1789 näher liegt als 1989. Wem man das Hälschen durchschneidet, der kann es nicht mehr wenden!

Anonym 26. Juni 2012 um 10:21  

"Unsere Angela hieß Erika" passt auch

Anonym 26. Juni 2012 um 13:32  

Sehr GUT!

ich habe schon zu der Zeit, als "unser Gauck" zum Bundespräsidenten gekürt werden sollte in einem Kommentar geschrieben, dass sowohl Hr. Gauck, als auch Fr. Merkel ein Problem mit der Demokratie haben. Der Kommentar wurde nicht veröffentlicht und mir wurde gesagt, ich solle mit den Beschimpfungen aufhören und keine Unwahrheiten verbreiten.........! Meine Meinung hat sich dadurch nicht geändert, ganz im Gegenteil. Im Laufe der Zeit hat sie sich verfestigt.

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