Gott als Kampfwille und Gefechtsstellung

Samstag, 16. Juni 2012

Militärbischof Overbeck meinte kürzlich, dass "ohne Religion und ohne gelebte Praxis von Religion [...] kein Menschsein" möglich sei. Soldaten setzten "Gewalt [...] im äußersten Notfall und vor allem verantwortungsvoll" nur dann ein, wenn sie "mit einem festen Glauben [...] solche Entscheidungen" treffen. Religiosität sei quasi Gewissensstütze für Soldaten. Eigentlich belanglos, was da jemand, der bischöflich Nächstenliebe christianisiert und sich mit einem Militär- verziert, absondert - qua Position disqualifiziert er sich ja selbst. Doch zwischen den Zeilen postuliert dieser Mann etwas, was man als den gerechten Krieger bezeichnen könnte - Morden ist möglich, es hat bloß religiös zu geschehen. Geschieht es ohne Gott, ist es eine gottlose Tat - ansonsten: Deus lo vult! Dann ist es mit Gott abgeklärt und nicht mehr sündig. Man merkt, mancher Kirchenmann speist geistig noch an der Tafel von Urban II. - allen Mitgliedern der katholischen Kirche sollte man das jedoch nicht unterstellen.

Die Vereinigten Staaten riefen erst kürzlich noch zum gerechten Krieg - Militärgeistliche wie jener skizzieren das Werkzeug hierzu: den gerechten Krieger. Er muss gläubig sein, sogar fest gläubig, wie Overbeck meint. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass man in einem Gefecht, in dem man eiskalt vorgehen muss, einfach nur auf atheistische Soldaten zurückgreifen kann. Die wüten dann wie beim Sacco di Roma: brandschatzen, morden, verstümmeln und vergewaltigen. Denen macht das Blut, die herauslappenden Organe, der Gestank, das Wehgeschrei, die Tränen von Frauen und Kindern und was da sonst noch so alles anfällt, nichts aus. Kurz gesagt, sie kennen keine menschliche Regung. Sie mögen zwar Menschen sein, aber dessen, was den Mensch als einzige Kreatur befähigt, Empathie zu zeigen, sind sie qua ihrer Gottlosigkeit verlustig gegangen - menschliche Hüllen nur, Randexistenzen an der Schwelle zum wirklichen Menschen.

Man kann Overbeck natürlich auch beipflichten. Es gab durchaus gottlose Brigaden, die gewütet haben wie Bestien. Die Rote Armee und die Wehrmacht, die zwar eine irdische Religion pflegten, gelten als Inbegriff eines gottlosen Zeitalters. Wären sie anders aufgetreten, wenn sie einen Gott an ihrer Spitze gehabt hätten? Einen, der himmlischer gewesen wäre, als ihre profanen Schnauzbartgötter in Kreml oder Bunker? Mit overbeckscher Logik müsste die Antwort lauten: Ja, sie wären dann gerechte Krieger gewesen, die ihr Gewaltpotenzial abgewogen hätten. Ein Problem ergibt sich allerdings. Wer sagt denn, dass die Soldaten der Roten Armee ohne Gott kämpften? Und gab es nicht genug Wehrmachtsoldaten, die protestantisch dachten, katholisch fühlten, obgleich sie für dieses Regime in den Krieg zogen? Baten nicht die meisten Soldaten auf beiden Seiten Gott um unversehrte Rückkehr in die Heimat? Nur weil deren Diktaturen wenig Bezug zur Religion hatten, nur weil im Sowjetreich Religion kriminalisiert wurde, müssen doch die Soldaten dieser Diktaturen nicht bindend auch ohne Gott gewesen sein. Es gab genug stille Gottgläubige hüben wie drüben - und es gab dennoch Gräueltaten beidseits.

Es braucht doch keine atheistischen Soldaten, um Blutmeere zu füllen - das schaffen auch gläubige Soldaten ganz von alleine. Es gäbe hierzu ja auch abgedroschene Beispiel. Kreuzzüge beispielsweise. Oder den Dreißigjährigen Krieg. Oder die Eroberung Amerikas - all das wurde viel zu oft von Seiten atheistischer Verfechter angeführt, um zu beweisen, dass eigentlich Religion zu verantwortungslosem Handeln im Kriege führt. Für unsere Epoche treffender ist da der Rückgriff auf das Zwanzigste Jahrhundert, denn darin spiegeln sich die Konfusion und die Überlagerungen unserer Tage wider. In jenem Jahrhundert war es möglich, religiös für atheistische Systeme zu kämpfen - und es war denkbar, atheistisch für Armeen aufzulaufen, die "in god we trust" postulierten. Auf die Kreuzzüge oder den Dreißigjährigen Krieg zu verweisen, erlaubt keine Vergleichsmöglichkeiten in der jeweiligen Zeit - das Zwanzigste Jahrhundert, für viele das gottlose Zeitalter, gibt Vergleiche frei. Und unterstreicht, dass eine gerade Linie nicht gezeichnet ist. Da gab es religiöse und atheistische SS-Mörder - und es gab SS-Leute wie Wilm Hosenfeld, die den Ideen der Nationalsozialisten zugewandt, dennoch religiös motiviert genug waren, um nicht direkt am Wahn teilzunehmen; und es gab Alliierte, deren einzig religiöse Kulthandlung es bislang war, den New York Yankees einen Titel zu wünschen, die aber dennoch empathisch mit den Opfern des Krieges umgingen. Und wie katholisch und ethisch rein waren eigentlich die Brigaden des katholischen Herrn Franco?

Explizit atheistisch gaben sich die totalitären Bewegungen damals durchaus - sie waren es aber nur an der Oberfläche, denn deren kleine Rädchen, die für sie den Krieg ausbadeten, waren religiös ebenso wie atheistisch. Wohin sollte das Russisch-Orthodoxe oder Protestantische oder Katholische auch verschwunden sein in so kurzer Zeit? Und gleich welcher ideologischen Herkunft: es gab Verbrecher und Mitläufer, Helden und Schweine, Opfer und Täter. Manche wirkten bei Kriegsverbrechen mit, weil ihr Glaube ihnen verinnerlichte, dass man als Mensch an seinen Platz gesetzt würde - andere opponierten dagegen, weil derselbe Glaube für sie hieß: Liebe deinen Nächsten, töte ihn nicht! Man liest oft, es gäbe keine deutschen oder tschechischen oder russischen Menschen, es gäbe nur gute oder schlechte - man ersetze Nationalitäten durch Gottglauben und Atheismus und man kommt auf denselben Nenner.

Es geht mitnichten darum, Gottgläubigkeit als wirklich mörderischer als den Atheismus zu deklarieren - das tun die Hinweise auf Kreuzzüge und dergleichen aber durchaus. Sie sind verkürzte Darstellungen, denn Gewalt war das Mittel jener vergangener Zeiten. Die Religion war ein Ventil, nicht unbedingt Ursache - Gewalt hätte es auch ohne Gott gegeben, sie war das Stilmittel einer Epoche, in der Knappheit und Krankheit das Überleben täglich gefährdete. Der Verweis auf das letzte Jahrhundert kennzeichnet hingegen, dass es keine besseren oder schlechteren Menschen anhand "weltanschaulicher Konstitution" gibt. Es ist atheistische Überheblichkeit, den schlechten Religiösen anhand von antiquierten Beispielen zu untermauern - auch ein atheistischer Ritter hätte vielleicht Moslems erschlagen, um sich an den Reichtümern der Levante zu bereichern. Es sind die Bedingungen, die Gewalt beschwören, nicht die Religion oder die fehlende Religion. Wer so argumentiert, der verdreht Overbecks Quatsch ins Atheistische. Wahr ist vielmehr, dass es ethische Prinzipien mit oder ohne Gott geben kann - man kann morden in seinem Namen, aber auch, weil man auf ihn pfeift. Es gibt Ausbeutung, weil die Gottesdeuter erklären, Gott habe jedem seinen Platz gegeben, den man nun einnehmen müsse - und es gibt Ausbeutung, weil man glaubt, keinerlei Rechenschaft mehr ablegen zu müssen vor einer überirdischen Instanz.

Gott ist die Erweiterung des Gewissens ins Transzendente. Die Erweiterung des menschlichen Bedürfnisses, irgendwo Rechenschaft ablegen zu müssen. Manche Menschen benötigen das - das ist zu tolerieren. Manche nicht - auch das ist zu tolerieren. Dass aber religiöse Menschen gerechtere Krieger seien, das ist nicht tolerabel - die gerechtesten Krieger sind immer noch jene, die nicht in den Krieg ziehen. Aber dann wäre Overbeck seine Stellung los - und kandidierte vielleicht, weil Theologen in Bellevue derzeit in Mode sind, als Bundespräsident; denn der amtierende pflasterte dem gerechten Krieger neulich erst den Weg und nannte dessen Kritiker glückssüchtig. In manchen Dingen stehen sich katholische und protestantische Theologie ziemlich nah - Krieg und Gott, Morden und Moral deckungsgleich zu machen: das können sie beide ganz ausgezeichnet.



8 Kommentare:

christophe 16. Juni 2012 um 11:45  

Auch die gottloseste Armee legt sich Ritulale zu, die allesamt von den klassischen Religionen abgekupfert sind. Ob für Gott, König, Führer, Vaterland, sozialistische Heimat, Demokratie, ein wenig Motivation sollte schon sein. Der legalisierte Massenmord muß ja irgendwie legitimiert werden...

klaus baum 16. Juni 2012 um 12:57  

Overbeck? Heißt nicht so der Depp, die Ulknudel aus der Krimiserie WILSBERG?

Anonym 16. Juni 2012 um 13:07  

Im guten alten Alten-Testament steht drin (frei nachgeplappert):
"Und wenn deine Gotteskrieger müde sind und nicht mehr kämpfen wollen, dann lasse sie ein Dorf der ungläubigen angreifen alle Männer und Knaben töten und die Frauen und Mädchen benutzen. Danach hast Du wieder eine voll motivierte Kampftruppe." ...
Im AT gibt's noch eine ganze Menge mehr wie man die "Ungläubigen" ausradieren soll ...
QED ...

Anonym 16. Juni 2012 um 14:20  

2000 Jahre nix Neues für die Wetware: Gebetsteppiche unter der Sonne der Folter - außer der Engel dr Geschichte besinnt sich und beginnt, Drohnen zu segnen ...

mann_von_nebenan 16. Juni 2012 um 19:39  

Overbeck hat wohl noch nicht seine
Schlappe gegen Michael Schmidt Salomon verdaut, die er in einer Talkshow vor ca. 2 Jahren einstecken musste. Dabei hat dieser Karrierepfaffe nämlich genau so alt ausgesehen wie er mental ist, nämlich älter als sein Religionsstifter.

Nee, is klar: bevor ich Menschen abschlachte wie Hühner gehe ich Hostien fressen und wenn sich u.U. doch ein Gewissenswurm durchnagt, gehts halt zur Beichte (oder für Protestanten ins Seelsorgegespräch) und alles wird wieder heileheilegänschen.

Manchmal fragt man sich, ob ein Buddha, ein Jesus, ein Kant usw. überhaupt gelebt hat ...

Anonym 17. Juni 2012 um 09:07  

Dieser Artikel ist für mich einer der interessantesten, seit ich hier im Blog lese. Das sind immerhin schon zweieinhalb Jahre.

Hier sprichst Du das Thema an, das die Menschheit schon seit ihrem "Urbeginn" "beschäftigt."
Dieses Thema beinhaltet alle großen Fragen auf dieser Welt. - Daher ist es mit einem knappen Kommentar nicht zu umschreiben, bzw. zu würdigen.

Einen Kommentar in Form einer knappen Antwort auf diesen Artikel zu schreiben, kommt schon fast einer Beleidigung nahe. - Daher lasse ich es beim bisher Gesagten - Das Thema ist "großartig."

P.S. Zur Erinnerung - bis vor 22 Jahren war der heutige Tag ein nationaler Feiertag !

Grüße und schönen Sonntag wünscht

Hartmut

Anonym 17. Juni 2012 um 12:45  

"Militärbischof Overbeck meinte kürzlich, dass "ohne Religion und ohne gelebte Praxis von Religion [...] kein Menschsein" möglich sei."

Doch, doch - klappt ganz gut. Ich komme mir ohne Religion weitaus ehrlicher mir selbst gegenüber vor, als viele von denen, die meinen, sich vor seltsamen Wassergeistern verantworten zu müssen. Roberto hat es an vielen Beispielen festgemacht, was alles im Namen von Religion angerichtet wurde und fleißig immer noch wird. Täglich krepieren Hunderte Menschen, weil sie nicht den richtigen Hampelmann anbeten, ob INRI, Allah oder was weiss ich für Märchenfiguren.
Die Säkularisierung hat in diesem Lande (zumindest) ja schon einiges bewirkt, man macht das Staatsgeschick zum Glück nicht mehr abhängig von Sakralopfern.
Bedenklich finde ich nur, dass falsche Propheten wie Kriegstreiberbundespräsi Gauck und Schießbudenfiguren wie Overbeck ganz öffentlich Kriegseinsätze zu relativieren und zu legitimieren versuchen. Für diese Warlords scheint es völlig ok zu sein, dass wieder Leichen produziert werden durch deutsche Soldaten. Und das aus Gründen, die lächerlicher nicht sein könnten ! Ein Blick ins Grundgesetz müsste diesen Herrschaften genügen um einzusehen dass sie auf einem ganz ganz falschen Dampfer sind.
Wenn man es bis auf´s Einfachste runterdekliniert, kommt man unweigerlich darauf, dass Religion die Wurzel allen Übels ist.
Anton Chigurh

pillo 17. Juni 2012 um 20:10  

- Ganz ohne Religion ging es auch unter Hitler nicht. Schließlich stand auf dem Koppelschloß eines jeden Wehrmachtsoldaten "Gott mit uns".

- Es ist einfach widerwärtig zu sehen, wie "Geistliche" seit Jahrhunderten Kriege rechtfertigen und die Waffen der jeweiligen Armeen segnen, auf das sie möglichst viele Gegner töten.

- Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass die Kirchenopposition in der DDR eben nicht nur aus friedliebenden, anständigen und fortschrittlich denkenden Bürgern bestand - Gauck liefert ihn gerade. Was dieser Bundespfaffe absondert, ist mit ekelhaft (A.Müller) noch sehr wohlwollend umschrieben. Für diesen reaktionären Kriegsbefürworter war nur das Militär in Form der NVA etwas Schlechtes. Die Parole von "Schwertern zu Pflugscharen" war wohl, wie sich heute zeigt, bei manch Beteiligtem denn doch eher einseitig gemeint.

- Ein Bundespräsident, der uns gefallene Soldaten als Normalität verkaufen will. Ein Militärbischof, der dem religiösen Krieger das Wort redet. Ein allgemein sinkendes Bildungsniveau, gepaart mit einer zunehmenden Perspektivlosigkeit bei immer mehr jungen Menschen. Das alles im Kontext mit der Abschaffung der Wehrpflicht und dem letzten Weißbuch der Bundeswehr - da braucht man wirklich nur noch eins und eins zusammen zu zählen, um zu wissen, wohin die Reise geht.

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