Die Auflösung des sozialen Miteinanders

Donnerstag, 8. März 2012

Nie wieder! Das darf sich nie wiederholen! Gestern Morgen stand Europa vor seiner größten Krise. Millionen User von ihren Freunden abgeschnitten!, titelte BILD Online unheilschwanger. Facebook lag drei Stunden lang lahm. Nichts ging mehr. Katastrophe!

Abgeschnitten von ihren Freunden, die sie zuvor nie gesehen, ja noch nicht mal telefonisch gesprochen hatten, abgeschnitten von der Außenwelt, die sich in Bites durch den Datenschlauch zwängt, sind Tausende an akuter Vereinsamung verstorben. Macht aber nichts, sie werden nie vergessen, denn sie leben als Facebook-Profil für immer in unseren Routern weiter. Die Suizidalraten sind gestern ebenfalls in die Höhe geschnellt - eine untröstliche Frau hinterließ einen Brief: "... meine Freunde haben sich von mir abgewendet - deswegen will ich nicht mehr!" Ein Mann stand auf dem Fenstersims, wollte sich hinabwerfen, die "Abgeschnittenheit" von seinen Freunden konnte er nicht mehr ertragen. Just als er Schwung nahm, öffnete sich Facebook wieder - vor Schreck fiel er dann leider doch.

Psychologen warnen davor, dass der Verlust der Freunde zu schwerwiegenden Lebenskrisen führen kann. Daher sind die Behörden nun angehalten, Planungssicherheit zu schaffen und Facebook krisensicher zu machen. "Der stundenweise Entzug von Freunden ist ein volkswirtschaftliches wie gesundheitspolitisches Risiko, das wir nicht tragen wollen", erklärte gestern ein Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Daher werde man einen Rettungsschirm anregen, der im Falle einer technischen Störung wirksam wird. Dieser soll dem User den Anschein bewahren, auch weiterhin Kontakt mit seinen vielen Freunden zu halten. In Wirklichkeit ist die Szenerie nur gestellt, ist nicht mehr als ein besser gemachter Screenshot, der die Optik Facebooks aufweist, ohne mit dessen Funktionen ausgestattet zu sein. "Wir sind der Überzeugung, dass wir so die Menschen vor allzu kopflosen Aktionen nach dem Verlust ihrer Freunde bewahren können", erklärte die Arbeitsministerin im Anschluss.

Bis zur Installation des Rettungsschirms bitten die Behörden die User, bei einem vergleichbaren Fall nicht gleich den Kopf zu verlieren. Die Auflösung sämtlicher sozialer Bindungen, die nicht über vierundzwanzig Stunden aufrechterhalten werden können, kann natürlich gravierende psychosomatische Wirkungen erzielen. Der Besuch eines Cafés oder eines Marktplatzes sei aber nicht zwingend angeraten, denn mehr als einige Stunden Störung seien kaum vorstellbar. Und bevor man die Wiederaufnahme von Freundschaften und sozialen Kontakten verschläft, weil man auf öffentlichen Plätzen Trübsal bläst, sollte man lieber vor dem heimischen oder dem Bürocomputer warten.

Mittlerweile läuft Facebook wieder und das alltägliche Leben nimmt seinen Gang. Der Zentralverband der Facebook-User in Deutschland empfiehlt nun, dass man sich noch stärker vernetzen sollte, um etwaige Krisen gemeinsam besser überstehen zu können. Facebook selbst entschuldigte sich nur kühl - die Leben seiner User in Gefahr gebracht zu haben, war nicht Gegenstand der Entschuldigung.



21 Kommentare:

Hartmut 8. März 2012 um 11:01  

wow

Seit Jahren zögere ich, mich facebook anzuvertrauen...

Jetzt bin ich einen Schritt weiter.

Das soziale Miteinander hat sich seit der Industriealisierung aufgelöst.
Auflösen müssen.
Wir sind Opfer des Kapitalismus.

Hartmut

Björn 8. März 2012 um 11:52  

Himmelherrgott, so ein toller Artikel und nirgens lässt sich der "Gefällt mir!"-Button finden. Ärgerlich.

Anonym 8. März 2012 um 11:55  

Facebook ist to big to fail und systemrelevant geworden. Wie das Dschungelcamp, der Big Mac und Aldi.

der Herr Karl

Anonym 8. März 2012 um 11:56  

....wow.....jetzt werde ich mich,trotz aller Bedenken, doch mal dort anmelden.....lach...natürlich unter falschen Namen etc......

Anonym 8. März 2012 um 12:24  

Mir ist schon suspekt genug, dass Sie sich als Autor dieses Artikels auch dieser Facebook-Maschinerie anvertraut haben. Denn von Anvertrauen muß man ja leider reden...

ad sinistram 8. März 2012 um 12:56  

Das mit dem Anvertrauen ist absoluter Unsinn - es gibt viel an Facebook zu kritisieren, das meiste jedoch hat auch mit Eigenverschulden derer zu tun, die FB nutzen. Wer zwingt einen dazu, alles preiszugeben? Facebook ist wie vieles auf dieser Welt - es hat Vor- und Nachteile. Es kommt darauf an, was man daraus macht, wie man es nutzt...

Drahtwerker 8. März 2012 um 13:17  

Die Panik der Facebook-user kann ich nachvollziehen. Ich werde auch immer nervös und bin verstört wenn an Wochenenden und Feiertagen keine neuen Artikel auf den NachDenkSeiten oder bei Roberto erscheinen ;-)
Bei Facebook und wkw habe ich vor einiger Zeit meine Profile gelöscht.
Allerdings nicht aufgrund der Sicherheits-Diskussionen oder aus Angst vor Datenmissbrauch - dagegen hatte ich mich schon so gut es ging abgesichert - sondern allein aus diesen Überlegungen heraus:
Was bringt mir das eigentlich und warum verplempere ich täglich so viel Zeit mit dem lesen oder posten von Meldungen, die eigentlich niemanden interessieren?
Seit gut einem halben Jahr bin ich also ohne digitale "soziale Netzwerke" und habe trotzdem Freunde,denen ich mich jetzt in "real life" widmen kann, weil ich wieder mehr Zeit habe. :-)

ad sinistram 8. März 2012 um 13:25  

Echte Freunde aus Fleisch und Blut? Wie rückständig! ;)

Anonym 8. März 2012 um 15:51  

"Das mit dem Anvertrauen ist absoluter Unsinn (…) Wer zwingt einen dazu, alles preiszugeben?"

Nach Lage der Dinge hat mensch gar nicht immer die Wahl: Ich war mal zwei Tage auf einem Rock-Festival, und an Tag 2 machten junge Leute mir Komplimente, wie toll ich doch am Vortag ausgeflippt sei, sie hätten das auf Facebook gesehen. Na ja, nach N Bier konnte ich das damals auch als Kompliment auffassen (ist irgendwie ein temporär befreiterer Bewusstseinszustand an solchen Veranstaltungen, soll ja auch so sein). Die Leute kannten mich ansonsten nicht, also keine Verknüpfung mit einer Email-Adresse, d.h. die Bilder oder Handy-Videos(?) werden bei meiner nächsten Bewerbung mit derselben Email-Adresse vermutlich nicht spontan der HR-Verantwortlichen entgegen poppen…

Hartmut 8. März 2012 um 17:21  

@Roberto

sog des net so leichtfertig dohin.
a guata freundschaft is scho wos wert.

Hartmut

ad sinistram 8. März 2012 um 17:24  

@ anonym von 15:51 Uhr:
Ja, Du hast ja recht. Aber ich sage mal, auch da ist "menschliches Versagen" dahinter - koscher ist das aber auch nicht, wenn man Bilder Dritter ins Netz stellt. Und wie es da rechtlich aussieht, müsste man mal prüfen.

@ Hartmut:
Woas i doch...

Anonym 8. März 2012 um 19:44  

"Eigenverschulden... niemand wird gezwungen... Vor- und Nachteile..."
Merkst Du nicht, dass das ganze nur funktionieren (= sich rentieren) KANN, wenn Leute WIRTSCHAFTLICH VERWERTBARE DATEN von sich preisgeben?
Jeder einzelne Facebook-Nutzer muss wissen, dass er es zumindestens billigend (!) in Kauf nimmt, dass sich andere entblössen, DAMIT er diese Plattform nutzen kann.

Und immer komischer werden diejenigen angeguckt und ausgegliedert, die nicht mitmachen...

ad sinistram 8. März 2012 um 19:45  

Tut mir leid, aber das stimmt so nicht...

Anonym 8. März 2012 um 20:04  

@anonym 19:44

Die Aussage, dass die armen Schäfchen das Entbößen anderer User in Kauf nehmen (müssen) um diese Plattform zu nutzen ist so ja nicht korrekt.


Tatsache ist, dass die Millionen sozialverarmten Anwender von Fratzenbuch auch nicht als Kunden betrachtet werden.

Die einzigen Kunden bei FB sind die Werbefirmen, die den Laden mit Geld vollpumpen.

Die Benutzer dieser "sozialen" Netzwerke sind lediglich die Ware, die vom Betreiber der Netzwerke an die Werbeindustrie verkauft wird.

Mit feundlichen Grüßen
Stephan
(in keinem "Netzwerk" und heilfroh darüber)

Spartaner 8. März 2012 um 21:43  

Richtig

Anonym 9. März 2012 um 02:09  

Facebook ist toll, seit ich da bin, habe ich hunderte von Freunden. Vorher waren´s nur ein paar. Ich erzähle auch alles, was ich so mache, ist doch kein Geheimnis. Und endlich interessiert sich mal jemand dafür. Früher wollte das niemand wissen. Ich bin fast jeden Tag so 4 bis 5 Stunden bei Facebook, das ist die beste Freizeitbeschäftigung außer Fernsehen. Und sollen die doch das alles für Werbung nutzen. Mir gefällt, dass ich super Angebote bekommen, die mich interessieren. Dadurch habe ich neulich eine klasse Hautcreme entdeckt, die ich noch gar nicht kannte. Die ist viel besser als meine alte. Also, ich verstehe die ganzen Meckerer nicht. Facebook ist das Beste seit der Erfindung des Internets. Danke dir herzlich, Mark Zuckerberg!

Dagmar

R@Z€ 9. März 2012 um 08:32  

Ist doch eine hervorragend segregative Agenda: Wenn wir alle nur noch Internet-Bekanntschaften und interaktive Freunde haben, wird Facebook abgeschaltet...

Allein die Alleinen;-)))

Anonym 9. März 2012 um 10:45  

Facebook ? Nö.
Wer dort echte "Freunde" findet, weiß nicht, was ein richtiger Freund ist.
Cyberquatsch, unecht und gefährlich.
Alles macht sich abhängig davon, wer nicht mitrennt wie die Lemminge ist ein Spielverderber oder Anachronist.
Man vergleiche mal das soziale Miteinander von heute mit dem von vor 30 Jahren. Da hatte man eine Handvoll Freunde, die waren aber auch welche ! "Facebook-Freunde" hat man nur so lange, bis der Strom ausfällt. Und der Strom wird irgendwann ausfallen, keine Sorge !
Wenn man vor 30 Jahren im Sommer auf dem Marktplatz unserer Stadt eine Menschenmenge sah, konnte man sagen, dass die Leute sich miteinander unterhielten, flirteten, sich anschauten u.ä.
Schaut man heute im Sommer auf so eine Menschenmenge beschäftigt sich die Überzahl der Leute mit einem Daddelkasten in der eigenen Hand. Es ist ja auch so ungeheuer wichtig, was irgendwer, den man nie vorher gesprochen hat irgendwo, wo man nie vorher gewesen ist auf der letzten Abi-Party getragen hat. WOW - das ist echtes soziales Miteinander, spitze.
Diese imaginäre, diese Scheinwelt will ich nicht. Das ist wie Guinness trinken lauwarm und ohne Alkohol, wie Lara Croft angucken statt eine Frau aus Fleisch und Blut oder wie Norwegen-Dias angucken ohne jemals in einen Fjord gepullert zu haben: UNECHT !
Anton Chigurh

Anonym 9. März 2012 um 16:04  

Tatsächlich gleicht die Argumentation "Eigenverschulden - niemand wird gezwungen - Vor- und Nachteile" gespenstisch der Krisen-Erklärung der Kapital-Haie:
"Niemand ist gezwungen, die Derivate zu kaufen oder Kredite unter unseren Konditionen aufzunehmen - diese haben Vor- und Nachteile. Wer damit nicht klar kommt, hat es selbst verschuldet".
Dass man gesellschaftlich mit der Facebook-Nutzung ein Zeichen setzt, eine Richtungswahl vollzieht, und dass das (längst nicht mehr) Private immer auch politisch ist, das wird hier sträflicherweise übersehen.

Anonym 10. März 2012 um 20:45  

Ich empfehle Surrogates mit Bruce Willis.

Ansonst, raus und Leute treffen. Ich habe die AGBs von Facebook gelesen, den Magen verdreht und mich offline beschäftigt. Leben halt.

Anton 22. März 2012 um 15:29  

Die Insistenz, mit der hier die Nützlichkeit (Nützlichkeit - das kapitalistische Standardargument) Facebooks allem anderen übergeordnet wird, verkommt mehr denn je zur Farce...
"Facebook will sich neue Regeln zum Umgang mit Nutzerdaten geben - und tut so, als würden die Änderungen in einem transparenten Prozess in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern abgestimmt. Tatsächlich erinnert das Verfahren an Pro-Forma-Mitbestimmung in autoritären Staaten."
www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,823015,00.html

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