Nomen non est omen

Dienstag, 28. Februar 2012

Heute: Migrationshintergrund

Ein Gastbeitrag von Markus Vollack.
"Zwar stammen Kinder, die erfolgreich das Gymnasium besuchen, bis heute eher aus sozial besser gestellten Schichten, Kinder mit Migrationshintergrund sind deutlich in der Minderheit."
- Zeit Online, 18. Juni 2009 -
Anfang des Jahres 2012 verschickten die Jobcenter in Berlin einen Fragebogen zum Migrationshintergrund. Dieser soll rein statistische Zwecke haben. (Ich könnte mir vorstellen, dass damit herausgefunden werden soll, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund ALG 2 erhalten.) Auch vermeintlich Deutsche haben ihn zugesendet bekommen. Freilich nur Empfänger von ALG 2. In diesem ist ein Anhang mit der Bezeichnung Migrationshintergrund-Erhebungverordnung (MighEV) enthalten. Die MighEV kennzeichnet Menschen mit einem Migrationshintergrund, wenn:
  1. die Person nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt
  2. der Geburtsort der Person außerhalb der heutigen Grenzen der BRD ist und eine Zuwanderung nach 1949 in das heutige Gebiet der BRD stattfand
  3. der Geburtsort mindestens ein Elternteils außerhalb der heutigen Grenzen der BRD ist und eine Zuwanderung nach 1949 in das heutige Gebiet der BRD stattfand
Um laut MighEV als Mensch mit Migrationshintergrund zu gelten, genügt es, wenn die eigene Oma nicht in Deutschland geboren wurde. Auch wenn die gesamte Familie die deutsche Staatsangehörigkeit hat und das Kind "zufällig" (z.B. im Urlaub) im Ausland geboren wurde, ist nun ein Migrationshintergrund vorhanden. Als Mensch mit Migrationshintergrund ist man also schneller und länger ein "Ausländer", als wenn man nur "Nicht-Deutscher" wäre.

Die Formulierung "Menschen mit Migrationshintergrund" indessen, ist ein Beispiel dafür, wie aus einem eher negativ besetzten Begriff wie "Ausländer", eine politisch korrekte Formulierung ("Migrationshintergrund") werden sollte, ohne die Situation für ausländische Mitbürger tatsächlich zu verändern, wie die MighEv verdeutlicht. Diesen Umstand bezeichnet man als die sog. "Euphemismus-Tretmühle". Durchgesetzt hat sich das Schlagwort vor allem im Beamten- und Bürokratendeutsch.

Die erste Assoziation, die sich mir auftat, war die NS-Regelung von einem halben, einem Viertel– oder einem Achtel-Ausländer, je nachdem ob man selbst, beide Eltern oder eben nur ein Elternteil in Deutschland geboren wurde oder nicht. Die Wortkonstruktion zeigt auch, dass sich deutsche Behörden schwer damit tun, ausländische Mitbürger als integriert und damit als "deutsch" anzuerkennen, wenn akribisch nach einem vermeintlichen "Migrationshintergrund" gesucht wird, der die entsprechende Person dann als nicht-deutsch kennzeichnen soll.

6 Kommentare:

Anonym 28. Februar 2012 um 08:12  

Bemerkenswert auch, dass der Migrationshintergrund® eher selten mit Dänen, Nelgiern, Niederländern, Briten, etc. assoziiert wird als mit Angehörigen östlicher und südlicher Volksgruppen. Als gebürtiger Kölner dürfte sich meine eigene Volkszugehörigkeit irgendwo zwischen Italienern, Franzosen und germanischen Stämmen verlieren. Ein paar Österreicher und Ungarn sind auch in unter unseren Vorfahren, ganz zu schweigen davon, dass sich die Familie heute über die halbe Welt (mit den entsprechenden Staatsbürgerschaften) verteilt.

Den möchte ich sehen, der in den letzten 5 Generationen keinen Migrationshintergrund hat.

Inglorious Basterd 28. Februar 2012 um 09:45  

Diese "Migrationshintergrund-Erhebungverordnung" ist ein weiterer Beleg für die Dominanz- und Ausgrenzungskultur der Mehrheitsgesellschaft. Würden die Kriterien dieser Vorschrift auf die Mehrheitsgesellschaft angewandt, müßten deren Individuen analog als Deutsche mit Faschismushintergrund bezeichnet werden.

Rainer Marquardt 28. Februar 2012 um 11:23  

Nun, die Fairness gebietet die Feststellung, dass der Begriff eher von Leuten eingeführt wurde, die damit das Ziel verfolgten, die sehr große Zahl der Menschen "mit Migrationshintergrund" in Deutschland klarzumachen, unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Er ist wohl eher unter denen entstanden, denen es um die Rechte von Migranten und ihren Nachkommen ging. Dass daraus, in Verordnung gegossen und unter deutschen Voraussetzungen praktiziert, was ganz anderes werden kann: das kann man nur in Teilen den "Erfindern" des Begriffs ankreiden.

Zoran 28. Februar 2012 um 18:46  

Zu der offensichtlich chauvinistischen Intention der „Migrationshintergrund-Erhebungverordnung“, die die Spießergedankenwelt widerspiegelt, verlange ich spaßeshalber eine Zusatznovelle mit folgender Ergänzung.

Alle, derer Name folgende Endungen hat:
ski, -ske, -sky, -ek, -ak, -ack, -usch, -cek, -sek, -itch, -itsch, -ke, schke, -ka, -schke, -alla, -ov, -ow, -itz, -ik, ange,-tat, -enge, -ly, -ny, -ella, –kat, -kies, -eit, -at, -is, -us etcetc...(Liste ist noch zu erweitern) müssen sich auch registrieren lassen.

Desweiteren, die den Nachnamen durch die männliche Erblinie verloren haben oder „vondazumal“, sagen wir mal... nur ab dem 19. Jahrhundert von durchziehenden Truppen und Zugewanderten gewollt/ungewollt gezeugt wurden., auch Kuckuckskinder. Auch diejenigen, die unter dem Assimilierungs-/Germanisierungszwang einen deutschen Nachnamen verpasst bekommen haben, wie es zB massenhaft die Polen... die nun Krieger, Neuer, Neumann etcpp heissen, müssen sich auch registrieren lassen.

Lasset Reinheit walten. Wenn , dann richtig, ohne Ausnahme.

Nichtsdestotrotz, wird nie so heiss gekocht, wie es gegessen wird. Kurzum, die Technokraten und Schreibtischtäter können mir an der Poperze schnuppern.
Übrigens stelle ich mir die Frage, wieso diese Erfassung gemacht wird. Die haben alle Daten die man sich vorstellen kann, also was soll das?

TaiFei 29. Februar 2012 um 07:38  

"Die erste Assoziation, die sich mir auftat, war die NS-Regelung von einem halben, einem Viertel– oder einem Achtel-Ausländer, je nachdem ob man selbst, beide Eltern oder eben nur ein Elternteil in Deutschland geboren wurde oder nicht."
Danke für diese klare Darlegung. Genauso geht es mir nämlich auch, zumal meine Kinder hier persönlich betroffen sind. Zwar hat der "Migrationshintergrund" noch keine rechtliche Relevanz und ist "nur" ein statistisches Mittel, aber allein diese gesonderte Erfassung über Generationen hinweg, ist in meinen Augen der erste Schritt zur erneuten Einführung der Nürnberger Gesetze. Damit wird der allgegenwärtige Rassismus staatlich subventioniert. Binationale Partnerschaften und Ehen werden gerade in DE sowieso immer noch scheel betrachtet. Hier schwingen ständig Vorurteile hinein, die selbst noch von den Mainstream-Medien unterfüttert werden. Nicht mal gestandene Kabarettisten wie Gerhard Polt sind sich zu schade, in diese Kerbe zu hauen. Die wirklich leidtragenden sind jedoch hier die Kinder und Kindeskinder aus diesen Verbindungen. Diese müssen sich inzwischen wieder ständig rechtfertigen und ihre Staatsangehörigkeit nachweisen.
Kleines Bsp. Schulwechsel meine Sohnes, Frage der Direktorin: „Woher er denn käme?.“ Das Ganze sogar noch in meiner Gegenwart mit dem Wissen um meine Vaterschaft.
Zwar wurde hier schnell gegengesteuert und betont, dass es angeblich Schüler mit gewissen rechten Tendenzen gäbe (wirkliche Probleme konnte mein Sohn hier jedoch nicht erfahren), aber allein schon die Unterstellung anhand äußerlicher Merkmale zeugt doch vom Unvermögen geänderte gesellschaftliche Entwicklungen zu akzeptieren. Deutsche sind heute nun mal nicht blond und blauäugig, waren sie auch nie. Das dt. Territorium ist seit jeher Transitgebiet. Hier ist praktisch alles und jeder durchgetrampelt.

Anonym 3. März 2012 um 10:54  

Auszug MighEV (Hervorhebung von mir)

Die Daten zu Merkmalen des Migrationshintergrundes nach § 4 Absatz 1 sind für alle Ausbildung- und Arbeitsuchenden, Arbeitslosen , und von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer , sowie für alle erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, zu erheben.
______________________________

Es geht bei weitem nicht nur um aktuell Arbeitslose. Denn von Arbeitslosigkeit bedroht dürfte in Deutschland so ziemlich jeder sein.

D.h. diese Erhebung müsste an alle mit "Migrationshintergrund" verschickt worden sein, auch an alle, die derzeit keinerlei staatliche Hilfen beziehen.

Was passiert mit Menschen mit "Migrationshintergrund", wenn sie sich jetzt nicht von Arbeitslosigkeit bedroht sehen, aber z.B. innerhalb eines Jahres arbeitslos werden?

Wieso ist so eine "Nummer" nicht durch die Presse gegangen? (Jedenfalls habe ich dazu nichts lesen können, bis auf hier) Ich werde mein Bestes tun, es durch so viele Foren wie möglich zu jagen!

KClemens

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