Facie prima

Montag, 20. Februar 2012

Heute: Der Fallengelassene, Christian Wulff

Selten zuvor konnte man den Paradigmenwechsel der flankierenden Bildberichterstattung so vorzüglich beobachten, wie in der aktuellen Affäre um Bundespräsident Wulff. Artikel, die ihn zum Gegenstand hatten, die ihn auch nur streiften, wurden noch vor gut zwei Monaten mit freundlich dreinblickenden Fotos seiner Person garniert. Wulff lächelt hier, die dazugehörige Schlagzeile titelte, dass die Zufriedenheit mit Wulff als Bundespräsidenten zunehme. Das Volk zufrieden, der Präsident lächelt keck. Schon bevor der Leser den Inhalt des Artikels erfasst, wird ihm gewahr, dass es sich um eine offenbare Frohbotschaft handeln müsse. Gegenteilig die Fotos, die die aktuellen Artikel zieren. Wulff wird publizistisch der Bevorteilung bezichtigt - täglich neue Vorwürfe. Einerlei an dieser Stelle, was an den Vorwürfen dran ist oder nicht - interessant ist im Rahmen der Analyse bildlicher Abbildung, um die es hier gehen soll, lediglich, dass Wulff plötzlich auf Fotografien vereinsamt wirkt; so an den Bildrand gedrängt, glaubt der Leser, noch bevor er den Text erfasst hat, dass Wulff auf sich alleine gestellt ist, verlassen wurde - der Bildrand ist das optische Schuldeingeständnis Wulffs. Und der Artikel selbst müsste gar nicht mehr gelesen werden. Bilder, die mehr sagen als die Anzahl von Worten, die die Redaktion pro Artikel vorgibt und veranschlagt.

Vormals packte Wulff an - hier das Mikrofon. Das Bild schmückte einen Artikel, der eine Rede Wulffs thematisierte und der den Bundespräsidenten als wachen Mahner beschreiben wollte. Der Bundespräsident hat von Verfassung wegen wenig Handlungsspielraum, politisch hat er keinerlei Einfluss. Aber er kann und soll als Gewissen fungieren, er soll Reden halten, in denen er zur Vernunft aufruft. Wulff, wie er gravitätisch am Mikrofon nestelt, unterstreicht diese Aufgabe einer jeden Bundespräsidentschaft. Das Bild soll präsidiales Pflichtbewusstsein assozieren. Noch immer hält Wulff Reden, trotz Affäre tut er, was er vorher tat. Doch dasselbe Magazin greift heute zu anderen Bildern, zeigt einen Präsidenten, von dem selbst die Ehefrau Abstand zu nehmen scheint - oder er von ihr? Oder will man damit belegen, dass die Eheleute Wulff sich nicht ganz grün sind? Schaut er so abgeschmackt, weil sie ihn dazu brachte, halbseidene Geschäfte in Kauf zu nehmen, wie man das häufig las? So oder so, das Bild unterstreicht nachdrücklich, dass es zwischen beiden nicht stimmt, dass die Ehe, weshalb auch immer - vielleicht wegen der Klüngelei! -, schwer belastet ist. Das einstige Traumpaar, jetzt von der Schuld erdrückt? Entzweit, weil die Machenschaften entfremdeten?

Einst in Kinderscharen stehend, der renommierte, der anerkannte Bundespräsident. Schirmherr sein, "lasset die Kindlein zu mir kommen" - das Credo jeder populistischen Haltung. Lachende Gesichter allerorten, die Welt des Wulff in bester Ordnung. Einige Monate später, die Affäre mittlerweile auf dem Tisch, kommt ein grimmiger, ein in Sorgenfalten liegender Bundespräsident Stufen herab. Was spricht eigentlich dagegen, auch jetzt, da Wulff in Vorwürfe verstrickt ist, einen lächelnden Bundespräsidenten abzubilden? Vielleicht der Umstand, dass die Fotos, die neben Artikel platziert werden, stets auch den Inhalt spiegeln sollen? Ins Gesicht desjenigen, der im Artikel behandelt wird, soll seine Gemütslage eingefurcht sein; der Leser, der erst nur Betrachter etwaiger Bilder ist, bevor er liest, soll die Tendenz des Artikels vorab schon erkennen. Das erleichtert auch die journalistische Stoßrichtung. Der durch bildliche Anreicherung vorgeprägte Leser wird so leichter von der Schuld Wulffs überzeugt, so wie er vormals davon überzeugt war, dass der glückliche Präsident inmitten Kindern, ein Glücksfall für das Amt des Bundespräsidenten sei.

Dieser Text wurde vor Wulffs Rücktritt geschrieben. Inhaltlich bleibt er dennoch aktuell - das Prinzip ist stets dasselbe.


12 Kommentare:

klaus baum 20. Februar 2012 um 09:45  

was ich einst lernte, in den 60er jahren, war, wie das volk durch inszenierte fotografie beeinflusst wurde. wie hitler sich inszenierte, war damals thema. hitler mit rehen bzw. rehlein, hitler, der kleine kinder streichelt ....-.
usw.

Alex 20. Februar 2012 um 09:55  

Selbstverständlich werden zum Artikel passende Fotos gewählt. Artikel haben eine Aussage, und dazu werden die zugehörigen Fotos gewählt. Was denn son st? Warum sollte man von der Aussage des Artikels losgelöste (!) Bilder wählen? Warum sollte man die Aussage eines Artikels nicht in den Bildern wiederfinden dürfen?
Selbstverständlich wählt man als Fotograf aussagekräftige, symbolische Gesten und Einstellungen. Gehen Sie doch mal in irgendeinen x-beliebigen Fotografiekurs oder in irgendeine Journalistenschule.

Der Beitrag hier tut zudem so, als werde mögliche Manipulation erst durch die zugehörigen Bilder kritisch. Dass Zweifelhaftigkeit von der Berichterstattung an sich ausgehen kann, diese Erkenntnis wird offenbar als selbstverständlich angenommen - gleichzeitig aber das Augenmerk auf Bebilderung gelegt, als ende hier das dem Leser zugestande Verständnis.

Anonym 20. Februar 2012 um 09:58  

Danke.
Wir sind dermaßen an einen ständigen Wechsel gebunden, daß uns jegliche Reflektion zu solchen "Sachverhalten"
entgehen.

Ich empfehle hierzu:

Die Kreativität der Langsamkeit,
Fritz Reheis

Liebe Grüße
Hartmut

ad sinistram 20. Februar 2012 um 10:03  

Klar, Alex, das ist alles so selbstverständlich - man darf es nicht mal mehr thematisieren.

Alex 20. Februar 2012 um 10:07  

Klaus Baum, und der Olympiasieger dürfte demzufolge also auch nicht jubelnd abgebildet werden, weil das klare Manipulation wäre? Das ist doch lächerlich.
Jeder Fotograf versucht die augenblickliche Stimmung einzufangen und Personen nicht in Ausdruckslosigkeit abzubilden.
Dürfen Artikel eine Aussage haben, Bilder aber nicht?

ad sinistram 20. Februar 2012 um 10:20  

Du kannst es lächerlich finden, Alex - es ändert aber nichts an der Tatsache. Wer lesen kann, der lese - der braucht auch keine Bilder.

Anonym 20. Februar 2012 um 10:27  

@KlausBaum

Meine Mutter war "BDM-Führerin"

Sie ist im januar 2011 verstorben.

Alex 20. Februar 2012 um 10:52  

Keine Bilder - eine schöne neue Welt wollt Ihr da...
Ein kurzer Selbstversuch für alle zum Mitmachen - man stelle sich vor: Ein jubelnder Wulff mit Schlagzeile "Er ist gescheitert" und ein schlechtgelaunter Wulff mit Überschrift "Wulff vollständig rehabilitiert".
Jeder kann im Selbstversuch mal testen, ob die Aussage der Schlagzeilen für ihn hinter die Aussage der Bilder zurücktritt.
Schlagzeilen, also die gelieferte Interpretation der Bilder, bleiben typischerweise wirkmächtiger als die Bilder.

ad sinistram 20. Februar 2012 um 11:20  

Alex, lesen kannst auch nicht. Ist so, kann man nichts machen... und damit ist diese Diskussion, die ins Trollige führt, auch schon beendet. Spar Dir jeglichen Kommentar, er endet im Nirvana...

klaus baum 20. Februar 2012 um 11:29  

Ich liebe Menschen, die einem sagen, wenn man über Robert Walser schreibt, man hätte doch nun auch über Martin Walser reden müssen.
Nicht das, was man sagt, wird aufgenommen, sondern kritisiert wird, dass man dies und das nicht gesagt hat.

von Springer's Gnaden 20. Februar 2012 um 14:44  

Fazit: BILD Dir Deinen Präsidenten...

...neoliberal und "marktkonform".

Präsident von Springer's Gnaden

Anonym 20. Februar 2012 um 17:04  

"Ein Bild sagt mehr als Tausend Worte" - muss es aus diesem Grund schweigen?
Warum nicht die Aussage eines Artikels in einem Bild auf den Punkt bringen? Warum dieses Ausspielen von textlicher und bildlicher Darstellungsform gegeneinander? Denn nichts anderes sagt der Beitrag.

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