De dicto

Freitag, 23. September 2011

"Der Bürokratieabbau in Deutschland kommt voran!
[...]

Das entlastet unsere Wirtschaft, erhöht die Wettbewerbsfähigkeit...
[...]
Aber was
ist mit arbeitenden Müttern, Angehörigen von Pflegebedürftigen, Steuerzahlern – also mit den Bürgern?"
- Christin Martens, BILD-Zeitung vom 20. September 2011 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Unterwirft man die Zeilen Martens' der Analyse, so wird vielerlei offenkundig, was uns in dieser neoliberalen Gesellschaft belastet. Er ist dabei exemplarisch, zwar besonders platt, aber dennoch ein Beispiel dafür, wie der Journalismus mit Schlagworten hantiert und unterschwellig Ressentiments anfacht.

Martens lobt einen Bürokratieabbau, der Unternehmen schon Milliarden eingespart hat. Woher sie die Zahlen nimmt, ist nicht weiter interessant - auch nirgends erklärt. Weitaus interessanter ist da schon, wen sie außer Unternehmen noch in den Genuss zurückgeschraubter Bürokratie bringen möchte. Arbeitende Mütter, Angehörige von Pflegebedürftigen, Steuerzahler - Bürger also, wie sie schlussfolgert. Diejenigen, die mit dem Bürokratie-Monstrum schlechthin, mit dem SGB II zu ringen haben, vulgär als Hartz IV-Empfänger bezeichnet, finden sich in der Auflistung nicht. Keine Bürger? Könnte man meinen, denn nur Bürgern soll der Bürokratieabbau zu Gute kommen. Arbeitende Mütter sind Bürgerinnen - nicht Mütter generell. Das passiert quasi nebenher, in einem Nebensatz, ganz unscheinbar, aber das ist die Essenz, die zwischen den Zeilen vermittelt wird. Dass dabei der Bürokratieabbau nur ein Gag der Wortschöpfungsagenturen ist, weil damit schlicht der Abbau von Profitreduzierern und -barrieren gemeint ist, die entfesseltem Profit den Weg behinderten, muß nicht mehr erwähnt werden.

Das macht uns wettbewerbsfähig, meint Martens. Was ist der Wettbewerb denn? Sie meint damit lediglich jene Schraube, die den Profit mehr und mehr hochschaukeln läßt - wettbewerbsfähig sind Unternehmen immer dann, wenn sie die Personalkosten reduzieren. Die entlassenen Arbeitskräfte waren allerdings nicht mehr wettbewerbsfähig, sie wurden aus dem Wettbewerb gekegelt. Die Wettbewerbsfähigkeit macht, dass die Menschen, die unter dem Wettbewerb um Renditen und Profite leiden, es wortlos hinnehmen, dass sie dafür, im Wettbewerb verweilen zu dürfen, zurückstecken müssen. Um wettbewerbsfähig zu sein, nimmt man auch in Kauf, aus dem Wettbewerb geschmissen zu werden. Sie ist die Entschuldigung der Konzerne, die nebulöse Kraft, die Entlassungen macht. Martens bedient sich dieses Schlagwortes - wie könnte es anders sein? - und genehmigt denen, die keine Chancen mehr im Wettbewerb bekommen, weil man sie aussortierte, nicht mal Bürgerrechte.



7 Kommentare:

Anonym 23. September 2011 um 08:01  

Ist das jetzt BLÖD-Werbung für die FDP, die sich doch neben Steuersenkungen den Bürokratieabbau auf die Fahnen geschrieben hatte? Längst fällig ist die zeitraubende Dokumentationspflicht in den Pflegeberufen und bei den Klinikärzten (40 % Schreibarbeit).

Und dank der CDUSPDFDPGRÜNEN-Bürokratieabbauer müssen ja neuerdings auch Rentnerinnen und Rentner eine Einkommenssteuererklärung ausfüllen, die sich in ihrer Fragenstruktur und in ihren Inhalten nebst Anlagen nicht nur jährlich ändert, sondern bereits jeden durchschnittlich gebildeten Menschen formell überfordert (z. B. die Frage nach einer "Leibrente" - wat soll dat denn sein?). Dieses bürokratische Formularmonster verfolgt jährlich millionen von Menschen, die sich keinen Steuerberater leisten können. Das erinnert mich stetes an die satirische Bierdeckeltheorie eines Friedrich Merz (CDU).

Inzwischen fülle ich jedes Jahr für
immer mehr meiner Bekannten und Freunde aus reiner Gefälligkeit die Eink.-Steuererklärung aus, weil die meinen ich wäre aufgrund meiner früheren Tätigkeit im öffentlichen Dienst dazu geeignet, habe aber tatsächlich vom Steuerrecht Null Ahnung.

Sch..ss Bürokratie!!

Seismograph 23. September 2011 um 08:48  

Zur Entlastung der Frau Martens sei angemerkt, dass die Frau sich nicht bewusst darüber ist, welch kruden Bockmist sie da verzapft, denke ich jedenfalls.
Allerdings bin ich schon der Meinung,
dass Sie dann bei solch unkritscher Einstellung nicht für eine Zeitung schreiben, und ihre zweifelhaften Ergüsse unter die Menschen bringen sollte.
Letztlich wird sie schon sehr bald persönlich von derlei menschenverachtendem Gesülze und Gehabe betroffen sein, so steht es zumindest zu hoffen.

ad sinistram 23. September 2011 um 09:06  

"... sehr bald persönlich von derlei menschenverachtendem Gesülze und Gehabe betroffen sein, so steht es zumindest zu hoffen."

Tja, die Dummheit stirbt nicht aus, wie wir täglich sehen. Und die Hoffnung, die auch nicht...

christophe 23. September 2011 um 09:36  

"Bürokratieabbau" - hinter diesem populären Schlagwort, bei dem der Leser die Abschaffung von Sesselpfurzern und Ärmelschonern vermutet, steckt vor allem die Reduzierung von Steuerfahndern, Lebensmittelkontrolleuren, von all jenen, die sich um Arbeitsschutz, Umweltauflagen und Wohnungszweckentfremdung kümmern sollen. Die Kontrolle von Menschen, die nicht das Leistungsträgerabzeichen tragen, wird freilich nicht abgebaut...

Anonym 23. September 2011 um 12:06  

christophe:
Schließe mich vollinhaltlich und rundherum an.

Berggeist1963 23. September 2011 um 16:25  

"Der Bürger" fängt nun mal in bestimmten Kreisen erst ab einer gewissen Einkommenshöhe an. Ich erinnere mich an eine diesbezügliche Aussage, die ein Herr namens Hans Rudolf Wöhrl (Unternehmer, Träger des bayerischen Verdienstordens und Gatte der CSU-Bundestagsabgeordneten, ehemaligen parlamentarischen Staatsekretärin und jetzigen Vorsitzenden des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dagmar G. Wöhrl) im Jahr 2009 im BR-Fernsehen in einer Ausgabe der "Münchener Runde" getätigt hat. In derselben Sendung sprach er sich auch noch für eine "Staffelung" des Wahlrechts aus: "Leistungsträger" 3 Stimmen, "Minderleister" 2 und "Nichtleister" 1 Stimme.

Im übrigen stimme ich der Meinung sowie Aufzählung von christophe ebenfalls in vollem Umfang zu.

Was die Dummheit und die Hoffnung angeht sehe ich das damit wie das Rennen zwischen dem Hasen (Dummheit) und dem Igel (Hoffnung). Am Ende siegte bekanntlich der "gewitztere" Igel. Vielleicht ist es ja mit der Dummheit und der Hoffnung ebenso. Hoffen wir´s einfach mal...

Anonym 23. September 2011 um 16:44  

Ich hab mal in der Schule gelernt, dass man Kohleflöze oder Erz abbauen kann, aber Arbeitsplätze und Bürokratie?

Werden die abgebauten Arbeitsplätze dann etwa eingeschmolzen und als Waffen exportiert? Wird die Bürokratie in Heizkraftwerken zur Energiegewinnung klimaneutral verbrannt?

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