Ridendo dicere verum

Freitag, 10. Juni 2011

"Man wartet in einem Büro.
Man wartet, bis irgendwer irgendwas spricht.
Man bleibt in der Näh', und man holt sich Kaffee,
und man blinzelt ins amtliche Licht.

Man wartet, als wär man im Zoo.
Man lächelt und weiß nicht, warum man es tut.
Man kriegt einen Schein, und man redet sich ein:
Wer nur wartet, der hat's ja noch gut.

Weit weg in Bonn
trinken sie Kognak und hab'n was davon.
Weit weg in Bonn
oder in London, in Moskau, in Washington...

Nicht genug, dass sie uns verbittern,
nicht genug, dass wir für sie nicht zählen,
nicht genug, dass wir vor ihnen zittern,
sollen wir sie auch noch wählen!

Nicht genug, die Knie voller Schwielen,
nicht genug, die Augen verquollen:
Wir sollen auch das Spielchen spielen,
dass wir es selber so wollen.

Fernseh'n! Stammtisch ist schön!
Lasset die Sorgen zu Haus!
Wein nicht, mein Kind -
wir haben's noch viel schlechter gehabt.
Zahl deine Steuer, denn Waffen sind teuer,
die Sonne wird wärmer, der Himmel wird bläuer -

Ja,
nicht genug, wie sehr sie dich quälen,
nicht genug, dein Leben ist schwer:
Du sollst auch die Regierung wählen,
die alles so lässt wie bisher.

So wartest du halt im Büro.
Du wartest, bis irgendwer Zeit für dich hat.
Ein ähnliches Tier sitzt verschreckt neben dir,
und ihr seid weder hungrig noch satt.

Man bestimmt über dich irgendwo.
Man lässt sich viel Zeit - was ist schon ein Jahr!
Du sitzt und verstaubst, weil du immer noch glaubst:
Es ist so, weil's immer so war.

Weit weg in Bonn
plant man dein Warten für's nächste Jahr schon.
Weit weg in Bonn
oder in Wien, in Paris, in Johannisburg...

Nicht genug, wir sollen sie wählen,
damit sie uns dann überheblich regieren:
Wir sollen diesen Krämerseelen
auch die Partei finanzieren.

Aber auch wenn wir zahlen und wählen wie befohlen:
Am Ende hab'n alle das gleiche Programm.
Bei Aufrüstung, Umwelt, Gewaltmonopolen
arbeiten alle zusamm'.

Eins - Zwei - Demokratei,
dann ist das Leben ein Scherz!
Ohnmacht ist auch eine Macht.
Wem das nicht passt, der soll's noch im Osten probier'n.
Bibel und Fahne, ganz Deutschland mit Sahne,
das eigene Nest, das beschmutzt kein Germane:

Wir Kälber wählen die eigenen Schlächter!
Wir Kälber gehorchen wieder einmal!
Ich höre schon das Hohngelächter
gleich nach der Bundestagswahl.
Ha ha."
- Georg Kreisler, Nicht genug, Wo der Pfeffer Wächst -

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