Die Prekarisierung stoppen nur freie Arbeitnehmer

Mittwoch, 29. Juni 2011

Freie Subjekte in einem freien Markt machen die unsichtbare Hand handlungsfähig - die reine Lehre des freien (Arbeits-)Marktes will es so. Dieser Grundsatz ist so eindimensional und falsch, wie jede generalisierte Aussage, die den Einzelfall nicht kennt und sich von Dogmen herleitet. Die Jünger der reinen Lehre aber, die uns tagein tagaus erzählen, dass die Freiheit aller Mitspieler innerhalb des Marktspieles Grundvoraussetzung für die bestmögliche Wirkungs- und Entfaltungsweise der Marktkräfte sei, haben nicht den Mut, die Freiheit aller beteiligter Akteuere anzuerkennen.

Miserable Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung, prekäre Freiheit

Die Berichte über Arbeitsplätze, die von Standards der Arbeitssicherheit und von Sozial- und Tarifstandards so weit entfernt sind, wie ein Schimpanse vom Verfassen einer Habilitationsschrift, mehren sich eklatant. Die Kräfte des freien Marktes werfen viele Unternehmen in eine Endlosschleife aus Druck und Stress, verpflichten sie dazu, sofern sie wettbewerbsfähig bleiben wollen, etwaige Kosten zu minimieren. Hier kommen Personalkosten und die Kosten für Arbeitssicherheit und Umweltschutz ins Spiel, das heißt: hier werden sie aus dem Spiel genommen. Günter Wallraff war vor einigen Jahren in einem solchen Unternehmen, dass dem Druck großer Konzerne ausgesetzt war, tätig - dort erlebte er, wie Sozialstandards zum willkürlichen Gnadenakt des Arbeitgebers, wie die Sicherheit des Personals in Gefahr gebracht und wie möglichst viel Arbeitskraft zu möglichst kleiner Bezahlung ausgepresst wurde. Die Prekarisierung gelangt zuweilen auch in sozialversicherungspflichtige Normalarbeitsverhältnisse.

Die Kräfte des freien Marktes, die hierzulande Aldi, Lidl oder Netto heißen, schaffen keine Freiheit, sie beschneiden sie. Und das umso mehr, weil Arbeitnehmer an solche Sklaventreiberkonstellationen gekettet sind. Wie gerne würden Arbeitnehmer, die in solchen Verhältnissen vegetieren müssen, einfach hinwerfen! Das wäre ein menschlich verständlicher Akt, denn wo Menschen ohne Würde wie Arbeitsvieh gehalten werden, da kann keine Verpflichtung bestehen, weiterhin präsent sein zu müssen. Doch der Arbeitnehmer ist ein unfreier Akteur, der durch herrschende Regelungen in der Sozialgesetzgebung unmündig gemacht wird. Kehrt er einem solchen Arbeitsverhältnis von jetzt auf gleich den Rücken, so muß er in Kauf nehmen, von der Arbeitsagentur drei Monate auf Nulldiät gesetzt zu werden. Einem solchen Arbeitgeber den Rücken zu kehren heißt dann, nicht nur den Arbeitsplatz zu verlieren, sondern womöglich sogar die gesamte Existenz.

Unfreie Mitspieler innerhalb der großen Freiheit

Solche Leute könnten ja Kuchen essen, wenn sie schon kein Brot haben, könnte man nun einwenden und wendet man üblicherweise auch ein. Sie könnten sich ja einen anderen Arbeitsplatz suchen, wenn der derzeitige Arbeitsplatz nichts taugt. Das ist natürlich Unsinn, denn erstens kann jemand aus einer strukturschwachen Region nicht wahllos seine Stelle wechseln und, zweitens, wird der frei gewordene Prekär-Arbeitsplatz neu besetzt und abermals zur Quelle eines bemitleidenswerten Schicksals. Der Arbeitnehmer ist nicht nur das schwächste Glied in der Kette: er ist das Glied mit der geringsten Freiheit - und mit der Aussicht, beim Verlassen eines prekären Arbeitsplatzes, an dem die Würde nur als Hürde begriffen wurde, drei Monate mit einer Sperre des Arbeitslosengeldes belohnt zu werden, ist die Freiheit nicht nur gering, sie ist schier nicht vorhanden.

Frei handelnde Akteure machen die Lehre des freien Marktes aus. Aber frei sind die Massen von Arbeitnehmern nicht. Hier wird die Freiheit ausgeschaltet. Man erlaubt es ihnen natürlich schon, im Anflug von Freiheitsromantik einen solchen Arbeitgeber zu verlassen - aber dann muß man sich auch die Freiheit nehmen, erstmal ohne Lohnersatzleistung zu sein. Die Freiheit wird nicht direkt beschnitten, man legt nur die Rahmenbedingungen, die freie Entscheidungen erlauben, an die Kette und verunmöglicht es dem Arbeitnehmer, mündig und vollumfänglich seiner Würde geschuldet zu reagieren.

Dreimonatige Sperre aufheben, um den freien Markt wirken zu lassen

Wenn das Dogma, dass freie Akteure die wesentlichen Aspekte innerhalb des freien Marktes regeln, auch nur annähernd stimmt... wenn freie Subjekte Angebot und Nachfrage, Sozialstandards und Sicherheitsaspekte im freien Zusammenspiel, quasi von unsichtbarer Hand, regeln... wenn dies wirklich stimmen sollte, dann sind die Arbeitnehmer dringend von der Unfreiheit ihrer Arbeitsplatzwahl bzw. -abkehr zu befreien. Unternehmen, die ihr Personal wie auszubeutende Verfügungsmasse behandeln, würden sich schön umgucken, wenn Arbeitnehmer und Arbeitslose die Freiheit hätten, sich dieser Praktiken zu verweigern. Möglicherweise würden Arbeitnehmer, die bei schlechter Behandlung einfach abhauten, die Firmenpolitik stark beeinflussen. Die unsichtbare Hand wirkte vielleicht tatsächlich. Und sie würde nebenher den Unternehmer, der den Druck seiner Abnehmer - seien es private Kunden, seien es andere Firmen, die bei ihm Ware zur Weiterverarbeitung bestellen - an die Belegschaft weiterleitet, nicht mehr zum erklärten Feind seiner Angestellten machen, weil er nicht mehr nur die reinen Interessen des Abnehmers, sondern auch die Interessen seiner Belegschaft händeln müsste. So jedenfalls theoretisch...

Natürlich wäre es Quatsch, einzig auf diese freien Mechanismen zu bauen. Der Gesetzgeber kann und soll sich einmischen und Sozialstandards setzen, Marken festlegen und unlautere Methoden auch drastisch bestrafen. Aber es ist derselbe Gesetzgeber, der einerseits den freien Markt unterstützen und beibehalten möchte, der aber dem Arbeitnehmer die Freiheit, die er in einem solchen System eigentlich haben sollte, raubt. Die Prekarisierung der Arbeitswelt kann (oder will?) der Gesetzgeber jedenfalls nicht aufhalten - zu unfähig und zu gut von wirtschaftlicher Seite geschmiert erscheint der Koloss. Freie und mündige Arbeitnehmer, die keine Angst haben müssten, von den Behörden alleine gelassen zu werden, wenn sie dem peinigenden Arbeitgeber von der Schippe hüpften, könnten allerdings gegen die Prekarisierung in Stellung gebracht werden. Denn die Prekarisierung der Arbeitswelt gründet auf dem mangelnden Selbstbewusstsein der unselbstständig Beschäftigten - gibt man ihnen das Selbstbewusstsein zurück, so müssen sich bessere Bezahlung und die Wahrung der Menschenwürde am Arbeitsplatz zwangsläufig neu formieren.

Die Sperre kostet mehr als sie je einzubringen vermag

Der erste Schritt zur Bekämpfung prekärer Arbeitsverhältnisse und dem Ungeist, Menschen generell - auch in noch gut bezahlten Normalarbeitsverhältnissen - als Humankapital zu katalogisieren, wäre es, den Menschen die Grundlagen einer Freiheit zu gewähren, die sie mündig handeln läßt. Daher muß die dreimonatige Sperre, bei "selbstverschuldeter" Aufgabe eines Arbeitsplatzes, verschwinden - nimmt man dies nicht in Angriff, so muß man davon ausgehen, dass die Prekarisierung, wie wir sie zunehmend erleben, gewollt ist. Denn diese Sperre ist ein Instrument zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in diesem Lande. Sie wird als Maßnahme geführt, die Geld einsparen soll, damit Arbeitgeber nicht wie irre kündigen, um sich in die soziale Hängematte zu legen - aber in Wirklichkeit kostet uns diese Maßnahme als Gesellschaft mehr, als sie einspart, denn sie unterstützt und fördert die Minijobisierung, das Aufstockertum, die Umlegung von Personalkosten auf die Allgemeinheit.

Diese sozialpolitische Regelung ist ein Freifahrtschein für Unternehmer ohne Gewissen. Sie hält Arbeitnehmer bei skrupellosen Arbeitgebern und liefert die Belegschaften deren asozialen Praktiken aus. Unmündige Arbeitnehmer können sich nicht zur Wehr setzen und von dieser Regelung profitierende Arbeitgeber sind Halbgötter, die schalten und walten können, wie es ihnen gerade passt. Die Angst um Arbeitsplatz und einer dreimonatigen Sperre macht aus feisten Lumpen allmächtige Gestalten, die sich durchs Tagesgeschäft hindurchkriminalisieren können, ohne große Gegenwehr zu erfahren. Die von ihnen vollzogenen Maßstäbe werden langsam zur allgemeingültigen Richtschnur und wirken auch in Arbeitsverhältnisse hinein, die noch nicht prekarisiert wurden. Unzufriedene Angestellte an ihre Brotgeber zu schmieden, das kommt der Gesellschaft teuer zu stehen - wesentlich teurer, als "Arbeitsplatzflüchtlinge" zu sanktionieren.



27 Kommentare:

somlu 29. Juni 2011 um 07:23  

Du beschreibst es ja als Hypothese, dass diese Prekarisierung gewollt ist. Ich denke, die Einführung des SGB II und die beständige repressive Anpassung dieses Gesetzbuches zeigt deutlich, dass die Prekarisierung gewollt ist.

endless.good.news 29. Juni 2011 um 08:02  

"Wenn das Dogma, dass freie Akteure die wesentlichen Aspekte innerhalb des freien Marktes regeln, auch nur annähernd stimmt... "

Das ist es ja. Es stimmt nicht annähernd. In Familienunternehmen wird der Erbe neuer Chef (Qualifikation spielt keine Rolle). Es ist mit Studien nachgewiesen worden, dass bestimmte Personengruppen aufgrund ihres Auftretens bessere Chancen haben eingestellt zu werden. Leistung ist nur eine Seite. Wir sind eben Menschen und da gelten unterschwellige, animalische Regeln, wann wir jemanden mögen und wann nicht.

hercule 29. Juni 2011 um 08:48  

Dazu passt ein anderer Aspekt: In bestimmten Bereichen (AKW, Flugzeugbau) wird der perverse Kostendruck immer mehr zur realen Gefahr. Wenn von immer weniger Beschäftigten ständig Höchstleistungen verlangt werden, wir das Endprodukt zwangsläufig zum Gefahrengut. Irgendwann wird die sogenannte Hochtechnologie durch immer neue Sparmaßnahmen unbeherrschbar. Das (Sub-)Unternehmertum frisst seine Kinder...

Wolfgang Buck 29. Juni 2011 um 09:23  

Zitat: "Freie Subjekte in einem freien Markt machen die unsichtbare Hand handlungsfähig - die reine Lehre des freien (Arbeits-)Marktes will es so."

Dazu fällt mir natürlich sofort Joseph Stieglitz ein (ehemaliger Chefökonom der Weltbank und Wirtschafts-Nobelpreisträger):
"Die unsichtbare Hand des freien Marktes ist deshalb unsichtbar, weil es sie gar nicht gibt."

Derselbe kluge Kopf hat letzthin zur Finanz- und Eurokrise auch kund getan, er glaube die Welt würde nur noch von Irren regiert. Ein ausnahmsweise sehr sympatischer Wirtschaftswissenschaftler.

ad sinistram 29. Juni 2011 um 09:44  

Es gibt sie nicht, das ist wahr. Deshalb bedarf es ja Regularien, die dem Markt aufgedrängt werden müssen. Hier kommt der Sozialstaat ins Spiel. Wenn aber die große Freiheit gepredigt wird, die auch für bestimmte Teilnehmer am Spiel gilt, so muß das schwächste Glied auch mit Freiheiten ausgestattet sein, die ihm Mündigkeit zuweisen. Das ist nicht nur eine Frage der Würde, es ist auch eine Antwort auf beschissene Zustände an manchem Arbeitsplatz.

Anonym 29. Juni 2011 um 10:02  

Anonym somlu hat gesagt...

"Du beschreibst es ja als Hypothese, dass diese Prekarisierung gewollt ist. Ich denke, die Einführung des SGB II und die beständige repressive Anpassung dieses Gesetzbuches zeigt deutlich, dass die Prekarisierung gewollt ist."

So ist es!
Diese Prekarisierung wurde bekanntlich bereits 2003 von Schröder und seinen Kapital-Hintermännern zur Voraussetzung für neues Kapitalwachstum in Deutschland erklärt.
Ab 2005 haben Prekarisierung, Sklavenlöhne, Sklavenarbeit, Leiharbeit, Rechtlosigkeit der Lohnknechte endgültig eine rechtliche Grundlage, hat sich der deutsche Staat endgültig in aller Offenheit als Büttel und Willensvollstrecker des Kapitals geoutet.
Jegliche Phrasen über Freiheit, Menschenwürde, Freiheit des Marktes, das ganze ohnehin falsche Brimborium eines ADAM SMITH können wir uns ersparen.
Die Herrschenden führen einen brutalen Klassenkampf von oben, wo aber bleibt die Gegenwehr von unten?
THAT´S THE QUESTION !

MfG Bakunin

Anonym 29. Juni 2011 um 10:13  

Noch ein kleiner Nachtrag zu Adam Smith für ökonomische Laien:

Die Theorie des Adam Smith von der "unsichtbaren Hand" des Marktes geht aus vom Austausch wirklicher Äquivalente, d.h. wirklichen Wertgrößen, er geht aus von der zu seiner Zeit noch weitgehenden VORKAPITALISTISCHEN Warenproduktion.
Bei der kapitalistischen Warenproduktion aber werden nur SCHEINBAR zwischen Lohnabhängigen und Kapitalisten gleiche Werte ausgetauscht, da die "Ware" Arbeitskraft die schöne Eigenschaft besitzt, mehr Wert erzeugen zu können als sie bei ihrem Einkauf in Form eines bestimmten Lohnes besitzt.
Ebenso verzerren auch monopolistische Wirtschaftsstrukturen den Austausch von gleichen Werten, Monopolpreise etc....

MfG Bakunin

Anonym 29. Juni 2011 um 10:26  

Das Geschriebene entspricht meinen täglichen Gefühlen und Ängsten.

Das Damoklesschwert einer dreimonatigen Sperre ist nicht zu ertragen, schon gar nicht, wenn man weit über Fünfzig ist und im Armenhaus Deutschlands lebt - in
Mecklenburg!

Man könnte die Gegend ja wie ein Zigeuner verlassen, aber wäre es woanders sehr viel besser?

Xrayn 29. Juni 2011 um 11:24  

Schon mal was vom Bedingungslosem Grundeinkommen gehört?
Ich denke die Lösung liegt eher da...

Hartmut 29. Juni 2011 um 11:41  

Was die Arbeitgeber mit der "Schützenhilfe" der Gesetzgeber tagtäglich anwenden sind eigentlich Straftatbestände: Nötigung, Erpressung und Bestechung.....

Meine Frage lautet: Wie kann sich ein unfreier Arbeitnehmer, der zuvor
unmündig und abhängig gemacht wurde dagegen wehren ? -

In einer 3-monatigen Sperre sehe ich mindestens vorsätzliche Körperverletzung, unterlassene Hilfeleistung usw.

Die Väter unseres GG würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie erkennen könnten was aus ihrem Auftrag im Art. 1 GG geworden ist...und wird...

Eine zwar umfangreiche aber dennoch gute und kritische Lektüre
von Domenico Losurdo zum Thema Freiheit:
Freiheit als Privileg
- Eine Gegengeschichte des Liberalismus -

Cygnus 29. Juni 2011 um 11:54  

Daß die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse gewollt ist, geht ja ganz offiziell aus dem Schröder-Blair-Papier hervor (ist also keineswegs bloße Hypothese), in dem der "Sozialdemokrat" Schröder seine Absicht kundtat, aus diesem Land das Dumpinglohnparadies Europas zu machen. Ist ihm gelungen.

Noch schwerwiegender erscheint mir aber in diesem Zusammenhang das komplette Versagen der Gewerkschaften, die sich als nützliche Idioten der Arbeitgeber entpuppen. Eine bessere Leibgarde vor der Wut der Arbeitnehmerschaft konnten sich Arbeitgeber gar nicht erträumen.


Lieber Roberto, sollte es im vorletzten Absatz nicht heißen:
"Sie wird als Maßnahme geführt, die Geld einsparen soll, damit ARBEITNEHMER nicht wie irre kündigen, um sich in die soziale Hängematte zu legen ..."?


lg
Cygnus

ad sinistram 29. Juni 2011 um 12:23  

Ich kann nicht einsehen, warum jedem ein bedingungsloses Grundeinkommen zukommen sollte. Auch Bohlen? Auch Zetsche? Eine bedingungslose Lohnersatzleistung, das ja. Aber nicht mehr.

Klaus Baum 29. Juni 2011 um 14:20  

meiner einschätzung nach, hat die tatsache, dass die SPD nach kohl plötzlich regierte, viele linke intellektuelle wie grass oder staeck paralysiert. die linke kritikerprominenz file plötzlich ganz weg - und eine kritische opposition musste sich erst allmählich über das internet herausbilden.

lebowski 29. Juni 2011 um 14:47  

"Ich kann nicht einsehen, warum jedem ein bedingungsloses Grundeinkommen zukommen sollte. Auch Bohlen? Auch Zetsche? Eine bedingungslose Lohnersatzleistung, das ja. Aber nicht mehr."

Ich auch nicht! Aber für das Geldgesindel sind 1000 € im Monat nur ein Fliegenschiss, während dieser Betrag für sozial Schwache den Unterschied zwischen Würde oder Lohnsklaverei ausmacht.
Leute wie Zetsche oder Bohlen werden immer einen einträglichen Platz an den Futtertrögen haben. Kein Gesetz kann sie davon wegbringen.
Soviel Ungerechtigkeit muss man schon ertragen können.

Anonym 29. Juni 2011 um 16:03  

Ein kleines Beispiel zur Prekarisierung und zu den "freien Arbeitnehmern",

Ich arbeite für eine Zeitarbeits-firma und bin momentan an eine Firma verliehen, bei der fast nur Zeitarbeiter von insgesamt 3 ver-schiedenen Firmen arbeiten. Stamm-personal ist dort klar in der Minderheit. Eine Frau ist dort sage und schreibe seit bereits 5 Jahren nonstop ausgeliehen. Eine andere Frau wurde nach 4 Jahren übernommen und hat prompt eine Befristung und 6 Monate Probezeit bekommen ( die ersten 4 Jahre haben anscheinend nicht gereicht).

Wird jemand im Ausnahmefall übernommen lohnt sich das nicht mal, weil die Bezahlung nur minimal besser ist als bei den Zeitarbeitsfirmen.

Tolle Freiheit also.

Anonym 29. Juni 2011 um 20:01  

Die gewollte Reservearmee an Arbeitslosen:

Die rot-grüne Regierung entpuppte sich angesichts immer neuer Rekorde bei den Arbeitslosenzahlen und unter dem Druck der Globalisierung geradezu als Avantgarde verschärfter und tiefer Einschnitte in das System sozialer Sicherung.“ (Kurz 2005: Das Weltkapital; Berlin, S. 305 u. 308)

http://www.nachdenkseiten.de/?p=9922#more-9922

Anonym 29. Juni 2011 um 20:02  

"...macht aus feisten Lumpen allmächtige Gestalten, die sich durchs Tagesgeschäft hindurchkriminalisieren können..."

Wie wahr,wie wahr.

Noch geiler sind die sozial Verwahrlosten,die 1 €uro-Jobber beschäftigen und auch noch Geld dafür kassieren.Als kleine "Aufwandsentschädigung" für die sozialpädagogische Betreuung.

Jutta Rydzewski 29. Juni 2011 um 20:48  

@Cygnus 11:54

"Daß die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse gewollt ist, geht ja ganz offiziell aus dem Schröder-Blair-Papier hervor (ist also keineswegs bloße Hypothese), in dem der "Sozialdemokrat" Schröder seine Absicht kundtat, aus diesem Land das Dumpinglohnparadies Europas zu machen. Ist ihm gelungen."

In der Tat, das ist dem Fataldemokraten Schröder gelungen, und daran wird die so genannte SPD (hoffentlich) noch lange zu knacken haben. Solange wie die Schröderianer, insbesondere die beiden Steine, Gabriel, Nahles, bei den Spezialdemokraten eine Rolle spielen, sollte der ganze Haufen auf FDP-Prozentniveau absinken. Übrigens, in der Schröderzeit haben sich auch die Kirchen, an der Spitze die Protestanten, unter dem damaligen neoliberalen Bischof Huber, der Obergöttlichkeit, dem Markt, angeschlossen. Huber trötete so manchen Psalm auf die "freie Marktwirtschaft", und war folgerichtig ein Anhänger von Schröder. Seine Nachfolgerin, die den Kurs ändern wollte, weg vom Markt und wieder mehr hin zum Menschen, wurde dann, ganz zufällig natürlich, wegen einer Trunkenheitsfahrt sozusagen vom "freien Markt" hinweggefegt. Mittlerweile macht sich Frau Käßmann allerdings die Vorteile des "freien Marktes" selbst zunutze. Aber auch die Katholiken sind, sogar ganz aktuell, voll auf "freien Markt Kurs". In diesem Zusammenhang der Hinweis auf: http://www.kathpress.at/site/nachrichten/database/40161.html. Unter der Überschrift - Sozialethiker kritisieren bischöfliches Sozialpapier - heißt es im ersten Absatz: Sozialethischer Gegenwind für die deutschen Bischöfe: Mit zehn kritischen Thesen haben vier prominente katholische Sozialethiker das gestern vorgelegte Sozialpapier der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz kritisiert. Das Papier mit dem Titel "Chancengerechte Gesellschaft - Leitbild für eine freiheitliche Ordnung" sei in seiner Ausrichtung letztlich "neoliberal" und bestätige nur "die Pragmatik der gegenwärtig in der Bundesrepublik politisch Verantwortlichen", heißt es in der von Prof. Bernhard Emunds (Nell-Breuning-Institut St. Georgen), Prof. Karl Gabriel (Münster), Prof. Hermann-Josef Große Kracht (Darmstadt) und Prof. Matthias Möhring-Hesse (Vechta) verfassten Stellungnahme. Ich empfehle dringend den ganzen Text zu lesen. Zusammengefasst: Der ganze Laden ist durch und durch neoliberal markt-verseucht, wobei Schröder und seine Agendagang, einer davon hat sich, mit großer Unterstützung der gleichgeschalteten "bürgerlichen" Presse, selbst zum Kanzlerkandidaten ausgerufen, erst so richtig die Tür aufgemacht haben, so dass die schwarz/gelben "freien Marktierer" mühelos einmarschieren konnten. Der Rest ist bekannt. Sprechautomaten wohin das Auge blickt, einschließlich der Gewerkschaften und Kirchen, die ihren einprogrammierten neoliberalen freien-Markt-Scheiß herausplärren. Noch ein letzter Tipp: http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2005/09/17/a0015. Ein herrlicher Text aus dem Jahre 2005, der sich wirklich lohnt zu lesen. Überschrift: Arschlochalarm.

mfg
Jutta Rdzewski

Granado 29. Juni 2011 um 22:44  

Tja, Verschärfung der Zumutbarkeit, Entfristung der Leiharbeit etc. ist Hartz I. Arbeitsschutzgesetze stehen schon bei Festangestellten unter Druck, geschweige denn bei 1-Euro-Jobbern. Schranken der Scheinselbständigkeit wurden längst wieder beseitigt. Wer alles mitentscheidet bei Ansprüchen an die Arbeitslosenversicherung, ist grotesk (Unternehmer wg. fiktiver Aufteilung der Beiträge!). Formal geht's um die Ausgestaltung von § 10 SGB II, § 121 SGB III bei Zumutbarkeit, §§ 31ff SGB II, § 144 SGB III bei Sanktionen/Sperren. Entscheidend ist die Stärke vor Ort + Whistleblowing. Aber nachdem Ver.di-Häuptlinge nicht mehr das Projekt "Tarifeinheit" betreiben, arbeitet die IG Metall weiter an der Strangulierung des Streikrechts.

Jutta Rydzewski 29. Juni 2011 um 22:47  

@lebowski 14:47

" ... während dieser Betrag für sozial Schwache den Unterschied zwischen Würde oder Lohnsklaverei ausmacht." ...

Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, wenn ich die medial weitverbreitete Begrifflichkeit, sozial Schwache, höre oder lese, melde ich mich immer zu Wort. Manchmal, wenn auch viel zu selten, wird auf meine Intervention sogar einsichtig reagiert. Warum wende ich mich überhaupt gegen diese Begrifflichkeit, wenn sie in pauschaler Form verwendet wird, was ist damit gemeint, und was ist damit bezweckt? Als sozial schwach gelten in der öffentlichen Debatte (Langzeit)Arbeitslose, prekär Beschäftigte und ganz besonders Hartz IV-er. Und exakt das ist zumindest irreführend und birgt die Gefahr, dass Menschen nicht nur diffamiert sondern auch verletzt und gekränkt werden, die sozial sogar außerordentlich stark sein können. Z.B. kann eine alleinerziehende Mutter, die von Hartz IV lebt, somit also EINKOMMENSschwach und eben nicht sozial schwach ist, sozial erheblich stärker sein als ein verurteilter Straftäter wie Klaus Zumwinkel, der die Allgemeinheit durch Steuerhinterziehung in Millionenhöhe geschädigt hat, oder der widerliche Hetzer Thilo Sarrazin, bei dem sogar gutachterlich festgestellt wurde, dass seine Äußerungen rassistisch, elitär und herabwürdigend sind. Diese "Hartz IV-Mutter" ist nach meinem Verständnis sozial auch erheblich stärker als ein Hans Olaf Henkel, der Herrn Sarrazin, hinsichtlich seines ekelhaften Geschmieres, ungeteilten, öffentlichen Beifall spendet, oder ein Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts in München, der sich zu der auch grundgesetzlich mehr als fragwürdigen Äußerung hat hinreißen lassen, wonach der Sozialstaat die Unterschicht überhaupt erst hervorgebracht habe. Das sind die wahren sozial Schwachen, und davon gibt es täglich mehr. Auch mit den "gängigen" Schlagworten Ober- Mittel- und Unterschicht, habe ich erhebliche Schwierigkeiten. Das geht mir schon in die Richtung Ober- Mittel- Untermensch. Gerade in diesen Zeiten, so meine ich, sollte besonders empfindsam auf die Sprache geachtet werden, denn der Verderb der Sprache ist der Verderb des Menschen. Wie gesagt, nehmen Sie das bitte nicht persönlich, aber genau das ist ja die Taktik der gleichgeschalteten Bewusstseinsindustrie: Begriffe in die Welt zu setzen, die dann irgendwann, ohne dass weiter darüber nachgedacht wird, undifferenziert übernommen werden. Das ist sogar einmal Albrecht Müller von den Nachdenkseiten passiert. Natürlich habe ich auch ihn darauf aufmerksam gemacht; er war einsichtig, sogar sehr einsichtig. :-)

mfg
Jutta Rydzewski

Anonym 30. Juni 2011 um 08:25  

@ Roberto J. De Lapuente 29. Juni 2011 12:23

Wenn dadurch die Masse der einfachen Menschen durch das Bedingungslose Grundeinkommen in Freiheit und Selbstbestimmt leben können, ist mir das egal wenn ein paar Asoziale (Ackermann, Schroeder) sich noch breiter in der Vermögenshängematte Platz machen. Das Bedingungslose Grundeinkommen sehe ich für die Menschenheit als Riesenchance!
Hier noch mal meine Videoempfehlung dazu:
http://www.kultkino.ch/kultkino/besonderes/grundeinkommen

ad sinistram 30. Juni 2011 um 08:53  

Wer von seiner Arbeit leben kann, anständig leben kann, der braucht kein Zubrot - das ist der Fehler am bedingungslosen Grundeinkommen. Es wirkt nicht gerecht, weil es auch solchen ein Grundeinkommen gewähren würde, die es gar nicht brauchen.

Anonym 30. Juni 2011 um 11:07  

Der Ensolidarisierung der Gesellschaft, die unter Schröder dann volle Wirkung erreichte, der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, ging etwas anderes voraus. Unter Kohl verarbschiedete sich der Staat seiner Verantwortung über die Wirtschaftspolitik für Vollbeschäftigung zu sorgen. Ab 1982 verstand man unter Wirtschaftspolitik nur noch Verwaltung und kein Eingreifen mehr, wenn es nötig gewesen wäre. Und als das Heer der Arbeitslosen wuchs, schwand gleichzeitig die Kraft der Arbeitnehmer und Gewerkschaften zur Gegenwehr.

Das war auch das Ziel, denn es verspricht nicht nur mehr Gewinne der Wirtschaftsbosse, sondern vor allem mehr Machteinfluss. Erst dadurch wurden Maßnahmen wie Harz 4 und vieles andere möglich.

Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommen verwechseln Ursache und Wirkung. Sie ignorieren die gesellschaftlichen Kräfte, die Wirkmechanismen, die erst zu dieser Präkarisierung und der jetzigen Pseudodebatte des BDG geführt haben. Es geht um Machtverhältnisse, um eine gerechte Verteilung des erarbeiteten, des erwirtschafteten Volksvermögens zu erreichen.

Das BGE ist in Wahrheit das Gegenteil dessen, da es die Arbeit selbst gar nicht mehr als essenziell betrachtet. Arbeit ist aber essenziell! Sie muss nur anderen Interessen, als der reinen Profitmaximierung unterworfen sein. Arbeit bedient Bedürfnisse, sowohl in der arbeit selbst, als auch in den erschaffenen Werten, die sich keinesfalls nur in Waren ausdrücken müssen.

lebowski 30. Juni 2011 um 12:45  

@Roberto J. Lapuente
"Wer von seiner Arbeit leben kann, anständig leben kann, der braucht kein Zubrot - das ist der Fehler am bedingungslosen Grundeinkommen."

Das Wort "Arbeit" umfasst alles. Gesellschaftlich notwendige Arbeit wie das Erziehen von Kindern genauso wie das bspw. Verkaufen von wertlosen Lebensversicherungen bei AWD. Ein AWD-Mitarbeiter kann von seinem Lohn anständig leben, trotzdem tut er nichts anderes als die Gesellschaft fortwährend zu schädigen.
Das bedingungslose Grundeinkommen würde jedem die Freiheit geben, sinnlose Arbeit abzulehnen.

Anonym 30. Juni 2011 um 19:56  

A.
@ Roberto J. De Lapuente 30. Juni 2011 08:53

Was ist "Arbeit"? Physikalisch ist das klar, demnach ist jede Bewegung des Menschen Arbeit. Wenn du an dein Blog schreibst ist das Arbeit, wenn ich Staubsauge ist das Arbeit! Was du meinst ist wohl eher die einkommensabhängige Beschäftigung wie sie heute üblich ist, und da haben wir es schon nämlich die Abhängigkeit. Diese Abhängigkeit muss aufgelöst werden wenn Menschen in Freiheit leben sollen. Arbeit wie wir sie jetzt kennen führt zur Abhängigkeit und somit zur Unfreiheit. Das BGE ist kein "Zubrot" sondern Freiheit. Jeder Mensch kann dann entscheiden was er tun möchte.

Anonym 3. Juli 2011 um 10:02  

Lieber Roberto J. de Lapuente,

danke für den vorzüglichen Text.

Mir selber geht es derzeit so, dass ich in einem ungeliebten Arbeitsverhältnis festhänge, wo ich nur deswegen nicht kündige weil ich befürchte 1. eine Sperre zu erhalten und 2. sofort in Hartz IV zu landen - unabhängig, dass dieses Arbeitsverhältnis schon seit 2006 keinen Nutzen mehr für mich hat. In einer Erbengemeinschaft.

Gruß
Bernie

Anonym 7. Oktober 2012 um 14:58  

"Wie gerne würden Arbeitnehmer, die in solchen Verhältnissen vegetieren müssen, einfach hinwerfen! Das wäre ein menschlich verständlicher Akt, denn wo Menschen ohne Würde wie Arbeitsvieh gehalten werden, da kann keine Verpflichtung bestehen, weiterhin präsent sein zu müssen. "

Ich bekam vor längerer Zeit zufällig ein Selbstgespräch einer älteren Beschäftigten beim Einräumen der Regale mit, sie sagte: "Ich hab hier so die Schnauze voll!"

Beim vorbeigehen hab ich genickt und ihr zugelächelt, sie hat sich darüber wohl gefreut.

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