Die Welt schmerzt

Samstag, 28. Mai 2011

Schwarzseher! nannte man mich schon oft. Manchmal gelte ich aber auch als berüchtigter Optimist. Dann unterstellt man mir, ich würde ein zu positives Menschenbild haben oder - wie kürzlich erst an dieser Stelle -, an irgendwelche Kräfte, beispielsweise an die Kraft des realen Sozialismus glauben. Aber das ist Unsinn! Ich bin nicht inbrünstig pessimistisch und schon überhaupt nicht optimistisch. Der abgedroschene Spruch, den man jetzt normalerweise anbringen müsste: ich bin nichts von beidem, ich bin schlicht Realist - aber dass meine Gedanken oft schwermütig klingen, sodass sie mit einem kultivierten Pessimismus verwechselt werden könnten, kann ich dabei gar nicht leugnen. Ich lese mich manchmal so - ja, das ist wahr. Aber das ist nicht Ausdruck davon, dass ich besonders negativ wäre, schwarzseherisch oder so - es ist der Realismus, wie er sich zeigt, wenn man ihn gewissenhaft als Schule verfolgt und wenn er einem ein Leben lang gnadenlos ins Gesicht schlug.

Es ist die Einsicht, dass sich Sehnsüchte als Unerfüllbarkeiten outen, dass sie vergängliches Wunschdenken sind. Auch und vorallem dann, wenn sich aus der Sehnsucht ein greifbares Szenario entwickeln könnte oder sogar schon entwickelt hat. Strebt der Mensch eine neue, bessere Gesellschaft an, so endet das fast schon statistisch bewiesen dennoch dort, wo es anfing. Der menschliche Makel läßt sich nicht wegerziehen - die Menschheit ist ein Fiasko, daran läßt sich nicht rütteln. Die Unzulänglichkeit des Menschen kennt keinen Halt und wartet nicht "vor den Toren der besseren Gesellschaft" unter Berücksichtigung von Schildchen, auf denen steht "Ich muß draußen bleiben!" Oder wie ist es, wenn man sich als Einzelperson ein anderes Leben wünscht, in dem es anders, vielleicht ruhiger, vielleicht erfolgreicher zugehen soll? Wie oft wird aus Aufbruch Enttäuschung? Nicht nur Gesellschaften gelangen vom Regen in die Traufe...

Das klingt nach Defätismus, ich gebe es ja zu. Man kann das auch gerne so nennen, so wie man jedes Gefühl, jede Regung mit vielerlei Namen taufen kann, wenn man nur genug Namen dafür eingelagert hat. Ich nenne es einerseits Realismus, andererseits Weltschmerz - was letztlich vielleicht auf dasselbe hinauskommt. Natürlich hege ich Sehnsüchte, aber gleichwohl weiß ich auch, dass diese Sehnsüchte - wie alle Sehnsüchte auf dieser Welt, ganz egal, wie privat, wie nichtig oder trivial sie sind - an Unerfüllbarkeit leiden. Auf der einen Seite lehne ich aus tiefsten Herzen das ab, was man die Wirklichkeit nennt. Und auf der anderen Seite weiß ich jedoch auch - und ich wüsste es lieber nicht -, dass es aus dieser Wirklichkeit kein Entrinnen gibt. Sehnsucht hie, Weltschmerz da. Die Unvereinbarkeit der Sehnsucht mit der Welt, sie erzeugt etwas wie Wehmut in mir, sanfte Melancholie, Vergänglichkeitsbewusstsein. Diese Einsicht, dass man letztlich unerfüllbare Vorstellungen mit sich trägt, sie liest sich durchaus pessimistisch in meinen Texten - aber das bin ich nicht; ich bin eher wehmütig. Ja vielleicht habe ich auch ein klein wenig resigniert - schon gut, schon gut, ich geb' es ja zu!

Das heißt nicht, dass man keine Sehnsüchte haben darf. Was man im amerkanischen Raum den "Blues" nennt, wird in Portugal als "Saudade" bezeichnet. Der Fado atmet diese Saudade. Er kündet von Weltschmerz und Enttäuschung - aber auch vom Aufstehen, neu Anpacken, vom Aufbrechen neuer Sehnsüchte. Im Grunde inszeniert Camus für uns einen Fado, wenn er seinen Sisyphos dessen Steinbrocken wieder und wieder hinaufwalzen läßt. Fado ist Wehmut und Traurigkeit, die Erkenntnis, dass die Vergänglichkeit das Wesen der Welt ausmacht; er ist leichte Resignation, die aber stets von Neuem zum Antrieb wird. Zwar verstehe ich etwas Portugiesisch, einen Fado aber natürlich nicht, dazu bin ich zu ungeübt, habe ich zu wenig Kenntnisse. Aber die Musik, der Ton, das melancholische Kolorit, das man zynisch gesagt, als jämmerliches Geheule abtun könnte, das verstehe ich auch "sprachlos", denn all das zeichnet mein eigenes Weltbild nach. Saudade ist kein Pessimismus, dazu ist er zu kultiviert. Der Pessimist hakt alles mit "Alles Scheiße!" oder "Leckt mich doch alle!" ab - er ist nicht mal mehr zynisch in seiner Ablehnung.

Der an Weltschmerz Infizierte ist jedoch zynischer. Das rührt daher, weil er mit der Realität abwägend verfährt, er will nicht einfach hinter alles "Alles Scheiße!" notieren. Er erkennt in seiner Tristesse sehr genau, dass jede Sehnsucht Enttäuschung birgt. Das liegt in der Natur des sehnsüchtigen Schmachtens. Dafür gibt es große Beispiele. Nehmen wir nur die Oktoberrevolution, die in einem Terrorstaat mündete; oder die Französische Revolution, die mehr rollende Köpfe fabrizierte als das Ancien Régime in all seinen Jahren, und die überdies zum ersten zentralisierten Gesinnungsstaatswesen großer Schule mutierte. Kleine Beispiele kennt jeder selbst aus seiner Vita. Aber es gibt auch genug, die das nicht bedenken - und erfüllt sich dann irgendwann deren Sehnsucht, so ist der Jammer manchmal groß. Und dann ist der Schritt zur Verzweiflung nicht mehr weit. Wer Saudade lebt, der verzweifelt nicht plötzlich, denn der trägt die Verzweiflung schon immer subkutan bei sich, der hat das Destillat des Verzweifelns unter die Haut gepflanzt. Als kleine Dosis. So wie eine kleine Gabe von Morphium lindert, während eine Überdosis tötet, so verabreicht sich der Wehmütige beständig kleine lindernde Stöße von Verzweiflung. Diese beständig dezent anhaltende Verzweiflung schützt und erlaubt einem nicht, übermütig zu frohlocken, wo andere sich einer haltlosen Freude an den Hals werfen.

Die Welt jubilierte, als ein Schwarzer US-Präsident wurde - nun staunt Deutschland über den ersten grünen Ministerpräsidenten. Beides Hoffnungsträger, beide als Wegweiser zu besseren Zeiten! Und dann kommt die Enttäuschung, eine Sinnkrise, weil man verzweifelt feststellt: "Oh je, nichts ist so gekommen, wie wir es uns erhofft haben! Wenig oder nichts hat sich verändert!" Wo Saudade herrscht, da gibt es kein "Oh je!" mehr, oder anders: da ist das "Oh je!" schon in den Anfang hineinprogrammiert - Enttäuschung ist ihr fremd. Der süße Weltschmerz à la Saudade birgt eine Portion Skepsis. Sie ist die bittere Erfahrung des an der Welt leidenden Menschen. Sei skeptisch, weil die Welt, so wie sie ist, immer enttäuschen kann - sie muß es nicht immer, aber sie tut es dennoch oft genug. Das ist nicht Pessimismus, das ist Erfahrung. Sei wachsam, sei unterkühlt, habe deine Hoffnungen im Griff - hoffe, aber hoffe nicht blindlings; Hoffnungen sind lebenswichtig, aber wenn die maßlos sind, dann morden sie langsam und heimtückisch, denn die zur Enttäuschung gewordene Hoffnung bohrt zu viele Löcher in die Befindlichkeit, als dass man darüber hinwegfühlen könnte. Das klingt wie eine einfach gestrickte Form der Bauernschläue? Kann sogar sein, ich will es gar nicht abwiegeln.

Dieser Weltschmerz ist allerdings mehr, aber natürlich auch Selbstschutz, das gebe ich ja unumwunden zu. Doch dies mindert ja nicht ihren Wert. Als Überlebensstrategie hat sich Saudade bewährt. Für mich jedenfalls! Sprechen wir von mir! Für jedermann mag dieser Weltschmerz nichts Verlockendes an sich haben - und das ist auch vernünftig, dass Lebensphilosophien nicht für jeden Menschen kompatibel sind. Das naive "Laßt uns Revolutionen machen!" gibt mir wenig Halt - auch in der Revolution liegt die Enttäuschung begraben, das sehen viele Westentaschen-Revoluzzer nicht. Sie eifern, sie schüren, sie hören "Revolution!" und sind Feuer und Flamme und legen sich dabei unwissentlich und unbemerkt eine gelbe Binde mit drei schwarzen Punkten um den Oberarm. Natürlich heißt das nicht, Demonstrationen per se zu unterlassen, weil die sinnlos wären - das Gegenteil ist der Fall, sie sind nötiger denn je. Aber wir sollten uns nicht zu viel davon versprechen. Seien wir ruhig mal ganz realistisch und fordern einfach das Unmögliche! Che Guevara machte diesen famosen Ausspruch - aber der steht gemeinhin für den optimistischen, anpackenden Revolutionär, der ein, zwei, viele Vietnams schaffen wollte. Dieses Zitat macht mich aber stutzig. Das Unmögliche anpacken? Das kann heißen, nur in der Revolution gründet der Umsturz und die Umwertung aller Werte - oder es kann bedeuten: seien wir revolutionär, aber bitte laßt uns nicht vergessen, eigentlich ist es unmöglich, was wir da wollen. Guevaras Schriften strotzen nicht nur vor lebensbejahendem Selbstbewusstsein - ihn schmerzte die Welt, er war kein Pessimist, aber realistisch genug, süße Melancholie in seine olivgrüne Uniform zu wickeln.

Ist das nicht das Leitmotiv revolutionären Denkens? Wo die Anpacker und Hemdsärmelaufstülper an die Revolution gehen, da ist es mit dem Grundkonsens einer gesellschaftlichen Veränderung nicht weit her. Siehe 1918. Siehe 1789. Deren erhoffte bessere Gesellschaft wurde zu einer "Gesellschaft wie gehabt" - ein wenig modifiziert, ein wenig frisch organisiert, aber endlich doch so, wie der Vorgänger. Aus Ochrana wurde Tscheka; aus Gottesgnadentum die Allherrlichkeit des Wohlfahrtsausschuss! Der Melancholiker weiß das, er ahnt es zumindest; er kennt die Gefahren, die der Mensch und die menschliche Gesellschaft in sich trägt. Die besten Absichten sind Gülle, wenn man mit dem Schwert der Unfehlbarkeit ans Werk geht, wenn man die eigenen Sehnsüchte zu einem Ziel erklärt, zu dem man auch mit Repression oder Gewalt gelangen darf. Die Aufgabe des "Saudadista" ist weniger, sich zum Anführer oder maximo líder einer Bewegung zu machen. Seine Skepsis, seine weltschmerzliche Erfahrung, die er in den Diskurs wirft, das ist sein Metier. Damit tut er seinen Dienst. Che Guevara war vielmehr das, als alles andere. Er war Revoluzzer, aber er hat Bedenken gehabt, er war der Melancholiker, der ahnte, dass die neue, die bessere Gesellschaft auch Makel haben kann - und haben wird.

Spanische Wurzeln sind die meinen. Teilweise jedenfalls. In diesen Tagen toman los españoles la calle, ergreifen die Spanier die Straße. Wie soll ich mich dazu äußern? Das frage ich mich seither. Was kann ich sagen? Der Optimismus, der nun auf diesen Kundgebungen ruht, er beschämt mich. Gleich vorweg, ich finde es richtig, notwendig - aber dieser schnöde Optimismus! Gleichwohl der Pessimismus anderer Leute, das alles würde eh nichts bringen. Weiß man das vorher? Und wenn ja, wofür in dieser Welt immer einiges spricht, soll man dann stillhalten? Eine Ökonomie der Sehnsüchte einführen? Sehnsucht nur dann, wenn sie sich rentiert? Mich erfüllen die spanischen Verhältnisse dennoch mit Melancholie, denn die Hoffnungen zerschlagen sich vermutlich - vermutlich sogar besonders schnell. Gewehrläufe sind immer in Diensten der Herren, nie den Demonstranten unterstellt - das darf man nie vergessen. Die Empirie der Menschheit zeigt, am Ende sind Sündenböcke notwendig. Ach, Migranten in Spanien, nehmt euch in Acht! Euch kann man gerade so leiden, wenn ihr für Wasser und Brot in der flirrenden Hitze Südspaniens malocht - aber Rechte? Bessere Behandlung? Geht doch heim!, rufen sie dann - schreien das auch Familienmitglieder von mir? Familienmitglieder, deren Onkel oder Bruder oder Cousin, mein Vater also, selbst mit solchen verbalen Frechheiten übergossen wurde, als er in einem fernen Lande gastarbeitete?

Der Saudadista mag das Bukett des Umsturzes herrlich finden - ich tue es jedenfalls, ich halte es für notwendig. Aber der Stein, der da sisyphosgleich hinaufgewälzt wird, er muß erstmal vom Zurückrollen bewahrt, er muß gesichert werden. Ich bin kein Pessimist, wenn ich erkläre, dass ich genau daran zweifle - Felsbrocken lassen sich manchmal nur sehr schwer sichern. Der Schmerz, den diese Welt uns antut, die Diskrepanz zwischen Sehnsucht und der Wirklichkeit, auch der Wirklichkeit nach Erfüllung der Sehnsucht, die oftmals unzureichend ist, wie die Zeit davor - dieser Schmerz, er macht mich zum Realisten...



16 Kommentare:

Anonym 28. Mai 2011 um 09:42  

"Auf der einen Seite lehne ich aus tiefsten Herzen das ab, was man die Wirklichkeit nennt. Und auf der anderen Seite weiß ich jedoch auch - und ich wüsste es lieber nicht -, dass es aus dieser Wirklichkeit kein Entrinnen gibt."

Ich hasse die Wirklichkeit, aber sie ist der einzige Ort, wo man ein gutes Steak bekommt. Woody Allen

potemkin 28. Mai 2011 um 10:44  

Ich muß an einen Ausspruch denken, der sich auf das Ende des letzten Krieges bezieht: Soviel Anfang war nie... Will sagen, erst nach dem totalen Zusammenbruch hat der Optimismus wieder eine reelle Chance. Heute werden wir in eine künstliche Hektik gepresst, die jegliches Reflektieren, Innehalten, Umkehren nahezu unmöglich macht. Es ist leider so: Man suggeriert den Leuten, es muß alles ganz schnell gehen, dann kommen sie nicht auf dumme Gedanken. Übrigens: Auch in Auschwitz wurde diese 'Beschleunigungstaktik' erfolgreich angewandt. Auf den Tahir-Plätzen dieser Welt wird - sicherlich unbewußt - ein Innehalten eingeübt, welches trotz der prekären Lage ein Nachdenken ermöglicht. Ein erster Anfang?

Anonym 28. Mai 2011 um 12:00  

Hallo Roberto, deinen Weltschmerz will ich dir ja gern belassen, was aber Milliarden von Menschen auf diesem Planeten weit mehr schmerzen dürfte ist der verbrecherische parasitäre(siehe nur "Schuldenkrise" etc...!)verfaulende (weltweite)Imperialismus mit allen seinen Auswirkungen.
Möchtest du diesen auch weiterhin unangetastet lassen, da ja Revolutionen, d.h. Veränderungen der realen gesellschaftlichen Machtverhältnisse "eh nix bringen", bzw. "am Ende" nur "Enttäuschungen"... ?
Mit dieser deiner Einstellung bleibt dir zwar dein ganz persönlicher "Weltschmerz" weiter erhalten, doch was ist mit denen, die unter dieser Hölle so zu leiden haben, dieser zu entkommen suchen?
Ja, "Die Welt schmerzt", beseitigen wir also endlich die Ursachen dieser Schmerzen!

MfG Bakunin

Anonym 28. Mai 2011 um 12:10  

Bevor Gott den Menschen erschuf, wählte er einen kleinen Teil der Erde aus, ließ dort ein wunderschönes Paradies entstehen und nannte es Garten Eden. Diesen Platz hatte er für den ersten Mann, Adam, und seine Frau Eva vorgesehen. Gott wollte, dass sie Kinder haben und so die ganze Erde bevölkern. Nach und nach hätten sie dann die Erde zum Paradies gemacht. Durch ihre willentliche Übertretung des Gesetzes Gottes sündigten Adam und Eva. Daraufhin tat Gott sie aus dem Garten Eden hinaus. So ging das Paradies verloren...

Anonym 28. Mai 2011 um 12:54  

Trefflicher Kommentar, wie immer ;-)

Übrigens was mich derzeit stutzig macht ist nicht einmal Spanien sondern der euphorisch genannte "Arabische Frühling", wo der Stein bereits, z.B. in Ägypten, am Rückwärtsrollen sein dürfte.

Die Ägypter werden vom Militär, wie Nachdenkseiten erst kürzlich verlinkte, genauso regiert als wäre der gestürzte Diktator Mubarak immer noch im Amt.

Die "G8" wollen den nordafrikanischen Revolten mit Milliarden helfen, aber was geschieht eigentlich wenn die Revolten durch Konterrevolutionäre gestürzt werden - in Ägypten sieht es derzeit, wie bereits erwähnt, wirklich stark danach aus.

Gruß
Bernie

christian krille 28. Mai 2011 um 13:09  

sehr geehrter herr de lapuente,

auch ich fühle diesen weltschmerz, den Sie beschreiben und wahrscheinlich noch viele andere, die sich mit den begriffen gerechtigkeit, fairness und wahrheit in bezug auf die herrschende realität auseinandersetzen.
die herrschende realität wird von den herrschenden gedanken erschaffen. das ist leicht zu erkennen. die herrschenden gedanken basieren auf dem mythos der trennung, das heisst es herrscht der glaube, dass wir als menschen getrennt von anderen menschen existieren. und so verhalten wir uns auch. das muss nicht so bleiben.
wir müssen nur einen neuen gedanken fassen: ALLES IST EINS
die offensichtlichste konsequenz dieses gedankens ist die, dass wir uns nicht mehr damit rausreden können, dass man ja als einzelner sowieso nichts ändern kann.
wenn alles eins ist, dann ist eins auch alles.
dies zu verstehen kann aus dem weltschmerz eine weltfreude machen.
dies zu verstehen heisst, sich selber in bezug zu allem zu setzen, alles in bezug auf einheit zu betrachten.
zum schluss noch ein kleines gedicht:
der rausch des lebens ist die liebe
zu allem was existiert
schenken ist geben an sich selbst
technik, die fasziniert

klaus baum 28. Mai 2011 um 13:36  

Roberto, Du befindest Dich in bester Gesellschaft. Hier ein kleines Zitat aus meinem Beckett-Vortrag vom April 2009:
>>Beim Schreiben dieses Vortrages fand ich eine sehr bemerkenswerte Seite im Internet >The Online Journal< von >Rhys Tranter<, eine Seite, die Tranter mit dem Namen des bereits erwähnten Beckett-Textes überschreibt: A Piece of Monologue. Bei Tranter findet sich ein Zitat, das ich infolge meiner schlechten englischen Aussprache lieber übersetzt zitieren möchte. Tranter hat es einem Buch des amerikansichen Literaturwissenschaftlers Enoch Brater entnommen, der an der Universität von Michigan lehrt. Der Titel des Buches lautet: „The Essential Samuel Beckett: An Illustrated Biography“.

Hier das Zitat: >>An einem wunderschönen sonnigen Morgen, Mitte der 60er Jahre, war Beckett auf dem Weg durch Regent’s Park zum Lord’s Cricket Ground. Er war eigens von Paris nach London gereist, um das Testspiel zwischen England und Australien zu sehen. Beckett wohnte im Haus seines Freundes und Herausgebers John Calder hinter der Wigmore Street. John Gibson, einer der irischen Direktoren von BBC Radio, erinnerte sich, wie enthusiastisch der Dramatiker angesichts der grünen Bäume und des Gesangs der Vögel war, wie sehr er das Zusammensein mit wirklich guten Freunden bei strahlend blauem Himmel genoß. Einer der Anwesenden bemerkte: „Ja, an einem solchem Tag ist es doch gut am Leben zu sein, to be alive.“<< Beckett antwortete darauf: >>So weit würde ich allerdings nicht gehen.<<

>>Well, I wouldn’t go as far as that<<

Für mich ist diese Bemerkung Ausdruck einer reflektierten Selbstwahrnehmung, Ausdruck eines Zweifels über die Tragfähigkeit der eigenen Freude, eine Relativierung des momentanen Glücksgefühls.<<

Heiko 28. Mai 2011 um 13:38  

Hallo Roberto! Vielleicht ist das mal eine kleine Abwechslung:
http://www.youtube.com/watch?v=FdHsGrTymlM

"...Des Nachts und auch am Tage, die Rebellion macht Spaß
so rufen Jung und Alt, tanzend auf der Strass´..."

Ulli 28. Mai 2011 um 13:39  

Ein toller Text. Dennoch muss der Blues nicht zu groß sein. Ernst Bloch zitiert ja diesen Satz "Geschlagen ziehen wir nach Haus / unsere Enkel fechten's besser aus". Der ist sicher richtig, jedenfalls lebt die große Mehrzahl der Menschen im heutigen Europa hundert Mal besser als zur Zeit der Bauernkriege. Und auch die Französische Revolution war, trotz allen Terrors, von herausragender Bedeutung für die Entstehung der freiheitlichen westlichen Gesellschaften. Irgendwann werden die Menschen hoffentlich auch über die AKWs oder die aktuellen Hartz IV Schikanen nur noch den Kopf schütteln. Ein bisschen verbessern die Dinge sich schon.

Man muss sich halt vor Verblendung und Dogmatismus schützen, die sind beim Denken die Wurzeln allen Übels. Und einen quasi religiösen Gesellschaftszustand, in dem der Löwe neben dem Lamm liegt und es keinerlei Probleme mehr gibt, wird es sowieso nie geben... (wahrscheinlich sogar zum Glück)

Anonym 28. Mai 2011 um 16:51  

Ach Roberto, ich kann Dich so gut verstehen.

Ich schwanke momentan zwischen Hass, Selbstmitleid, Apathie und immer wieder Wut. Das Schlimmste ist die totale Sinnlosigkeit. Mein Gott, wie könnte es uns allen gut gehen, wenn die Arschlöcher und Mitläufer nicht ständig darauf aus wären, zu raffen, zu raffen und zu raffen. Und wozu das alles?

Wie lang haben wir hier auf der Welt? 80 Jahre im Schnitt? Ist es erstrebenswert mit einem vollen Bankkonto zu sterben? Kann man Geld essen oder liebhaben?

Ich kann die Raffgier einfach nicht nachvollziehen, mir fehlt dazu jegliches Verständnis. Mir geht es jedenfalls nicht gut, wenn ich Menschen sehe, die am Existenzminimum herumknapsen müssen. Wie krank muss man sein, diese Menschen noch zu beneiden um ihr beschissenes Hartz-IV?

Mich kriegen die jedenfalls nicht klein, mich nicht! Mein Luxus ist, nicht zu buckeln und zu kriechen. Vor keinem! Mein Luxus ist es, aufrecht zu bleiben, egal vor wem. Ich versuche in meinem Umfeld den Samen des Zweifels zu sähen. Zweifel an den Mainstream-Medien, Zweifel an den Parteien, Zweifel an Institutionen. Wer zweifelt, der ist immun gegen Propaganda. Mehr geht halt nicht, damit finde ich mich langsam ab.

Systemfrager 29. Mai 2011 um 07:08  

@ Ulli

Sehr gut geschrieben. Roberto hat einiges durcheinander gebracht.

Kristin 29. Mai 2011 um 11:25  

Sehr schön geschrieben! Ich finde mich direkt wieder...

... Realisten wird gern eine negative Weltsicht unterstellt - wie gut, das man selbst weiß, wie es wirklich ist.

http://www.lebens-phase.de/forum/forum.php

Anonym 29. Mai 2011 um 12:24  

Anonym hat gesagt...
"Ach Roberto, ich kann Dich so gut verstehen. ......"

Auch ich kann natürlich Roberto durchaus nachvollziehen, und nach den Gedanken, wie du sie hier dargestellt hast, versuche auch ich schon lange zu leben.
Wir dürfen aber nur nicht "schwach" werden und uns einer letztlich düsteren Verzweiflung wegen dem opportunen Verhalten so vieler unserer Mitmenschen einfach so hingeben.
Es gibt auch immer wieder Hoffnungsschimmer, nach ihnen müssen wir Ausschau halten, an ihnen müssen wir uns festklammern.

MfG Bakunin

Anonym 29. Mai 2011 um 23:49  

@Bakunin

Ich wäre ja geneigt dir bei diesem schönen Satz zuzustimmen:

"[...]Es gibt auch immer wieder Hoffnungsschimmer, nach ihnen müssen wir Ausschau halten, an ihnen müssen wir uns festklammern[...]"

Die "Hoffnungsschimmer" haben mich aber schon etliche Male enttäuscht, ganz besonders die aus der Politik, die direkt in unser aller Leben (via Agenda2010 z.B.) im Alltag eingreifen - Ich denke da nur an Gerhard Schröder, den ich einst (Schäm, ich geb's ja zu) als "Hoffnungsschimmer" betrachtete, wie viele andere auch nach den verlorenen Jahrzehnten unter Helmut Kohl, aber der entpuppte sich rasch viel schlimmer als Kohl was Sozialabbau angeht - Rot-Grün (auch die Grünen haben mich maßlos enttäuscht seit Joschka Fischer) ist doch vom Paulus zum Saulus geworden.

Diese Art der Hoffnungsschimmer findet man ja mittlerweile auch in anderen Ländern bzw. international - Vorbilder? Wo sind die?

Obama als Kriegsnobelpreisträger, auch so eine enttäuschte Hoffnung von uns allen, und dies schreibe ich obwohl ich zunächst auf ihn reingefallen bin mit dem "Change"....Spaniens Sozialisten, die auch mittlerweile vom Paulus zum Saulus mutiert sind, was die Punkte Sozialabbau geht....

Nein, die "Hoffnungsschimmer" sind nur noch enttäuschend, und damit meine ich nicht nur Politiker und Wirtschaftsgewaltige.....

Sogar bei den derzeitigen Demokratiebewegungen muß man aufpassen, dass man nicht bald vom "Hoffnungsschimmer", z.B. dem euphorisch genannten "Arabischen Frühling" enttäuscht wird....was Spanien angeht bin ich auch skeptisch, und Stuttgart 21 erst recht - Gerade dort wird der/die ein oder andere demnächst in gewaltigen Schritten vom Paulus zum Saulus mutieren - insofern es nicht bereits geschehen ist....

"Hoffnungsschimmer"? Nein, danke!

Gruß
Bernie

PS: Ich zähl mich nicht dazu, aber gerade für den ein/die andere arabische Fundi gibt es natürlich auch brandgefährliche "Hoffnungsschimmer", wie die Taliban oder Osama Bin Ladens Nachfolger....

@all

Irgendwo las ich einmal, dass gerade Pessimisten die bessere Weltsicht haben als blinde Optimisten - Das stimmt, wie meine Lebenserfahrung zeigt, aber Konsequenzen sehe ich daraus leider keine erwachsen - zumindest nicht im obrigkeitshörigen Deutschland.

Anonym 30. Mai 2011 um 20:58  

Optimist oder Pessimist.
Oder Realist.
Rechts oder links.
Eine Frage der Sozialisation und damit erfolgter neuronaler Gewichtung.

Demokratie oder Scheindemokratie.
Oder Diktatur.
Oben oder unten.
Eine Frage der Menschlichkeit.
Die Welt, die schmerzt!

Demos 4. Januar 2012 um 12:47  

Ja, der arabische Frühling als Vorbild für den Westen...

Die NZZ schildert, mit welcher Aggressivität sich die fundamentalistischen Salafisten in Tunesien breitmachen: "Den salafistischen Agitatoren, deren Zahl auf wenige tausend geschätzt wird, gelang es im Lauf der letzten Monate, den säkular denkenden Teil der tunesischen Bevölkerung spürbar einzuschüchtern. Die größte Breitenwirkung erzielten die Eiferer dabei mit ihren Aktionen an den Universitäten. In Sousse verlangte eine Studentin, unterstützt durch ein paar Gesinnungsgenossen, mit Ganzkörperschleier an den Vorlesungen teilnehmen zu können. Als ihr dies durch die Universitätsleitung untersagt wurde, stießen die Salafisten Morddrohungen gegen den Universitätssekretär aus und begannen einen Sitzstreik."

www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/das_faustrecht_der_tugendbuendler_1.14068238.html

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