Teilhaber des Todes

Mittwoch, 17. November 2010

"Umberto Eco verurteilt die Steinigung ebenso wie die Giftspritze", titelte der Focus (Printausgabe Nr. 42 vom 18. Oktober 2010) kürzlich. Die westliche Wertegemeinschaft, so sein Resumee, dürfe bei der im Iran angewandten Variante der Todesstrafe sich insofern nicht empören, weil sie in den eigenen Reihen Nationen birgt, die gleichfalls gesetzlich morden.

Der Artikel war nur kurz gefasst und die Auflehnung, die er erntete, fiel auf den Seiten der nächsten Focus-Ausgabe auch nur zögerlich und sparsam aus. Man dürfe, so mokierte sich eine Leserin, die beiden Todesstrafen nicht in einen Topf werfen. Die Giftspritze in den Vereinigten Staaten sei mit dem Steinregen einer aufgebrachten Menge nicht vergleichbar; was aus diesen Zeilen schimmerte, könnte man überspitzt formuliert für die Selbstgerechtigkeit einer Wertegemeinschaft ansehen, die selbst das Meucheln akzeptiert, wenn es nur demokratisch legitimiert drapiert wird.

Mithin täuscht sich Eco tatsächlich. Die beiden Varianten des vom Gemeinwesen beschlossenen Forträumens eines zuvor zur Unperson erklärten Menschen, sind nur schwerlich gegeneinander abzuwägen. Hie das etatistische und rationale Aburteilen, da ein absolutistisches und emotionales Spektakulum; hier industrielle Präzision und effektivierte Verfahren, dort augenscheinliches Chaos und affektive Reflexe; einerseits der Rückgriff auf eine Verfassung, die im Namen des Volkes und damit jedes einzelnen Bürgers verurteilt, andererseits der Einbezug eines höheren Wesens, das nicht im Auftrag der Menschen, sondern übermenschlich sozusagen, sanktioniert.

Exakt in diesem letzten Punkt ist der Unterschied begraben. Es stimmt, es gibt kein moralisches Primat der einen Todesstrafe über die andere; und doch sind beide Ausformungen unvergleichlich. Gleichwohl der iranische Delinquent im Namen Gottes gerichtet wird, hat es die westliche Wertegemeinschaft vollbracht, ihre Bürger nicht nur materiell und mittels sozialreformatorischen Werken am Wohlstand teilhaben zu lassen - sie sichern auch die Teilhabe am Richterspruch, die Teilhabe an der Exekution. Die Verantwortlichkeit liegt dort in der Transzendenz, hier beim Bürger - die Errungenschaft des Westens ist es, dass er seine Bürger mitschuldig macht; er ist teilhaberisch in jeder Beziehung, macht seine Menschen nicht nur zu Komplizen, so wie eine Horde steinewerfender Totschläger in grölende Komplizenschaft tritt - er macht sie zu Teilhabern des Meuchelns, zu Sozii des Todesurteils.

Die Todesstrafe in Ländern, die von der bürgerlichen Revolution gestreift wurden, sie vereint die Bürger im Tode - in der Erklärung, jemanden dem Tode zu überstellen. Die Todesstrafe im Iran beispielsweise wird von einem obersten Wesen inspiriert, der Mensch hat diesen Ratschluss nur stur umzusetzen. Somit läßt sich festhalten, dass beide Formen nicht vergleichbar sind - und es ist untragbar, nur deshalb eine Variante zu erdulden, weil dort im Namen des Volkes gemordet wird und alle Bürger Teilhaber des Todes sind. Nur weil eine Gesellschaft durchweg zum Sachwalter erklärt wurde, kein Monarch, keine Gottheit mehr Unrecht spricht, muß das noch lange kein Fortschritt sein.

Im Iran werfen sie Steine, werden zu Komplizen, die nur ausführen, aber wenig Verantwortung haben - in den westlichen Ländern, führte man im Gedankenspiel dort durchgehend die Todesstrafe ein: keiner würfe, keiner würde zum Komplizen - man würde zum Mitverantwortlichen, zum Mit-Richter...



8 Kommentare:

Potemkin 17. November 2010 um 17:29  

Das staatliche Morden haben wir weitgehend verdrängt, zumal es bei uns im aufgeklärten Europa als Kapitalstrafe nicht mehr existiert. Seltsam ist nur, dass wir das staatliche Exekutieren stillschweigend akzeptieren, wenn es technisiert daher kommt. Technik fasziniert offenbar: Der elektrische Stuhl, die Giftspritze haben das Hinrichten zu einem mechanisch-sterilen Akt werden lassen. Und die neuesten Methoden sowieso: Die 'gezielte Tötung' kommt ohne Richter, Anwalt und Staatsanwalt aus, die Hinrichtung erfolgt durch einen gezielten Schuß aus weiter Entfernung, wenn nicht durch einen Joystick (sic!), der tausende Kilometer entfernt den Tod per ferngesteuerter Drohne auslöst. Der'menschlichere' Mordakt ist daher... das Steinigen!

modesty 17. November 2010 um 18:01  

Warum sind die Todesstrafe in einem demokratischen Staat und die Todesstrafe unter der Scharia nicht zu vergleichen? Geht es nicht in beiden Fällen um Bestrafung, um die Aufrechterhaltung des jeweiligen Rechtssystems, und letztlich um Rache bzw. Genugtuung?

Wenn ich mir die Prozesse in den USA ansieht, bei denen am Ende ein Todesurteil heraus kommt, vermag ich darin nicht unbedingt etatistische Rationalität zu erkennen. Und auch dort sind eine Menge Leute davon überzeugt, dass Gott es will, das Unrecht gerächt wird.

Umgekehrt ist doch auch ein so genannter Gottesstaat erst einmal ein Staat. Ein Staat, der Gesetze hat, denen die dem Staat unterworfene Bevölkerung halt folgen muss. Und wer nicht spurt, der wird bestraft. Dass die Strafen unter der Scharia heftiger ausfallen ist natürlich nicht schön, aber auch Nicht-Gottes-Staaten können ziemlich häßlich zu Leuten sein, die sie meinen, bestrafen zu müssen.

Und ich sehe überhaupt nicht, warum einer, der den Stein in die Hand nimmt, weniger verantwortlich für das, was er tut sein soll, als einer, der sich bloß auf dem falschen Staatsgebiet befindet. Also auf einem, das die Todesstrafe kennt. Nur weil man der gleichen Gerichtsbarkeit unterworfen ist, wird man doch nicht automatisch zum Mitrichter, Mitverantwortlichen, Mittäter, wenn man so will.

Das würde erst der Fall, wenn man das Gesetz, das so etwas vorsieht, persönlich unterschrieben hätte - und in der Regel werden die Leute nicht gefragt, was sie den gern für Gesetze hätten. Oder wenn man halt auch einen Stein in die Hand nimmt. Oder was auch immer, um einen Menschen vom Leben zum Tod zu befördern.

Fleur 17. November 2010 um 18:15  

"in den westlichen Ländern, führte man im Gedankenspiel dort durchgehend die Todesstrafe ein: keiner würfe, keiner würde zum Komplizen - man würde zum Mitverantwortlichen, zum Mit-Richter... "

Wenn das nur bei allen angekommen wäre. Aber leider glaubt man auch in den westlichen Demokratien, die Verantwortung einfach abstreifen zu können.
Wer würde schon persönlich abdrücken, den Schalter umlegen, die Injektion verabreichen...?
Dennoch: Blut klebt an den Händen jedes Todesstrafenbefürworters und eines jeden, der die Parxis der Hinrichtung auch nur duldet.

Anonym 17. November 2010 um 19:24  

Oklahoma will Häftling mit Tierbetäubungsmittel hinrichten

http://nachrichten.t-online.de/oklahoma-will-haeftling-mit-tierbetaeubungsmittel-hinrichten/id_43462446/index

Da wird vor nichts halt gemacht...

Anonym 17. November 2010 um 20:03  

Man richtet allzugerne den Zeigefinger auf Andere, um von den eigenen Taten abzulenken.

Trojanerin 17. November 2010 um 22:07  

Es sei mir gestattet, an dieser Stelle zur Solidarität mit Mumia Abu-Jamal aufzurufen. Für die Hintergründe empfehle ich die hervorragende Publikation „Wettlauf gegen den Tod“ von Dr. Michael Schiffmann. http://www.stimmenfuermumia.de/content/index.htm

Anonym 18. November 2010 um 14:40  

Anonym 17. November 2010 20:03
Man richtet allzugerne den Zeigefinger auf Andere, um von den eigenen Taten abzulenken.

Und diese Scheinheiligkeit, diese Doppelmoral, das Verlogene und Verblendete, widert mich dermaßen an, da fehlen mir glatt die Worte.

Kaum eine Meldung in den Medien (solche muss man sich schon suchen), die der Realität tatsächlich noch entsprechen würde, von "da verunglückte ein Bus auf der ...", einmal abgesehen.

Alles wird zunächst in dieser Doppelmoral derart "vor"bewertet, so dass es jedwede objektive Beobachtung überlagert. Man bekommt omnipräsent die Bewertung in einer Penetranz, wie bei Stopfgänsen das Futter, verabreicht, so dass man sie quasi erst wieder auswürgen muss, um noch zu einer Beobachtung zu gelangen.

Anonym 19. November 2010 um 04:38  

Morden ist in Deutschland straffrei bis zu einem gewissen Alter des Opfers. So wurden hier bereits Millionen von Menschen abgetrieben, und täglich werden es mehr.
Es gäbe nicht das Demographieproblem und die Einwanderungsdispute, wenn alle gezeugten Menschen wie in der allermeisten Zeit der Menschheitsgeschichte einfach auf die Welt kommen dürften.

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