Konservativ, progressiv - diese Unterscheidung wird täglich dümmer!

Dienstag, 16. November 2010

Das was heute unter der Standarte des Konservatismus durch die Lande kreucht, hat für das Konservieren, das conservare wenig übrig. Unter dieser Standarte herrscht weder struktur- noch wertkonservatives Knobeln - man will nichts erhalten, weder eine gewisse weltanschauliche Ordnung (was nicht immer schlecht sein muß!) noch eine moralische Vorstellung (was sich oft schlecht auswirkt!). Der heute vorherrschende Konservatismus ist eher rückschrittlich: nur nennt er es fortschrittlich. Er ist zum willfährigen Handlanger wirtschaftlicher Interessen zusammengeschmolzen, zum Verwalter so genannter Sachzwänge, kennt keine idealistischen Vorstellungen mehr, ist zum ideen- und wertelosen Sachwalter gemindert. Er lehnt sich nicht auf, wenn Sozialstrukturen abgebaut, Menschen zu mobilen Kapital erniedrigt, wenn selbst gesellschaftliche Räume ökonomisiert werden, die eine Aufrechnung nach Kosten und Nutzen überhaupt nicht gebrauchen können. Er will den Sozialstaat nicht bewahren - er hat nur wenig Interesse daran, den frei zugänglichen Rechtsstaat zu konservieren - er widerspricht nicht energisch, wenn Menschen unmenschlich wie Objekte verschoben und verschachert werden. Kurz, der Konservatismus hat es nicht so besonders mit konservativen Struktur- und Wertebewahrung.

Gleichwohl die eine Seite Fortschritt durch Rückschritt verkündigt, gebärdet sich vis-à-vis der moderne Progressivismus wenig progressiv. Vereinfacht gesagt: Wo der Konservatismus früher alles traditionell beim Alten halten wollte, übernimmt heute der Progressivismus diese Aufgabe. Er predigt keinen weiteren Ausbau der Sozialstrukturen, kein fortschrittliches Menschenbild, in dem der Mensch auch außerhalb seiner Erwerbsarbeit Daseinsberechtigung erlangt - er läuft den Entwicklungen hinterher, versucht zu bewahren, zu konservieren, was dem zeitgenössischen Konservatismus in seiner unkonservativen Art nicht bewahrenswert erscheint. Progressiv ist heute derjenige, der konservativ ist, der stockkonservativ zu Sozialstaat, Rechtsstaat, Mitmenschlichkeit, Solidarität, Hilfsbereitschaft steht - progressiv zu sein bedeutet dieser Tage, in bestimmten Fragen konservativ zu werden. Fortschrittlich ist an dieser modernen Erscheinung des Progressivismus wenig: erhaltend ist er, nicht weiterdenkend oder idealistisch fordernd. Vielleicht wollte er fortschreiten, alleine es fehlt die notwendige Realität dazu - die andauernde Deinstallation des Sozialwesens verbietet jedes fortschrittliche Denken. Daher ist seine moderne Losung: Nicht fortschreiten - erhalten! Bewahren! Festhalten am einstmals Erreichten! Eine bescheidene Maxime, die vergnügt gefeiert wird, wenn man wieder einmal dem Fortschritt Dienst getan hat, indem man bewahrt hat.

Der deutsche Publizist Kurt Hiller schrieb 1932 in einen Artikel: "Links, rechts – diese Unterscheidung wird täglich dümmer. Wer kommt noch mit ihr aus?" - Das liest sich wie ein Vorgriff - oder andersherum begutachtet: was sich heute abzeichnet, dünkt wie ein Rückgriff. "Linke Leute von rechts" nannte Hiller seinen Text - man möchte der Ordnung halber vervollständigen und "Rechte Leute von links" dranheften. Und alle treffen sie sich in der Mitte! Es wird tatsächlich täglich dümmer, zwischen links und rechts zu scheiden, es wird immer dümmer, zwischen konservativ und progressiv zu trennen - die Grenzen überschneiden sich nicht nur, teilweise haben sie ihre Merkmale und Kennzeichen ganz ausgetauscht. Es bedarf letztlich neuer Begriffe, zumindest ist der Gebrauch der vorhandenen Begriffe zu prüfen. Konservative, die fortschrittlich regressiv denken und Progressive, die regressiv fortschrittlich denken, werden ihrer Bezeichnung nicht gerecht. Die Folge ist, dass man es schon als Fortschritt feiert, wenn uns ein ausgehöhlter Kündigungsschutz oder ein zu überarbeitendes Gesundheitswesen erhalten bleibt - falsche Bescheidenheit!



10 Kommentare:

antiferengi 16. November 2010 um 17:21  

In der Welt der Verkäufer zählt nicht mehr, was die Worte bedeuten, sondern wie man sie strategisch benutzen kann. Ein wenig will man schon, ... so aus Erinnerungen heraus, ... aber wenn es dem Ziel zu wieder läuft, siegt der ökonomische Pragmatismus. Und der, wird dann als Vision verhökert. So wird das Denken immer kleiner, immer kleiner ....

Anonym 16. November 2010 um 17:22  

Hallole, dein in diesem Text bekundetes Unbehagen zu diesen "konservativ" - "progressiv" Unterscheidungen kann ich durchaus etwas abgewinnen, ebenso vielen dieser "links" - "rechts" Unterscheidungen.
Ist es denn wirklich von großem Belang, was für ein politisches Mäntelchen mit was für einer Farbe oder vorgtäuschten "Überzeugung" auch immer sich jemand umhängt um so, mit Hilfe derartiger Verkleidungen, zu einem "anständigen" BÜRGERLICHEN BROTERWERB zu gelangen?(Politik, Verwaltungen, Medien...)
Es ist einfach nur naiv zu glauben, derartige Leute wollen tatsächlich etwas in dieser Gesellschaft ändern, d.h. für die wirklich Benachteiligten grundsätzlich etwas verbessern, sich zu diesem Zweck wirklich mit den Mächtigen anlegen. Nein, sie wollen von ihr, selbst dem dieser Gesellschaft zu verdankenden Elend in vielen Fällen nur - persönlich profitieren!

Ganz abgeklärte Grüße von
Bakunin

Anonym 16. November 2010 um 17:37  

Noch eine kleine nachträgliche Konkretisierung zu dem erbärmlichen Treiben gerade der "Progressiven" und vieler "linken" welche ständig dafür trommeln, das "bewährte gute Alte" zu bewahren bzw. wiederherzustellen: Die Rentenversicherung!
Obwohl schon seit Jahrzehnten - also lange vor dem Treiben von Riester, Raffelhüschen & Konsorten! - Niedriglöhner, vor allem Niedriglöhnerinnen auf schamloseste Weise um eine ANSTÄNDIGE Rente betrogen wurden (und weithin werden), wurde und wird dieser TATBESTAND einfach nicht zur Kenntnis genommen, wird so getan, als habe es mal eine "gute alte Zeit" gegeben, wo JEDER Rentner, JEDE Rnntnerin mit einer guten auskömmlichen Rente den Lebensabend verbringen konnte, es keine Altersarmut gegeben habe.
Oder weiter: Auch wenn die ALV und die alte Sozialhilfe vor HARTZ 4 selbstverständlich besser waren, so waren sie keinesfalls "ideal", hätte durchaus einiger Verbesserungen bedürft.
Von all dem Schweigen aber die heutigen "Progressiven", "Linken" und Dauerjammerer bezüglich des "Sozialabbaus".....

Bakunin

Margareth Gorges 16. November 2010 um 19:20  

Geschickt wird jede kritische Stimme beliebig wie ein Stein mal hierhin mal dorthin verschoben, je nachdem in welche Schublade sie nun gerade besser passt. Richtet sich die Stimme gegen den Wirtschaftswahnsinn und neoliberale Bestrebungen, muss sie ja wohl eindeutig kommunistisch angehaucht sein. Erhebt sich die Stimme kritisch, was den deutschen Staat und seine monetären Verflechtungen in Zusammenhang mit globalen Elitenbildungen und jüdischen Banken angeht, muss sie eindeutig rechtslastig sein. Mit dem Instrument des Spielsteines "Extremismus" ist man in der Lage jede kritische Stimme im Keim zu ersticken, weil die tumbe Masse den gesetzten Programmen völlig unreflektiert folgt. Und wenn man zudem noch die Allmacht der Medien erwähnt, auf deren Konto ganze Reformen gehen, ist man auch schnell mit dem Vorwurf des Verschwörungstheoretikers kalt gestellt.

Wenn der Blick abgelenkt wird, sieht man unter Umständen nicht, was vor der eigenen Nase abläuft. Jeder Illusionist beherrscht diese Kunst. Und die Mächtigen unserer Welt ebenso. Wenn also der Blick des Volkes mal nach rechts, mal nach links gelenkt wird, bis es schielt, ist wohl kaum zu erwarten, dass es ohne Führung durch das eigene Land kommt! Da muss man schon aus Sicherheitsgründen zu ordentlicherer Rechtleitung greifen, bevor Gefahr für Leib und Seele (für die "Oberen": Kapital und Prestige!) besteht. Und weil das Volk nicht richtig sieht, sagt man ihm, was es zu sehen gibt! Und man sagt ihm, wie etwas zu sehen ist! Und bei aller Anstrengung: es bleibt bei eigener Betrachtung ein undeutliches Bild, wenn man diese Fehlstellung der Augen nicht korrigiert. Ist sie erst mal korrigiert, stellt man fest, wie viel dieses Rechts-Links-Spieles sich doch genau in der Mitte, vor den eigenen Augen abspielt.

Gott sei Dank hatte ich einen guten Augenarzt!

Anonym 16. November 2010 um 20:48  

Blogger Margareth hat gesagt...

"Geschickt wird jede kritische Stimme beliebig....."....

Sehr gute Beschreibung und Erklärung dieser Mechanismen der ganz gewöhnlichen tagtäglichen Massenverblödung in diesem Lande.
Meine ungeteiltes Kompliment!

Beste Grüße von
Bakunin

klaus Baum 16. November 2010 um 22:15  

Ich habe schon vor längerem darauf hingewiesen, auch mit einem seitenblick auf die nachdenkseiten, dass der gebrauch des wortes konservativ bezüglich der CDU und ähnlichem absolut verkehrt ist.

aber selbst die nachdenkseiten, sonst immer sprachkritisch, machen weiter mit dem begriff konservativ für die politik der CDU-CSU-FDP.

Fleur 17. November 2010 um 08:40  

Was sonst auch sollte sich in der Mitte finden, als ein Konglomerat sowohl linker als auch rechter Überzeugungen. Sie ist schließlich per Def der Sammelpunkt der "gemäßigten" Kräfte beider Spektren.
Die Mitte aber verleugnet das beständig, sieht sich frei aller Verbindungen zu den "extremen" Kräften.
Nur in einem Punkt unterscheidet sich die Mitte vom "Rand": Sie besitzt die Deutungshoheit. Was legitime Meinungen sind, wird von ihr festgelegt, was aber nicht heißt, dass sie tatsächlich über alledem steht, das sie öffentlich weit von sich weist.

Anonym 17. November 2010 um 11:54  

Lichtung
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum (Ernst Jandl)

Anton Reiser

Anonym 17. November 2010 um 23:22  

Also das geht so, wenn der österreichische Begründer eines Buchclubs Dich auffordert, Dich bei der Spatenarmee zu melden, weil Deine Gewerkschaft abgeschaftt wurde, schmeisst Du Deine Heimat in den Klump.
Der Etikettenschwindel wird nicht mehr dümmer, die Unterscheidung auch nicht.
Oder iss Kuchen...

schlomow 22. November 2010 um 17:42  

Hallo! Ich weiß nicht, aber ich kann dem nicht ganz zustimmen. Links und Rechts sind schon Unterscheidungen, die noch einen Wert haben.

Sowohl in sozialer Hinsicht als auch in Hinblick auf die ökonomische Ausrichtung macht die Unterscheidung sehr wohl noch Sinn.

Und setzt man für Konservative Bürgerliche, handeln diese sehr wohl gemäß ihrer eigenen Rationalität: Das was konservativ wurde, war einst die Spitze des "revolutionären" Bürgertums. Und das handelte seit jeher nach den Paradigmen des Marktes.

Die Linken andererseits, waren immer auf der Seite derer, die eine Einhegung des Marktes bevorzugten. Das hatten sie in der Zeit des Fordismus in unseren Breiten auch schon recht gut erreicht. Die letzten Jahrzehnte freilich wanderten sie wieder in die Defense.

Ich sehe nicht ganz, weshalb solche Unterscheidungen nun hinfällig werden sollten.

@Margareth: Wenn man mit Verflechtungen zwischen Staat und, explizit, jüdischen Banken argumentiert, ist das ganz klar nicht rechts, sondern vor allem unglaublich dumm und antisemitisch.

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