Nomen non est omen

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Heute: "Integrationsverweigerer"
"Nach Innenminister de Maizière fordern zahlreiche Unionspolitiker, Integrationsverweigerer härter zu bestrafen. Wer sich Integrationskursen entziehe, müsse mit konsequent angewandten Strafen rechnen. […] Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach am Sonntag in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin von vielleicht 10 bis 15 Prozent wirklichen Integrationsverweigerern."
- Meldung bei Spiegel Online vom 6. September 2010 -
Das Schlagwort setzt sich aus den Nomen Integration und Verweigerung zusammen. Integration kommt vom lateinischen integratio und meint die Wiederherstellung, Eingliederung bzw. Vervollständigung einer Einheit. Integration bezeichnet somit aktive Maßnahmen, damit jemand Teil einer Gruppe wird. Eine Verweigerung ist eine bewusst getroffene Entscheidung, eine bestimmte Handlung nicht auszuführen. Integrationsverweigerer sind somit Menschen, die sich dazu entschlossen haben, nicht Teil einer größeren Gruppe sein zu wollen.

Diejenigen, die diesen Begriff benutzen, bieten selten eine Definition von Integration an. In der Öffentlichkeit und in den Medien wird Integration mit der Teilnahme an Deutschkursen gleichgesetzt. So als ob die Teilnahme bzw. Ablehnung dieser Kurse gleichbedeutend ist, mit erfolgreicher oder erfolgloser Integration in die deutsche Gesellschaft. Gleichzeitig wird den Nicht-Teilnehmern oder auch den Kursabbrechern eine bewusste Haltung der Verweigerung unterstellt. Insofern müsste der korrekte Terminus Deutschkurs-Nichtteilnehmer bzw. Abbrecher heißen und nicht Integrationsverweigerer.

Die vermeintlich erfolgreiche Integration von Migranten an Sprachkursen fest zu machen ist absurd. Schließlich gibt es viele Gründe, warum jemand keinen Deutschkurs mitmacht oder ihn vorzeitig abbricht. Allen zu unterstellen, sie seien Verweigerer, unterstützt argumentativ die Rassentheorien von Sarrazin. Und wie Klaus Baum richtig festgestellt hat, wäre in den Augen der Konservativen ein Türke, der deutsch sprechen würde und beruflich erfolgreich wäre, sich aber für die Linkspartei engagieren würde, auch nicht erfolgreich integiert worden.

In diesem Zusammenhang erlebt auch der Plastikbegriff "Leitkultur" eine Renaissance. Wer in Deutschland lebe, müsse sich das christliche Menschenbild zueigen machen. Mulitkulti sei tot, bekräftigt Horst Seehofer und sorgt für eine weitere Spaltung der Gesellschaft. Was jedoch die deutsche "Leitkultur" genau ausmache und wie es anders - außer eben mit "multikulti", also Menschen die miteiannder leben - gehen soll, darüber wird konsequent geschwiegen.

Ich frage mich schon seit langem, ob es eine dauerhafte Integration von Migranten in Deutschland überhaupt geben kann? Selbst ein türkischstämmiger Deutscher, der hier geboren ist, perfekt deutsch sprechen kann, beruflich erfolgreich ist, eine westliche Gesinnung lebt, einen deutschen Pass besitzt usw., wird sein Leben lang südländisch aussehen und von vielen gefragt werden: "Was ist Deine Abstammung?" Integration ist nämlich kein alleiniger Fall von Eigenverantwortung der Migranten, sondern auch eine Einstellungsfrage der Deutschen.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

7 Kommentare:

Peinhart 20. Oktober 2010 um 10:19  

"Integration ist nämlich kein alleiniger Fall von Eigenverantwortung der Migranten, sondern auch eine Einstellungsfrage der Deutschen."

Das ist mE viel zu mild ausgedrückt. Integration meint unbedingt eine Anstrengung auf beiden Seiten, ansonsten bleibt eben nur entweder Assimilation oder die Verweigerung derselben, was wiederum zwangsläufig zu 'Parallelgesellschaften' udgl führt, da der Mensch nun mal ein Herdentier ist. Wer Integration nur als Bringschuld der neu Hinzugekommenen versteht und als Kern- und Knackpunkt folgerichtig nur den 'großzügig' angebotenen 'Sprachkurs' ausmacht, meint Assimilation. Und damit ist auch klar, wo in erster Linie die 'Integrationsverweigerer' sitzen. Die Arroganz, mit der die eigenen 'Werte' als Nonplusultra menschlicher Entwicklung dargestellt wird, lässt ja auch eigentlich gar nichts anderes zu als Unterwerfung - alles andere wäre ja ein 'Rückschritt'. Das ist schon wieder verdächtig nah am 'Herrenvolk'...

Anonym 20. Oktober 2010 um 11:16  

Diejenigen, die diesen Begriff benutzen, bieten selten eine Definition von "Spaltung" an.
Wie genau äußert sich diese im realen Leben?

Anonym 20. Oktober 2010 um 11:35  

Es steht ja alles auf Wikipedia. Deutsche Leitkultur sind "die in Deutschland gewachsenen kulturellen Grundvorstellungen".

Der Begriff Europäische Leitkultur von Bassam Tibi bezeichnet einen Wertekonsens basierend auf den Werten der „kulturellen Moderne” (Jürgen Habermas) und beinhaltet:
Vorrang der Vernunft vor religiöser Offenbarung, Demokratie, die auf der Trennung von Religion und Politik basiert, Pluralismus und
Toleranz.

Was unterscheidet die Deutsche Leitkultur nun z.B. von sagen wir der italienischen? Z.B. sich strikt an die Verkehrsregeln zu halten.
Jedem fallen da sicher weitere Unterschiede zu anderen Ländern ein.

Letztlich kann man das Land mit einer WG vergleichen. Die Bewohner der WG entscheiden, wer einziehen darf, und sie geben auch in einigen Dingen die Regeln vor, nach denen in der WG gelebt wird, z.B. wo die Schuhe hingestellt werden und wie der Abwasch in der Küche geregelt wird.

Manul 20. Oktober 2010 um 15:15  

"Selbst ein türkischstämmiger Deutscher, der hier geboren ist, perfekt deutsch sprechen kann, beruflich erfolgreich ist, eine westliche Gesinnung lebt, einen deutschen Pass besitzt usw., wird sein Leben lang südländisch aussehen und von vielen gefragt werden: "Was ist Deine Abstammung?" Integration ist nämlich kein alleiniger Fall von Eigenverantwortung der Migranten, sondern auch eine Einstellungsfrage der Deutschen."

Ja und hinzu kommt noch, dass es auch eine Frage der kultuerellen Zugehörigkeit ist und da erinnere ich mich an meine Eltern, die bewusst sich gewisser Sachen verweigert haben, weil wir ja schliesslich unsere eigene Kultur haben, die ein Teil von uns ist. Ich weiß noch wie heute, als meine Mutter mal sagte, dass man im Ausland immer wissen muss woher man kommt, weil man sonst einfach keine eigene Identität mehr hat.

Recht hatte sie auch und ich pflege heute noch einige Bräuche so wie meine Vorfahren, die waschechte Polen waren. Ich bin und werde einfach nie eine Deutsche sein und ich werde mich auch niemals so fühlen. Deshalb brauche ich aber diese Folklore, damit ich mich zumindest noch halbwegs irgendwo zugehörig fühle und auch meine Kinder sollen immer wissen, dass sie keine deutsche, sondern eine polnische Mutter haben.

Von anderen Ausländern kenne ich das irgendwie auch nicht anders, aber das verstehen natürlich die waschechten Deutschen wiederum nicht, deren einzige Auslandserfahrung Urlaub auf Malle ist und die sonst keine Ahnung davon haben wie es ist im Ausland zu leben und sich als Ausländer zu fühlen.

Anonym 20. Oktober 2010 um 18:27  

@Anonym 20. Oktober 2010 11:35

Was unterscheidet die Deutsche Leitkultur nun z.B. von sagen wir der italienischen? Z.B. sich strikt an die Verkehrsregeln zu halten.

Nicht wirklich zum Thema, aber das war jetzt nicht Ihr Ernstm mit dem strikt, oder? So neutral aus dem verkehrskulturellen Blickwinkel der Schweiz heraus ... über Nuancen ließe sich da sicherlich diskutieren ...

counselor 20. Oktober 2010 um 19:07  

Alle in Deutschland lebenden Menschen müssen lernen, unabhängig von ihrem kulturellen oder ethnischen Hintergrund gegen die amoralischen Zustände im Land, insbesondere für die Füllung der Demokratie mit sozialen anstatt kapitalistischen Werten zu kämpfen.

Das wird ein hartes Brot, wenn es an die Eigentums- und Machtfrage geht.

Marlies 20. Oktober 2010 um 20:51  

Mir fällt auf, dass in letzter Zeit immer von "Zuwanderung" gesprochen wird. Nicht "Ein"wanderung. Man möchte die Leute nicht mittendrin haben; sich am Rande dazu stellen, das dürfen sie, aber so mitten rein ins Deutsche...?!

Und wir bezeichnen immer noch Menschen als "Ausländer", die in dritter Generation hier geboren sind, die nicht nur Deutsch, sondern den Dialekt ihrer Region sprechen wie jeder andere, aber eben immer noch etwas türkisch oder sonstwie südländisch aussehen.

Das sagt mir, dass wir Deutschen noch lange nicht reif für das Prädikat "Einwanderungsland" sind.

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP