Köhler lehrt demokratisches Einmaleins

Freitag, 14. Mai 2010

Oh, dieses Volk von Klägern! Aus hohem Munde, aus höchstem deutschen Munde sogar, sprüht es Schelte. Dass das Bundesverfassungsgericht zur politischen Instanz geworden sei, so schmachtet Köhler, sei als Symptom demokratischen Verfalls zu werten. Richtig so!, möchte man ausrufen. Gut erkannt!, will man schreien. Und fast hätte er sogar den wahren Umstand, den wahren Missstand auf dem Kopf getroffen. Fast! Denn für Köhler ist es kein Skandal, dass Karlsruhe überhaupt erst angerufen werden muß, um verfassungswidrige politische Entscheidungen zu revidieren - für ihn döst der Eklat bei denen, die ihr Recht einklagen, die nicht stillhalten wollen, wenn die Politik wieder und immer wieder im Namen ihrer wirtschaftlichen Geldgeber, knallharte Partikularinteressen wahren und vergesetzlichen.

Das Bundesverfassungsgericht, so schwadroniert der Bundespräsident majestätisch-überheblich, sei nicht dafür konzeptioniert, überstimmten Minderheiten ein Recht auf Gehör zu verleihen. Weniger vornehm ausgedrückt: parlamentarische Minderheiten, die einen Gesetzesentwurf für verfassungswidrig erachten, sollten trotzdem schweigen, mit ihrer Niederlage würdevoll umgehen - oder, etwas plumper gesagt: mögliche Verfassungswidrigkeit ist dann aus der Welt geschafft, wenn eine parlamentarische Mehrheit ihr zugestimmt hat. Demokratie bedeutet demnach in seinen Augen nicht, sich an Verfassung und deren moralische Werte zu binden, sondern loyal gegenüber Mehrheitsentscheidungen zu sein, selbst dann, wenn diese Mehrheiten auf zweifelhaften Fundamenten, nicht mehr auf grundgesetzliche Füßen stehen.

Für Köhler geht dieses Benehmen, frech und frei in Karlsruhe zu intervenieren, so weit, dass er es als demokratische Unlust entlarvt meint. Nicht klagen!, unkt er, sondern koalieren und demonstrieren - das wäre nämlich der aufrichtige demokratische Esprit. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, sie riecht ein wenig schimmelig nach demokratischer Fäulnis, könnte man aus seinen Worten schlussfolgern. Karlsruhe als antidemokratische Brutstätte! Und Köhler beweist nebenbei eine sensationelle Abgehobenheit, kehrt heraus, dass Bellevue schon nicht mehr in Berlin selbst liegt, sondern weit darüber hinweg schwebt. Denn wie können politische Ansichten, wie sie Wagenknecht oder Gysi vertreten, mittels Koalitionsbildung durchgeboxt werden, wenn mit diesen Schmuddelkindern keiner paktieren will? Und was nützen Demonstrationen, wenn man solche, die wie einst gegen die Hartz-Gesetzgebung ins Leben gerufen wurden, als wohlfahrtsstaatliche Sattsamkeit verunglimpft und über sie nicht öffentlich berichtet?

Köhlers demokratischer Geist, der im Koalitionieren und Demonstrieren manifest wird, er ist die wirkungslose Fassade des bundesrepublikanischen Alltags; das zahnlose Herumtigern einer Gesellschaft, die sich im Übermaß demokratisch fühlt, weil man doch immerhin alle vier Jahre Stimmzettel ausfüllen kann, wenn man denn möchte. Und genau diese Zahnlosigkeit ist für Damen und Herren wie Köhler Demokratie: denn Demokratie soll sichere, abgesicherte Lebensverhältnisse schaffen, ein ruhiges Ruhekissen für diejenigen sein, die wirtschaften und profitieren wollen - sie soll eben gerade nicht Mehrheitsentscheidungen torpedieren und Unruhe, unsichere Rechtsgrundlagen entstehen lassen. Das Anrufen des Bundesverfassungsgericht, auch wenn sich dieses viel zu oft auf die Seite der Machthaber, nicht auf die Seite des Grundgesetzes stellte, ist schon ein anderes Kaliber als das Hochhalten von bepinselten Pappmaché oder dem fiktiven Knüpfen von Koalitionsbündnissen.

Dass es ein Gewinn für die Demokratie ist, wenn die Entscheidungen eines halbwegs gleichgeschalteten Abgeordnetenhauses durch Minderheiten gerichtlich geprüft werden können, ist im üblichen köhlerschen Wortschwall ersoffen. Wenn Karlsruhe den finalen Rettungsschuss als verfassungswidrig ablehnt, wenn dort zumindest über das Prozedere im Dschungel des Arbeitslosengeldes II beraten wird, dann ist das keine demokratische Zerrüttung - es ist Teil der demokratischen Kultur der Bundesrepublik. Das mag nicht ausreichend demokratisch sein, aber undemokratisch per se ist es nicht unbedingt. Demokratische Defizite gibt es natürlich, keine Frage, aber die liegen nicht in Karlsruhe begraben. Dass sich Demokratie nicht einfach am wilden Mehrheitsfetisch festmachen läßt, dass sich auch Minderheiten eine Chance, wenigstens auf ein Mindestmaß an Einhaltung von Vernunft und Moral, erhalten können: das ist nicht der schlechteste demokratische Ansatz. Dass Mehrheit nicht Recht bedeuten muß: das ist lobenswert, macht die Verfassung nicht zum ausgebleichten Stück Papier, sondern verleiht ihr universellen Charakter und beschützt sie, jedenfalls theoretisch, vor gegenwärtigen Modeerscheinungen.

Köhler als Jünger des reinen Mehrheitsgedankens: wenn die Mehrheit nur die Todesstrafe wollte, so könnte man von seinem Standpunkt aus erklären, dann wäre sie hinzunehmen und auch gar nicht mehr generell verfassungswidrig. Wenn ein Bundespräsident so denkt, so spricht, so unreflektiert vor sich hinbrabbelt, so muß man ihm doch recht geben: dann ist die Demokratie wirklich jämmerlich vor sich hin krepierend. Der Bundespräsident, so wie einst der Reichspräsident, ersetzt das monarchische Staatsoberhaupt - in der Geschichte wurden solche Regenten als Verweser bezeichnet. Köhler als Verweser: weil er den letzten Rest demokratischen Pflänzchens der Verwesung überstellt...

15 Kommentare:

Anton Chigurh 14. Mai 2010 um 17:15  

Roberto - lieber Roberto !
Hast Du jemals von unserer Bundesschlaftablette eine halbwegs vernünftige Zustandsbeschreibung unserer Pseudodemokratie gehört ?
Man darf halt nicht vergessen woher unser Bundeshorst kommt - er ist und bleibt ein Träumerle, ein verwirrter Sparkassendirektor, der in seinem abghobenen Elfenbeinturm residiert und das richtige Leben nur aus dem Fernsehen kennt.
Dass dieser Faselkopp für die drängenden Gesellschaftsprobleme nullkommanix Verständnis hat wundert mich gar nicht. Er stolpert durch seine Traumwelt, sabbelt in sanftem Tone mit der Attitüde eines valiumgefütterten Großvaters seine allgemeinen Schwafeleien ins Land und hofft, dass er seinen CDU-Brüdern nicht irgendwie auf die Füße tritt.
Der Mann ist in Deutschland so sinnvoll wie ein Kühlschrank am Nordpol. Genauso könnte man auf Schloß Bellevue einen taubstummen Hamster installieren - der feiert wenigstens keine Gartenparties, die der Steuerzahler dann begleichen darf...

landbewohner 14. Mai 2010 um 17:35  

is schon älter, aber hier passts.
http://diewahrewahrheit.blogspot.com/2009/05/heute-in-berlin.html

Kapiernix 14. Mai 2010 um 18:29  

Ob er immernoch zum Mehrheitsrecht stehen würde, wenn die Mehrheit dafür stimmte die Gehälter aller Politiker auf 1/4 der jetzigen zu vermindern???

Jutta Rydzewski 14. Mai 2010 um 18:46  

Zunächst einmal freut es mich, lieber Herr De Lapuente, dass Sie wieder, sozusagen in alter Frische, mit gewohnter Vehemenz und Wucht, an Bord sind. Was nun diese staatstragende Karikatur, den Bundes-Hotte, mit seinem treudoofen Konfirmantenaugenaufschlag anbelangt, so war von diesem Mann, dessen Präsidentschaft beim Frühstück ausgekungelt worden ist, u.a. auch von einem Westerwelle, wahrlich nichts anderes zu erwarten. Köhler war, ist und bleibt ein neoliberaler Zeitgeistschwätzer. Immer dann, wenn er aus dieser Rolle herausschlüpfen will, wirkt er besonders peinlich und lächerlich. Die Politik besteht allerdings nur noch aus Köhlers: Gesichtslos, blutarm, beliebig, opportunistisch, angepasst, austauschbar, ohne jede Ausstrahlung, von Charisma will ich erst gar nicht reden. Übrigens, ähnliches ist jedoch auch bei den anderen "Eliten", Medien, Wirtschaft, Wissenschaft usw. usw. der Fall. Kunstgestalten, Sprechautomaten, die ihren Kram auswendig gelernt haben, und auf Knopfdruck den ganzen Mist abspulen.

@Anton Chigurh

Wunderhübsche Beschreibung des Bundeshorst

mfg
Jutta Rydzewski

Geheimrätin 14. Mai 2010 um 21:08  

dann hab ich mich vorhin also nicht verhört. unglaublich. und dann auf dem kirchentag predigen

(...)Wir dürfen heute uns selbst und alle, die uns zuhören, daran erinnern, wie viel an gelebter Barmherzigkeit, an tatkräftiger Solidarität, an Dienst am anderen durch gläubige Menschen in dieser Gesellschaft lebendig ist. Das braucht unsere Gesellschaft. (...)

Ja, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden, da braucht es barmherzige Samariter. Dort wo Armut ist, braucht es Reiche die spenden. Das ist in der 3. Welt so, Köhler weiss sicher auch warum, und so soll es fortan auch hierzulande sein.

schön dass du wieder da bist Roberto!

Anonym 14. Mai 2010 um 21:12  

Eigentlich hätte dieser geistige anitdemokratische Ausfallschritt von Bundes-Hotte einen "höchstverfassungsrechtliche" Gegenattacke verdient. Doch die Herren, die folgten, schwiegen sich aus. War doch so feierlich.

Was sind schon Minderheitenrechte in solch stürmischen Zeiten. Dass allerdings unsere Qualitätsmedien diesen Auftritt nicht angemessen würdigen, spricht doch wohl eine deutlichere Sprache über die Verfasstheit dieses Staatswesen.

Anonym 14. Mai 2010 um 21:38  

Ich bin wiedermal erschreckt, wie Du den tatsächlichen Demokratiefeinden in die offenen Arme rennst, indem Du der "Demokratie" hypothetische Sündenfälle unterstellst.
Die moderne Verfassungsgerichtsbarkeit ist eine großartige Erfindung (übrigens von Hans Kelsen), es schützt aber nicht die Demokratie vor den Demokraten, sondern vor seinen Feinden.
Gruß

Anonym 14. Mai 2010 um 22:04  

Der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung sollten doch eigentlich das Grundgesetz immer und zu jeder Zeit als Pflichtlektüre zur Hand haben, wie ein Gebetbuch halt, damit Ihnen Gott helfe.
Die Tatsache, dass immer öfter das BFG angerufen wird ist doch, dass Gesetze, die von Herrn Köhler unterzeichnet werden und im Bundesgesetzblatt veröffentlich werden, immer öfter mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind.
Wenn das BFG dann aber mal wieder ein Gesetz als nicht vereinbar mit dem Grundgesetz ansieht, ist das auch kein Problem. Das Grundgesetz wir einfach mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat so abgeändert, dass das Gesetz wieder grundgesetzkonform ist. So einfach ist Demokratie oder sollte ich besser sagen, parlamentarische Anarchie?

Beispiel : Jobcenter

„Von der Leyen kündigte in ihrer Rede an, dass sie Anfang nächster Woche einen Entwurf zur umstrittenen Reform der Jobcenter vorlegen will. Die Reform ist notwendig, weil das Bundesverfassungsgericht die Mischverwaltung in den Hartz-IV-Behörden für verfassungswidrig erklärt hat. Schwarz-Gelb will die Jobcenter wieder trennen.
SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil kritisierte die geplante Trennung und forderte von der Leyen auf, "mehr Kreuz, mehr Mut" zu zeigen und die Jobcenter über eine Verfassungsänderung zu legalisieren. Die SPD biete dafür Unterstützung an - für die Grundgesetzänderung sind Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat notwendig. Die FDP nannte die angebotene Unterstützung "fadenscheinig".“

Quelle:
http://www.ftd.de/politik/deutschland/:entwurf-fuer-jobcenterreform-fdp-will-2011-bei-hartz-iv-kuerzen/50063981.html

oder hier:

http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/verfassungsaenderung-fuer-die-jobcenter/1708134.html

Anonym 14. Mai 2010 um 23:39  

Anonym Anton Chigurh hat gesagt...

Wie man hört, wollen die Amerikaner nach 2030 eine bemannte Mission zum Mars schicken.
Sollte sich die hier gegebene Charakterisierung unseres Bundeshorschtle als einigermaßen richtig erweisen, so sollte er gerade auch wegen seiner offensichtlichen (ERDE)Weltfremdheit unbedingt an dieser Mission teilnehmen - ohne Rückflug.
Vielleicht hätten die kleinen "grünen Marsmännchchen" eine ganz und gar "marswirtschaftliche" Verwendung für diesen (ERDE)weltfremden Wirrkopf?

Vorab marsianische Grüße von

Bakunin

klaus baum 15. Mai 2010 um 00:50  

verteidigt köhler etwa die kommunisten aus NRW, die laut FDP (ebenfalls NRW) verfassungsgegner sind.

klaus baum 15. Mai 2010 um 11:58  

ich finde die redenschwingerei unserer politprominenz auf dem kirchentag absolut pervers.

antiferengi 15. Mai 2010 um 14:18  

@Bakunin 14.05 23:39
Auf keinen Fall darf Köhler mit zum Mars. Da insistiere ich sofort. Ich bin ein Träumer. Du willst doch nicht wirklich die letzte mögliche Rückzugsoption für eine frische funktionierende Demokratie mit köhlerschem Ruß infizieren? Für solche Fälle haben wir auf der Erde Atommüllendlager. Außerdem ist der Mars ein roter Planet. Das soll er auch bleiben :-))

Anonym 15. Mai 2010 um 14:51  

1. Bei PolitikerInnen geht es nur um Jobs, nämlich den ihren.

2. Sie jagen dem mit ihrem Amt verbundenen Status hinterher, wälzen die damit verbundene Verantwortung aber auf Justitia ab ... so wie viele Führungskräfte in Unternehmen und Verwaltung gar nicht mehr führen (können) und ihre Führungsaufgabe an's Controlling delegieren - ihr Salär aber trotzdem in alter Höhe bekommen.

3. Unsere PolitikerInnen und die Wirtschaft wissen schon seit Jahrzehnten nicht mehr weiter, nur jetzt wird es immer offensichtlicher.

$. Kompromiss/ Nullsummenspiele statt Konsens, Rechtmäßigkeit statt Gerechtigkeit, Suppenküchen statt nicht unanständig bezahlte Erwerbsarbeitsplätze, Schein statt Sein, Quantität statt echte (nicht zertifizierte) Qualität, ... .

Bruder Johannes 15. Mai 2010 um 19:16  

So einen ähnlichen Kommentar wie Deinen hatte ich schon im SPON-Forum hinterlassen, nur kürzer. Ich verfolge die verfassungswidrige Gesetzgebung schon seit einigen Jahren. Seit der rot-grünen Regierung hat das in der Tat Überhand genommen. Man sprach von "handwerklich schlecht gemachten Gesetzen". Nein, nein, das war kein Zufall. Exemplarisch äußerte sich ja sinngemäß der sächsische ehemalige SPD-Vorsitzende Jurk, wenn es um Kinderpornografie gehe, dann sei ihm die Verfassung egal.

Das ist die Haltung vieler Parlamentarier über alle Parteien hinweg. Das hängt m. E. auch damit zusammen, dass das GG in fast jeder Legislaturperiode substanziell verändert wird. Damit muss der Eindruck entstehen, dass das GG an die jeweilige politische Interessenlage beliebig angepasst werden kann.

Anonym 16. Mai 2010 um 14:33  

Es ist eine ganz klare Aussage eines Verfassungsfeindes und einer Überwachung durch den Verfassungsschutz würdig.
Bundeshorst hat wohl vergessen, dass das Bundesverfassungsgericht die höchste rechtliche Instanz ist. Das Gericht steht über ihm und über dem Parlament. Ein Präsident sollte das doch wissen, oder? Dieses Gericht ist dazu da, die Rechtmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit der Gesetzte (die vom Parlament veranschiedet wurden und von ihm unterschrieben worden sind), im Falle einer Klage zu überprüfen....sonst käme es wieder Tyranei und Gesetzlosigkeit. Aber den Horst stört das Bundesverfassungsgericht. Toll, ein Präsidident den das Verfassungsgeicht stört. Ich schätze mal er würde gerne die alte Notverordnung (den Artikel 48) wieder aufleben lassen... dabei ist er nur der Grüßaugust...so etwas tut seinem Ego unheimlich weh.

Zoran

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