Kampagnenjournalismus

Dienstag, 23. März 2010

Kampagnenverseuchtes Deutschland! Kommt der Journalismus doch mal seiner Verpflichtung nach, reißt sich am Riemen, beugt sich dem Berufsethos, so wittert man in dieser Republik schon Kampagnismus dahinter. Man ist es im Olymp gewohnt, dass man tun und lassen kann was man will, ohne sonderlich auf den Journalismus achten zu müssen. Man hat ihn sich ordentlich erzogen, hat ihm Manieren beigebracht, dem Schreiberling. Muckt er dann aber auf, tut das Unfaßbare, nämlich zu berichten, dann grollen und zürnen sie, erklären mit würdevoller Miene, selbstgerecht wie sie nun mal sind, dass eine Kampagne laufe, deren Opfer man sei; eine Kampagne, ins Leben gerufen vom Feind persönlich, die das beklagenswerte Opfer zum Wanken, zum Taumeln, ja zum Sturz bringen soll.

Zwar habe man Volksverhetzung betrieben und nebenher die eigene Klientel, die zufällig auch noch familiär oder freundschaftlich verbandelt ist, gefördert und auf Reisen geschickt, seine eigene kleine Amigo-Affäre inszeniert - aber wenn man genau hinblickt, dann erkenne man überdeutlich, dass die Berichterstattung eine Kampagne gegen die besten Absichten dieser Vorgehensweise ist. Gewiß habe es in den eigenen Reihen Fummeleien gegeben, in tausendfachen Einzelfällen wohl auch sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, alles zwecks Generationengerechtigkeit auf mehrere Jahrzehnte und Jahrgänge verteilt - allerdings muß man bei dem Aufgebot an Journalisten, die sich dieses traurigen Themas annehmen, davon ausgehen, dass es sich um eine Kampagne gegen die Institution selbst handelt. Freilich habe der werte Herr Verteidigungsminister einen Bericht erhalten und ihn aus den Augen verloren, geleugnet, beschwichtigt, geglättet, dem Krieg ein wohlgefälliges, adeliges Antlitz verliehen - trotzdem darf man wohl erahnen, dass bald von einer Kampagne gegen den vorgeblich populärsten Minister gesprochen wird.

Wie wild könnte man es doch treiben, bescheissen, betrügen, befummeln, sich bereichern, ausschweifend und ganz zwanglos! Wenn nur diese Campañeros nicht wären! Wie weit, wie hoch, wie reich wären wir nur, schwelgen sie, wenn es diese Kampagnen nicht gäbe! Wie fein wären wir aus dem Schneider, wenn sich die Journaille endlich ihren Aufgaben widmen und erlesene Hof- und Hausreportagen anfertigen würde. Man muß ja schon um die Demokratie fürchten, wenn da so undiszipliniert und mit unstillbarem Sensationshunger geschildert wird. Wenn der Journalismus nicht bald seiner Arbeit nachgeht, ist es aus mit der Demokratie, aus mit unserem schönen und besinnlichen Leben. Wo wir nur sein könnten, gäbe es keine Kampagnen - würden nur wir Kampagnen gegen Unliebsame ins Leben rufen, so wie wir es immer schon taten!

Weit sind wir gekommen. Die Kampagne, sie dient als Entschuldigung, als Alibi, um die vor der Öffentlichkeit mehr oder minder seelenruhig begangenen Schweinereien, für weniger gefährlich, kriminell oder unmoralisch zu erklären. Journalistische Arbeit, wenn sie denn mal stattfindet, wenn sie denn mal aufklärend auf den Plan tritt - was selten genug der Fall ist -, dann nennt man das dort, wo man ansonsten von schweigenden und hofierenden Journalisten umgeben war, eine ausgemachte Kampagne. Dann zieht man sich schmollend in die Ecke zurück und glaubt, man hätte das Privileg gepachtet, für etwaige Gemeinheiten und Schäbigkeiten mit journalistischer Stille belohnt zu werden. Wenn nicht arschkriechend berichtet wird, wittern sie Kampagne! Wenn entlarvt wird, kommt ihr ganzer Verfolgungswahn zum Vorschein, macht sich ihr schrundiges Gewissen bemerkbar, indem es ablenkend plärrt: Kampagne!

10 Kommentare:

Die Katze aus dem Sack 23. März 2010 um 00:51  

Ist dabei nicht primär wichtig, dass aus Sicht der Schreiberlinge, die Kasse ordentlich klingelt, das Ansehen steigt und die Merkmale der Macht etabliert werden können?

Wer bestimmt was eine Nachricht ist? Wie wird die Nachricht transferiert? Was sind die Hauptmerkmale der bereitgestellten Informationsfragmente? Wann wird die Nachricht aktiviert, vor bzw. während oder nach dem Informationsereignis? Worum geht's?

Warum folgen Menschen dem Laienschaupiel so dargebrachter Kampagnen? Warum werden ungestellte Fragen beantwortet, gestellte Fragen hingegen ignoriert? Wem interessiert schon was jemand sagt, worüber eifrigst berichtet wird, während das Tun und Handeln selbstverrätisch offenbart, welch' geistes Kind dort zu Gange ist?

Weiter machen, ihr tapferen Schreiberlein. Wir werden ja erleben, wohin das alles führt.

Anonym 23. März 2010 um 01:38  

Haltet den Dieb, grölt der Dieb und glotzt frech uns alle an - und wir sind betroffen, geistig abgesoffen ob der Ungeheuerlichkeit.

Mit dem Plärren "Kampagne" kommt nicht ihr "schrundiges Gewissen" zum Vorschein (ein solches haben die nicht, nicht mal ein schrundiges); die Wortverdreher spielen einfach auf der Klaviatur dessen, was sie schon immer taten und immer wieder tun werden: Propaganda ist ihr Leben - und unser Elend.
Kampagnen mögen wir nicht, also nennen die, was die selbst nicht mögen Kampagne.

http://www.politicalcompass.org/test

Anonym 23. März 2010 um 12:57  

Kampagnenjournalismus vom Feinsten gegen unliebsame Kritiker:

http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1382.html

http://www.mein-parteibuch.com/blog/2010/03/20/wdr-fuehrt-kampagne-gegen-hermann-dierkes-fort/

Anonym 23. März 2010 um 15:01  

Ihr geschreibe ist immer noch ok, aber manchmal sind sie ziemlich Einseitig.

Tatsache ist: Ausser in der katholischen Gemeinschaft wurde zeitlebens in der gesamten Gesellschaft geschlagen.

Kinder werden und wurden überall wo sie zu Schutzbefohlenen werden mißbraucht.

Ja, ich bin mir über die doppel Verkommenheit der Fehltritte im Scheinheiligen Gewandt durchaus bewußt und ich habe nicht viel für die Institution übrig, letzten Endes ist das Bashing gegen die Kirche tatsächlich ziemlich in. Gesellschaftliche Mißstände vergangener Tage werden nur allzugerne dem Wirken und der Verantwortung der Religionen zugeschrieben. Das Kirchen genauso Akteure sind in einer sich verselbstständigenden gesellschaftlichen Entwicklung bleibt dabei in der Regel unbeachtet.

Und gerade hier, dort wo berechtigte Kritik mit Einseitigkeit verschmilzt, macht man es sich zu einfach nur einen jammertext zu verfassen. Sei er auch noch so schön und geistreich geschrieben.

ad sinistram 23. März 2010 um 15:14  

Was Sie Bashing nennen, findet tatsächlich statt - und nicht alles, was nun an Skandalen verkauft wird, war wohl einer. Aber von einer kirchenfeindlichen Kampagne zu sprechen, das ist Humbug. Wie kirchenfeindlich diese Gesellschaft letztlich ist, ist immer dann zu sehen, wenn das Thema auf den Bischof von Rom kommt, der mehr oder minder unantastbar scheint...

Saperaud 23. März 2010 um 15:36  

Schon lustig zu sehen wie einige inzwischen ebenso verschwörungstechnisch versiert sind wie Opa Berlusconi aus Italien. Der sieht ja auch hinter jeder kritischen Frage eine Weltverschwörung oder zumindest eine arme Journalistengestalt, der es wohl an Sex fehlt. Wenn das in Erscheinungen wie Gaddafi endet ..., na da würde ich mir ja an deren Stelle schon aus Selbstschutz sagen: wehret den Anfängen, so bekloppt willst du nicht werden, egal wie die Zeitungen gerade nerven.

Dabei, da eine Kampagne ja auch irgendwie einen Auftraggeber hat, wer solls denn diesmal sein? Etwa der linke Zeitgeist als Retrovirus in deutschen Journalistenhirnen? Vielleicht ist es aber auch der alte Bismarck, der aus seinem Grab heraus einen neuen Kulturkampf wagt? Oder doch Kaiser Nero, der in einem kühnen Griff durch die Weltgeschichte Rache an Westerwelle übt, da er es wagte Rom mit deutschen Zuständen zu vergleichen?

Wir leben aber auch in einer bösen und ungerechten Welt.

Anonym 23. März 2010 um 18:47  

Zum Thema "Kampagnenjournalismus" und politische Parteien fällt mir das schöne kleine Buch des Prof. Edwin K. Scheuch wieder ein: "Cliquen, Klügel, Karrieren" # ISBN-10: 3499125994, eine Studie über den Zustand des deutschen Parteiensystems.
Ein älteres Buch, aber es ist immer noch hoch aktuell. Lesenswert nach welchen Strategien Skandale im öffentlichen Diskurs von Parteien behandelt werden.
Bonne lecture

Anhänger des 04.07.1789

Anonym 23. März 2010 um 19:42  

Herr Pispers bringt es genauso treffend wie Sie auf den Punkt, Herr Lapuente.

http://gffstream-0.vo.llnwd.net/c1/m/1269337696/radio/wdr2kabarett/wdr2kabarett_pispers_20100323_1046.mp3

Vielleicht erkennt Deutschland bald eine Kampagne gegen das Bildungssystem,wenn dort alle Fälle in Bildungseinrichtungen bekannt werden. Oder die ganzen Fälle in Sportvereinen. Ein Opfer wird hier doppelt bestraft. Erst jahrelang vertuschen auf Devil komm raus,und dann werden Opfer nicht ernst genommen, weil es zu viele werden. Dreckspack!

Lutz Hausstein 24. März 2010 um 13:32  

@ Anonym 23. März 15:01:

Missbrauchsfälle in der Kirche sind sehr wohl besonders zu verurteilen. Geschah dies doch in Kreisen, die sich explizit Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe auf die Fahne geschrieben haben. "An ihren Taten sollt ihr sie erkennen."

Wenn man sich nun noch vor Augen führt, wie systematisch die an sich schon schlimmen "Verfehlungen" der Geistlichen auch von offizieller Seite vertuscht wurden, die Täter geschützt worden anstatt den Opfern wenigstens einen kleinen Teil Gerechtigkeit zukommen zu lassen, ist das Legen des Fingers in die offensichtliche Wunde nur allzu gerechtfertigt.

Ruhig auch mal lesen, wie systematisch dies wirlich erfolgte:

http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=2449995&em_cnt_page=1

Jan 30. März 2010 um 20:56  

Was ist mit der Kampagne gegen links, in die nicht nur Bild-Zeitung, sondern auch sämtliche öffentlich-rechtlichen, etablierten, konservativen Medien eingestiegen sind? Die wäre noch eine Erwähnung wert gewesen - zumal sie doch dem Kern deiner Aussage geradewegs entgegenschlägt. Jene ist nämlich eine problematische, durchaus als solche zu bezeichnende Kampagne.

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP