In Hemdsärmeln

Dienstag, 16. März 2010

Wenn man die Reisegewohnheiten des Außenministers in Frage stellt, die einbegriffene Selbstbereicherung beanstandet, öffentliche Rechenschaft darüber einfordert, dann ist das mittlerweile für viele in diesem Land, eine Gefahr für die Demokratie. Zwangsarbeit zu fordern, die Verquickung von öffentlichen und privaten Interessen voranzupeitschen, Spendengelder in Steuersenkungen umzubilden: dies und noch mehr, scheint hingegen zwischenzeitlich ein ungeheuer demokratischer Akt geworden zu sein.

Es ist eine ganz besondere Form der Demokratie, die sich die FDP und viele ihrer Parteigänger in den anderen politischen Lagern, allmählich und fast unmerklich, dennoch unbeirrt, aufbauen. Eine Demokratie, wie sie im Deutschlandprogramm der Liberalen festgeschrieben ist: als Bürgergesellschaft, als Zivilgesellschaft, die auf bürgerlichen Werten fußt. Was zunächst ganz annehmlich klingt, nach friedvollem Umgang durch bürgerliche Vernunft, ist freilich unter der Ägide der Zahnarzt- und Unternehmerpartei, unter der Führung von Trödlern und Händlern, Halsabschneidern und Leiharbeitgebern, nicht zu erwarten.

Eine freie, liberale Bürgergesellschaft, das bedeutet unter Anleitung marktschreierischer Gesellen nichts anderes, als die eigene Freiheit, möglichst ohne Kontrolle, ohne gewerkschaftliches Hineinpfuschen, ohne molestierendes Streikrecht, ohne öffentliche Berichterstattung, ohne Aufschrei der Massen, ohne Rechenschaftsberichte und ohne reumütiges Gewissen durchzusetzen. Die Bürgergesellschaft, wie man sie sich in diesen Kreisen vorstellt und wie sie der Außenminister nun vorlebt, ist die Gesellschaft der ärmelgerafften Macher, die nicht lange fragen, sondern vom Fleck weg anpacken, einfach mal den Bruder und Bekannte zwischen das Reisegepäck streuen, damit deren Geschäft gedeiht und sprießt. Die Bürgergesellschaft ist solidarisch; in der Bürgergesellschaft, deren Anhängerschaft nicht nur in der FDP zu finden ist, reicht der eine Macher dem anderen Macher die Hand, pfeift auf Regelungen und Gesetze, auf sittliche Normen und das letzte Bisschen an Amtswürde, verteilt Geschäfte zum Wohlstand aller - zum Wohlstand aller Macher.

Die Bürgergesellschaft, nicht dass ein falscher Eindruck entsteht, ist nicht schlichtweg gegen Kontrollorgane. Sie braucht Kontrolle und sie liebt Kontrolle. Nur muß sie von den richtigen Augenpaaren durchgeführt werden. Es kann nicht sein, dass mehrere Händevoll prekär beschäftigter Journalisten sich kritisch mit den Gesellschaftsmachern auseinandersetzen, oder Erwerbslose öffentlich darüber mosern, dass sie ein unzureichendes Leben führen müssen - kontrolliert gehören für die Repräsentanten der Bürgergesellschaft die Nichtsnutze und Minderleister, diese rumorende, anspruchsvolle, stets unzufriedene Schicht, die die schöne Welt der Bürgergesellschaft in den Ruin stürzen würde, wenn sie nicht kontrolliert würde. Daher gehört auch nicht der Außenminister kontrolliert, er hat zu kontrollieren - zu prüfen, wie sattsam das Leben am Existenzminimum und noch weit darunter ist. Er muß, als Leistungsträger innerhalb der von ihm bevorzugten Demokratieform, seiner Kontrollpflicht nachkommen und per Rundumschlag alles zerdeppern, was sich nicht die Hemdsärmel hochkrempelt, was nicht selbst üppig verdient.

Der Außenminister, er ist kein Visionär mehr - dieser Rolle ist er bei Antritt der Macht entschlüpft. Er entwirft keine theoretischen Parteiprogramme mehr, in denen mit wohlfeilen Worten die Herrlichkeit der zivilen Bürgergesellschaft erklärt wird. Nein, heute lebt er seine ehemalige Vision ganz unbefangen aus. Er ist der gefeierte Exponent dieses Lebenstils, Vorbild für viele, die wie er von der Bürgergesellschaft träumten; er führt vor, wie man in einer solchen Gesellschaft leben könnte, man muß sich nur trauen, darf keine falsche Scham an den Tag legen. Nicht rücksichtsverseucht, dem letzten Rest an Pietät nachhängend, mit der Situation hadern - anpacken, machen, einfach drauflos korrumpieren! Das Idol auf dem Ministerposten macht es vor: Korruption, Amtsmissbrauch, Diffamierung der Kontrolleure als Antidemokraten, kurzum wahrer Schneid - es lohnt sich. Nur so entsteht eine bessere Gesellschaft... für die Haute Volée. Und er leistet eine wertvolle Vorführung, präsentiert uns, wie Demokratie unter seiner und seiner Jünger Führerschaft aussehen würde.

11 Kommentare:

retlaw 16. März 2010 um 01:10  

Sehr guter Artikel. Die Maske ist ab. Der Wolf zeigt sein wahres Gesicht. Unser Aussenminister verkörpert doch bis zur Satire, das neue ( wohlbekannte ) neofeudale Gesicht Deutschlands.
" Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das
( *Ungeheuer ) kroch" B. Brecht

endless.good.news 16. März 2010 um 02:21  

Die Freiheit wird im Grunde maximiert. So weit ist Guido Westerwelle von seinen Aussagen nicht weg. Aber die Freiheit der einen ist immer die Einschränkung der Anderen. Bisher wurde das Gleichgewicht halbwegs gesucht. Beim Guido und seinen Priestern nicht mehr.

Tim 16. März 2010 um 04:03  

Danke. Sehr treffend auf den Punkt gebracht.

Anonym 16. März 2010 um 08:30  

kann den denn niemand stoppen?

gerhard 16. März 2010 um 09:01  

Der Text ging runter wie Öl. Zu "retlaw": "Versucht nicht, ihnen die Masken herunter zu reißen. Es sind ihre Gesichter."

Anonym 16. März 2010 um 09:32  

Das nächste Zauberstück unseres so beliebten Gesellschaftsveränderers wird es sein, Wahlergebnisse "im Sinne Deutschlands" zu manipulieren - wartet es nur ab...
Fähig dazu ist er, zweifellos !

Anonym 16. März 2010 um 11:20  

Oettingers English dazu: "We all sitting in one Boat".

King Balance 16. März 2010 um 12:20  

Zitat Josef Pulitzer
Es gibt kein Verbrechen, keinen Kniff, keinen Trick, keinen Schwindel, kein Laster, das nicht von Geheimhaltung lebt. Bringt diese Heimlichkeiten ans Tageslicht, beschreibt sie, macht sie vor aller Augen lächerlich, und früher oder später wird die öffentliche Meinung sie hinwegfegen. Bekanntmachung allein genügt vielleicht nicht; aber es ist das einzige Mittel, ohne das alle anderen versagen.

Das größte Glück für die Herrschenden ist die Dummheit der Beherrschten.

Christian Klotz 16. März 2010 um 13:53  

Tendenziell geht das in Ordnung.
Aber, wo bitte, hast Du in letzter Zeit einen "Aufschrei der Massen" vernommen, angesichts welcher der zahlreichen Zumutungen?
Oder sollte ich mal zum Ohrenarzt gehen?

Anonym 17. März 2010 um 11:59  

Wieder ein sehr guter Artikel. Zeigt er uns doch ganz deutlich und ohne jegliche neoliberale verlogene Schminke die wahre F R A T Z E aller unserer neoliberalen Jünger und Einpeitscher.
Ganz gleich, was für Sprechblasen sie absondern, man schaue nur auf ihr T U N, und man sieht sofort, w a s für eine Gesellschaft s i e anstreben, wie weit s i e diesem Ziel schon nahe gekommen sind.
So lange dieses höchst asoziale, verkommene, korrupte, korrumpierte, korrumpierde Pack nicht endgültig entmachtet ist, so lange werden s i e , a l l e diese Fratzen aus allen diesen neoliberal-verseuchten Parteien auch weiterhin dieses Land verpesten.
Da helfen leider keine ewigen "Jeremiaden" weiter, da müssen Fragen eines effektiven Widerstandes aufgeworfen werden.
Vor gut 100 Jahren fragte ein sehr kluger Mann schon einmal: "W A S T U N ?" ....


mfg
Bakunin

Anonym 17. März 2010 um 21:22  

"In Hemdsärmeln"?
Der doch nicht!
Einfach ein unfeiner Herr.

@Christian Klotz
Träge ist die Masse.

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