Es läuft weiter, wie es immer lief

Montag, 15. März 2010

Alle waren der einhelligen Meinung, dass es so, wie es lief, nicht mehr weiterlaufen dürfe. Nach dem Tod Robert Enkes gab sich der fußballhysterischere Teil der Republik betroffen und einsichtig. Vereine, Anhänger, Verband und Medien schworen in ihrer unermesslichen Trauer und während ihres noch unermesslicheren Beileidstourismus', den allgemeinen Druck, mit dem Fußballer, Trainer und Vereinsfunktionäre zu kämpfen hätten, zu drosseln. Es sollte in der Bundesliga wieder mehr menscheln, Spieler weniger als Ware betrachtet, Trainer nicht mehr als Tontauben freigegeben werden. Der Tod Enkes, so hielt mancher im pathetischem Tonfall fest, sollte nicht vergebens sein, sondern einen Sinn erlangen. Würde es gelingen, dass allesamt wieder den Menschen, nicht den Arbeitnehmer, im Fußballer wahrnehmen, dann hätte die Tragödie wenigstens nebenher Gutes bewirkt.

Wie aufrichtig, wie nachdrücklich die Beteuerungen letztlich waren, konnte schon bald darauf beobachtet werden. Pfeifkonzerte und Raus-Rufe waren schnell wieder montiert. Fankurven machten sich wieder auf die Suche nach einem massentauglichen Sündenbock, schmähten, beleidigten, zeigten drohend die Faust oder, je nach Befindlichkeit, den Stinkefinger. Ein Blick in die Kurve, ein Blick ihn hassverzerrte Gesichter - und man war ernüchtert, wußte, wie viel von der damaligen Einsicht übrig war, wie wenig das Drama des Torhüters bewirkt hatte. Auch die Medien verfielen schnell wieder in den alten Trott, übernahmen die rigorose Art der Spielerbenotung, die mit objektiver Spielanalyse nichts, mit der Erzeugung von Druck hingegen sehr wohl etwas zu tun hatten. Zuletzt hatte die üble Laune mancher Sportredakteure doch wieder die Oberhand erlangt, ließ ihnen den Raufbold aus der Kurve, der in ihnen betäubt war, wieder aus der Zurückhaltung entgleiten.

Und dann natürlich Theo Zwanziger, der Mann mit dem Hang zum Allgemeinplatz, der keine Ansprache ohne banale und phrasenhafte Einwürfe zu halten vermag, der in seiner Schwafelei noch besonders gedankenschwanger wirken möchte. Gerade er war es damals, der ein Umdenken dringend befürwortete, der auch klarstellte, dass es nun Tabubrüche geben müsse. Damit meinte er beispielsweise, dass Profifußballer die Möglichkeit haben müßten, ihre Homosexualität offen zu bekennen, ohne dafür mit Entlassung seitens des Arbeitgebers oder mit Beleidigungen von den Rängen rechnen zu müssen. Mit wieviel Sensibilität er sich dann der Angelegenheit zweier erst entbrannter, dann ausgebrannter Schiedsrichter angenommen, wie er deren privates Sexualleben in die Öffentlichkeit getragen hat, ist schon ein erstaunliches Stück Feinfühligkeit. Die Protagonisten der peinlichen Schlammschlacht, sie stehen heute unter unbeschreiblichem Druck - Druck, wie sie ihn auf einem Spielfeld wohl nie erlebt hatten. Die Medien verfolgen seither sensationslüstern jeden ihrer Schritte. Für Zwanziger muß Intriganz wohl ein Synonym für Sensibilität sein.

Wenn dann auch noch nach einem Fußballspiel Scharen von Wildgewordenen über die Absperrungen klettern, um der eigenen Mannschaft, die mit einem Bein in der Zweiten Liga steht, mit Stangen die hohe Fußballkunst und die Siegermentalität in den Leib hineinzudreschen, dann muß das wahrscheinlich eine ganz besonders moderne, für altbackenere Beobachter daher unverständliche, Variante von Sensibilität sein. Vielleicht handelt es sich ja um eine Verfeinerung des Benehmens, einen zynischen Fortschritt, denn die Spieler müssen sich nicht mehr des Drucks und der oft unfairen Berichterstattung fürchten, sie müssen sich nurmehr um ihr Leben sorgen.

Vor vier Monaten starb Robert Enke. Oft und gut hörbar wurde unmittelbar nach seinem Tod Besserung gelobt. Mag sein, dass einige Wochen die Bestürzung noch fruchtete. Aber die Betäubung flaute schnell ab. Das ganze Trauergebaren, die emotionalisierten Berichte und öffentlichen Trauerfeiern, die mit Fanartikeln und Applaus, Sprechchören und tränenverwischten Vereinsembleme begangen wurden - sie waren für den neutralen Betrachter schon damals merkwürdig. Letztlich scheint diese distanzierte Haltung berechtigt gewesen zu sein: es war Show, die keine Früchte tragen konnte, weil sie oberflächlich und effektheischend war. Show, die niemals an die Wurzeln der Tragödie ging, die mit seichten und vordergründigen Ansprachen und Analysen stattfand. Der Verband blieb still, hat nichts unternommen, um den Druck zu mindern - er hat die Diskussion um gegenseitigen Respekt nicht mal aufrechterhalten, sondern das Thema schnell ad acta gelegt, um zum Tagesgeschehen übergehen zu können. Er hat Lethargie bewiesen; eine Lethargie übrigens, die der DFB immer wieder an den Tag gelegt hat. Als Anfang der Neunzigerjahre die Fremdenfeindlichkeit aus Solingen, Mölln und Rostock auch in die Fußballstadien schwappte, als man schwarze Spieler mit Dschungelgeräuschen begrüßte und sie als Sauneger bezeichnete, da fertigte man flink Trikots mit der Aufschrift "Mein Freund ist Ausländer" an und ließ gelegentlich die Nationalmannschaft mit diesem Aufdruck spielen. Mehr Initiative erlaubte der Spielplan damals nicht - heute erlaubt er noch weniger, denn er ist noch enger und undurchdringlicher geworden.

Die Medien indes sind so schnell vom menschelnden Zug abgesprungen, wie die Anhängerschaften der Klubs. Und die Vereine selbst, sie hatten sowieso nie Interesse daran, in ihren Arbeitnehmern auch Menschen mit Sorgen und Nöten erkennen zu wollen. Würden sie sich derart sentimental vereinnahmen lassen, wäre der nächste Abschiebeakt unliebsamer, nicht mehr benötigter Spieler nur unnötig verkompliziert. Zuviele Wärme würde nur den eisigen Poker behindern. Man möchte es zwar nicht behaupten, klingt es doch makaber und pietätlos. Doch wahrscheinlich muß man es doch tun. Als man verkündete, der Tod des Torhüters sollte nicht umsonst gewesen sein, da hat man sich von den Emotionen erschlagen lassen. Nein, man möchte es wirklich nicht behaupten, aber es muß sein: Enke, er ist umsonst gestorben - einen neuen Geist kennt die Bundesliga jedenfalls nicht, die Show läuft weiter, wie sie immer lief...

7 Kommentare:

Tim 15. März 2010 um 03:03  

Man muss diesen Eindruck natürlich spontan bestätigen und sicherlich hast du auch grundsätzlich recht damit.

Ich will an dieser Stelle aber die Gelegenheit nutzen und einen Verein positiv hervorheben, den ich (sportlich) eigentlich abgrundtief hasse: Den FC Bayern München. Strauchelnde ehemalige Kollegen wie den Ex-Alkoholiker Gerd Müller haben die Verantwortlichen dort stets aufgefangen und ihnen Beschäftigung gegeben. Ein Sebastian Deisler bekam nicht die Kündigung sondern eine Vertragsverlängerung, obwohl längst feststand, dass ihm seine psychische Verfassung eine Rückkehr auf den Fußballplatz nicht erlauben würde. Ein Alexander Zickler wurde den kurz vor der Insolvenz stehenden Dresdnern seinerzeit zum völlig überhöhten Preis abgekauft und trotz mäßiger Leistungen über 10 Jahre im Verein gehalten.

Auch meine schwarz-gelben Lieblinge vom BVB haben bewiesen, dass es anders geht, als sie dem an Krebs erkrankten Heike Herrlich einen neuen Vertrag gaben, obwohl klar war, dass er nie wieder ernsthaft Fußball spielen wird.

Anonym 15. März 2010 um 08:48  

Klasse Artikel! Sämtlichen, medial vermarkteten "Sport" habe ich schon lange unter "Brot und Spiele" abgelegt. Jedoch gibt mir das Verhalten der sog. Fans immer wieder zu denken, zeigt es doch oft in welchem Zustand unsere "Wertegemeinschaft" sich befindet und wo die Reise hingehen könnte: Kennt noch jemand den Film "Rollerball"? Beim Kreisligafußball wird ja schon mehr geprügelt als gespielt.

gerdos 15. März 2010 um 09:00  

Wer jedes Wochenende für 50 Euro Eintritt und mehr bereit ist, in Bundesligastadien Multimillionären bei der Arbeit zuzuschauen, fährt nun mal schnell aus den Springerstiefeln, wenn auf dem Spielfeld "leistunsgloser Wohlstand" demonstriert wird. Mein Therapievorschlag für den Lynchmob: Hin und wieder mal den Feinstaub aus der Fontanelle blasen lassen.

epikur 15. März 2010 um 10:11  

Die vorstechendste Eigenschaft in Deutschland ist und bleibt für mich die Bigotterie. Überall zu beobachten und nach zu prüfen. Davon kann einem richtig eklig werden, wenn groß moralisiert wird, und hinten rum Menschen wie Vieh behandelt werden.

The show must go on. Business as usual.

Herta Besce 15. März 2010 um 15:20  

@ gerdos

man muss auch mal die leute verstehen. die geben 50 euro aus und dann so was. ist ja klar, die ticken aus. die wollen leistung für ihr geld. ist doch überall so.

Die Katze aus dem Sack 15. März 2010 um 20:45  

Warum sollte es denn nicht weiter laufen, wie bisher auch? Lässt sich mit der bezahlten Form der Freizeitgestaltung für Wenige, auf kosten Vieler, nicht sehr, sehr viel Geld verdienen? Und die Toten, Gequälten und Geschundenen? Ja, die sind lediglich Bauernopfer, die immer dann herangezogen werden dürfen, wenn wieder die Zeit grosser Heuchelei anklingt. Sport ist Mord, heisst es doch.

Feuert und spornt sie nur eifrig an, diejenigen die im Hamsterrad der Ertüchtigung den Wettkampf fröhnen - und entlohnt sie auch fürstlich für ihre grossartigen Bemühungen. Jubelt ihnen zu, treibt sie an, fiebert und zittert mit ihnen, sie verlangen danach. Wenn dabei etwas gemogelt und gebeugt wird, wem stört es denn schon? Ist doch schliesslich nicht die Regel, sondern die Ausnahme, oder?

Zeigt was ihr könnt, ihr sportlichen Recken, und verzichtet nicht, auf das was euch zusteht. Auf Ruhm, Ehre, Ansehen, Macht, Leistung und Rankings. Kämpft um euren Sieg um jeden Preis, so wie es bei Wilden üblich ist. Nicht das ihr sonst noch auf die dumme und absurde Idee kommt, für eueren Gelderwerb arbeiten zu müssen. Eine sinnstiftende und zweckmässige Tätigkeit ist nichts für derart herausragende Charaktere, die zu viel mehr berufen sind. Nicht umsonst, wurden sie auf diverse Disziplinen abgerichtet, haben sich abrichten lassen.

Weiter so - Applaus, Applaus, Applaus.

Blutgrätsche 15. März 2010 um 20:57  

Beim Thema Fussball muss ich immer an die Schriften R. Dahlkes denken, der die Überrepräsentation dieses Sports und der Sportberichterstattung allgemein in den Medien und seine Funktion als ritualisierte Agressionplattform beleuchtet. Demnach sei es besser, wenn sich bierselige "Fans" am Wochenende die Seele aus dem Leib brüllen als ihre Frauen zu schlagen. Schläge die eigentlich dem Chef zustehen. An der zunehmenden Gewalt erkennt man, dass solche Ritualagressivität und der dafür gesellschaftlich akzeptierte Rahmen nicht mehr ausreichen. Brauchen wir also doch den "Running man"? Wir sind alle doch nur Bio-Roboter.....

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