Der Neid der Branche?

Sonntag, 21. März 2010

Der Mann gehört nicht gefeuert - er gehört befördert! Erfundene Gespräche habe er seinem Magazin angeboten. Erfunden! Wie negativ sich das doch anhört! Der Mann ist innovativ, hat ein wenig nachgeholfen, aufgepeppt, den IQ der Befragten poliert. Wenn heutzutage die Politik neue Sanktionskataloge für Leistungsberechtigte erfindet, dann spricht doch auch keiner von Erfindungen. Nein, dann heißt es, man habe optimiert. So sollte man das sehen! Der Autor hat nicht erfunden: er hat optimiert, hat das Beste aus der befragten oder zu befragenden Gestalt herausgeholt. Alles herauszupressen: das nennt man Effizienz.

Und mit welchen Köpfen er es da zu tun hatte! Man will ja nicht frech sein, niemanden Dummheit unterstellen - aber wie er aus diesen banalen Persönlichkeiten des Zeitgeschehens, an die sich in drei Stunden niemand mehr erinnern kann, weil schon wieder neue Gesichter, eben frisch der Casting-Couch entschlüpft, zu den neuesten Giganten ihrer Branche geschürt werden, wie man also aus solchen trivialen Persönlichkeiten etwas Lesenwertes herausholen soll, weiß der Teufel. PR-Gewäsch, abgestandene Sprüche, antrainierte Sätze - was für ein öder Brei aus Kommerz und Style, aus Massentauglichkeit und gespieltem Individualismus, aus Bad-Boy-Image und Habt-mich-alle-lieb. Starlets am schmalen Grat, zwischen Verkaufszahlen und Aufmerksamkeitsdefizit: dabei kann nichts Lesens- oder Erwähnenswertes herauskommen. Dazu braucht es eine effiziente und optimierende Kapazität.

Bevor man sich diesen Mix aus penetranter Belanglosigkeit antut, fingiert man, optimiert man schon lieber. Die Leute wollen doch eh nicht wissen, was ihr Star sagt; sie wollen nur den Eindruck haben, vielleicht und vermutlich wissen zu dürfen, was ihr Star eventuell und womöglich würde gesagt haben können. Heute will niemand mehr informiert sein - aber das wohlige Gefühl, sich informiert zu wähnen, das will man nicht missen. Der Autor hat das verstanden und hat dem hungrigen Publikum, diesen lauen Infoholics, die glauben, es sei die höchste aller Informationen, die Slipfarbe ihres bevorzugten Barden präsentiert zu bekommen, er hat ihnen das gegeben, was sie lesen wollten, wenn sie von ihrem Helden lesen würden. Nicht erfunden wie erwähnt - herausgefiltert, destilliert, optimiert. Aus ausgesaugten Starhüllen Hochglanzbildchen gebügelt!

Und so einer wird gefeuert! Das verstehe wer will! Befördern hätte man ihn müssen. Zu höheren Weihen geleiten. Hinüber ins politische Ressort, wo Effizienz und Optimierung dringend nötig wären, um den grauen, einförmigen, tranigen Eminenzen, die Rede und Antwort stehen müssen, dabei aber nichts als PR-Neusprech und Schlagworte und Parolen zu bieten haben, ein wenig unterstützend unter die schwitzigen Achseln zu greifen. Niemand will doch wirklich wissen, was Politiker aus dem zweiten oder dritten Glied an Eselei zu versprühen haben; niemand will wahrhaft wissen, was die erste Garde an Klüngelei und Vetternwirtschaft als politische Vernunft verkündet - es reicht, wenn man den Eindruck hat, vielleicht wissen zu glauben, was dieser oder jener von sich gegeben haben könnte. Zu genau will man es nicht wissen, es reicht, schwammig zu erahnen, dass man informiert sein könnte. Interviews in Politik und Wirtschaft, sie lassen sich zuletzt eh auf zwei, drei Sätze reduzieren. Da ufert der Befragte ellenlang aus und am Ende zitieren hunderttausend Medien nur immer denselben Satz - natürlich irgendwas, was spektakulär, drastisch, kurios klingt.

Niemand könnte besser verstümmeln und einschrumpfen lassen, wie jemand, der gelernt hat, effizient zu optimieren. Ein solcher Experte gehört nicht dem Arbeitsmarkt überstellt, er gehört auf die Politikseiten. Deswegen wird zwar der interviewende Irrsinn auch nicht erträglicher - aber die nun zürnende Journaille, die glaubt, im Autor optimierter Gespräche einen beruflichen Schandfleck, ein schwarzes Schaf der Branche entlarvt zu haben, soll nicht glauben, sie sei um so viel besser als der Beschuldigte. Denn er hat nur konsequent umgesetzt, was der größte Anteil der Zunft hinter gespielter Professionalität verbirgt. Er hat das Ringen um Scheininformationen, das den heutigen Journalismus wesentlich ausmacht, nur auf die Spitze getrieben.

Vielleicht ist es auch nur der Neid unter Kollegen. Neid, weil man einst mit Müntefering, Schröder, Merz zusammensitzen, ihren Geruch, ihre Arroganz, ihre Banalität ertragen mußte, während sich der feine Herr Kollege einen schönen Lenz machte, den Allüren der Prominenz entfloh und dennoch brauchbare Gespräche lieferte - vielleicht brauchbarere Gespräche, als sie die Realität je hergeben könnte. Ohne Aufwand dieselbe kümmerliche Qualität abgegeben zu haben: das muß die Branche doch ärgern, muß sie neidisch werden lassen...

9 Kommentare:

retlaw 21. März 2010 um 01:27  

Das ist auch der Grund warum ich seit eineinhalb Jahren mir meine Informationen hauptsächlich aus Blogs wie deinem und anderen, und "angeblich" unabhängigen Medien im Internet hole. ob das alles wahr und hintergrundhaltig ist, kann ich mir anhand der Vielfalt der digitalen Kommunikation dann selber aussuchen. Ist ja auch mein Leben.
Alle Achtung, guter Artikel und ein Grund mehr dein Buch zu kaufen. Für mich als Computer Dummie, nicht ganz so einfach, aber trotzdem sicherlich machbar

Anonym 21. März 2010 um 11:17  

Bei Casting Doku-Soaps oder in fiktionalen Formaten wie Hannah Montana macht die Musikbranche die Produktionsmechanismen von Star-Interviews zuweilen durchaus transparent, die Zuschauer erfahren, dass ein Image etwas Produziertes ist, dass Interviews systematisch trainiert werden.

Dank dem Internet erfahern die Fans auch direkt und überdeutlich, dass verschiedene Interviews in verschiedenen Zeitschriften nahezu identische Reproduktionen desselben einstudierten Plots sind, oder wie Tokio Hotel im Lied "Automatisch" singen:

Du bist wie
Ferngesteuert
Statisch und
Mechanisch
So automatisch

(...)

Dein Blick so leer
Ich kann nicht mehr
Alles an dir
Wie einstudiert
Du stehst vor mir
Und warst nie wirklich hier

Hätte "der Mann" die Interviews "erfunden", wäre das sofort aufgefallen. Er hat nur das getan, was alle Pop-Journalisten professionell tun: die eigene Schreibe sorgfältig abzugleichen mit allen anderen nahezu identischen Artikeln, um das abzuliefern, was seine Dienstherren von ihm erwarten. So kommt die publizistische Realität zustande, die der "Alle 162 Artikel"-Link bei Google News enthüllt. Das so "erfundene" (genauer: synthetisierte) Interview ist bei hinreichender Sorgfalt der Transkription eines tatsächlich einmal performten Star-Interviews notwendig qualitativ überlegen.

Würden die Stars echte, ehrliche Interviews geben, also das, was ein Interview kontrafaktisch vorgibt, zu sein, wäre das ein eklatanter Vertragsbruch gegenüber dem Eigentümer aller Rechte an sämtlichen Lebensäusserungen dieser Person, dem Platttenlabel. Für eine ernsthafte Pop-JournalistIn wäre die tatsächliche künstlerische Erfindung eines Interviews die einzige Möglichkeit, die Lebensrealität eines Stars journalistisch professionell zu dokumentieren - was in der freien Welt wegen der Namens-Rechte des Plattenlabels aber schlicht illegal ist und entsprechend unterbunden würde.

Dafür, dass Popkonzerte für viele - nicht nur junge - Menschen zu den intensivsten Erlebnissen ihres Lebens gehören, ja die einzigen Momente sein können, in denen sie sich wirklich lebendig fühlen (à la "This is the only time I really feel alive" - "Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein") ist diese Realität erschreckend, aber gerade darin auch erhellend.

Christian 21. März 2010 um 13:17  

Ich finde es schade, wenn gut durchdachte Kommentare wie der zweite in dieser Reihe nur durch einen anonymen Nutzer vorgetragen werden. Auch wenn der Kommentator Tokio-Hotel-Songtexte zitiert, kann er ruhig mit einem Namen oder Alias dafür einstehen.

Anonym 21. März 2010 um 17:40  

Und was hat man davon, wenn ein "Christian" für seinen "Kommentar" einsteht?
Hat er seine Adresse hinterlassen, damit man ihm eins auf die Glocke geben kann, wenn er einen beleidigt?
Irgendwie ein dummer Kommentar, Christian, denn was ist der Unterschied zwischen "Anonym" und "Christian", wo es beide auf etliche 1000 Exemplare im Lande bringen ...

Die Katze aus dem Sack 21. März 2010 um 23:12  

Wer wohl noch so alles, in ähnlicher Art und Weise, mit Lug und Betrug, sich durch's Berufsleben so schummelt? Und das Qualitätsmanagement, in Form der interessiereten Leser, hat in diesem Falle auch noch versagt?! So ein (Tom) Kummer... *kichert*

Christian 22. März 2010 um 01:00  

Vielleicht habe ich dich überschätzt, anonymer Kommentator. Denn wenn du nicht siehst, dass das "Christian" nunmal auf ein Profil verlinkt, dann bist du nicht halb so scharfsinnig, wie ich dachte.

Aber auch wenn hinter dem Namen keine weitere Verlinkung erfolgt, so ist selbst ein beliebiger Name aussagekräftiger als keiner.
Sollte nämlich ein weiterer Kommentator keinen Namen eingeben, heißt der ebenfalls "Anonym". Dann ist nicht mehr ersichtlich, ob es sich um denselben "Anonym" wie zuvor oder einen anderen handelt.

Ist die Anonymität im Netz inzwischen so selbstverständlich geworden, dass man ihre Nachteile erklären muss?

Laura B. 22. März 2010 um 10:21  

was sollen denn diese uninteressanten menschen in einem interview erzählen?

Anonym 22. März 2010 um 14:38  

Die Wahrheit solcher "erfundener Gespräche" dürfte ungleich größer sein als die verdeckte neoliberale Propaganda im sonstigen politischen und wirtschaftlichen Bereich der Medien.

Bei 'erfundenen' Wahrheiten wird duchgegriffen, bei 'genehmen' Unwahrheiten wird befördert.

Hotzenstotz, Karl-Theodor

Anonym 23. März 2010 um 01:50  

Im Messen mit zweierlei Maß zeigt sich die Ungleichheit dieser zutiefst korrupten Gesellschaft.

Einkommensungleichheit feiert fröhliche Urstände.

Rechtsgleichheit, eine Fiktion.

Deutschland? Täuschland!

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