In der Puppenkiste

Montag, 26. Oktober 2009

Man stelle sich nur vor, eine hitzige Meute Journalisten dränge in die Räumlichkeiten der Augsburger Puppenkiste ein, eroberte sich Zugang zu den Lagerhallen, stürmte an die Regale mit den fadenscheinigen Helden längst vergangener Kindertage, richtete Mikrofone auf Kater Mikesch, das Urmel und Schlupp, erkundigte sich bei den Herumhängenden, wie sie sich deren Zukunft vorstellten, nur um ein hölzern-dämliches Lächeln zu ernten. Albern fürwahr, aber weniger phantasievolles Geschwätz, als man anzunehmen glaubt.

Die Puppenkiste steht dieser Tage nicht in Augsburg, sie steht in Berlin. Allerlei berichtendes Volk mischt die miefigen Lagerräume auf, in denen gerade Gliederpuppen entstaubt werden, um für ihren Einsatz schnittig aufbereitet zu sein. Der Journalismus gibt sich nicht minder närrisch als jene, die erfindungsreich am Kater Mikesch herumgefingert haben. Das idiotische Grinsen der Holzköpfe findet auch hier seine Berechtigung, auch wenn sich hier zur mimischen Dämlichkeit gelegentlich noch Äußerungen von gleicher Güte hinzuaddieren.

Es ist wie ein Sturm aufs Marionettentheater, was sich derzeit in Deutschlands Journaille abspielt. Man interviewt Herrschaften, denen die Ösen, an denen die Fäden geknotet sind, direkt unter den Manschetten hervorspitzen; die mit der toten Mimik eines freundlichen Holzkopfs geistesabwesend in die Ferne blicken; die sprechen, doch dabei nicht den eingekerbten Mund öffnen; die stets durch großtuerische Gestik und dank gut geölter Scharniere bemüht sind, die Fäden, die an ihnen angebracht sind, vergessen zu machen. Es ist, als befragte man Spielpüppchen, holzige Gesellen - die führende Hand dabei entschwindend. Dieser ist es einerlei, ob das klobige Ding am anderen Ende der Spielkreuzes Hotzenplotz oder Jim Knopf heißt, solange es nur so durch die Gegend stolpert, sich mehr recht als schlecht den Pendel- und Schwerkraftgesetzen erwehrt, wie es das eigene schäbige Spiel benötigt. Das aufgebundene Etwas ist austauschbar, ersetzbar, die Handhabung, der Spielkreuzaufbau bleibt sich immer treu. Es ist, als würden derzeit Gespräche mit Gehölz geführt, mit aus Holz geschnitzten Visagen.

Visagen aus Holz und Pappmaché und Metallgelenken und Metallösen und Strippen, Unmengen von Strippen; Visagen, bei denen wir so tun, als seien sie für ihren Auftritt verantwortlich, nicht jedoch der stille Führer, der oberhalb der Bühne sein Werk tut. Es ist, als würden wir das Urmel aus dem Eis fragen, wohin es demnächst zu wandern gedenkt. Antwortete es, würde es antworten, was die führende Hand erlaubte, wäre also nicht mehr Antwort darüber, wohin das Ding marschieren würde, sondern wohin man das Ding marschieren läßt. Der Journalismus steht aber nichtsdestotrotz Spalier, hält Mikrofone an eingeritzte Mundpartien, liest von holzsplitterigen Lippen ab, was Ramsauer der Lokomotivführer meinen oder Kater Pofalla denken oder Räuber Niebel finden oder Brüderle vom grünen Stern vorausplanen könnte. Gerade so, als wären Namen die an Fadenkreuzen aufgebunden sind, nicht austauschbar, trivial, nebensächlich. Die Journaille bewertet das neue Ensemble, erklärt Vorzüge der einen Gliederpuppe, gibt Bedenken zu Protokoll bei anderen Marionetten. Man könnte fast anfangen zu denken, es sei von wesentlichem Unterschied, welchen Namens man hölzerne Zwerge tauft. Als sei es auch nur im Kern von Bedeutung, wenn ein liberaler Holzbengel mit dem versteinertem Lächeln einer geschnitzten Kreatur, von sozialem Ausgleich spreche, dies ewig dämlich vor sich hin grinsend; mit dem puppenhaften Grinsen, mit dem Einschnitte, Kürzungen, Erhöhungen und Abbau schöngelächelt wird.

Es ist, als nehme man die Figurenparade so ernst, wie weiland, als wir noch mit dem Kasperl fieberten, als wir ihm zuriefen, ihn vor dem Krokodil warnten, voll in der Geschichte aus Stoff und Plüsch involviert waren. Als der Kasperl für uns realistischer, fassbarer war, als mancher Mitmensch, er für uns trotz stofflicher Weichheit menschlicher war, als viele unserer Kindergartenfreunde. Erst später haben wir begriffen, wir können den Kasper noch so oft plärrend vor dem Krokodil warnen, wenn wir nicht hinter die Fassade klettern und dem Puppenspieler ordentlich vors Schienbein treten, gerät er dennoch in Gefahr. Solange Holzvisagen ausgequetscht werden, solange wir nicht anfangen, die Fäden gleich unterhalb des Handgelenks des Puppenspielers abzuhacken, ändert sich hierzulande nichts, ganz egal, welche Krawattenfarbe man seinen Marionetten um den Kragen wickelt. Das Ändern des Ensembles, verändert nicht den Intendanten, es ist vielmehr banaler Theateralltag. Will man das Theater verwandeln, heißt es Fäden zu kappen.

15 Kommentare:

maguscarolus 26. Oktober 2009 um 18:33  

Angeregt durch einen Artikel in der StZ

http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2249304_0_2147_-scheinfreiheit-bollwerk-der-eigenen-blogosphaere.html

suchte ich den betreffenden Vortrag "Politik als Beruf" von Max Weber, fand auch eine gekürzte Version – genug, um Folgendes sagen zu können:

Was für ein Bild! Der Politiker, gebunden an ein Ethos der Verantwortung!

Dagegen gestellt der "Weltverbesserer", mit dem Ethos seiner verabsolutierten, realitätsblinden Gesinnung!

Und dieses Gegensatzpaar: Herübergeholt in die heutige Gesellschaft so, wie es obiger Artikel ausführt.

Der Politiker mit seiner Verantwortungsethik! Wenn es denn überhaupt jemals stimmte – aber heute?

Wem verantwortlich? Gibt es da noch Verantwortung außer gegenüber der Fraktion und der Lobby, der man verbunden ist?

Wie wird er zur Verantwortung gezogen? Was verliert er? Wissen wir doch bestens, wie Machtverlust finanziell vergoldet wird!

Wenn die Steuerfäden sich verheddern: Kleine Drehbuchänderung, Marionette auswechseln, fertig!

Die Blogger seien alle (fast alle) stets negativ, sogar manchmal rüpelig – man höre!

Sicher ist es schade, dass die meisten Publikationen im Internet wirkungslos verpuffen oder nur die ohnehin schon Vorgeprägten erreichen.

Aber wie soll eine Sensibilität für die Wahrnehmung dieses "kindischen Theaters" namens Regierungspolitik und für den damit verschleierten zig-fachen Betrug der Bevölkerung in vitalen Daseinsfragen in einer breiteren Öffentlichkeit entstehen, wenn nicht durch beharrliche Wiederholung eigener Überzeugungen auch dann, wenn sie weit vom medialen Mainstream entfernt sind.

Ich wünsche Roberto weiterhin eine kreative Feder - äh - Tastatur.

Anonym 26. Oktober 2009 um 18:46  

"Will man das Theater verwandeln, heißt es Fäden zu kappen." - oder mit Georg Büchner (aus einem Brief an die Familie) gesprochen:"Ich bete jeden Abend zum Hanf und zu den Laternen." Vielleicht wird das ca ira ja auch noch mal in Deutschland gesungen. Denn wer Friede den Palästen (FDP) verkündet, wählt und das Regieren ermöglicht, der hat den Hütten den Krieg erklärt, auch wenn die meisten Hüttenbewohner das noch nicht bemerkt haben, diese zum Teil auch mit aller Unbedingtheit und in ihrer Unbedarftheit und Beschränktheit auf der Seite der Sieger stehen wollen und sei es um den Preis eines eigenen Lebens in Würde, Frieden, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit. Furchtbar und furchterregend was rotgrün seit 1998 in diesem Land in Sachen Entsolidarisierung losgetreten hat (was mir erst rückblickend so richtig bewusst geworden ist) und was jetzt von schwarzgeld beschleunigt fortgesetzt werden wird und kann, ohne dass diese sich um Widerstand großartig zu sorgen brauchen, mag man auch aus Gründen der Opportunität mit den großen Sauereien bis zur NRW Landtagswahl warten. Oder wäre bzw wird das CA IRA vielleicht doch eine Alternative?

Andreas

Anonym 26. Oktober 2009 um 19:16  

Eine wirklich treffende Analyse. Mein Problem ist aber, das viele, auch einfache Menschen um diese Wahrheit wissen, sie zumindest erahnen. Doch die nicht unberechtigte Frage lautet : "Was sollen wir denn tun ?"
Unzählige Kriege haben bewiesen, das der Mensch in der Lage ist, andere Menschen zu töten, aber ein System ?
Das System zu überwinden bedeutet gerade seine Opfer zu vereinen in diesem Kampf. Aber hierzu bedarf es schon einer Lichtgestalt, denn gerade einfache Menschen brauchen einen Wegweiser. Es ist doch mehr als bezeichnend, das gerade die Opfer des Neoliberalismus den Wahlurnen fernbleiben und andererseits ein Zerrbild wie Sarrazin Applaus erntet.
Die Änderungen der letzten Jahre in Südamerika sind für mich Angst und Hoffnung zugleich. Hoffnung, weil diese Änderungen zeigen, das der Mensch auch nach schlimmsten Erfahrungen in der Lage ist wieder Solidarität (ist dieses Wort in Deutschland überhaupt noch erlaubt ?) und Gemeinsinn zu entwickeln. Angst, weil wir noch lange nicht die Talsohle der Entmenschlichung wieder erreicht haben, die Chile und Argentinien in den 1970ern Jahren durchmachen mußten. Meine Hoffnung ruht hier einzig und allein auf unseren Nachbarn, denn wenn hier wieder für "völkische" Reinheit plädiert wird, sollte es bei denen klingeln.
Andererseits dröhnt insbesondere in Polen ja auch ein "rechter" Ton.
Zur Zeit fühle ich mich einfach nur wie König Théoden in Herr der Ringe: "Warum muß denn diese schwere Zeit die meine sein ?"

Gruß, ein Fan

Anonym 26. Oktober 2009 um 19:20  

Lieber Roberto J. de Lapuente,

wie immer fulminant beschrieben.

Es ist tatsächlich so wie du schreibst - aber die Kälbchen-Karawane in Deutschland zieht weiter, und wählt deren Metzger in Banken und Versicherungen - eben die die die Fäden der Marionetten halten, die du hier so treffend entlarvt hast.

Vorschlag:

Jeder neue Minister der Regierung Merkel, und Frau Kanzler selbst sollten sich einen Vorrat an T-Shirts, und Sweat-Shirts, zulegen wo darauf vermerkt ist wer die letztendlich für die die Volksverarsche bezahlt - mit Namen und Unternehmensanschrift.

Mal sehen ob unsere Mitleidenden in Deutschland dann noch Schwarz-Gelb-Rot-Grün wählen.

Einzig bei der Linken bin ich mir (!: noch) sicher, dass die nicht fremdfinanziert sind, und ich hoffe, dass es so bleibt.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Robert Reich 26. Oktober 2009 um 21:28  

Wenn man die echte Augsburger Puppenkiste nimmt, die ist bestimmt kinderfreundlich. Das Marionettentheater in Berlin ist es nicht, zumindest nicht für Kinder aus finanziell schwachen Familien.
Der Kabarettist Urban Priol bezeichnete diese Typen unlängst auch als Mumifizierte, die vielleicht für die Körperweltenausstellung vorgesehen waren.
Jedenfalls freuen sich schon die Puppenspieler Hundt, Keitel, Ackermann usw. auf ihre Vorführungen - obwohl die Marionetten selbst vermutlich schon wissen, was mit ihnen selbst aufgeführt wird. Bei diesem Finanzminister fällt mir nur ein: wenn man eine Marder in einen Hühnerstall sperrt und ihm sagt er soll auf die Hühner aufpassen...
Und deutsche Adelssprösse machen sich als Militaristen seht jeher in aller Welt einen guten Namen.

Anonym 26. Oktober 2009 um 21:35  

Ein groteskes Marionettenschauspiel konnte man auch in Hamburg verfolgen. Sehenswert:
http://www3.ndr.de/sendungen/zapp/media/nonnenmacher146.html

Anonym 26. Oktober 2009 um 22:28  

@Fan

Du hast recht, mir geht es genauso, übrigens unsere auf Linie gebrachten Medien berichten ja kaum darüber, dass die CDU/CSU/FDP-Regierung schon VOR der Bundestagswahl zu den erklärten Feinden der Entwicklung in Lateinamerika gehört.

Mehr dazu hier:

"[...]Gegen unabhängigen Süden
Das neue deutsche Regierungskabinett steht – und lässt Spannungen mit der neuen Linken in Lateinamerika erwarten
[...]"

Quelle und kompletter Text:

http://www.amerika21.de/nachrichten/inhalt/2009/okt/gegen-92630-sueden

Es bleibt uns, als Linken, nichts anderes übrig als auf der Seite von Morales, Chavez & Co. zu sein.

Die neoliberalen Lügen werden nun massivst zunehmen, über oben erwähnte Personen + deren Ziele, und die Entwicklung, die zu den Wahlsiegen geführt haben, die neoliberale Gegenrevolution läuft bereits in Honduras - mit tatkräftiger Unterstützung von CDU/CSU/FDP-Stiftungen - auf Hochtouren.

Ich hoffe, dass die Linke in Deutschland, nicht allein die Partei gleichen namens, merkt was hier gespielt wird, und massiv auch in der Außenpolitik dagegen votiert was Westerwelle & Co. vorhaben könnten.

Würde es nach denen gehen, so wage ich zu prognostizieren, dann müßte die Bundeswehr demnächst auch die positive Entwicklung gegen den Neoliberalismus in fast ganz Lateinamerika - auch mit Waffengewalt - bekämpfen.

Widerstand ist angesagt, und nicht allein dt.-innenpolitische Nabelschau....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

maguscarolus 27. Oktober 2009 um 10:47  

Wenn eine Regierung ganz bewusst Entscheidungen trifft oder zu treffen beabsichtigt, durch die Millionen von Menschen Hoffnung und Zuversicht für sich selbst und für ihre Kinder verlieren werden, und stattdessen sich selber und den Mitgliedern der Interessengruppen, denen sie verpflichtet sind, die Taschen füllen will, dann kann man das Pflichtvergessenheit nennen. Was hier dieses Kartell aus Politikern, Lobbyisten und Meinungsmachern mittlerweile auszeichnet ist eine Art von systematischer Bosheit und abgründigem Zynismus.

Zwar sucht man "das Böse" eher im Individuum, aber die Geschichte des Totalitarismus zeigt, dass, richtig eingefädelt, das Böse auch zur Triebfeder in einem System werden kann.

Aber das Böse ist umso augenfälliger, je eindeutiger es darauf abzielt, ganz bewusst das Schöne, das Heile, das Kindliche, die Zukunft zu zerstören.

aus:
ZEIT-Interview

klaus baum 27. Oktober 2009 um 12:23  

Für mich die beste und treffendste Formulierung:
"Will man das Theater verwandeln, heißt es Fäden zu kappen."
Genau so ist es, denn zu erwarten, dass die Fädenzieher sich ändern, dürfte illusorisch sein.

Kassandra 27. Oktober 2009 um 16:06  

Das Drehbuch ändern, die Marionetten austauschen, die Fäden kappen, dem Theater die Subventionen kürzen,dem Puppenspieler oder dem Intendanten ans Bein treten und ihn austauschen ...?
Es gäbe und gab schon neue Drehbücher und neue Marionetten, und es wurden gelegentlich auch schon Fäden gekappt ( - selten freiwillig und sowohl friedlich als auch mit Gewalt) und neue Fäden geknüpft ... zu neuen Puppenspielern, die immer wieder nur Kopien und Klone waren. Und wenn staatliche Subventionen nicht mehr flößen, erhöhen die Intendanten über Fundraising die Spenden.

Wenn die Pinocchios dieser Welt immer wieder den Zauberlehrling geben können und dabei auch nicht rot werden, wenn sie eine lange Nase bekommen und dafür auch noch gute Kritiken bekommen, stellt sich für mich die Frage:

Wovon bzw. von wem lebt denn ein Theater? Für wen ist es denn gedacht? Wer sitzt immer wieder im Theatersaal, um sich das anzusehen und Teil des Ganzen zu bleiben?

Und kann der Wechsel des Theatergebäudes denn eine Lösung sein, da es auch dort Marionetten und Zuschauer gibt, die sich mit Theater die Zeit vertreiben und immer wieder hoffen mögen und sich mit einer imaginierten Zukunft die Gegenwart wegkiffen ... immer und immer wieder? Und dann im Alltag funktionieren, artig und brav 'Ja' sagen, im Betrieb mit alternativen Vorschlägen hinterm Berg halten - aus Angst, Ärger oder keine Prämie zu bekommen und das fremdfinanzierte Häuschen noch nicht abbezahlt ist ... und wegsehen, wenn KollegInnen gemobbt werden, mit dem Finger auf Minderheiten zeigen, in einem der reichsten Länder der Erde Mangelernährung zulassen, scheinbare Mildtätigkeit begrüßen und sich ihre Totengräber auch noch selber wählen, in der abermals steten Hoffnung, dass ein anderer begraben wird.

Anonym 27. Oktober 2009 um 18:25  

Lieber Roberto J. de Lapuente,

so eben mal Small Talk gehalten.

Es ist einfach unglaublich.

Die FDP-Sprache hat schon in den normalen Alltag Einzug gehalten - Kurze Erklärung: Ich wußte nichts davon, war heute Morgen hier in einem Fahrradladen, der mir etwas seltsam vorkam, da ersten im Hinterhof, und zweitens sehr motivierte Angestellte, einer telefonierte mit einer Kunden, die anderen 4 puzzelten.

Heute Abend war meine Schwester da - ja, die wüßte was das gewesen sei, ich wäre in einer Projektwertstatt für Langzeitarbeitslose gewesen wo man die wieder daran gewöhnen würde zu arbeiten, so lange wie die draußen wären - Das sagte die ohne rot zu werden. Ich weiß nicht, ob die überhaupt gewählt hat, und wenn ja auch nicht wen, aber ihre Sprache hörte sich wirklich an wie von einem Neoliberalen auswendig gelernt.

Da meine Mutter herzkrank ist, und ich selbst im Rahmen einer Erbengemeinschaft diese Schwester aushalten muß sagte ich zunächst einmal nix, aber später dann doch, zwischen den Zeilen - es ist Ausbeutung.

Ich selbst übrigens war, nicht vor der Einführung von Hartz IV selbst in einem solchen Projekt, dass Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit führen sollte - Fazit: Außer Spesen nix gewesen.

Daher weiß ich von was ich schreibe, wenn ich Ausbeutung meine, und es wundert mich daher nicht mehr, dass die Arbeitsmotivation dort so komisch war, da würde ich auch lieber puzzeln statt Kunden bedienen, wenn nicht gerade einer von der ARGE reinschneit. Zur Kontrolle.

Eigentlich bin ich sogar schockiert, dein Beitrag mit "In der Puppenkiste" könnte man daher noch ergänzen um die Meinungsmache auf die die Bürgerpuppen reinfallen, die diese Marionetten schon seit der Einführung von Hartz IV verbreiten.

Ich bin mir fast sicher, dass die Projektwerkstatt nicht auf ewig existiert, und dass die wenigsten Langzeitarbeitslosen im tiefschwarz-gelben Baden-Württemberg, dass ja nun noch weiter nach rechts rücken soll, nachdem Öttinger in die EU abgemeldet wird, eine wirklich "Gute Arbeit", d.h. eine sozialversicherte Festanstellung erhalten.

Man sieht übrigens allein an dem Beispiel wieviel man gegen die offizielle Meinungsmache, die bis in die privatesten Familienbereiche eindringt, noch tun muß. Für mich sind die Ein-Euro-Jobber nichts anderes als in die Form eines neuen RAD (Reichsarbeitsdienstes) eingezwungen.

...und Geringstverdiener, wie die oben erwähnte Schwester von mir, predigen die neoliberalen Parolen nach, wie auswendig gelernt.

Übrigens, auch die örtliche Linkspartei dort, ich war mal bei einer Versammlung, ist da ganz anderer Meinung was die Projektwerkstatt angehen würde.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Heinzi 28. Oktober 2009 um 13:04  

So ist das Anonym. Die Herrschaft über die Gedanken ist der größte Machtfaktor in der Informationsgesellschaft. Wer den Menschen dazu bringt, selbst das zu wollen, was er von ihm will, erreicht mehr als er mit direkter Gewalt erreichen könnte.
Ich bin aber nicht der Meinung, das diese Form so einfach auf einzelne Agitatoren zurückzuführen ist, sondern es ist eher eine entstehende Zwanghaftigkeit durch die Technisierung und Industrialisierung der Welt, der Entfremdung des Menschen von sich Selbst und seiner natürlich gegebenen Lebensbedingungen.

Menschen nehmen also die Anforderungen der Gesellschaft in der sie gerade leben und akzeptieren die Zwänge, denen sie durch Erziehung und kulturelle Auslese ausgesetzt werden. Es resultiert ein für viele Charaktere lebensnotwendiger Konformismus, den zu überwinden durch ihnen tief innewohnende Ängste nahezu unmöglich wird.

Das ist nicht schön, aber es ist eben verständlich. Nicht allzuviele sind fähig und willig sich gegen eine Übermacht (die vorherrschende Gesellschaft/-normen) aufzulehnen und nicht alle die es könnten, werden es tun, weil der Preis recht hoch sein kann und für die Menschen in den unteren Einkommens- und Einflußsphären ist die Identifikation mit dem erpresserischen System das Unterwerfung fordert die Einzige Möglichkeit eine Autonomie vorzugeben, die das Individuum in dieser Situation gar nicht mehr hat.

Um zu verstehen muss man schlicht viel weiter sehen als nur die oberflächlichen Aussagen und Hetztiraden, die Polemik der Bild und all den anderen Positionen, über die Roberto so virtuos schreibt in diesem Blog.

Anonym 28. Oktober 2009 um 14:22  

"[...]Um zu verstehen muss man schlicht viel weiter sehen als nur die oberflächlichen Aussagen und Hetztiraden, die Polemik der Bild und all den anderen Positionen, über die Roberto so virtuos schreibt in diesem Blog.
[...]"

Es ist eben dies, was die CDU/CSU/FDP/SPD/GRÜNEN-Neoliberalen immer wieder leugnen, eine Ideologie, die sogar in privateste Lebensbereiche reinschneit - Manche blubbern diese Ideologie eben nach, wie meine Schwester, ohne zu ahnen woher die stammen könnte, und dass es eben eine Ideologie ist.

Irgendwo las ich sogar mal was über einen neoliberalen Kulturimperialismus, d.h. diese Ideologie kommt im Alltag vor, weil die Medien diese Ideologie verinnerlicht haben, und zwar so, dass sogar in harmlosen Dokumentationen, die nichts mit Wirtschafts- oder sonstiger -politik zu tun haben, diese Ideologie reinwirkt.

Ich hab's als Hinweisgeber für Nachdenkseiten auch den Autoren dort geschrieben, und gerade solche Beispiele zeigen wie notwendig Albrecht Müllers neuestes Buch "Meinungsmache" leider ist.

Ich denke nicht, dass es eben gezielt geschieht, sondern, dass, wie einst im Ostblock die Sowjetideologie, in den Alltag einzieht. Schade, dass uns ein anderes "System" heute fehlt, denn ansonsten wäre es auch für Menschen, wie meine Schwester klar, was dies für eine neue Ideologie ist, die unsere Hirne besetzt.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser
(Unbeugsam gegen Neoliberale)

Heinzi 28. Oktober 2009 um 14:52  

Es geht ja noch weiter ins globale. Sie sehen diese Ideologie als eine von Auserwählten geschaffene, aber damit wird man der Realität und dem Moloch Gesellschaft einfach nicht gerecht.
Gesellschaft ist viel mehr ein einziges Massenbewußtsein, das durch die pathologie der Individuuen selbst zur Krankheit wird.
Die Zeitungen sind auch nur Bestandteile eines Kranken Systems und daher werden sie immer auch diesem verhaftet sein.

Es ist der klassische Konflikt von Beobachter und Beobachtetes. Medien als Beobachter werden sich nicht in ihrer Gänze über das erheben können was sie selbst gebiert: Gesellschaft. Sie sind Teil davon, wie selbst jeder der eine vermeintliche alternative Politik sucht ein Teil des Ganzen bleiben wird. Daher sind auch alternative Ströme nicht fähig langfristig etwas zu ändern. Die Veränderungen über Politik ist auch immer eine Veränderung die durch Gewalt erzwungen werden soll. Das funktioniert nicht. Es kann immer nur der Mensch sich selbst verändern, ohne Gewalt anzuwenden.
Das Zitat von Bismarck gibt eben die von mir gemeinte Ahnung aus, das Gesellschaft einem Fluß von Strömungen unterworfen ist, dem der Einzelne nichts grundsätzliches Anhaben kann. Erst wenn Zeitgeist sich mittels eigener kultureller Auslese seine ihm eigenen Herrschaften erwaählt, dann sitzen eben nicht die kranken "Bonzen" einfach an den gehobenen Positionen, sondern die kranke dahinsiechende Gesellschaft hat ihre schlimmsten Auswüchse an die Spitze gespült und unterwirft sich diesen "Scharlatanen" um geheilt zu werden. Diese meinen es oft nicht mal schlecht, das halte ich für verfehlt. Es ist eher das was gemeint war mit "es gibt kein richtiges Leben im Falschen". Und so kann eine falsche kaputte kranke Gesellschaft keine Führer hervorbringen, die richtig wären. Wie steht es so in der von mir geschätzten BIbel?

"Setzt euer Vertrauen nicht auf Edle..." Psalm 146:3

http://scripturetext.com/psalms/146-3.htm

Anonym 28. Oktober 2009 um 18:27  

@Heinzi

Meine Lieblingsstelle in der Bibel ist die mit den "Folgt nicht den Falschen Propheten".

Ironisch könnte man meinen, Westerwelle, Merkel und Seehofer sind mit den "falschen Propheten" gemeint, incl. dem sogenannten "Rat der Wirtschaftsweisen" - Falsche Propheten eben, die ein goldenes Kalb (=Neoliberalismus) anbeten.

Was du über die Gesellschaft schreibst stimmt leider.

Vor Jahren, mal in einem Computerspiel mitbekommen "Wer die Medien beherrscht, der beherrscht die Gesellschaft" - Ich konnte damals noch darüber lachen, aber dies war noch in der Zeit des alten "Kommunisten" Helmut Kohl.

Gegen Merkel/Westerwelle und Seehofer ist Kohl der reinste Sozialist, die Linkspartei will ja genau dorthin - in die gute alte Zeit unter Helmut Kohl, als es noch eine Vermögenssteuer und andere Vorteile für Normal- und Geringverdiener sowie Arbeitslose gab.

Wir müssen wohl alle drauf hoffen bis Springer/Bertelsmann und Co. das zeitliche segnet, und nicht-neoliberale Mainstream-Medien unser Gesellschaftsbild bestimmen? Die Frage ist nur? Können wir so lange warten? Und was für Folgen hat die Warterei?

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

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