In nuce

Freitag, 6. Februar 2009

Der Hassredner Erdogan - so titelte BILD. Was an Erdogans Verhalten in Davos hassrednerisch war, weiß nur sie. Wozu man aber ein solches Märchen ersonnen hat, dürfte man auch außerhalb der BILD-Redaktion erkennen. Dazu seien nur die Ausführungen eines gewissen Rolf Kleine, Kommentator bei Springer, heranzuziehen; besser gesagt, sein Fazit, nach allerlei Bösartigkeiten ohne Wahrheitsgehalt: "Aber eines ist ganz sicher: Nach Europa führt dieser Weg nicht!" Da ist sie wieder, der BILD-Zeitung Türkenfeindlichkeit. Schon seit Jahren hetzt man gegen die türkischen Absichten, irgendwann einmal EU-Mitglied werden zu wollen. Dabei werden Vorurteile bemüht und die Türkei als dunkles Reich aus dem Mittelalter dargestellt. Was steckt dahinter? Warum ist man dort so türkenfeindlich?
Womöglich liegt des Rätsels Lösung, zumindest eine mögliche Lösung, in der Vergangenheit vergraben. Die BILD begriff sich immer als konservatives Medienorgan. Als Wallraff still ermittelte, berichtete er von Ehrungen, bei denen konservative Politiker aus Union und NPD gleichberechtigt nebeneinander auftraten. Alt-Nazis wurden auch schon vormals hofiert und kritische Fragen zur braunen Vergangenheit nie gestellt. Heute hat man sich zwar von den Neonazis der NPD abgewandt, nachdem Ende der Sechzigerjahre Wahlerfolge ausblieben, aber allerlei Faschisten und verbale Menschenschlächter aus den renommierten Parteien werden hochgejubelt. Vielleicht, und man wagt sich weit hervor mit dieser kleinen polemischen These, ist die BILD der Türkei immer noch böse, dass sie einstmals intellektuelle Köpfe asylierte, die in Deutschlands Konzentrationslagern vernichtet worden wären; womöglich kann man nicht verzeihen, dass man diese "bolschewisierten Kreise" aufnahm. Und später hat Ankara nationalsozialistische Größen nach dem Krieg nicht mit offenen Armen aufgenommen - welch Frevel! Ist der BILD-Zeitung Türkenfeindlichkeit etwa das Gebaren einer beleidigten Leberwurst? Muß man antitürkisch sein, um die Herrschaften die man tagtäglich hofiert, die aus faschistischen Traditionen stammen, bei der Stange zu halten?

Letzlich konnte der ansonsten doch sehr eloquent auftretende Bruno Jonas dem "Scheibenwischer" keine Qualität sichern. Immer zahnloser wurde sein Auftreten, seine Spitzen richteten sich gegen solche, die durch das agenda setting der Medien sowieso schon unterlegen waren. Nachdem Hildebrandt, Schramm, Rogler und Jonas ausgeschieden sind, leitet nun Mathias Richling den Laden. Für die nächste Sendung vorbestellt: Ingolf Lück und Markus Maria Profitlich. Es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis Mario Barth dort seine plumpen Frau-Mann-Vergleiche zum Besten gibt, dann vielleicht ins politische Allerlei gekleidet, also statt Mann-Frau dann eben Steinmeier-Merkel - das neue politische Kabarett wird sich am Ende am Schuhtick der Kanzlerin erfreuen.
Aber man sollte nicht überrascht sein, denn wenn man die letzten Jahre ins Publikum sah, als die Kamera mal wieder ihren obligatorischen Schwenk in die Reihen der Zuseher machte, da waren nicht selten bekannte Vertreter der FDP oder der Grünen zu sehen. Nicht dass diese Herrschaften dort nichts zu suchen hätten, aber es zeigt doch auf, welcher Güteklasse das Publikum war - es war bürgerliches Publikum. Und das war auch am Verhalten zu erkennen. Hat eine Pointe doch einmal gesessen - was selten genug vorkam -, war zudem wirklich spitz, ein kleiner Erleuchtungsmoment der Sendung, konnte Enthusiasmus hervorrufen, weil sie so direkt und komisch einen Wahrheitsmoment traf, so war der Applaus verhalten, die Lacher künstlich wirkend, waren pikierte Gesichtsmasken zu sehen. Politisches Kabarett lebt vom direkten Publikum - ist es aber lustlos und apathisch, dann ist das Kabarett tot. Anders gesagt: Der "Scheibenwischer" scheint nun bald endgültig das Zeitliche zu segnen; das dazugehörige Publikum ist aber schon seit Jahren verstorben, hat in der letzten Zeit nurmehr vor sich hin verwest. So gesehen sind die Lücks und Profitlichs, die sich bis heute niemals politisch geäußert haben, nie auch nur ein Fünkchen Hang zum politischen Kabarett aufwiesen, nicht mal mehr Totengräber der Sendung; sie sind vielmehr die Fliegen, die ihre Eier im toten Kadaver einlagern; sie betreiben ihr albernes Geschäft bald in einer leblosen Ruine, mit noch lebloseren Publikum...

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