Macht es ihm nach!

Freitag, 12. Dezember 2008

Seht nur her, hier verzichtet ein Mann auf sein Arbeitslosengeld II! Läßt es einfach links liegen, will es nicht mehr, kurzum: verzichtet darauf. Der besagte Mann ist jenes musizierende Talent, das eine scheinbar bekannte Casting-Show gewonnen hat - er ist auf Arbeitslosengeld II nicht mehr angewiesen, kann sich diesen luxuriösen Gang in die geheiligten Hallen der Arbeitslosenverwaltung leisten, ist - wie er selbst sagt - "nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen".

Nein, darüber, dass das Supertalent keinen rechtlichen Anspruch auf Arbeitslosengeld II mehr hat, darüber schreibt Deutschlands größte Tageszeitung nichts - für sie verzichtet der "Mundharmonika-Mann" lediglich. Es klingt beinahe so, als ob er es aus freien Stücken tut, als ob er aus reiner Vernunft heraus darauf verzichtet, um nun, da er ja selbst zu Geld gekommen ist, der Allgemeinheit nicht mehr auf der Tasche zu liegen. Und von dieser scheu angedeuteten, natürlich absichtlichen Fehlinterpretation der BILD-Zeitung ist es nicht mehr weit zum nächsten Schritt, den man zwischen den Zeilen herauslesen kann: Seht her, hier verzichtet er auf Hartz IV! Und wann verzichtet ihr? Wann gebt ihr Arbeitslosen eueren rechtlichen Anspruch ab?

Dass er nicht verzichtet, sondern keinen Anspruch mehr hat, weil er wahrscheinlich gemäß dem Zuflussprinzip in diesem Monat mehr Geld eingenommen hat, als ihm Regelsatz und Miete zusteht, desweiteren Vermögen angehäuft hat, das über den Vermögensgrenzen liegt und zudem weitere Geldquellen in Aussicht hat, sich womöglich sogar eine Art Arbeitsverhältnis mit regelmäßigen Gehalt gesichert hat, thematisiert die BILD erst gar nicht. Es soll so aussehen, als habe der neue Stern am Himmel bald fallengelassener Vierteljahreshelden, aus reiner Einsicht auf seinen Anspruch verzichtet.

Er soll mustergültig als Speerspitze benutzt werden, als Aushängeschild des "Wer-will-der-schafft-es-auch", als Vorbild für all jene, die in einer ähnlichen Lage sind, wie er einst war. Und dazu soll er uns vor Augen führen, wie er verzichtet - nicht wie er rechtlich dazu verpflichtet ist, die Veränderung in seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu melden. Davon will man nichts schreiben, denn man will nichts über Rechtsansprüche verkünden, sondern von selbstlosen Taten, vom "Frage nicht was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst" - für eine solche Konditionierung der Massen muß der "Mundharmonika-Mann" nach der Pfeife der BILD tanzen. Er mahnt mit dem Zeigefinger, leitet zum "Du-kannst-es-auch-schaffen" an und kann es sich großkotzig erlauben, öffentlich und nach allen Regeln der Verblödungskunst zu verzichten.

Macht es ihm nach, ihr Arbeitslosen!

14 Kommentare:

Kurt aka Roger Beathacker 12. Dezember 2008 um 03:32  

Interessanterweise, findet sich dieser "Artikel" in der Rubrik "Unterhaltung", Hartz-IV-Entertainment gewissermassen.

Demnaechst wird dann vermutlich auch den uebrigen 7 Millionen die Stuetze gestrichen, weil sie ja jetzt im "Showgeschaeft" unterwegs sind ..

Anonym 12. Dezember 2008 um 03:33  

Es hat doch am Anfang geheißen dass der Mensch eh ne Menge Schulden hat und dass es unmenschlich sei dass er mit eben diesem Gewinn seine Schulden zurückzahlen soll.
Ich seh das so:
Der hat das Geld eben schon im Voraus verprasst.
Gewonnen weils der Sender so eingefädelt hat...
Die Situation ist für die Medien super zum ausschlachten... eben deshalb wurde es so eingefädelt.
Das hat Ähnlichkeit mit dem englischen Faulgebiss Opra-Sänger... man muss nur wollen und sich anstrengen dann kann jeder alles.
Dass es in Deutschland auf Grund von Automatisierung und Produktionsverlagerungen ins Ausland einfach nicht mehr für alle Arbeit gibt (ganz gleich wer sich wie sehr anstrengt) will in unserer Leistungsorientierten Gesellschaft keiner wahr haben. Bis er selbst betroffen ist... dann ist natürlich auf ein Mal die ganze Welt schlecht.
Gruß Rolf
PS: Ich bin nicht betroffen sehe das aber schon lange so.

Anonym 12. Dezember 2008 um 05:11  

"[...]Macht es ihm nach, ihr Arbeitslosen![...]"

Hingegen heute - zum selben Thema - das Online-Magazin Telepolis:

"[...]Schon im jungen Alter in der Falle der Langzeitarbeitslosigkeit

Viele 18- bis 29-Jährige schaffen in Deutschland schon vor der Finanzkrise nicht den Weg aus Arbeitslosigkeit,
In Griechenland gehen die Schüler und Akademiker auf die Straßen und machen Randale. Sie finden keine Jobs, ihnen ist die Zukunft verwehrt. Auch in Deutschland ist Jung- und Gebildetsein keineswegs eine Garantie, in die Erfolgsgesellschaft integriert zu werden. Das war bereits vor dem Ausbrechen der Finankrise so und könnte sich mit der Rezession weiter zuspitzen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) berichtete Ende November, dass nicht nur alte Menschen, sondern auch junge keine guten Chancen haben, der Arbeitslosigkeit zu entrinnen. Viele stecken in der Arbeitslosigkeit fest. "Rund 40 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren, die im Januar 2005 Arbeitslosengeld II bezogen", berichtet das IAB, "waren bis Ende 2006 durchgehend auf diese Leistung angewiesen."

Zwar konnten 60 Prozent der jungen Arbeitslosengeld-II-Bezieher einen Arbeitsplatz finden, aber oft nur vorübergehen. Fast die Hälfte musste zumindest vorübergehend wieder Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen: "Nur rund ein Drittel der jungen Erwachsenen hat in den zwei Jahren den Ausstieg aus der Hilfebedürftigkeit dauerhaft geschafft." Bei zwei Dritteln besteht also die Gefahr, dass sich die Arbeitslosigkeit verfestigen könnte.

Das ist ein Alarmzeichen, weil es bedeutet, dass vielen jungen Menschen die Integration in die Gesellschaft nicht mehr möglich ist und sie auf letztlich entwürdigende staatliche Transfers angewiesen – schon zu Beginn ihrer "Karriere". Die Studie warnt: "Vor allem längerfristige finanzielle Notlagen können die Entwicklungsmöglichkeiten von jungen Menschen nachhaltig einschränken und zu weiteren Schwierigkeiten im späteren Alter führen."

2007 bezogen immerhin durchschnittlich 1,35 Millionen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren Arbeitslosengeld II – und sind damit arm. Problematisch ist, wenn es sich nicht nur um vorübergehende Notlösungen handelt, sondern die jungen Menschen aus der Notlage nicht herauskommen und keine Jobs finden. Das Risiko ist bei denen am größten, die gering qualifiziert sind und die schon länger in der Arbeitslosigkeit festsitzen – und bei den Alleinerziehenden.

Florian Rötzer 11.12.2008[...]"

Ergo macht es nicht dem Arbeitslosen nach, sondern den Arbeitslosen in Griechenland.....

Als erstes könnte man dieses Hetzorgan, und Leitwolf der konservativ-neoliberalen Medien, Bild anzünden....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 12. Dezember 2008 um 09:53  

Mittlerweile bin ich ja so weit, daß ich jeden Blödzeitungsleser am liebsten dieses widerliche Machwerk fressen lassen würde.

Solidarität? Nächstenliebe? Mitmenschlichkeit? Geschenkt. Jeder ist sich selbst der Nächste. Schöne, neue Welt, die solche Bürger hat.

Wo ist mein Eimer? Ich muß kotzen.

Anonym 12. Dezember 2008 um 12:15  

@Flying Circus

Du musst die nicht unbedingt die "Bild" fressen lassen. Es reicht schon denen den uralten Spruch an den Kopf zu knallen: "Wenn man Bild quer hält, dann fließt rotes Blut daraus."

Soll wohl bedeuten:

Bild geht wortwörlich über Leichen, nicht nur bei Arbeitslosen.....siehe hierzu Bildblog im Internet....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Stefan Sasse 12. Dezember 2008 um 13:06  

Ist echt der helle Wahnsinn. "Vierteljahrshelden", schöner Begriff, Roberto!

Anonym 12. Dezember 2008 um 13:53  

Roberto, du hast ein wesentliches Detail vergessen zu erwähnen: Der in diesem BILD-Artikel angegebene Anzeigen-Link zu diversen Verkaufsangeboten von Mundharmonikas im Internet.
Ich glaube, die Gewinner bei öffentlichen TV-Talentwettbewerben sind zahlenmäßig erheblich geringer als beim Lotto.

Anonym 12. Dezember 2008 um 14:13  

Zusatz:

Hier ein hochaktueller Beweis für die Unsozialität der Bild-Zeitung, und das Geld verdienen mit Selbstmord:

http://www.bildblog.de/4549/1-selbstmord-im-tv-aufmacher-seit-16-jahren

Ich dachte ja immer, dass Bild keine Ethik/Moral kennt/kannte, aber das schlägt dem Fass den doch zusätzlich noch den Boden aus....

Und so etwas ist der sprichwörtliche Leithammel für Deutschlands Pressorgane!

Was für ein Verfall der guten Sitten!

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

ad sinistram 12. Dezember 2008 um 15:21  

Sei nicht zu streng mit mir, Klaus, denn es zeigt doch eigentlich, dass ich so werbungsresistent bin, dass ich solche Anzeigen gar nicht mehr sehe. Aber das macht die ganze Sache gleich noch perverser.

Anonym 12. Dezember 2008 um 15:32  

Diese Werbung ist im Kontext des Bildartikels eine Aufforderung: Kaufe dir eine Mundharmonika, fange an zu üben, und in ein paar Jährchen hast du dein Glück gemacht.

Anonym 12. Dezember 2008 um 18:03  

"Vierteljahreshelden"? Das ist aber sehr optimistisch! Meist ist die Haltbarkeit dieser sog. "Stars" doch deutlich kürzer. ;-)

Bliebe noch der Verweis auf die gewählte Sprache in der Bild. "Hartz IV", was es ja als Leistung so ohnehin nicht gibt (sondern eben Arbeitslosengeld-, hilfe, Grundsicherung, etc), eben nur ein Schlagwort ist, wird bei Bild "einkassiert". Und natürlich zahlt unser Superheld das Geld artig zurück. Widerlich!

Gruß

Tantalos

Anonym 13. Dezember 2008 um 10:35  

Die Bild hat natürlich außer acht gelassen, dass der `Junge mit der Mundharmonika` in einigen Monaten wieder der `Junge der Hartz IV
beantragt` ist.

Anonym 14. Dezember 2008 um 18:23  

Was habt ihr den alle? Unsere Regierung gibt doch offiziell zu, dass "sozial Schwache" ein Vorurteil ist, ebenso wie die Behauptung, dass Arbeitslose nicht arbeiten wollen:

http://www.bpb.de/publikationen/BP3IF1,0,0,Vorurteile_gegen_sozial_Schwache_und_Behinderte.html

Übrigens, auch so ein Beispiel, wie sich nun die Verursacher dieser Vorurteile in Wahlzeiten als Tatsachenverdreher bemühen.....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

PS: Münte ist doch ein Meister im Tatsachenverdrehen, frei nach dem Motto "sozial schwätzen" aber unsozial handeln - Steht nicht schon in der Bibel: "Nicht an ihren Worten sollt ihr sie messen, sondern an ihren Taten." Im Wahljahr 2009 immer im Hinterschädel behalten, wenn Merkel, Fischer, Münte, Westerwelle & Co. neuerdings die sozialen "Robin Hoods" spielen wollen - in der Hoffnung, dass wir Normalbürger das vorherige Schüren von Vorurteilen und Feindbildern durch genau die selben Menschen vergessen....

Dominik Hennig 14. Dezember 2008 um 19:08  

Diese ganze "Hirte-Saga" ist sowieso von vorne bis hinten obszön! Panem et circenses - die Regeln des Etatismus ändern sich im Grunde nie!

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