Nomen non est omen

Mittwoch, 19. November 2008

Heute: "Modern"
"Menschlich und modern!"
- die CSU auf ihrem Onlineportal -
"Nordhessen-SPD macht geschlossen den Weg frei für eine soziale Moderne."
- die nordhessische SPD am 1. April 2008 -
„Modern“ ist in der Politik ein beliebtes Adjektiv und positiv besetzt. Es steht für Wachstum, Fortschritt, Entsprechung des Zeitgeistes, etwas Neuartiges - Aktuelles und für vermeintliche Innovationen. Dabei fungiert dieses Plastikwort als allgemeines Hilfsmittel zur positiven Aufladung eines Satzes oder Sachverhaltes ohne konkret werden zu müssen. "Wir fordern moderne Familienpolitik", „wir stehen für einen modernen Sozialstaat“ oder „moderne Gesundheitspolitik erfordert mehr Leistung“ sind beliebte Phrasen. Alles was nicht modern ist, ist demnach alt, überholt und schlecht. Dazu zählen dann Akteure und Ideen, die sich nicht dem herrschenden neoliberalen Zeitgeist ergeben. Sie sind als Anhänger von sozialer Gerechtigkeit „alte traditionsbesessene Sozialstaatsromantiker“ und insofern alt, überholt und un-modern. Auch die Ausgegrenzten und von Armut betroffenen werden im Zeitalter der ökonomischen Globalisierung euphemistisch als „Modernisierungsverlierer“ stigmatisiert. Bei genauerer Analyse ist der Begriff eine leere Hülse, ein dehnbares Gummiwort, welches letztendlich keine konkrete Aussage enthält. Modern ist vor allem die mentale, kulturelle und ökonomische Unterwerfung unter die herrschende Ideologie.
Als „modern“ wird außerdem oft die westliche Zivilisation, gegenüber z.B. dem Islam, bezeichnet. Hier soll der Begriff eine kulturelle und moralische Überlegenheit implizieren, was es westlichen Kriegstreibern ungemein erleichtert gegen diese Krieg zu führen, wie z.B. bei dem Irak- oder Afghanistankrieg zu sehen war. Schließlich habe man Krieg gegen primitive, d.h. nicht-moderne, Barbaren geführt.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

7 Kommentare:

Anonym 19. November 2008 um 10:11  

"Modern" - ein echter Klassiker (!)

Meine Lieblingsworthülse ist allerdings "nachhaltig", die von Politikern aller Couleur benutzt wurde und wird.

Anonym 19. November 2008 um 10:28  

Der moderne Wortgebrauch stützt sich eben auf Hülsen: Sagt man "Modernisierungsverlierer" wird man nicht gescholten, wie wenn man etwa "Unterschicht" sagt.
Nicht, dass man diese Looser mehr wertschätzen würde, aber auf die Konnotation kommt es an: Es sind Verlierer geworden durch eine undefinierte Macht. So entschärft man den Eindruck, sie seien gebrandmarkt, schlecht, selber Schuld. Die Entschärfung entstammt nicht der inneren Überzeugung sondern der Erkenntnis, dass man über "Modernisierungsverlierer" reden kann und nicht in eine Ecke gerät wie im Falle von Begriffen wie "Unterschicht" oder "Präkariat", die - nicht wahr? - deutlicher sind.
Deutlichkeit ist im Übrigen sowieso ein zunehmend an Wichtigkeit verlierendes Attribut, ein gar schädliches, wenn man in der Politik wirklich Karriere machen möchte: Deutlich sein würde nämlich beinhalten, dass die Redner sich festlegten, Klarheit schafften, Visionen hätten, Gutes tun wollten im Sinne des Volkes.
Und das ist ja definitiv ein "altes", "traditionsbesessenes" Bild der "Sozialromantik", mitten im modernen Zeitalter das uns mit aller Macht beschert wird.

ad sinistram 19. November 2008 um 12:35  

Es ist schon eine "nachhaltige Mode" mit diesem Modern-Begriff...

"Es sind Verlierer geworden durch eine undefinierte Macht."

Nicht nur das, es impliziert noch etwas: Sie sind Verlierer geworden, weil sie nicht modern genug waren... weil man solche Begriffe eben so oder so gebrauchen kann, trifft es Markus' Gummiwort-Begriff bestens.

Anonym 19. November 2008 um 23:35  

Ein Freund von mir meinte vor Jahren schon, man sollte nicht von Verlierern und Gewinnern sprechen, sondern von Geschädigten und Schädlingen.

Anonym 19. November 2008 um 23:46  

Der Gebrauch des Begriffs modern durch die Neoliberalen ist eine Umkehrung dieses Begriffs, eine Verkehrung in sein Gegenteil. Der Moderne haftete immer ein Moment des Fortschritts inne, des Fortschritts gegenüber Inhumanität und Barbarei.
Der Neoliberalismus aber ist ein Rückfall in die Barbarei, also das Gegenteil von modern.
Im 17. Jahrhundert in Frankreich und im 18. in Deutschland war der Begriff der Moderne mit dem der Aufklärung verbunden.
In der sogenannten "Querelle des Anciens et des Modernes" hatte Modernität wahrhaft einen positiven Klang.
Es ist schon widersinnig, wenn die neoliberalen Barbaren ihre Inhumanität als modern bezeichnen.

Anonym 20. November 2008 um 10:50  

Auch wenn es vielleicht schon oft erwähnt wurde...

Die "freie" Presse ist mit daran schuld, das Worthülsen, die von den Mächtigen in den Raum gestreut werden, zu Wahrheiten zementiert wurden und ein Grossteil von Menschen plötlich ohne Lobby und Unterstützung dastand.

Der Spiegel z.B. versucht es seit Jahren schon immer und immer wieder, so auch heute:

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,591525,00.html

"Allein GM verbrennt etwa 2 Milliarden Dollar pro Monat ...(...) ...Das Unternehmen hat 48 Milliarden Dollar Schulden angehäuft, seine Struktur ist längst nicht mehr wettbewerbsfähig: Wegen der starken Gewerkschaften, der teuren Gesundheitsversicherung und der vielen Vergünstigungen für die Angestellten kostet eine GM-Arbeitsstunde 71 Dollar. Zum Vergleich: Toyota bezahlt 47 Dollar."

Im Nachsatz wird auch eine verfehlte Modellpolitik erwähnt.
Aber nur im Nachsatz, das ist das Entscheidende. Hängen bleibt zuerst der Eindruck, vor allem die Arbeiter hätten Schuld.

Und die Mühe sich zu machen, zu erwähnen, dass Lohnkosten nur ein Faktor unter vielen sind, das scheint diesem tendenziösen Steigbügelhaltermagazin wohl zu aufwändig zu sein.

So ist es wohl: Man muss Lügen nur oft genug wiederholen, irgendwann werden sie geglaubt.

„Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.”

Anonym 20. November 2008 um 18:53  

@klaus baum
Der Moderne haftete immer ein Moment des Fortschritts inne, des Fortschritts gegenüber Inhumanität und Barbarei.
Der Punkt dürfte aber sein, dass die welche den Unterschied zwischen Fortschritt und einer unheilvollen Entwicklung, mit Wortvergewaltigungen à la "Modern" zu vernebeln suchen, weder die mächtigen noch die reichen sind: Die meisten der Letzteren müssten wissen oder inzwischen zumindest ahnen, dass es ohne dem Volk als Basis schwierig werden könnte mit dem ganzen Reichtum. Denn Autos können keine Autos kaufen aber ebenso wenig ist Gold nahrhaft.

Vielmehr glaube ich, dass die Intention der Macht, ursprünglich zwar in die Richtung der heutigen Entwicklung zeigte, in der Positionen zunehmend von unten unanfechtbar gemacht werden können, nur dass insofern ungeahnte und ungewollte Gefahren heraufbeschworen worden sind, als die Handlanger aus Politik und Lobby (die Grenzen scheinen mir zunehmend verwischter zu sein) die Eigendynamik dessen was sie ausgelöst haben gar nicht zu erkennen vermochten.
Davon ausgehend, könnte man, wie ich glaube, die Apelle an die Mächtigen, die mancher Politiker, der seinen Kopf nicht nur für das Nicken einsetzt, gelegentlich verkündet, auch anders verstehen: "Lasst uns abbremsen, solange es noch geht!"

Das ist nicht meine Überzeugung, aber ich kann einfach nicht an soviel Unsinn glauben, daran glauben, dass Menschen im Stande sind an den eigenen kulturellen, sozialen und menshclichen Ast wirklich so verbissen und überzeugt zu sägen, ohne die verursachten Vibrationen zu spüren. Deshalb suche ich nach andere möglichen Erklärungen, die dem Menschsein Rechnung tragen.

Meine inzwischen geringer gewordene Zuversicht, solche Erklärungen zu finden, möchte ich gleichwohl nicht verschweigen...

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