Bildung und Business

Mittwoch, 17. September 2008

Nicht ohne väterliche Traurigkeit entließ ich gestern meine Tochter in jenen Lebensabschnitt, den man als den Beginn des "Ernst des Lebens" bezeichnet. Eine auf ratio begründete Umschreibung für einen Zustand, der weniger Ernsthaftigkeit als Irrsinn widerspiegelt. Sie wird auf den Weg gebracht, der sie auf den allzu ernsthaften Wahnsinn des Alltags zuführt, der sie einsteigen läßt in eine immer erwachsener werdende, daher rational-lieblose Welt, in der nicht mehr Phantasie und Verspieltheit gefragt sind, sondern ernster Blick und - irgendwann einmal - exaktes Funktionieren. Um mich herum die Zuversicht, geschrieben in elterliche Gesichter; ich nach Außen als lächelnder Vater, seiner Tochter die Freude gebend, die ihr an einem solchen Tage zuzustehen scheint; in mir Tristesse und die Gewißheit, meiner Tochter beste Lebenszeit, Zeit der Sorglosigkeit und der ungehemmten Lebensfreude, unwiederbringlich beendet zu wissen.

Im Sinne der Zuversicht und Freude am langsam einkehrendem Irrsinn im Leben der Kinder, wurde eine Einschulungsfeier gestaltet. Hervorgehoben wurde dabei - freilich kindgerecht gestaltet - die Freude am Wettbewerb der Lernenden, die ewig gleich klingende Formel vom "Aus-dir-soll-mal-was-werden" - als ob diese Kinder nicht schon sind! Ein Kinderchor sang, Klassenlehrerinnen wurden vorgestellt und später, nachdem die Veranstaltung beendet war, beschritten wir die Stätte, in der unsere Kinder zu nützlichen Gliedern dieser Gesellschaft gemacht werden sollen. Unterbrochen aber, und von dem soll hier eigentlich berichtet werden, wurde die Veranstaltung, nach nur einem Kinderlied; unterbrochen, um einem Unternehmen zu Wort zu verhelfen - einem Unternehmen, welches zunächst freilich nicht als solches erkannt wird, weil man nicht an Bilanzen und zu konsumierende Güter denkt, sondern an Tore und Punkte. Der FC Ingolstadt, seit diesem Jahr Zweitligist im deutschen Fußball, schickte ihren Mediengockel, der auch schwungvoll ins Mikrofon krähte, irgendwas "von der Jugend die Sport liebt" und der "Zukunft, die sich an den Kindern erkennen ließe" monoton und in Stakkato herausposaunte, und voller gütiger Großzügigkeit lieblos bedruckte Stundenpläne an die Kinder weiterreichte - natürlich mit Vereinslogo!

Was hat ein Unternehmen an einem Tag wie diesem, einen Tag, der für die Mehrzahl der Eltern ein Festtag zu sein scheint, zu suchen? Muß sich ein Unternehmen in solch wichtigtuerischer Manier, sich hineindrängend in den Bildungsapparat, dabei eine oberflächliche Rede haltend, bei der der Redner nicht einmal die Kinder anblickte, ins Gedächtnis der Menschen zurückrufen? Soviel ist sicher: Die verteilten Stundenpläne waren nur Mittel zum Zweck, sollten nur dazu dienen, sich ins Gerede zu bringen, einen wohligen Duft von sozialer Verantwortung entstehen lassen. Schon am gestrigen Tage also, als meine Tochter noch nicht einmal ihren Platz in der Schulbank eingenommen hatte, zeigte sich jene Verquickung von Bildung und Business, die eben diese Welt als eine wahnsinnige, irre gewordene, unerträgliche auszeichnet; schon jetzt ist meine Tochter, aus der Obhut des Elternhauses entlassen, zu einer Konsumentin, zumindest aber zu einer angehenden Konsumentin geworden, die schrittweise einen liebevollen Kontakt zum hiesigen Zweitligisten aufbauen soll.

Und wie geht es weiter? Auf den Kappen, die man üblicherweise von der Lehrerin geschenkt bekommt, ziert ein Dekra-Schriftzug die Stirn; später wird man Versicherungsgestalten einladen, die unsere Kinder über Privatrente und das vermeintlich moribunde Rentensystem der Umlagefinanzierung aufklären sollen, immer mit Fingerzeig auf die außerordentlich rentablen Produkte des eigenen Unternehmens; oder Großbäckereien klären über den Beruf des Bäckers auf und rücken sich mit Slogans und Merksprüchen in Szene. Erleben wir wohl noch, dass Bertelsmann Schulbücher ausgibt? Den Stundenplan maßgeblich gestaltet? Und - wie schon vor Jahren geplant - eine Art neoliberaler Wirtschaftskunde einführt?

Wenn die Schulpflicht, in vielen Punkten vernünftig, zu einem Schulzwang wird, weil man als Elternteil machtlos zusehen muß, wie sein Kind verzogen wird, dann fragt man sich nach der Berechtigung dieser Zwangslage; nach der Unmöglichkeit, sein Kind nicht selbst bilden zu dürfen. Man muß ertragen, dass das eigene Kind nur Bildung erfährt, um ausgebildet zu sein. Anders: ein humanistisches Bildungsideal ist unbekannt, wichtig scheint alleine nur, den Kindern ein rudimentäres Wissen angedeihen zu lassen, welches im späteren Berufsleben abrufbar sein soll. Alles war darüber hinausgeht, alles was ein Mehrwissen darstellt, in der Arbeitswelt, beruflich nicht verwertbar ist, ist zwar nett und interessant, aber nicht von Bedeutung und daher irrelevant. Gleichzeitig drängen Unternehmen ins Bildungswesen, verteilen Gratisartikel und geben Ratschläge, mischen sich ins Gewühl von Lehrern, Eltern und Schülern, um sich als große Heilsbringer, als solche, die es gut mit den Kindern meinen, zu stilisieren. Von Kindesbeinen an sollen die Kleinen wissen, dass sie hier ihr späteres Leben gestalten; von Kindesbeinen an werden sie in einen Wettbewerb geworfen, der über Wohl und Wehe zu entscheiden hat; von Kindesbeinen an werden sie mit Druck zu kämpfen haben, Stress als einen alltäglichen Begleiter kennenlernen, von infantilen Auswüchsen der Existenzangst geplagt sein. Spielerisches Lernen? Spaß am Lernen? Kindsein überhaupt? - Trotz aller Beteuerungen seitens der Lehrkräfte: Die Realität erlaubt keine Spielerei mehr, denn der "Ernst des Lebens" hat seit gestern ein Paar Kinder mehr ergriffen.

Freilich, als der FC Ingolstadt sich generös zeigte, als der Abgeordnete dieses Fußballvereins davon sprach, dass Sport und Bildung eine Einheit darstellen - der Herr glaubte, damit eine neue Erkenntnis geliefert zu haben, hat wahrscheinlich noch nichts von griechischen Bildungsstätten der Antike vernommen -, da ließ man ihm Zustimmung zukommen. Und nett wäre es vom FC Ingolstadt allemal, so wurde aus der rumorenden Menge vernommen, sich so großzügig zu zeigen, soviel Interesse an den Tag zu legen. Natürlich paßt diese oberflächliche Bewertung einer oberflächlichen Rede zu der gerne praktizierten Oberflächlichkeit der Masse, in der die Gabe der Kritik keine Heimstätte hat. Trotz der vernommenen Freude, die sich gestern um mich herum zeigte, trotz der Zustimmung zum "Engagement" des Zweitligisten: Wie sollte ich wirkliche, innere, aufrichtige Freude an dem Eintritt meiner Tochter in diese neue Lebensphase haben?

6 Kommentare:

Desparada-News 17. September 2008 um 10:07  

Ich habe so richtig mit Dir gefühlt, obwohl es früher nicht ganz so schlimm war. Zu meiner Zeit gar, da gab es noch Nazi-Lehrkräfte - die Übriggebliebenen - und auch einzelne, die das KZ überlebt hatten. Beide waren gleichermassen geschädigt, und schlimm für die Schüler. Doch irgendwie kamen viele von uns durch und auch weiter.
Die Bildungsideale waren auch noch andere als heute. Allerdings stehen wir heute auch manchmal daneben da, mit unserer Art der Bildung, die nicht mehr so ganz in die heutigen Muster und Strukturen passt. Wobei ich mich frage, was überhaupt noch passt...
Der zurechtgestutzte Robot-Mensch, der sich am Beginn des Arbeitstages anschaltet, alles Nötige tut, als wäre es automatisiert, und sich nach Ende es Tagewerkes abschaltet, als wäre er von der Steckdose genommen. Bedürfnisarm, billig, funktional.
Um auf Deine Beschreibung noch einmal zurückzukommen: Es ist widerlich! - Das ist es, was mir spontan dazu einfällt.

Anonym 17. September 2008 um 11:54  

So, wie Du es darstellst, ist das ein ungeheuerlicher Vorgang. Relativierend sei dennoch gesagt, daß bei der Einschulung, die ich letztens miterlebte, die Kirche anwesend war. Und gebetet wurde auch. Es war nicht in Bayern.
Und im Jahre 1957, als ich schon eine Lehrstelle als Elektriker in Aussicht hatte, es war in der DDR, kamen zwei Herren, die in der Klasse verkündeten, es würden Maurer benötigt, und da ich Schwitzehände hätte, wäre der Beruf des Elektrikers nichts für mich. Außerdem gab es damals schon Schießübungen im Klassenraum oder Unterschriftenaktionen gegen Justizverbrechen in den USA.
Mit anderen Worten: Meine Schulzeit war alles andere als ungetrübt. Wenn man - im goldenen Westen angekommen -, wenn man rübergemacht hatte, und dort einem Lehrer gegenüber sagte: Ich protestiere, konnte es passieren, daß man mit blutender Nase nach Hause ging.
Kindesmißbrauch durch Schule, das scheint mir ein altes Thema zu sein. Die Art des Mißbrauchs ändert sich. Dekra-Werbung dürfte in der Schule nichts zu suchen haben.

Rainer Thomas 17. September 2008 um 13:24  

Seit Januar bin ich Vater von Zwillingen und ich lese Deinen Beitrag mit seltsam anmutender Ambivalenz: zum einen sind es genau die geschilderten Befürchtungen, die auch mich jetzt schon umtreiben, zum anderen die gut tuende Gewissheit, nicht allein damit zu sein.
Rainer

Anonym 17. September 2008 um 13:57  

Das Verschwinden der Kindheit von neil postman kann ich hierzu nur empfehlen. auch wenn es etwas älter ist, ist es noch hochaktuell und passt genau zu dem, was du geschrieben hast.

"werd du erstmal erwachsen" - dieser spruch sollte mehr als drohung, denn als verheißung wahrgenommen werden.

wenn ich die gesichter in der berliner u-bahn tagtäglich sehe, kann am erwachsen sein nicht viel tolles sein. wenn jedoch kinder in der u-bahn sind, mit ihrer lebensfreude, ihrer verspielten neugierigen idealistischen art - lächeln auf einmal viele erwachsene. ich glaube, sie erinnern sich daran, dass es für sie selbst auch einmal ein leben gab - jenseits des funktionierens u des roboter-seins.

Anonym 17. September 2008 um 13:59  

Erschütternd. Ich, Jahrgang 1961, gehöre bestimmt nicht zu denen, die von der "schönen alten Zeit" fabulieren - 1967 eingeschult als Kind einer Arbeiterfamilie, widerfuhr mir genau das, was heute wieder in den Medien steht: meinen Eltern wurde zum Ende der Grundschulzeit empfohlen, mich nicht aufs Gymnasium zu schicken, sondern es erstmal mit Realschule zu versuchen (mit Noten hatte das nix zu tun, andere Kinder aus gutbürgerlichen Familien hatten bei teils schlechteren Noten durchaus die Empfehlung bekommen, aufs Gymnasium zu wechseln). Heute sage ich mir, was solls, dumm gelaufen, auch wenn mir dadurch Türen verschlossen blieben...

Trotzdem möchte ich nicht in der heutigen Zeit Kind sein, denn unabhängig von Schule gabs während meiner Kindheit noch zeit zum Spielen, es gab noch lange nicht die soziale Kälte und den Super-Egoismus von heute, es war noch lang nicht so maschinenhaft und asozial wie heute. Es gab noch Freiräume.
Doch absolut unverständlich bleibt mir, dass das alles überhaupt in diese Richtung gehen konnte. Ich hoffe nur, dass deine Tochter nicht seelisch verkrüppelt wird auf ihrem "neuen" Weg.

Anonym 17. September 2008 um 16:51  

Nachdenkseiten-Leser:

Hallo,

die Beeinflussung von Kindern ist doch eigentlich ein alter Hut? Oder? Mein Vater, Jahrgang 1932, leider vor 2 Jahren verstorben, schwärmte Zeitlebens von seiner schönen Zeit in der Hitlerjugend bzw. bei den "Pimpfen". Ist aber kein Nazi geworden. Ganz im Gegenteil. Dein Beispiel übrigens gab es doch auch in der alten DDR - und das schreibe ich als Westdeutscher, der dies nur von einer ostdeutschen Bekannten so erfahren hat - die wurden doch schon von Kindesbeinen auf den autoritären Staatskommunismus getrimmt. Immer mit der Ansicht damaliger selbst ernannter Massenpsychologen - über die Hirne der Kinder erreicht ihr, dass keiner mehr die herrschende Ideologie hinterfragt - und wo ist heute der Ostblock? Die Sowjetunion? Oder gar NS-Deutschland bzw. die faschistischen Ländern (z.B. Italien, Spanien). Ich selbst übrigens war als Kind, und junger Erwachsener, strenggläubiger römisch-katholischer Mensch, eben wegen der "Erziehung". Meine Lebenserfahrungen ließen mit aber zum Agnostiker werden. Fazit: All die Versuche Kinder zu indokrinieren sind gescheitert. In diesem Sinne wünsche ich auch der neuen Generation, dass diese Versuche scheitern werden....ich denke einmal die Chancen dazu stehen derzeit nicht schlecht...und hoffe auf eine "bessere Welt".

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

PS: Von einem franz. Schriftsteller las ich - vor Jahren mal - ein tolles Buch mit dem Titel "Geschichte der Kindheit", und dort stand sinngemäß soviel, dass die Idee der Kindheit noch gar nicht so alt ist - Kinder waren jahrhundertelang nichts anderes als "junge Erwachsene". Philipp Aries hieß der - glaube ich.... Ich hab das Buch nicht mehr, aber kann mich noch gut daran erinnern. Auch an Bildern konnte man damals übrigens erkennen, dass Kinder keine Kindheit hatten, sondern "junge Erwachsene" waren....

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