In nuce

Dienstag, 10. Juni 2008

Nachdem bekannt wurde, was nicht hätte bekannt werden dürfen, nachdem Lidls krumme Touren an die Öffentlichkeit gelangten, war der Aufschrei riesengroß. Die Empörung manifestierte sich in einem neuen Kundenbewußtsein, welches den Menschen begreifbar machte, dass der Kunde die Wahl hätte, sich solcher Ausbeuter erwehren kann. Man müsse schließlich nicht bei Lidl kaufen, könne einen anderen Discounter wählen. Bereits vor Wochen wurde aber faßbar, dass dies eine romantische Vorstellung von Kundenmacht ist, wie wir sie in der Realität nicht mehr antreffen können. Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn Lidl mit einem Umsatzplus von mehr als 20 Prozent aus seiner misslichen Lage heraustritt. Freilich heißt es, dass die höheren Preise den Umsatz hinauftrieben. Aber wahr ist auch: Hätte es einen ernsthaften Boykott gegeben, oder konkreter: hätte es die Voraussetzungen gegeben, einen solchen Boykott durchzuführen, ohne gleichzeitig einen anderen Ausbeuter in die Händen - und Taschen - zu spielen, so wäre ein Umsatzplus Lidls nicht machbar gewesen.
Man kann den Kunden gar keinen Vorwurf machen. Viele Menschen sind froh, wenn sie von ihrem kleinen Geld möglichst günstig Lebensmittel und Haushaltswaren einkaufen können. So bleibt ihnen nur die Möglichkeit, einen Lidl-Boykott zugunsten eines anderen Discounters zu führen. Soll der Kunde also seine Haushaltsartikel nicht mehr bei Lidl, sondern bei Schlecker kaufen, welcher seit Jahren für die Drangsalierung seiner Mitarbeiter bekannt ist? Oder Lebensmittel bei Aldi beziehen? Jenes Unternehmen, welches in ebensolcher Weise auffällig wurde?
Was aber in diesem Falle bleibt ist ein bitterer Nachgeschmack, ein trüb-kafkaeskes Empfinden. Der Kunde ist eben nicht König, kann jene, die sich als seine Untertanen anbiedern eben nicht frei wählen, bzw. kann lediglich eine freie Wahl zwischen gleichen Möglichkeiten tätigen, aber entkommt seinem Schicksal, sich zum Handlanger ausbeuterischer Methoden zu machen, nicht. Im Gegenteil: Er wird mehr und mehr zur Kooperation gezwungen, zum Objekt einer menschenfeindlichen Unternehmenskultur geformt...

Letzte Woche war es mal wieder so weit. Die BILD gegen Lafontaine und die LINKE! Ressortübergreifend wurde erneut eine Einheitsfront gebildet, um den Frechheiten Lafontaines Einhalt zu gebieten. Freilich fehlte auch Wagner nicht, der Lafontaine einen teuflischen Geistreichler und ein Vollblut nannte, sich wahrscheinlich dabei auf die Brust schlagend und sich selbst lobend, es diesem Neo-Kommunisten damit so richtig gegeben zu haben. Aber über das Stimmtisch-Halbblut - ich bin mir nicht sicher, bei dem was ich da oft lesen muß, ob da nur Blut im Kreislauf ist - wollen wir kein weiteres Wort verlieren. Viel interessanter ist da die Verfahrensweise Müller-Voggs, Lafontaines Auftritt bei "Anne Will" ins rechte Licht - das ist durchaus doppeldeutig gemeint - zu setzen. „Etwas bleibt immer hängen.“ Nach diesem Rezept handelt Oskar Lafontaine , der Chef der „Linken“. Angela Merkel , so seine Behauptung, „durfte in Moskau studieren. Das waren nur Linientreue.“ - Und dabei hat Lafontaine nur gesagt, dass sie durfte, nicht dass hat! Aber was kümmert es einen Müller-Vogg oder die BILD-Zeitung? Als ginge es um Wahrheit! Und damit das BILD-Bild abgerundet wirkte, mußte auch Nicolaus Fest noch nachlegen und DIE ZEIT bekritteln, weil sie sich erdreistete, ein gutes Haar an Gysi zu lassen. Mir scheint fast, in der BILD-Redaktion werden an solchen Anti-LINKE-Tagen wahre Wettbewerbe ausgefochten, wer denn bösartiger und vehementer gen "Kommunismus" schießen kann...
Was aber von den Massenmedien überspielt wurde, mit keiner Silbe Erwähnung fand, obwohl man gleichzeitig Gregor Gysi eines Verdachts wegen aburteilte, bleibt die Meldung des Schweizmagazins: "Die Deutsche Kanzlerin soll als Stasi-Mitarbeiterin an Bespitzelungen des ehemaligen DDR-Regimekritikers Robert Havemanns, im Jahr 1980 teilgenommen haben." - In diesem Falle fühlt sich die BILD nicht dazu animiert, sich nicht zuständig, es zu entkräften. Denn: Was nicht in der Zeitung steht, findet ja auch nicht statt! Für den deutschen Zeitungsleser findet somit eine mögliche Stasi-Mitarbeit der Merkel und eine offene Diskussion darüber nicht statt...

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