In der Bildungsdefensive

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Wer will, der kann wissen. Meinte ein gewisser Ralph Bollmann vor einigen Tagen. Er spielte auf eine Oxfam-Studie an, in der es hieß, dass die Deutschen die Fortschritte in der globalen Armutsbekämpfung unterschätzen würden und weiterhin Vorurteile diesbezüglich hätten. Nun gut, Oxfam behauptet allerdings auch weiterhin, dass ein Prozent so viel besitzt, wie der Rest der Menschheit. Welche Fortschritte könnte man mit einer gerechteren Verteilung erst erwirken! Davon wusste Bollmann nichts. Und lassen wir überhaupt mal die Motive von Oxfam außer Acht. Es könnte ja sein, dass Oxfam den Menschen in den Industriegesellschaft belegen muss, dass es sich auch weiterhin lohnt ... wie gesagt, lassen wir das. Reden wir lieber weiter über Bollmann und was er noch behauptete - nämlich: Man könnte wissen, wenn man wollte. Die AfD könnte sich beispielsweise über Flüchtlingspolitik schlau machen und die TTIP-Gegner über Handelspolitik. Überall nur Vorurteile, dabei gäbe es ganz andere Erkenntnisse. Wieder mal vermengt einer von der FAZ diese beiden Gruppen. Scheint ein beliebter Konservativensport zu werden. Und wie könnte man eigentlich wissen, wenn man nur wollte? Bollmann: Es steht doch alles im Internet. Nie war es einfacher sich zu bilden!

Offenkundig hat der Mann Absichten. Er will Menschen diskreditieren, die nicht seiner fundierten Meinung sind. Sie könnten auf seinem Level sein, verweigern aber bewusst Fakten. Was er nebenher ausbreitet ist das Bildungsideal, das uns Leute seiner politischen Färbung nach und nach eingebrockt haben. Denn was er den Menschen im Land ans Herz legen will, gilt ja im kleineren Maßstab auch für Schüler. Mit denen macht man es doch ganz ähnlich. Man lässt sie alleine mit möglichen Informationen. Ist ja keiner mehr da. Lehrerstellen werden nicht besetzt, die Klassen sind groß, die Schüler allein in der Masse. Man kürzt an allen Ecken die Gelder, das schulische Personal brennt mental aus, Burnout als Berufsrisiko - mit so einem Risiko ist wiederum keiner alleine im Lande! -, aber man sagt den Eltern: »Ihre Kind könnte wissen, wenn es wollte. Können Sie sich Nachhilfe leisten? Nein? Oh ... schade eigentlich.« So läuft das posthumanistische Bildungsideal ab, da hast du einen Text, kannst ihn dir ja durchlesen, dann weißt du wieder ein bisschen mehr. Eigenverantwortung halt. Vermittlung ist da nicht mehr; es ist das Gegenteil davon, es ist genau die Attitüde, die Bollmann an den Tag legt. Da lies und weiß und wenn du es nicht liest: Hey, du hattest deine Chance ...

Nie war es so einfach sich zu bilden. Das hat der wirklich wörtlich so geschrieben. Hat der Mann auch nur einen blassen Schimmer, was Bildung bedeutet und wie sie Früchte abwirft? Informationen sind nicht gleich Wissen. Dass es im Internet Wissensangebote gibt, das ist ja eine gute, gar nicht zu unterschätzende Entwicklung. Wenn man jetzt noch die tägliche Verblödungsmaschinerie abstellen würde ... Infos im Net, das bedeutet mitnichten, dass die Bildungsrepublik eigentlich Realität ist, man müsste sich bloß aufrappeln. Bildung bedeutet Anleitung, Erklärung, Vermittlung, Dialog und im Optimalfall sogar Begeisterung. Begriffe, die im schulischen Alltag wegrationalisiert werden. Wenn man allerdings begeistert, dann machen Bildungshungrige vielleicht auch noch was im Alleingang hinterher. Dazu kommt, dass Studien keine Bildungsgrundlagen sind, wie Bollmann das darlegt. Studien sind zunächst nur Studien, man muss wissen, wer sie wofür und wie erhebt. Das muss man bei einem Aufsatz eines Historikers freilich auch in Erfahrung bringen. Besser ist das, denn dessen politische Haltung prägt ja das Geschichtsbild, das er vermittelt. Wer sich allerdings nur Studienergebnisse aneignet, der ist doch nicht gleich ein Bildungsbürger. Zur Bildung gehört dann doch ein bisschen mehr.

Ganztagsschulen sind ja in vielen Gegenden stark ausgebaut worden. Arbeitende Eltern sollten beruhigt werden, indem sie wissen, dass ihre Schützlinge in der Schule aufgehoben sind. Tatsächlich sind die nachmittäglichen Betreuungsangebote oft nichts weiter, als schlecht organisierte Aufbewahrungsstätten für Kinder, die noch nicht nach Hause sollen. Schulische Förderung findet kaum statt. Manchmal sitzt ein Lehrer mit im Raum, wenn die Kinder ihre Hausaufgaben machen. Danach heißt es sich selbst beschäftigen. So ähnlich ist das mit dem von Bollmann publizierten Bildungsprinzip. Die Deutschen, so behauptet er ja, könnten durch die Schule des Internets gehen, müssten sich aber bitte selbst damit beschäftigen. Wenn sie es nicht tun: Dummköpfe! Nicht lernfähig!

Als man vor einigen Jahren besonders heiß über Bildungsreformen im Lande diskutierte, da hatte man auch stets den Eindruck, dass die vom Neoliberalismus gefangenen Konservativen immer auch Einfluß auf die schulischen Lerninhalte erlangen wollten. Ökonomie sollte man den Kleinen zum Beispiel beibringen. Natürlich nicht irgendeine Ökonomie - die Ökonomie. The one and only. Die freie Marktwirtschaft und wie richtig ihre Anschauungen sind. Man wollte die unsichtbare Hand für die Schüler sichtbar machen. Anders gesagt, man wollte soziales Denken in die Unsichtbarkeit überführen. Bollmanns Artikel gleicht diesen Bestrebungen. Ihm geht es doch gar nicht um Bildung, wie er den Begriff gebraucht legt ja eher nahe, dass er keine Ahnung von der Materie hat. Er will sich nur auskotzen, dass die Menschen nicht ticken, wie er es gerne hätte: Sie seien gefährlich ignorant und schirmten sich ab. Echt scheiße, das er keinen Einfluss auf die Menschen hat.

Dabei hatte seine Zeitung nachhaltig Einfluss auf die Leute. Als Teil der Bullshitindustrie hat auch sie die Leute so mürbe gemacht, dass sie nun verdrossen sind und keinem mehr Glauben schenken. Sie vertrauen niemanden mehr, weil sie gelernt haben, dass im neoliberalen System Wahrheiten huren. Heute ist wahr, was gestern Lüge war und woran sich morgen keiner mehr erinnert. Gestern hat dieselbe Zeitung für die Bollmann schreibt noch Oxfam für betriebene Einseitigkeit kritisiert, einige Zeit später soll man Oxfam-Studien studieren, um was zu lernen. Das ist es eben: Selektives Bilden, darauf wollten diese Damen und Herren Reformer immer hinaus. Es war nie eine Bildungsoffensive beabsichtigt. Von einer Bildungsdefensive, davon feuchtträumt der deutsche Konservatismus nach wie vor.

5 Kommentare:

Mordred 5. Oktober 2016 um 15:48  

" Das ist es eben: Selektives Bilden, darauf wollten diese Damen und Herren Reformer immer hinaus. Es war nie eine Bildungsoffensive beabsichtigt. Von einer Bildungsdefensive, davon feuchtträumt der deutsche Konservatismus nach wie vor."
sehr wahr.

Anonym 6. Oktober 2016 um 10:48  

Bollmann begann übrigens bei der taz. Auch da war er eher konservativ, er arbeitete von 1998-2008 dort, und wechselte dann erst zur FAZ.

Anonym 6. Oktober 2016 um 11:09  

Deswegen finde ich es auch immer ziemlich verräterisch, wenn jemand das Wort naiv benutzt.
Wie oft habe ich schon mit jemanden diskutiert, nehmen wir mal das derzeitige Topthema Flüchtlinge, und dabei nicht nur das Schlechte im Menschen gesehen und wurde mit diesem leicht herablassenden Lächeln als naiv bezeichnet.
Im Grunde meint der andere dann doch nur, wenn ich das selbe Wissen hätte wie er, müsste ich ja zwangsläufig zu den selben Schlussfolgerungen kommen.
Dabei will er ja gar nicht wissen, nicht verstehen, warum Menschen fliehen und dann in einem Asylantenheim landen, zusammen mit einer rivalisierenden Gruppe mit der sie schon in ihrer Heimat im Bürgerkrieg liegen und es dann hier zu Konflikten und Schlägereien kommt.
Er will nur wissen was passiert ist und nicht warum, damit er sich ein (Vor)-urteil bilden kann und alle die nicht so denken wie er sind naiv.

ert_ertrus 6. Oktober 2016 um 14:48  

Das Bollmännchen sollte mal »Der Hunger (El Hambre)« seines argentinischen Kollegen Martín Caparrós lesen, der sich im Gegensatz zu diesem FAZke auf eine lange und mühsame Recherche unter den Hungernden der gesamten Welt begeben hat, anstatt vom Redaktionsschreibtisch zu pöbeln. Auch sollte das Herrchen bedenken, das inzwischen auch in Schland Menschen Probleme mit der Bereitstellung ihrer ausreichenden Ernährung haben und das ihnen die Tafeln dabei auch immer weniger zur Seite stehen können (und somit eben nicht die Lösung des Problems der Armut in Schland sind, Frau Göring-Eckart!).

Michel II 13. Oktober 2016 um 11:38  

Wenn staatliche Bildung noch in der Verabreichung von Informationen bestände, wäre das schön. Mittlerweile besteht es mehr aus der Verabreichung von Falschinformationen. Sogar an der Uni. Dort wird der Ausbau der Ganztagsschulen und die Abschaffung der Förderschulen (früher Sonderschulen) als Erfolg verkauft.
Alle meine Schulpraktika bisher bewiesen ziemlich genau, dass der "Ganztag" nur daraus besteht, Schüler mit teils strunzdämlichen Materialien zu beschäftigen, bestenfalls werden nachmittags noch Hausaufgaben gemacht.
Auf die Förderschüler sind die regulären Schulen nicht vorbereitet, weder materiell noch personell. Materiell bedeutet das, dass Hilfsmittel nicht zur Verfügung stehen. Dass der Putz von den Wänden fällt. Personell bedeutet das, dass die Förderschüler irgendwie mitgeschleppt werden und dann größenteils irgendwann so oft sitzengeblieben sind, dass sie eh von der Schule abgehen müssen. Individuelle Förderung etc. kostet zusätzliches Personal und das ist nicht da. Es gibt zwar die sogenannte "Doppelzählung", was bedeutet, dass Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf "doppelt" mit Lehrern versorgt werden, also nach regulärem Schulstandard und nach sonderpädagogischem Förderschulstandard, das klappt aber in der Praxis nicht, weil das häufig bzw. eigentlich immer nur halbe Stellen sind. D.h. ein Förderschullehrer rennt täglich von einer Schule zur anderen und "betreut" so Schüler mit Förderbedarf. So ein Lehrer hat keine Chance Konzepte aufzustellen oder sich mit den regulären Lehrern zu verbünden.
Die Förderschüler, die Chancen auf einen regulären Abschluss haben, sind meistens diejenigen mit "nur" einer körperlichen Behinderung, die keine Auswirkungen auf geistige Betätigung hat. Sprich: z.B. Rollstuhlfahrer.

An der Uni wird die langsame Auflösung der Förderschulen als Erfolg verkauft.

Übrigens enden vor allem Jungen mit Migrationshintergrund häufiger auf der Sonderschule. Kleine Paschas, deren Verhalten psychologisiert und psychotisiert wird, um sie auf Förderschulen abzuschieben, weil in den Regelschulen Personal fehlt. (An den Förderschulen übrigens auch.)

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