Höhere Moral und niedere Instinkte

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Die Alternative für Deutschland ist tatsächlich eine. Ganz sicher nicht für Deutschland grundsätzlich. Aber doch für die konservativen Medien. Anhand der AfD können sie sich nämlich als anständige Bürger hervortun, die die Vorstellungen dieser Partei ablehnen. Wie genau das geht, das hat neulich eine gewisse Frau Horn in der »Bildzeitung« erklärt. Sage noch einer, man könne durch dieses Blatt keine Erkenntnisse erzielen, würde bei der Lektüre nichts lernen. Doch - kann man! Wie das Theater oftmals nur mit billigen Emotionen spielt, das erkennt man in ganzer Peinlichkeit meistens nur in billigen Schmierenstücken. In großen Schauspielhäusern kaschiert man das hinter großer Kunst und es wird schwierig die Gefühlsmanipulation zu wittern. Und so ähnluch ist es bei jener Postille. Wer wissen möchte, welche Kniffe gerade aktuell sind, der muss das Schmierenstück anschauen, die »Bild« aufblättern. Bei den Großen ist es schwieriger zu erkennen, wohin man den Leser lotst. Es inszenierte also Frau Horn, die uns gleich in der ersten Zeile mitteilte, dass wir uns noch mal schämen würden.

Wegen der AfD. Natürlich, wegen wem sonst! Wegen Griechenland doch nicht. Denn es ist die AfD, die erstarkt, während wir hier im Paradies lebten. Wir haben sogar die  »Wiedervereinigung gewuppt«, hätten eine »stabile Wirtschaft, um die uns die Welt beneidet, plus funktionierenden Sozialstaat«. Also alles gut und trotzem formiert sich die AfD. Welch Rätsel. Aber sie tut es natürlich, weil das beschriebene Szenario eben nicht stimmt. Gewuppt haben wir nur den Sozialabbau und stabil ist nur die Perspektivlosigkeit. Dieser neue rechte Trend, dessen parteipolitisches Kind jene Alternative ist, wäre ohne die Sozialpolitik der letzten zwanzig Jahre gar nicht denkbar. Aber nun gut, warum sollte jemand in jenem Blättchen ausgerechnet jetzt mit einer Aufzählung der Fehler beginnen, die Kahlschläge abkanzeln? Dort wollte man sie ja immer noch schärfer als sie ohnehin gedacht waren, diese Agenda-Reformen. Und übrigens, man provozierte unter anderem auch bei der »Bild« vor vielen Jahren in Richtung einer neuen konservativen Partei. Einer Rechtspartei. Komme sie nun, komme sie nicht? Merz, Sarrazin, Henkel? Geht das was? Nun, da habt ihr sie! Auch ohne die Genannten.

Ja, wir werden uns was schämen müssen, behauptete nun die Frau. Kann sein, kann auch nicht sein. Über die Zukunft weiß man so wenig. Möglich, dass die AfD 2025 schon vergessen ist. Die Leute vergessen ja auch so verdammt schnell. Die digitale Demenz hat auch ihr Gutes, wenn man in zehn Jahren fragen wird, wer Herr Höcke war, dann wird man mal wieder erkennen: Alles hat sein Für und Wider. Doch dieses gedankenschwangere Gerede von einer uns peinlichen Vergangenheit, ich muss wirklich mal sagen, das ist mir zu seicht-pathetisch. Was will man mit so einem Zeigefinger in der Gegenwart denn erlangen? Glaubt man echt, mit so einem futuristischen Moralaspekt könnte man die Dynamiken des Augenblicks auch nur ausbremsen? Das ist pastoral, nicht journalistisch. Und selbst Geistliche mit Weitblick wissen wohl, dass sie heute mit der erwähnten Zukunft nicht mehr in der Gegenwart ethisch punkten können.

Wie dem auch sei, was die Verfasserin ans Ende ihrer Ausführungen setzt, das zeigt, die Masche, für die die AfD richtig praktisch ist in diesen Tagen. Sie schreibt nämlich, dass ihr schlecht würde, wenn sie sich ausmalt, was sie mal ihren Nachfahren gestehen muss, nämlich »dass wir andere Themen hatten«. Sexismus und das ein Generalsekretär mal Arschloch gesagt habe. »Und ob Freihandel mit Amerika okay ist.« Soso, wer heute also gegen TTIP und Ceta ist, der ist damit automatisch ein Ignorant gegenüber dem Rechtsruck und fördert deren Positionen? Wie dienlich da die AfD doch wird; man kann sie immer als Priorität angeben und alle anderen Sujets unterordnen. Jedenfalls findet Frau Horn, dass es so sein sollte. Wobei noch anzumerken ist, dass dieses angebliche nichtige Thema zur Kritik am Freihandel natürlich wieder mal völlig falsch wiedergegeben wurde. Eine breite Mehrheit der Bevölkerung kritisiert ja das Freihandelsabkommen, also die Modalitäten des Freihandels, nicht jedoch den Freihandel mit den USA an sich.

Und noch was sollte man anmerken. Die Frau kritisiert unter anderem, dass es nicht täglich Mahnwachen vor der syrischen und der russischen Botschaft gab. Wegen Empathie mit syrischen Bürgerkriegsopfern und Flüchtlingen gewissermaßen. Wer aber gleichzeitig so tut, als seien internationale Freihandelsabkommen nur kleine Themen, die man den Neonazis unterordnen müsste, der hat wirklich überhaupt keinen Schimmer davon, wie die Dynamiken dieser Weltordnung greifen. Es waren unter anderem solche Abkommen mit ihrer dogmatischen Freihandelsdoktrin, die Länder mit schwachen wirtschaftlichen Strukturen durch das Aufbrechen so genannter tarifärer Handelshemmnisse noch mehr in die Armut stürzten und so Flucht begünstigten und zur Fluchtursache wurden. Die gewollte Freihandelszone zwischen den USA und der EU wird Verlierer verursachen. Nicht nur innerhalb des Abkommens, sondern auch außerhalb. Das hat sogar das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung irgendwie spitz gekriegt und daraufhin eine Studie veranlasst. »Es kann nicht sein, dass wir die dortigen Märkte schwächen, um dann wiederum Aufbau- und Entwicklungshilfe zu leisten«, merkte Bundesentwicklungsminister Müller seinerzeit an.

Nur so viel dazu, um mal inhaltlich aufzuräumen. Aber was viel mehr hängenbleiben sollte: Die AfD ist für die konservative Presse etwas, was man fast erfinden müsste, wenn es sie nicht schon gäbe. Es gibt sie aber. Auch mit freundlicher Unterstützung konservativer Pionierarbeit in Sachen politischer und wirtschaftlicher Deutungshoheit. Man kann nun die AfD vorschieben, sie zum großen Thema machen und alle anderen Felder rechts liegen lassen, sie zu Nichtigkeiten erklären, die man jetzt im Zuge des Kampfes gegen den Neonazismus mal ruhen lassen sollte. Sie dient als höhere Moral, um die niederen Instinkte der wirtschaftsnahen Presse zu befriedigen. Ganz schön link, diese Masche. Und weil wir schon von Link sprechen: Den zu dem Text von Frau Horn, sucht ihn euch bitte selbst, denn jeder Link, den man dorthin ermöglicht, ist ein Beitrag zur Verschlechterung der Welt. Jeder von uns macht genug Schlechtes, wir sind eben alle Mittäter. Aber manches kann man unterlassen.

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