Gespräche mit einem Mann von gestern

Samstag, 9. April 2016

Wir sprechen seit mittlerweile vielen Jahren über beinahe alle politischen Themen. Es hat sich daraus eine Freundschaft entwickelt. Keine Meinung schätze ich so hoch, wie die seine, wie die dieses Mannes, den ich hier namenlos belasse. Was mir stets imponierte ist seine Gabe, die Dinge abzuwägen, Urteile anhand von Fakten zu fällen. Er vertritt linke Positionen, ist aber keiner dieser Spinner, die hartnäckig auf Linientreue pochen würden. Ihm sind schließlich das Leben und die Menschen bekannt. Weil er dergestalt einschätzt, weil er die Sachlage und die conditio humana im Auge und im Sinn behält, habe ich ihn immer als einen Jünger einer Vernunft kennengelernt, die sich nicht in weltfremder Orthodoxie verbucht. Sein Wort war mir nicht heilig oder so, aber ich rief es mir ab, wenn ich die politische Situation unerträglich fand. Meistens traf er den Nagel ja dort, wo man ihn treffen sollte, wenn man ihn in der Wand versenken wollte. Aber in letzter Zeit scheint es mir, als haue er öfter daneben. Nicht weil er etwa unfähig geworden wäre, nicht weil seine Dialektik versagte: Ich glaube ernstlich, die Welt ist mittlerweile eine andere.

Provokant gesagt: Er ist ein Mann von gestern in einer Welt, die sich massiv verändert hat und noch dabei ist, sich noch dramatischer zu wandeln. Denn er geht von Mechanismen aus, die früher halbwegs griffen, sich an rationalen Mustern orientierten. Das scheint aber ein globales Auslaufmuster zu sein, ein regelrechter Anachronismus. Wo er noch mit der Vernunft haushält, da haben sich die politischen Figuren und Abläufe schon lange mehr oder weniger davon verabschiedet, mit dem Verstand arbeiten zu wollen.

Vor bald zwei Jahren fing »sein Stern zu sinken« an, formte sich sein »Niedergang« heraus. Damals ging es um die Ukraine und Putin. Alles lief auf Konfrontation, auf erweitertes Säbelgerassel hinaus und wir besprachen die Lage. Er antwortete: Der Westen pflegt nur Maulheldentum, niemand greift die Russen wirklich an. So unvernünftig sind nicht mal Merkel und Kollegen. Sagten sie vor Napoleon und Hitler auch immer, kokettierte ich. Nun gut, er behielt in der Weise recht, dass sie keinen heißen Krieg anbahnten. Aber kalt ist er weiterhin. Rational führen sie sich gleichwohl nicht auf. Sie legen es wider aller Ratio auch weiterhin darauf an.

Ende des letzten Jahres ging es um Trump. Ich sagte, er mache vielleicht das Rennen. Niemals, antwortete mein Freund. So dumm seien die Republikaner dann doch nicht. Er argumentierte mit Wahlkampftaktik und wandte die Logik denkender Menschen an. Einer der Latinos, Schwarze, Frauen, Moslems und Schwule angreift, könne niemals eine Nominierung erhalten. Das wäre taktischer Selbstmord. Wer soll ihn denn wählen? Das leuchtete mir ein. Wie es hingegen kommt, lesen wir jetzt sukzessive in den Gazetten. Von wahltaktischer Vernunft ist da keine Rede mehr.

Bei der AfD schätzt er es ähnlich ein. Bis zur nächsten Bundestagswahl sei die keine große Nummer mehr. Jetzt müsse sie nämlich liefern in den Ländern. Und da setzt es dann wohl aus. Diese Einschätzung mag zwar nicht bestechend sein, aber ihr wohnt eine Nüchternheit inne, die einen gesunden Realismus verrät. Logisch und vernünftig betrachtet trifft es zu. Aber was, wenn der Geist der Zeit nicht mehr analytisch ist? Wenn er nicht mehr sachlich tickt, sondern sich dem irrationalen Wutbürgertum, der Vernunftsentfremdung und der emotionellen Kurzschlußreaktion verschrieben hat?

Und dass es so ist, liegt auf der Hand. Konklusion auf Grundlage von Beobachtung und Empirie sind nicht nur out, sondern gelten mittlerweile als Ausdruck eines antiquierten Bewusstseins. Wer so argumentiert und erklärt, entstammt einer vergangenen Tradition. Ist quasi gestrig, hangelt sich von Beurteilung zu Beurteilung, ohne noch Chancen auf Richtigkeit zu haben. Die Ratio ist abgemeldet, es wütet das dumpfe Gefühl einer Ära, die nicht mehr denken will, sondern handelt, ohne es vorher mit dem Gehirn versucht zu haben.

Mein anachronistischer, weil vernünftiger Freund kommt aus Gestern. Wir alle kommen von dort, sofern wir dieses Ding in der Schädelhöhle weiterhin für Vernunftsübungen beanspruchen wollen. Falls nicht: Willkommen im Heute, wo alte Regeln des politischen Abwägens nichts mehr gelten. Ich telefoniere aber gerne mit dem Mann von gestern. Für mich ist er auch morgen noch jemand, der eigentlich recht hätte, wenn heute nicht all diejenigen dominieren würden, die unrecht haben. Lass uns bald mal wieder der Logik frönen, ich rufe dich an.

3 Kommentare:

Alles nur Satire 9. April 2016 um 10:51  

Es geht mir genauso. Jahrgang 60, links aber kein Ideologe (die ich alle ablehne, genau wie Religionen, glauben statt zu wissen, irrationales Handeln).

Ich bin wohl auch einer von gestern und mußte erst lernen, das meine mir beigebrachten und selbst erarbeiteten Werte, Betrachungsweisen, mein Denken und meine Handlungen nicht mehr zur Beurteilung heutigen Lebens, heutiger Politik und heutiger Machtausübung ausreichend sind.

Soziale, gesellschaftliche und politische,Wertvorstellungen und Grenzen haben sich gewaltig verschoben. So war und bin ich seit längerer Zeit gezwungen, mich in, mir vormals völlig unbekannte Denkmuster zu versetzen. Denkmuster, von denen ich nie geglaubt hätte, das sie zu Machterhaltungsinstrumentarien werden würden. Denkmuster, die ich verabscheue.
Tempi passati.....

Anonym 9. April 2016 um 14:32  

Schöner Artikel!!

Ich denke, es ist ein schöne Beitrag um evtl. auf einen bestimmten Aspekt, in der heutigen Welt aufmerksam zumachen und ganz neben bei die Ratio ein wenig zu rehabilitieren. Wenn auch mit Faden Beigeschmack.

Davor muss ich sagen, ich gehe von einer subjektiven Rationalität aus.Das heißt ich gehe von einer Überlegung eines Individuums aus. Die bei bestimmten Alternativen unter Unsicherheit die für sich "beste" alternative wählt.



Für mich scheint es auf der Hand zu liegen, dass die "alte Welt" in der man mit solchen Überlegungen, wie sie der "Alte Mann" anstellt, zum Ergebnis kommt wankt.

Das liegt allerdings weniger an dem verschwinden der Ratio, als viel mehr an einem starken Verlust an Vertrauen der Menschen in ihre Sozialordnung. Daher gelten "alte Spielregeln" nicht mehr. Trump und AFD nutzen diesen Vertrauensverlust, ganz geschickt aus. In dem sie sich das Logo "Anti-Establishment" aufdrücken, (wobei sie natürlich genau das Gegenteil sind) erzeugen sie mit der unter Vertrauensverlust leidende Masse, eine Gemeinsamkeit. Wer diesen "revolutionären Akt" nicht versteht, unterschätzt ganz einfach die Dynamik dieser Rechtspopulisten.

Der Linken mangelt es vor allem in Deutschland an Abgrenzung zu dieser neu/alten Konservativen Kraft. Sie schafft es nicht das Wissen, an den Mann/Frau ;-) zubringen. Hier versagt die Ratio scheinbar. Der Mensch weigert sich Informationen zu Kenntnis zunehmen. In Wahrheit fehlt ihm das Vertrauen in sich und die ehrlichen Absichten seines Mitmenschen. Um diesen Mangel zu beheben, ist seit einiger Zeit der sogenannte Linkspopulismus im Gespräch, ein Ritt auf Messerschneide. Man möchte also verstärkt durch das vermitteln von Gefühlen eine Basis des Vertrauens schaffen. Dieser Versuch hat alle Vorbedingungen Katastrophal zu scheitern, wenn es ihm nicht gelingt, seine Worthülsen mit Weltsicht zu verstärken.

Wer nur auf Elite Feindlichkeit setzt, hat keine Zeit zu erklären was ihn von der AFD unterscheidet. Wer schreit "Wir haben keine Demokratie" kann meistens nicht mehr ergänzen "also müssen wir dafür Kämpfen...". Falls es schief geht droht Totalität.

Doch zurück auf die Frage hat die Ratio ausgedient, es scheint so.
Es gab schon einmal eine Zeit, die den Eindruck erweckte die Ratio wäre verschwunden und Wahn würde herrschen. Im Nationalsozialismus herrschten wenige mit raffinierter Ratio über viele im Wahn. Doch Vorsicht, die traurige Wahrheit ist doch, für viele Deutsche war es rational im Gleichschritt mit zu Marschieren.

Nein die Ratio hat nie ausgedient, doch die ehrbaren Ziele, die Utopien haben ihren reiz verloren.

Der Neoliberalismus hat die Gesellschaft atomatisiert, und durch die Wirtschaftliche Krise sind die Menschen erwacht. Jetzt stellen sie erschüttert fest , das ihr politisches System verrottet ist. In ihrer Panik finden sie die schuldigen ganz leicht die Politiker und ab und an die Finanzelite. Was liegt da näher, als die zu wählen die am lautesten nach Ordnung brüllen.

Rational ist das schon. Nur leider nicht klug, denn das Subjekt wählt die Erniedrigung in ein hierarchisches Kapitalistisches System und bekommt dafür endlich seine Sozialsicherheit. Das Vertrauen das ihm verloren gegangen ist erhält er zurück.

Ein Grundproblem der Aufklärung liegt hier zugrunde. Daher kann Freiheit nur im Gleichgang Brüderlichkeit und Gleichheit entstehen. Ein Grundübel des Liberalismus ist es, diese Lektion nie zu lernen.

Die Antwort darauf muss sein, Vertrauen schaffen in die sozialen Beziehungen.

Das für einander da zu sein.

Es ist also weniger eine Frage der Rationalität. Sondern die welches Weltbild herrscht!


Gruß
TJ





gitano 9. April 2016 um 16:37  

Hübsche Satire auf das Zeitalter des täglich verabfolgten "Danke für die Einschätzung" der Experten.

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