Der Terrorismus der börsennotierten Nichtbeachtung

Dienstag, 12. April 2016

Am Abend des Tages, da in Brüssel ein terroristischer Anschlag verübt wurde, meldete sich die Börse im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu Wort. Einleitender Satz dort: »Die Anschläge in Brüssel wirkten sich nicht negativ auf die Börse aus.« Puh, Dusel braucht der Mensch. Das ging ja zum Glück nochmal glimpflich ab. Börsenverträglichkeit ist ja auch das Mindeste, was man erwarten kann vom internationalen Terrorismus, oder nicht? Wenn es ihn schon geben muss, dann doch bitte so, dass er dergestalt operiert, die Indizes und Kurse nicht zu manipulieren. Wenn er sie sogar steigen ließe, dann ... aber laut sagt man das lieber nicht. Was aber klar ist: Lieber oft und häufig terrorisieren, sodass er zur Gewohnheit wird und die Menschen nicht mehr sonderlich überrascht, als aus heiterem Himmel und ohne Eingewöhnungseffekt, was als Konsequenz sinkende Aktienkurse notieren würde.

Das ist nämlich das Problem mit den Börsen und Märkten. Sie erodieren ja nur, wenn irgendwas nicht so ist, wie sie es gewohnt sind, was heißt: Wie es die Teilnehmer der Märkte gewohnt sind. Wenn nämlich Anleger und Konsumenten verunsichert sind, weil ein Szenario die Konstanz und Kontinuität infrage stellt, dann kann da schon mal der Kurs abfallen. Wenn die aber mit den Schultern zucken und murren, dass man das ja schon kenne, stoisch weitermachen, dann bleibt alles stabil. »Die Gewohnheit«, so schrieb David Hume bereits im 18. Jahrhundert, »ist der große Führer im Menschenleben.« Und die Gewohnheit, die die Märkte in Terrorzeiten so an den Tag legt, ist eben auch ein Führer und Duce. Denn die Märkte, die machen uns nicht nur zu Getriebenen, sie zeigen jetzt mal wieder besonders deutlich, wie scheißegal ihnen die politischen Entwicklungen sind, solange man noch Profite herbeispekulieren kann.

Viel ist über die Verrohung der Gesellschaft zu hören und zu lesen. Rassistische Parolen seien wieder akzeptabel, Hass ein neuer Unsolidarpakt zwischen uns und denen, zwischen »die da« und »wir hier«. Man spricht wieder Tacheles, »auf gut Deutsch gesagt«, »das wird man doch noch sagen dürfen«. Keine falsche Korrektheiten mehr, keine Bedachtsamkeit, es sprudelt die Wut nur so aus den Bürgern und wir verschlampen moralisch, als Rechts- und Sozialstaat. Da fällt die Sprache des Parketts natürlich nicht mehr als die Quelle dieser Verkommenheit auf. Gegenüber einem Abendlandser, der Parolen skandiert, wirkt die Meldung, dass der Terror die Börse nicht erreiche, fast schon beruhigend. Aber das ist sie eigentlich gar nicht. Dieser Duktus, der von menschlichen Tragödien und Schicksalen nichts weiß, der gekonnt die menschliche Komponente verschleiert, indem er menschliche Arbeitskraft zu einem Index und Aktienkurs verwurstet, ist tatsächlich der Sockel, auf dem Teile unserer Gesellschaft heute ihr braunes Haus errichten.

Mit der Gleichgültigkeit von menschlichen Werdegängen fing es ja an. Kursen stiegen, als Angestelle - Menschen! - ihren Job verloren und so Unternehmen wettbewerbsfähiger wurden. Sie blieben stabil, als Arbeitsmarkt- und Sozialreformen Arbeitnehmer und Kranke - Menschen! - unter Druck setzten. Die Börse zeigte sich positiv beeindruckt, wenn Firmen die Arbeitskraft - Menschen! - outsourcten und verbilligten. Anteilnahme war fürwahr nie zu erwarten. Man verklausulierte aber die Urgründe und entmenschlichte all das, was auf dem Aktienmarkt so geschah. Als ob es da keine Menschen gäbe, die davon betroffen wären; als ob der Markt ein von menschlichen Wesen steril gehaltenes Biotop sei, dem man sich unterordnen muss, wie einem Gewitter oder einem Erdbeben.

Die nüchternen Kommentare, die nach Terroranschlägen mit erleichterter Miene Entwarnung geben, das ist die Metaebene, die den Hass in die Gesellschaft trug. Dieselbe menschenverachtende - im wahrsten Sinne des Wortes - Ausdrucksweise, die menschliche Sorgen und Nöte an sich und gesellschaftliche Entwicklungen in Gänze ignorierte, hat uns über die Jahre verroht und radikalisiert, uns zu Einzelkämpfern mit traurigen Einzelschicksalen werden lassen. Die Auswirkungen des Hasses, seien es Terrorakte oder hassverzerrte Fratzen vor Asylbewerberunterkünften, nehmen ihren Anfang an der Börse und an ihrer Resistenz gegenüber politischen Entwicklungen und den Auswirkungen für die Bürger. Sie ist ein Totalitarismus der Scheißegal-Mentalität, denn es zählt ja nur der stabile Kurs und die Dividende. Ob die im kontinentalen Terror oder im Wohlstand für alle entstehen, ist dabei - nett formuliert - nur nebensächlich.

Wer am Abend eines solchen Anschlages die Börse heranzieht, um Normalität zu suggerieren, der holt die menschenverachtende Ausdrucksweise eines Zeitgeistes ans Mikrofon, die uns erst dorthin verfrachtete. Eben ganz genau wie eine Fracht. Denn mehr sind wir aus Sicht der Börse alle nicht. Wer an einem solchen Tag durchatmet, weil das, was wir »die Märkte« nennen, sich wieder mal einen Dreck um menschliche Tragödien kümmerte, der hat noch immer nicht verstanden, dass diese Märkte die antreiberischen Kräfte einer globalen Fehlentwicklung sind, die uns in Spaltung und gegenseitigen Hass stürzen. Die unbeeindruckte Börse ist kein moralischer Gradmesser, um unsere Art zu leben zu rechtfertigen, sie ist der Ausdruck einer Lebensart, die keine Rücksicht nimmt auf Menschenleben. Sie ist ein Terrorismus der börsennotierten Nichtbeachtung.

1 Kommentare:

Anonym 15. April 2016 um 17:24  

Hallo,
dazu paßt meine Erinnerung an den 11.09.2001. Ich saß am Flughafen in Bremen, wartete auf meinen Abflug als das WTC in sich zusammenstürzte. Alle waren wie gelähmt. Informationen sickerten damals noch recht langsam durch, Smartphones und flächendeckendes Internet gab's noch nicht in dem Maße.

Ich war zuvor häufig in New York, auch auf der Aussichtsetage des WTC und äußerte meine Betroffenheit über den Tod so vieler Menschen.
Der Mann neben mir: "Und was das jetzt für die Börsenkurse bedeutet!"
Ich bin ausgerastet. "Wie bitte? Hier sterben Menschen und Sie denken nur an Aktienkurse?" (Das war noch der höflichste Satz)
Ein kleinlautes "Entschuldigung, ich bin Banker" trug nur dazu bei, meine Wut anzufeuern, nicht zu beschwichtigen.
An den Rest meiner Tirade erinnere ich mich nur dunkel, auch daß ich mir sofort einen anderen Platz im Warteraum suchte. Die Nähe eines so denkenden Menschen konnte ich nicht ertragen.

Gruß
Mada

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP