Glatter Bruch

Freitag, 29. Januar 2016

Eines vorweg: Wir haben es hier mit einem gruseligen Roman zu tun. Mit einer sonderbaren Form von Horror. Splatter kommt darin zwar nicht vor, nicht mal der übliche Nervenkitzel blutleerer Thriller. Aber nichtsdestotrotz: Was Susanne Schaller ihren Lesern vorgelegt hat, ist durch und durch schaurig. Adorno fürchtete sich bekanntlich ja nicht vor der Rückkehr des Faschismus. Er fürchtete die Rückkehr desselbigen hinter der Maske des Demokraten. Vielleicht trifft dieses Bonmot auf Schallers Version eines zukünftigen Deutschlands zu, wobei man analysieren müsste, ob man die Demokratenmaske überhaupt noch darin trägt. Man gibt sich nämlich in ihrem Zukunftsmodell nicht viel Mühe, einen Anschein von Menschlichkeit oder Partizipation aufrechtzuerhalten. Gelächelt wird trotzdem. Doch selbst diejenigen, die beruflich noch auf der Gewinnerstraße sind, stellt uns Schaller als arme Schweine vor – als arme Schweine mit Geld und Konsumgütern. Sie lächeln ebenfalls, selbst wenn sie das Gegenteil wollten. Der Rest, Zwangsverwaltete nennt sie sie, darbt von der Hand im Mund in ehemaligen Sozialbauten, die jetzt nur mehr Löcher in heruntergekommenen Bezirken sind. Ob sie lächeln kann man nicht eindeutig klären (eher nicht!), denn ihre Quartiere sucht man eher selten auf.

Die Handlung kreist um die Familie Schuster. Er ist ein erfolgreicher Statistiker, der für die Regierung Daten so hinbiegt, dass sie damit arbeiten kann. Sie gibt ihre Arbeitskraft ehrenamtlich und mit etwas schwerfälligem Verve der Kirche hin, organisiert die Armenspeisung und Kurse für die Ausgestoßenen. Deshalb bekommt sie Probleme, denn so ein Projekt bezweckt Umverteilung und Umverteilung, dass wissen selbst die Zwillinge der Schusters, sei ein terroristisches Unterfangen. Maxime ist, dass man jedem schade, dem man die Hand reiche, weil so jeglicher Eigenantrieb abhanden käme. Zur Einhaltung dieses und weiterer solcher Credos hat die Regierung die Polizeiarbeit ausgelagert an ein Privatunternehmen namens Securion, das mit ehemaligen Soldaten und anderen Hartgesottenen auf Exekutive macht. Sie patroullieren und überwachen fleißig, sind vorzüglich zu den Bessergestellten, gegenüber dem Rest ergehen sie sich liederlich. Die Schusters passen sich wie alle Familien mit Einkommen an, leben in einem exquisiten Stadtteil, die Sprösslinge zeigen gute Schulleistungen und saugen die dortige Propaganda auf wie ein Schwamm graues Spülwasser. Ein für die Schusters zugewiesener Familienberater gibt indes den Takt vor, sagt den Schusters wohin die Reise geht und plant sogar deren Urlaub und Sexualleben. Auf der anderen Seite der Gesellschaft sieht es dementsprechend aus. Das heutige Hartz-IV-System wirkt dagegen wie ein lange vergessenes Land, in dem noch Milch und Honig floss. Und doch ahnt man, dass jenes heutige Modell der Anfang zu dieser Entwicklung gewesen sein muss, die Schaller so bedrückend beschreibt.

Diese »zerbrechende Welt« ist, obgleich dieses Buchtitels, doch eine Welt des Glatten. So nennt Byung-Chul Han (»Die Errettung des Schönen«) den Hochglanz unserer Zeit. Alles ist dort aalglatt, von makelloser Ebenheit. Für Han ist die Welt des Glatten pure Positivität, in der es keine Risse und Unebenheiten gibt, keinen wulstigen Grind. Sie geht bar allen Schmerzes und kennt keine moralischen Aspekte. Schaller beschreibt auf der besseren Seite der Gesellschaft keinen Wülste, keine Unregelmäßigkeiten, meidet alle Erhebungen. Jede Erhebung wird viel mehr verschleiert. Das ist durchaus im doppeldeutigen Sinne gemeint. Es fehlt an Ecken, an überlappenden Grat, an dem man sich reißen könnte, alles geschieht in Stille und ohne Stolpersteine. Selbst die Erhebung derer, die sich (noch) nicht abfinden mit der neuen Welt. Bei den Depravierten ist es hingegen rauh und es kratzt fürchterlich. Geschieht der gesellschaftliche Abstieg, wird jemand arbeitslos oder verfehlt die Konventionen, geht es auch da glatt über die Bühne, ganz ohne Reibungsverluste. Han spricht vom Digitalschönen und nennt das Smartphone als Beleg für einen Zeitgeist, der eine Ästhetik gebiert, die das Naturschöne überrumpelt. Schaller hat diese ästhetische Einfachheit in ein Gesellschaftsmodell verarbeitet. Sie präsentiert ein smartphonisiertes Gemeinwesen. Hat eine fröhliche Diktatur der Glattheit entfaltet, in der der gute alte Bösewicht, das exemplarische Unrechtsregime faktisch unkenntlich bleibt, weil es mit nonchalantem Lächeln glatt alle Rauh- und Rohheiten des Daseins vertuscht.

Man sehnt sich nach ihrem Buch förmlich nach Nationalsozialisten oder anderen Faschisten, nach dumpfen Bösmenschen, die einen verfolgen, die Häscher spielen, zuschlagen oder Folterkeller unterhalten. Solche Bösewichte sind mit der menschlichen Natur leichter fassbar, weil wir sie sinnlicher begreifen können. Fast ist man geneigt, die Glatzköpfe von heute als sympathische Figuren anzunehmen, denn sie machen keinen Hehl aus ihrer schwarzen Moral brauner Güteklasse. Die lächelnden Gestalten in Schallers Feel-Good-and-Nanny-State, die die Menschen belächeln, während sie sie dem Untergang anheimstellen, kann man so viel schlechter einordnen. Sie machen den oben erwähnten Horror aus. »Unsere« heutigen Glatzköpfe sind eindeutig, machen niemanden was vor, sie hassen die Menschen - Punkt; die Glattköpfe hingegen kommen ganz anders als Menschenfreunde daher, bleiben gekonnt ungenau und verschwommen und betreiben ein totalitäres Handwerk mit einer völlig anderen Berufsauffassung wie jene von damals, die Deutschland in die Katastrophe wiesen. Und man kann sich ausmalen, hätten sie damals weniger gegrunzt, mehr mit glatter Miene und falsch gesetztem Lächeln, hätten sie öfter ihre Zahnleiste gezeigt, womöglich wären wir dieses Regime nie losgeworden.

Kinder werden zu Spitzeln im Elternhaus, eheliche Alltage werden behördlich durchleuchtet und organisiert, Wachpersonal an jeder Ecke, Armut wird retuschiert. Es ist wahrlich eine zerbrechende Welt, die Susanne Schaller unter unseren Augen ausbreitet. Und doch stellt man sich einen sich vollziehenden Bruch nicht so vor. Man erwartet Splitter, scharfe Scharten, die hervorstechen, ausgefranste Bruchstellen. Aber nichts dergleichen. Es ist wie poliert, fast seidig. Ein glatter Bruch eben. Ein aalglatter Bruch mit der Zivilisation, den man hinter der Lüge verbirgt, die Zivilisation nur verbessert zu haben.

Die Figuren entwickeln im Handlungsverlauf eine eher nur oberflächliche Tiefe, nie sieht man hinab bis auf den Grund ihres Daseins. Von dem, was wir der Einfachheit halber Seele nennen, wollen wir gar nicht erst sprechen; denn es ist eine seelenlose Welt, die auf die Protagonisten einwirkt. Diese mangelnde Tiefe der Figuren darf man nicht als Makel verstehen. Sie gibt den Figuren jene Konturlosigkeit, die in einer solchen Dystopie zwangsläufig ist und dementsprechende menschliche Produkte verursacht. Die Zeit ausgereifter Persönlichkeiten ist dort nicht, unsichere Durchschnittstypen, denen Tiefe abgeht, haben dort Konjunktur. Und wer Konjunktur hat, dem geht es materiell halbwegs passabel. Nicht mal die Kinder der Schusters entwickeln Persönlichkeit; sie sind das Abziehbild der politischen Leitlinie, unaussprechliche Kotzbrocken und Fremdkörper in der eigenen Familie, die Parolen papageien und denen jeglicher altruistische, ja jeder zwischenmenschliche Antrieb vollkommen abgeht. Wünsche und Sehnsüchte deutet Schaller im Innenleben ihrer Figuren nur zaghaft an. Sie sind traurige Realisten, die jeden Kampf aufgegeben haben, die die Tortur des glatten Alltages über sich ergehen lassen und dabei seelisch verwaisen.

Und wo das Böse mit triefenden Geifer den Horror des Buches ausmacht, ein blutleerer Raum von freundlichen Vollstreckern die Tristesse kenntlich macht, da wünscht man sich gleichermaßen, dass das Gute sich aufschwingt, den Glatten die Köpfe einzuschlagen. Es gilt zurecht als Kulturleistung, dass man Diskrepanzen nicht mit Fäusten oder Steinäxten austrägt, sondern mit Diskussion und Rechtsmitteln, dass man einfach gesagt spricht, wo man schlagen könnte. In der zerbrechenden Welt allerdings, da fragt man sich zunehmend, ob zu viel von dieser Kulturleistung nicht einfach nur zu viel ist. Dass Frau Schuster nicht zur Mörderin wird, die Bälger leben lässt, ihre neuen Kollegin nicht erwürgt, dem Familienberater nicht den Schädel zertrümmert, ist eigentlich nur ein Wunder. Oder schlicht der Beweis dafür, wie gut das glatte Regime der Zukunft funktioniert.

Susanne Schaller lebt in Hannover und betreibt das Weblog »quartierschreiberin«. Ihr erstes Buch »Zerbrechende Welt« ist im Renneritz Verlag erschienen.

3 Kommentare:

BlueLion 29. Januar 2016 um 11:51  

Danke für den Buchtipp, klingt interessant, ich nehm das mal auf meine Einkaufsliste

Alles nur Satire 30. Januar 2016 um 05:43  

Die Faschisten haben dazu gelernt.

Keine dröhnenden Parteitage, Schallmeienklang, Trommeln, Fahnenmeere.

Die Zutaten, Instrumente wurden poliert, verfeinert, leiser, modernen Automotoren gleich.

Die willigen Büttel für's Grobe schwimmen zwar immer noch in der gleichen simplen Geistesverfassung, ihnen wurden dafür effektivere, effizientere Methoden zur Ausübung von Gewalt und Verwaltung zur Verfügung gestellt.

Der neue Fugenkitt härtet schneller, deckt weit größere Flächen, mit viel schlimmeren Unebenheiten und Verwerfungen in viel dauerhafterer Weise ab, mit fast unbegrenzter Haltbarkeit.

Weil Ruhe, Ordnung, "Stabilität" nach wie vor, die maßgeblichen Kriterien für ein deutsches Leben sind.

kevin_sondermueller 5. Februar 2016 um 11:39  

Die Schuster-Kinder: Generation Y^n?
Auf jeden Fall haben sie eins begriffen:
Schuster, bleib bei Deinem Leisten.
Könnte das Dogma dieses einbalsamierten
Gesellschafts-Kadavers sein …

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