Zu Ohren gekommen

Dienstag, 29. September 2015

Claudia Roth meinte im Verlauf der letzten Wochen mal, dass viele der Flüchtlinge, die nun zu uns kommen, nicht verwertbar seien. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Verwertbar. Nicht so verwertbar wie zum Beispiel der holzige Abschnitt von Spargel, aus dem man mit etwas Küchengeschick noch eine Spargelcremesuppe zubereiten kann. Was hier ins Gastronomische abgleitet, ist zugleich auch die Sprache der Konzentrationslager und der Selektionsrampen. Man kann solche Verben gekoppelt an menschliche Schicksale heute verwenden, ohne gleich Ärger zu kriegen.

Spargel also. Vielleicht verdingen sich viele der Flüchtlinge bald unter Mindestlohnwert wieder auf Feldern. Also nach diesem Winter. Die nächste Spargelsaison kommt sicher. Und dann wird ein gewiefter Sozial- und Arbeitsmarktpolitiker vor die Kameras treten und sagen, dass Flüchtlinge ja zur Saisonarbeit einsetzbar wären. Man müsse das mal prüfen und dann die Leute dort einsetzen. Einsatz oder wahlweise das Einsetzen. Das sind beliebte Hauptworte in dieser Republik. Hin und wieder kommt einem klugen Kopf in den Sinn, Hartz IV-Bezieher in der Altenpflege einzusetzen. Neulich hat einer gemeint, man müsse Leistungsbezieher in Flüchtlingsunterkünften einsetzen. Sie sprechen wie Feldherren oder Generale, die gar nicht mehr fragen müssen, ob Menschen das eigentlich wollen. Sie delegieren Menschen wie Bauern auf einem Schachfeld, das sie Arbeitsmarkt nennen. Wenn man jemand einsetzen will, dann ist das militärische Verwaltung, nicht aber die Freiheit, die man hier als Versprechen unserer Grundordnung bei jeder Sonntagsrede hört. Wenn man eben Leute wo einsetzen will, dann ist jegliche Mitsprache schon aufgehoben. Hartz IV-Bezieher, dein Einsatz!

Ich bin vom Verwerten zum Einsetzen abgekommen. Die Begriffe sind nicht ganz unähnlich. Aber ich habe es bewusst gemacht, weil man beim Verwerten nichts mehr sagen kann, was nicht automatisch mit Auschwitz oder Treblinka gedacht werden kann. Und ich will das nicht. Diese ewigen Vergleiche. Irgendwann langweilen sie. Außerdem halte ich die Roth nicht für eine Rampendoktorin, die Gebisse sondiert und dann beurteilt. Und weil ich sie dafür nicht halte, macht mir eine solche Wortwahl fast noch mehr Sorgen. Es ist nichts mehr dabei, wenn man so redet. Und selbst solche, die so stolz auf ihren gelebten Antifaschismus sind, reden mittlerweile so und merken es gar nicht. Das Einsetzen hingegen ist eher militaristisch, eher Verwaltungsapparat. Aber das Verwerten, Jungejunge, das ist echt eine Schippe obendrauf. Da denkt man an Alte und Kinder, die nicht arbeiten können und die Kosten verursachen und die man ... ja, was macht man mit denen? Und dann bin ich automatisch wieder im KZ. Man kann nach Auschwitz zwar wieder Gedichte schreiben, es gingen ja Jahre ins Land und die Nazis von damals sterben aus. Aber bestimmte Begriffe sind nicht einfach wieder unverdächtig. Wenn man von Menschen und Verwertbarkeit spricht, dann ist die Rampe ganz automatisch im Hinterkopf.

Wenn man glaubt, dass mit Sprache das Bewusstsein anfängt, dann muss man solche Formulierungen wirklich für hochgradig brandstiftend halten. Und wenn man glaubt, dass das von der Sprache erzeugte Bewusstsein eine Wechselwirkung mit der Sprache eingeht, dann muss man sich fragen, ob Roth schon infiziert ist von diesem Duktus, den man ohne Probleme auch in jedem Konzentrationslager hätte anwenden können. Menschenmaterial allerorten. Hartz IV-Empfänger einsetzen, Flüchtlinge verwerten. Humanismus ade! Wir haben jetzt die freie Marktwirtschaft. Sie hat uns im Griff und lehrt uns sprechen. Und manche von uns macht sie nur noch sprachlos.

10 Kommentare:

Fluchtwagenfahrer 29. September 2015 um 10:47  

Moin,
einen hätte ich da noch.
Verorten!!
schöned Ding

Anonym 29. September 2015 um 14:07  

Ich habe festgestellt, dass seitens der Bahnhofsjubler in Diskussionen häufig gegen Hartz-IV-Empfänger polemisiert wird.

Das ist lupenreiner Sozialdarwinismus nach dem Motto: Der faule Hartzer kriegt seinen Arsch nicht hoch, im Gegensatz zu den Flüchtlingen die sich ja bereits im Überlebenskampf bewährt haben (indem sie z.B. die Überfahrt übers Mittelmeer bewältigt haben).

Gerade die Grünen sind in meinen Augen ihren Nazi-Großeltern viel näher, als sie das jemals zugeben würden.

"Verwertbar" - dieser Spruch von Claudia Roth wundert mich überhaupt nicht.

Anonym 29. September 2015 um 16:48  

" Und dann wird ein gewiefter Sozial- und Arbeitsmarktpolitiker vor die Kameras treten..."

DER ist sogar schon unterwegs in Gestalt von Detlev Scheele, bisher Senator für Jugend und Soziales in Hamburg

http://www.welt.de/regionales/hamburg/article141387491/Sozialsenator-vor-Absprung-zur-Bundesarbeitsagentur.html

und davor jahrelang Chef des verrufenen Beschäftigungsträgers Hamburgs, der HAB. Der, der den 1 €-Jobbern mit Sklavenjobs und absurdesten Maßnahmen und Bewerbungstrainings ständig das Leben schwer machte, sie z.B. monatelang in künstlichen Schein-Supermärkten "verkaufen" üben oder ganze Hallen immer wieder neu anstreichen ließ,

gleichzeitig seinem Verein viel, viel Geld auf Kosten der Erwerbslosen einbrachte und den mit Gratisarbeitern beglückten Betrieben noch mehr.

Dieser Mann scheint mir die Idealbesetzung in der BAA zur "Verwertung" von Flüchtlingen und den üblichen Erwerbslosen.

100te von "Beschäftigungsträgern", die nun den Flüchtlingen Beine machen werden, wie vorher schon den 1€-Jobbern, reiben sich die Hände ob des zu erwartenden Geldsegens der Arbeisagentur.

Die mit Arbeitssklaven belohnten Firmen und Betriebe segnen den Tag, an dem Herr Scheele endlich sein Amt übernimmt und können es gar nicht abwarten, die Flüchtlinge herum zu schubsen und das sogar fast gratis.


Wer nun allerdings den schwierigen Job von Jugend und Soziales in Hamburg übernimmt und was die daraus machen soll/wird...da sprechen wir lieber gar nicht erst drüber.

Wolfgang Buck 29. September 2015 um 17:44  

Der letzte Grüne mit Würde und Anstand war vermutlich der, welcher Joschka Fischer den Farbbeutel an die Backe geknallt hat. Das war 1999? Danach wurden auch die Grünen zur Zombie-Partei.

Heute leben wir komplett im Zombie-Land mit Zombie-Politikern, die Zombie-Journalisten Interviews geben. Gelenkt von Zombie-Managern und Zombie-Investoren. Und Sonntags predigen die Zombie-Pfaffen darüber, dass man Suppenküchen einrichten muss, weil sie auch nur Teil des Zombie-Systems sind.

Und kaum einer gruselt sich. Kann man sich wirklich so an das Absurde gewöhnen?

Anonym 29. September 2015 um 18:38  

Danke für den Text, ich wies ja nicht erst neulich drauf hin, dass mir das "selektieren" von Menschen brutal bekannt vorkommt - Übrigens in Baden-Württemberg, im schönen Markgräflerland, hat man auch Flüchtlinge in einem kleinen Weindorf untergebracht und da gerade Erntesaison ist....den Rest kann man sich denken ;-)

...ich mein dies letzte Woche bei Telepolis gelesen zu haben....aus der Erinnerung sei noch erwähnt, dass man die Flüchtlinge unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis als "Erntehelfer" beschäftigen will....merk(l)e Moslems trinken keinen Wein aber bei der Lese dürfen die helfen.....

Zynischer Gruß
Bernie

Anonym 29. September 2015 um 19:25  

ANMERKER MEINT:

Gute Analyse, Roberto! Solche "lapsus linguae" können gar nicht oft genug entlarvt und an den Pranger gestellt werden. Zeigen sie doch mehr als deutlich, wie stark faschistoides Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, auch bei der eigentlich "unverdächtigen" Roth. Immerhin repräsentieren die Grünen eine großen Teil der bürgerlichen Mittelschicht und der reden sie immer ganz "nach dem Herzen", na ja dem Kapital auch. Eine Schande!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

MENT ANMERKER

stefanbecker 29. September 2015 um 23:11  

Der Neoliberalismus hat selbst ehemals Unverdächtige zu Faschisten gemacht. Schleichend kommt er zurück, der Faschismus in seinem neuen Gewand. Den Markt in seinem freien Lauf hält auch der Sozie nicht mehr auf. Sie haben den Boden gut gedüngt, dann haben sie gesät und nun ist es zu spät.

Anonym 30. September 2015 um 19:29  

Wie Marx schon ausführlich darlegte - es geht im Kapitalismus um die Verwertung von Wert. Dem möchte ich noch hinzufügen: Die Hölle ist kein Ort sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, und dieses gesellschaftliche Verhältnis hat einen Namen: KAPITALISMUS.

kevin_sondermueller 1. Oktober 2015 um 10:21  

Die Roth mal wieder!

Hat die eigentlich jemals etwas Vernünftiges
auf die Kette gekriegt? Die hat doch ihrerzeit
schon als abgebrochene Theaterwissenschaftsstudentin
TonSteineScherben in den Fast-Ruin gemanagt (eine
geniale Band, wie man sie heute schmerzlich vermisst!
und die immer am Rande des Konkurses dahinwursteln mussten …)

Verwertbarkeit? Für die Roth wüsste ich keine – allenfalls
Endlagerung. Aber Scheiße schwimmt bekanntlich immer oben ;-(

Anonym 2. Oktober 2015 um 11:13  

Zu den ökofaschistischen Seiten der Grünen, hat ja die Ex-Gründungsmitgliedin der Grünen Jutta (von) Ditfurth, schon vor Jahren einiges erhellendes geschrieben, dass aber nie im (neoliberalen) Mainstream angekommen ist.

Tja, Frau Roth beweist eben dass Jutta Ditfurth recht mit ihrer Abrechnung mit den Grünen, und der Fischer-Bande, hatte.....und es eben doch keine Verschwörungstheorie ist wenn man manchen, nicht allen, Grünen faschistisches Denken unterstellt....

Zynischer Gruß
Bernie

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